mwirthgen schrieb:
Durch Reflexion mit Hilfe der Erinnerung kann ich meine verschiedenen vergangenen Ich-Wirklichkeiten erkennen.
Meine "vergangenen Ich-Wirklichkeiten" - bin das wirklich ich? Wenn ich das genau nehme, so heisst das mit andern Worten, der Mensch kann sich selbst nie erkennen, wie er
in der Gegenwart ist. Das einzige, was er erkennen kann, ist sich selbst in der Vergangenheit. Man kann sich darüber streiten, ob eine "vergangene Ich-Wirklichkeit" echte Rückschlüsse auf die jetztige Ich-Wirklichkeit zulässt oder nicht.
doch nach meiner Selbsterkenntnis ist es ausgeschlossen, das mein Ich, also das Subjekt, ohne das Objekt vorkommt. Jedenfalls habe ich derartiges noch nicht entdeckt. Selbst die Erinnerung an mein schlafendes Ich ist im Traum – in unterschiedlichen Gestalteten - immer in Relation mit anderen Personen bzw. Gegenständen zu beobachten. Kennst du eine Situation – außer dieser hypothetischen, die du erwähnst – in der du dein Ich ohne Relation erkannt hast?
Ja, ich bin ebenfalls der Auffassung, dass ein Subjekt nur in Beziehung zu einem Objekt existieren kann und umgekehrt, ich nenne dieses Prinzip einfach mal "Dualität" ("ja" gibt es nur, wenn es "nein" gibt, "links" nur wenn da auch "rechts" ist, "kalt" kann nur in Verbindung mit "heiss" einen Sinn machen usw.). Und ich bin der Meinung, dass der Mensch in seinem Wesen immer eine Dualität darstellt: Er ist
gleichzeitig Subjekt und Objekt. Objekt an ihm ist das, was wir normalerweise als "unsere Persönlichkeit" oder "mein Ich" verstehen. Da ist also erstmal ein Körper, da sind Gedanken, Gefühle, Ideen, Motivationen, typische Verhaltensmuster usw.
Was aber ist nun das Subjekt? Hier laufen wir Gefahr, in eine Falle zu tappen. Wenn das Subjekt "das Erkennende" im Menschen ist, während das Objekt "das Erkannte" im Menschen darstellt, dann können wir als logischen Schluss folgern, dass das Subjekt unmöglich sich selbst jemals erkennen kann. Könnte das Subjekt sich selbst erkennen, also sich selbst zum eigenen Objekt machen, dann würde das heissen, dass unser Subjekt eben zuvor noch kein richtiges Subjekt gewesen war, sondern immer noch ein gewisser Rest an "Objekthaftigkeit" in ihm drin vorhanden war, der jetzt raus ist ("der jetzt als Objekt erkannt wurde"). Mit andern Worten: Das "Subjekt im Menschen" kann unmöglich jemals vom Menschen erkannt werden, hingegen das "Objekt im Menschen" durchaus.
Der Mensch ist aber immer beide Seiten der Münze, der Mensch ist immer die
ganze Dualität, immer Subjekt
und Objekt in einem.
Weil wir aber - hier kann ich nur auf die Erfahrung jedes Menschen hinweisen, denn ein Beweis im klassischen Sinne ist unmöglich - unsere Persönlichkeit zum eigenen Objekt machen können (beispielsweise indem wir über unsere Charakterstruktur nachdenken), können wir folgern, dass da logisch zwingend auch ein Subjekt sein muss. Trotz dieser gedanklichen Folgerung wird es uns aber nie möglich sein, das Subjekt jemals wirklich zu fassen.
Wenn wir jetzt postulieren, das Subjekt des Menschen sei "Bewusstsein", so können wir sagen, dass der Mensch sein eigenes Bewusstsein nie und nimmer jemals wirklich wird fassen können. Er kann nur darauf schliessen, dass da eine solches vorhanden sein muss, einfach weil er sich selbst (eben: die eigene Persönlichkeit) überhaupt wahrnehmen, will heissen "zum Objekt machen" kann.
So gesehen wäre dann aber Selbsterkenntnis im Jetzt durchaus möglich, ohne dass sich der Mensch auf seine Erfahrung von vergangenen Werten verlassen muss.