• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Der Geist, der stets verneint

louiz30

Well-Known Member
Registriert
1. Dezember 2005
Beiträge
1.789
Ich will die folgende Sequenz aus Goethe's Faust zur Diskussion stellen und euch um eure Interpretation bitten:

Nun gut, wer bist du denn?

Ich bin ein Teil von jener Kraft,
die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?

Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
ist wer, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär's, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
mein eigentliches Element.

Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?

Bescheidne Wahrheit sprech' ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
gewöhnlich für ein Ganzes hält -
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebahr,
das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
verhaftet an den Körpern klebt.
Von Körpern strömt's, die Körper macht es schön,
ein Körper hemmt's auf seinem Gange,
So, hoff' ich, dauert es nicht lange,
und mit den Körpern wird's zugrunde gehen.


Meine Fragen gehen zB in folgende Richtung:

* Wer ist er nun, der Mephistopheles?
* Steht er stellvertretend für den Menschen?
* Welches Weltbild verbirgt sich hier?
* Welches Bild des Universums liegt hinter dieser Aussage?


Ich habe dieses Thema absichtlich unter die Rubrik Philosophie gestellt, da es mir nicht um eine Buchbesprechung, sondern um das hier angesprochene Verständnis der Welt und des Menschen geht.
 
Werbung:
Eine sehr schwere aber auch schöne Frage die du uns da stellst, Louiz, und nur sehr zaghaft kann ich eine Antwort wagen.

Ich denke, dass jeder diesen komplexen Text für sich anders liest, es finden Akzentverschiebungen dabei statt. Und nebenbei hoffe ich auch, dass keiner hier schreiben wird in der Annahme die Antwort darauf gepachtet zu haben.

Du fragst, wer er ist, der Mephisto. Für mich liegt die Antwort in den Versen:

Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebahr,
das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
und doch gelingt's ihm nicht, da es, so viel es strebt,
verhaftet an den Körpern klebt.


Hat da der alte Geheimrat nicht auch eine Vorahnung betreffend Chaos gehabt? Die Finsternis lese ich persönlich als solchen. Und der Chaos (Finsternis) der sich dann ordnet (das Licht gebahr) also die Welt gebahr.

Für mich sind diese Verse auch ein Hinweis wie sehr in uns, in unserer Entwicklung, dieser Prozess der aus der Finstenis zum Licht führt, sich wiederholt. Mikrokosmos, als Teil des Makrokosmos - wenn man die Entstehung betrachtet. Genau wie die Ontologie bekanntlich die Philogenie wiederholt- und jedes mal etwas Licht aus dem Dunkelt dabei entsteht.

In meiner persönlichen Auffassung steht also Mephisto auch für die Menschwerdung aus dem Dunkeln - und zeigt uns wie sehr diese Entwiklung Ähnlichkeiten hat mit der Entstehung des Universums.

Die Frage nach dem Weltbild bzw. Bild des Universums, habe ich damit nur sehr oberflächlich beantwortet - möchte weiter darüber nachdenken.

Warum ich eben die oben angegebenen Verse für die wichtigste Aussage des Textes halte, ist natürlich sehr subjektiv. Wenigstens an Hand von Faust, sollten wir uns kategorische Behauptungen nicht leisten.
 
Louiz, ich mache - so ganz nebenbei auch ein wenig Kunst .
Hier, dieses Gedicht von mir ist gleichzeitig meine Antwort auf Deine Frage...
Es gibt auf keine Frage der anderen eine Antwort an mich, das Subjekt, die andere zu beantworten wissen


O, Parzifal, ich sah dich hangen

Im Stillen seufzt
im Gral,
dem Stein.
Unerlöstes
harrt
der Frage -.
Wer stellt sie ?
Was ist zu fragen?


