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Ausdifferenzierung und Identität

Hi Denkforum :)

@majanna (und alle anderen natürlich auch)

Wieso bin ich eigentlich ein besonders leuchtendes Exemplar eines Postmodernisten in deinen Augen? Und wie habe ich es geschafft, dich ‚wütend’ (wie Robin schreibt) zu machen? Nur, weil ich nicht so schnell geantwortet habe...?

@robin, @majanna (und alle anderen...)

Ich habe den Begriff ‚Postmoderne’ gar nicht thematisiert. Ich hab ihn ja noch nicht einmal verwendet :) außer im Eingangszitat. Ich persönlich weiß gar nicht, ob ich ihn ‚ablehne’ oder ‚befürworte’. Ich nutze ihn so selten es geht :) Vor allem, weil mir seine Bedeutung sicher nicht in allen Facetten klar ist. Ich vermute, er wird auch gar nicht einheitlich verwendet. Robin schreibt: „Ziel ist es, damit klarzukommen und darum geht es ja in diesem Thread.“ und mit ‚damit’ meintest du die Phänomene der Postmoderne, nicht den Begriff. Mir ging es ebenso wenig um das Wort ‚Postmoderne’, sondern ich hab im ersten Schritt versucht, das Phänomen Ausdifferenzierung in den Zusammenhang mit seinem ‚Vorgänger’ der ‚vertikalen Schichtung’ zu bringen. Ich wollte daran erinnern, dass das Eingebettetsein in sinnstiftende Strukturen seinen Preis hatte. Einen Preis, den ich nicht zahlen würde.

Im zweiten Schritt hab ich dann einen Vorschlag gemacht, indem ich den Begriff ‚Selbsterfindung’ ins Spielfeld warf.

@robin, @majanna, @Jérôme (und alle...)

Der Ball, der Begriff ‚Selbsterfindung’ wurde zwar aufgenommen, aber schnell wieder aus dem Spielfeld rausbugsiert :) Er wurde entweder abgelehnt oder umgedeutet:

„Von 'sich erfinden zu müssen' ist kaum die Rede.“ (Jérôme)
„Selbst(er)findung.“ (robin)
„Wir sind ständig auf der Suche nach uns.“ (majanna)


Zunächst zur Umdeutung: Natürlich gibt es hier eine bewusste rhetorische Anlehnung an den (älteren) Begriff Selbstfindung, wenn man von Selbsterfindung spricht. Das geschieht aber nicht, um die Grenzen zu verwischen, weil man denkt, eins sei wie das andere, sondern ganz im Gegenteil: die sprachliche Nähe soll den Kontrast unterstreichen. Die Begriffe schleißen sich gegenseitig eigentlich aus.

Warum Ablehnung? Von 'sich erfinden zu müssen' ist kaum die Rede, schreibt Jérôme Meinst du, es ist nicht der Rede wert, Jérôme? Mir ist nicht ganz klar, wieso Begriffe wie ‚geistigen Potenzen’, 'Universalität und der Freiheit’ mit Selbsterfindung unvereinbar sind. Wobei ich gleich hinzufügen will, dass ich den Begriff Universalität kaum einordnen kann – da bräuchte ich noch etwas Nachhilfe, bitte.

Zu dem Buch "Die Tugend der Orientierungslosigkeit" kann ich leider nichts sagen, weil ich es nicht kenne. Robin sagt aber, dass der Vorschlag jeder solle sich ‚seine Identität basteln’ wohl nur für Yuppies interessant ist... Aber warum? Zu beidem könnte ich erst mehr sagen, wenn ich mehr wüsste :) Aber eins ist trotzdem wichtig, glaube ich: Implizit scheinst du eine ‚Lösung’ für alle zu wünschen. Auch hier frag ich: „Warum?“


@majanna (und die anderen ebenso)

Du stellst mir eine (ziemlich böse) Frage: Wie soll denn Selbsterfindung aussehen ...? Die Frage ist nicht böse - wieso sollte sie das sein? Ich habe zwei Antworten darauf. Die erste ist ziemlich einfach. Die zweite braucht ein paar Zeilen mehr. Wobei ich hoffe, eure Geduld nicht überzustrapazieren :)