Marianne
 
Hallo Miriam

1) Mikrokosmos - Makrokosmos

gute Beobachtungsgabe!

siehe Georg Luck:
Magie und andere Geheimlehren in der Antike

Magie ist eine Technik, die auf dem Glauben an geheime Kräfte im Menschen und im Weltall beruht, Kräfte, die unter besonderen Voraussetzungen vom Menschen geweckt und gelenkt werden können. Die Technik der Magie setzt eine Wechselwirkung zwischen dem Mikrokosmos (dem Menschen) und dem Makrokosmos (dem Weltall) voraus, die ganz besonderen Gesetzen unterworfen ist


2) Ontogenese - Phylogenese!

Ontologie - Phylogenie habe ich noch nirgends gesehen
Ontologie ist Seinslehre
 
ich habe Goethes FAUST Teil 1 letzten Sommer gelesen.
Teil 2 war mir zu anspruchsvoll.

in Erinnerung ist mir geblieben,
daß Goethe den FAUST (Teil 1) in jungen Jahren in Fragmenten verfasst
und erst nach sehr viel Mühen im hohen Alter abgeschloßen hat
(Teil 2 kam hinzu, dazu die witzige Anfangsszene mit dem Intendanten und ...
trotzdem ist FAUST alles andere als rund)

mir schien in der Anlage des Faustus/Mephistopheles eine gehörige Portion SELBSTIRONIE des jungen Goethe zu stecken
(was tut man nicht alles, um den Wissensdurst und den Sexualtrieb zu befriedigen?)

der alte Goethe dürfte dagegen eher eine TRAGÖDIE darin gesehen haben,
wenn ein Mensch dem gnostischen Gott auf dem Leim geht
(die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los)
 
Ontogenese

in der Biologie die Individualentwicklung, also die Entwicklung des einzelnen Lebewesens von der befruchteten Eizelle zum Lebewesen das seine embryonale Entwicklung abgeschlossen hat. Dabei entwickeln sich beim Embryo nach und nach Organanlagen, aus denen Organe entstehen, in denen wiederum die Zellen (zu Geweben zusammengefasst) sich weiter spezialisieren.

Phylogenese

fílo - der Stamm, jénnissi - Entstehung ist die Stammesentwicklung der Lebewesen (biologische Evolution) im Verlauf der Erdgeschichte.

In der Ontogenese (Vergleich Mikrokosmos) erkennt man Entwiklungsstadien die den Stadien der Philogenese (Vergleich Makrokosmos), gleichen.

Diese Begriffe der Biologie wurden von mir nur als Vergleich zum Mikrokosmos/Makrokosmos benutzt - weil da auch Merkmale in der Entwicklung sich gleichen.
Also bitte keinen direkten Zusammenhang zwischen den hier angesprochenem Thema und den biologischen Begriffen herstellen.

Mehr zum Thema kann ich jetzt aus Zeitgründen nicht schreiben.
 
scilla schrieb:
ich habe Goethes FAUST Teil 1 letzten Sommer gelesen.
Teil 2 war mir zu anspruchsvoll.

in Erinnerung ist mir geblieben,
daß Goethe den FAUST (Teil 1) in jungen Jahren in Fragmenten verfasst
und erst nach sehr viel Mühen im hohen Alter abgeschloßen hat
(Teil 2 kam hinzu, dazu die witzige Anfangsszene mit dem Intendanten und ...
trotzdem ist FAUST alles andere als rund)

mir schien in der Anlage des Faustus/Mephistopheles eine gehörige Portion SELBSTIRONIE des jungen Goethe zu stecken
(was tut man nicht alles, um den Wissensdurst und den Sexualtrieb zu befriedigen?)

der alte Goethe dürfte dagegen eher eine TRAGÖDIE darin gesehen haben,
wenn ein Mensch dem gnostischen Gott auf dem Leim geht


(die Geister, die ich rief, werde ich nicht mehr los)


Das hast Du meiner , nicht nur meiner Meinung nach, ganz richtig empfunden, Scilla.
Goethe hat in Faust und Mephisto - ich weiß schon, Du magst diesen Begriff nicht allzusehr - gewissermaßen die zwei dualen Erkenntnismöglichkeiten: Suche aus Skepsis heraus _ das ist Louiz`Frage ) und auf absolutes Wissen an sich gerichtestes Streben gestaltet.
Na ja - und das ist ja auf weite Strecken so, dass Skeptiker Hedonisten sind ( eben Mephistos ) und die "reinen" Theoretiker eher fromm.