Antwort 1: ich weiß es nicht. :-(

Antwort 2 ist ein Vorschlag. Angeregt dazu bin ich durch das Buch ‚Hinter den Spiegeln, Beiträge zur Philosophie Richard Rortys’ Die folgende ‚Herleitung’ ist allerdings ‚nicht autorisiert’ :)
Das Leben in der Senkrechten (der vertikal stratifizierten Gesellschaft, wie Luhmann es nennt) hatte eine gewisse ‚Notwendigkeit’: Jeder hatte seinen festen, vorherbestimmten Platz innerhalb dieser Ordnung. Die göttliche Fügung garantierte das, Gottes Pläne mögen undurchschaubar gewesen sein. Aber es gab sie! Die Fiktion war Realität. Diese ‚Notwendigkeit’ fehlt heute. Alles ist, wie es ist, aber alles könnte auch anders sein. Kein Gott, keine Philosophie, kein Wertsystem mit tragender Säulenarchitektur zwingt mich heute an einen bestimmten Ort. Aber wie wurde diese Notwendigkeit in der Schichtengesellschaft produziert? Durch Sprache. Welt ist aus Sprache gebaut. (Ich fasse den Begriff recht weit dafür: Architektur, Kleiderordnungen, Kunst etc. rechne ich dazu.) Natürlich hat sich diese symbolische Ordnung auch zu realer Gewalt verdichtet und sich selbst vor sich selbst geschützt. Aber das ‚Fundament’ war aus Sprache. Das beruhte natürlich nicht auf Freiwilligkeit, das System war ja längst am Laufen, wenn man hinzustieß :) sprich geboren wurde. Der Sinn, den die Menschen ‚rausgeholt’ haben, hatten sie selbst hineingelegt! (Natürlich waren sie für diesen Zusammenhang blind.) Trotzdem könnte das ein Modell auch für heute sein. Sinn wird man nirgends finden. Man muss ihn immer erfinden. (Heute aber eben nicht blind...)

Damit habe ich die beiden Begriffe, die ich für die Selbsterfindung brauche: Notwendigkeit und Sprache. Notwendigkeit muss ich allerdings verneinen, damit erhalte ich den Begriff Kontigenz (der vage mit Zufälligkeit übersetzbar ist).

Mein Vorschlag lautet also: Achte, liebe, schätze die Kontigenz, stelle dich ihr. Schaffe dein eigene Sprache. Erfinde dich selbst.
 
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_its_not_me[QUOTE schrieb:
_]‚Selbsterfindung’ ............

........... Zunächst zur Umdeutung: Natürlich gibt es hier eine bewusste rhetorische Anlehnung an den (älteren) Begriff Selbstfindung, wenn man von Selbsterfindung spricht. Das geschieht aber nicht, um die Grenzen zu verwischen, weil man denkt, eins sei wie das andere, sondern ganz im Gegenteil: die sprachliche Nähe soll den Kontrast unterstreichen. Die Begriffe schleißen sich gegenseitig eigentlich aus ........

Antwort 1: ich weiß es nicht. :-(

Antwort 2 ist ein Vorschlag. Angeregt dazu bin ich durch das Buch ‚Hinter den Spiegeln, Beiträge zur Philosophie Richard Rortys’ Die folgende ‚Herleitung’ ist allerdings ‚nicht autorisiert’ :)
Das Leben in der Senkrechten (der vertikal stratifizierten Gesellschaft, wie Luhmann es nennt) hatte eine gewisse ‚Notwendigkeit’: Jeder hatte seinen festen, vorherbestimmten Platz innerhalb dieser Ordnung. Die göttliche Fügung garantierte das, Gottes Pläne mögen undurchschaubar gewesen sein. Aber es gab sie! Die Fiktion war Realität. Diese ‚Notwendigkeit’ fehlt heute. Alles ist, wie es ist, aber alles könnte auch anders sein. Kein Gott, keine Philosophie, kein Wertsystem mit tragender Säulenarchitektur zwingt mich heute an einen bestimmten Ort. Aber wie wurde diese Notwendigkeit in der Schichtengesellschaft produziert? Durch Sprache. Welt ist aus Sprache gebaut. (Ich fasse den Begriff recht weit dafür: Architektur, Kleiderordnungen, Kunst etc. rechne ich dazu.) Natürlich hat sich diese symbolische Ordnung auch zu realer Gewalt verdichtet und sich selbst vor sich selbst geschützt. Aber das ‚Fundament’ war aus Sprache. Das beruhte natürlich nicht auf Freiwilligkeit, das System war ja längst am Laufen, wenn man hinzustieß :) sprich geboren wurde. Der Sinn, den die Menschen ‚rausgeholt’ haben, hatten sie selbst hineingelegt! (Natürlich waren sie für diesen Zusammenhang blind.) Trotzdem könnte das ein Modell auch für heute sein. Sinn wird man nirgends finden. Man muss ihn immer erfinden. (Heute aber eben nicht blind...)

Damit habe ich die beiden Begriffe, die ich für die Selbsterfindung brauche: Notwendigkeit und Sprache. Notwendigkeit muss ich allerdings verneinen, damit erhalte ich den Begriff Kontigenz (der vage mit Zufälligkeit übersetzbar ist).

Mein Vorschlag lautet also: Achte, liebe, schätze die Kontigenz, stelle dich ihr. Schaffe dein eigene Sprache. Erfinde dich selbst.
[/QUOTE]Deine (Richard Rortys’) Theorie birgt m.E. die Gefahr, dass wir dann auch versuchen, das Rad neu zu erfinden. Kann man "Selbsterfindung" auch so deuten, dass man einfach möglichst autark und autodidakt leben will ?