Nicht umsonst lässt Goethe bereits im Prolog ( Faust, der Tragödie erster Teil ) Gott sagen. es irrt der Mensch, so lang er strebt

Das drückt Goethes Meinung aus: Wir sind nur Menschen, solange wir streben, Fragen stellen, auch solche, die wir nicht beantworten können ...


frdlg

Marianne
 
hi louiz30,

ich kann dir deine Fragen leider nicht beantworten, aber ich teile deine Faszination dieses Abschnittes. Als Kind war es der erste Text den ich für mich selber auswendig gelernt hatte. Ich kann dir nicht sagen warum. Ich hatte/habe? Faust nicht wirklich verstanden, aber diese Passage blieb hängen. Wenn man mich auf Goethe oder Faust anspricht ist dies mein erster Gedanke.

Deine Fragen finde ich gut. Ich werde darüber nachdenken.
Danke für deinen Beitrag.:kuss1:
 
Einen roten Punkt begleitend, hier der Text von Marianne:

"es ist anzunehmen, dass die, die hier lesen, wissen, was Ontognenes und Ph, ist. Wer macht sich wichtig und schleimt? Marianne"

Ich hatte die Erklärung zur Ontogenese und Philogenese gegeben, da Scilla in seinem Beitrag deutlich machte, dass er den Begriff nicht kennt - muss er ja auch nicht, hier sein Text:

scilla schrieb:
Ontologie - Phylogenie habe ich noch nirgends gesehen
Ontologie ist Seinslehre

Die Fettschreibung stammt von mir, ich wollte nur zeigen wieso ich die Erklärung zur Ontogenese gegeben habe.
 
Werbung:
Möchtest Du gerne, liebe Miriam, dass ich von nun an immer meine Kommentare über Deinen Schreibstil und die Sinnhaftigkeit Deiner Posts öffentlich abgebe?

Ich würde Dir so Arbeit ersparen - das tue ich sehr gerne. Nur: Du würdest in diesem Falle Recht behalten, dass so ein Vorgehen off topic ist. Ich gebe Dir halt mal nicht gerne Recht. Und ich darf - auch wenn Punkte für mich in der Öffentlichkeit keine Thema sind, sehr wohl welche geben. Und- ich werde das weiter bei Dir tun - immer, wenn ich die Bedingungen dazu erfüllt habe. Es ist nur merkwürdig, dass Du , als ich einmal eines Deiner eher schwachen Verserln lobte - bepluste -, weil wirklich gelungen und ich nun wirklich da kompetent bin - dieses Lob nicht hier in die Öffentlichkeit gebracht hast.
Ist mein Minus vielleicht Dein erstes ? Armes Haserle - Du wirste fürderhin damit lebe müssen - so rot angepatzt, pfui !

Mit Bussigrüßchen

Marianne

.By the way: Scilla ist studierter Geograph und philosophisch sehr interessiert - es ist anzunehmen, dass er - so wie alle, die hier Matura haben oder sonst irgendwie interessiert sind, wissen, was Ontogenese und Phylogenese ist.


Und nun:
ich ziehe mich aus diesem Thread zurück - Ich habe schon derart oft über Goethes Faust geredet, dass ich kein weiteres Gespräch über dieses Hauptwerk der deutschen Klassik zu führen brauche.

Aber: Pass Du nur mal auf, vielleicht verirrt sich wieder irgendein "Unwissender" hier, den Du wikipediamäßig belehren kannst.



nochmals; Bussi Bussi

Marianne
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Zurück
Oben