MfG
 
@zeilinger
Nur so viel auf die Schnelle: Das ist nicht Rortys Theorie. Die kenne ich gar nicht im Einzelnen. Den Begriff 'Selbsterfinden' hatte ich selbst erfunden :)) (heißt: bei einzwei Gelegenheiten in diesem Sinne verwendet) und war dann überrascht, erfreut, das 'irgendwo' anders auch zu lesen. Wahrscheinlich werde ich aber versuchen, über Rortys Position mehr zu lesen.
 
Hallo, no its me!


Ganz schnell – ich habe Besuch und( da geht es mir wie Dir) keine Zeit zu längerer Antwort.

Ich vermutete in Dir einen Postmodernisten, weil mir schien, dass Du mehr für Dissens in Meinungs – und Weltsichtbildung bist, als ich und vor allem weitere Konsequenzen als Folge ziehst. Das geht m.Es. nur, wenn das Ich „ sich eine eigene Sprache schafft.“.
Nun ist die Mehr- und Vieldeutigkeit der sprachlichen Codierungen sowohl Fakt als auch Kennzeichen der Postmoderne.
Aber – und das ärgerte mich – man kann sich nur selbst erfinden , wenn man den anderen dieses neue Bild auch vermitteln kann. Welche Sprache wählt dann dieses sich selbst geschaffene Ich? Doch die im Regelsystem geltende.
Nicht, dass wir uns missverstehen. Auch mir sind „gleich geschaltete Wesen“ ein Horror. Nur – so glaube ich fest – wir sind durch die Strukturen, in die wir zwanghaft eingebunden sind, gleich geschalteter als wir denken. Alles Gerede von Freiheit, Selbsterfindung, Selbstfindung usw halte ich mehr für intellektuelle Schönfärberei.


Ich bin ein olles emotionales Wesen – ich ärgere mich, wenn ich etwas nicht nachvollziehen kann.
Nimm also meine Entschuldigung entgegen – bitte.
Das mit der Kontigenz will ich überdenken. Da ist was dran - auch in meinem Sinne.

Meine Enkelin will schon wieder mit mir Puppen spielen. Das werde ich jetzt tun. Das Puppenbaby will nämlich in den Wald spazieren gehen. Da muss Puppenuroma mit.

Baba

Marianne
 
huhu robin !

angesischts der tatsache, dass sich selbst heute nur ein geringer teil der menschen ernsthaft mit selbstfindung, selbsterfahrung, identitätsfindung etc befassen, ist der schluss legitim, dass in zeiten, wo man weniger zeit dafür hatte, diese thematik einen noch kleineren stellenwert hatte als heutzutage

und auch der zweite sohn des häuptlings hatte zu tun, genug essen anzuschaffen um den tag/ die woche/ das monat/ das jahr zu überleben ;)

lg,
Muzmuz
 
Salut!

Robin schrieb:
Die Frage ist: wie weit will man ernsthaft zurückgehen, um einen "ursprünglichen" Menschen zu finden?

Ich betrachte es als sinnlos, einen ursprünglichen Menschen zu suchen. Wozu? Fänden wir ihn, würden wir ohnehin nicht mehr so leben wollen/können. Bin aber auch der Ansicht, dass es schon sehr früh vermutlich Menschen gab, die sich ähnliche Fragen stellten, ebenso wie es heute Menschen gibt, die sich solche Fragen nicht stellen/nie stellen werden - aber die Anzahl dieser Menschen steht in keinem Verhältnis zueinander -grins.

Gehe ebenfalls mit Marianne einig, dass gerade die sprachliche Codierung die Menschen differenziert.

@ its not me: Hätte ich 'nicht der Rede wert' schreiben wollen, sei versichert, ich hätte es geschrieben. Nur sprachen wir nie darüber, uns (neu) zu erfinden, sondern darüber -ich fasse zusammen- dass die heutige Gesellschaft mehr aus Differenzen als aus Gemeinsamkeiten besteht, weil die tradierten Rollen und Identifikationen an Bedeutung verloren haben, stellten fest, dass daraus einerseits Orientierungslosigkeit oder auch nur Unwohlsein, andererseits Rückkehr in die Tradition, die aber nie mehr die ursprüngliche sein kann oder/und Suche nach Ersatz resultieren können, begleitet von Angst, Verunsicherung oder Suche nach einer einigermassen befriedigenden Weltanschauung und versuchten, darüber zu diskutieren, was es für Konsequenzen hat/haben könnte (z.B. Robin: die Rolle des Mannes in der heutigen Gesellschaft oder die Konsequenzen der Meinungsfreiheit/des Meinungszwanges.
Habe ich gesagt, dass geistige Potenz, Universalität und Freiheit der Selbstfindung nicht dienlich sind? Ich kann das nirgends so finden, finde es aber spitzfindig, mir so was zu unterstellen ;), verstehen kann ich es schon gar nicht. Ich sehe doch darin die Chance -nicht nur für mich. Wenn es Dir zur Selbst(er)findung dient, um so besser!
Der Zeitgeist negiert die Universalität. Das kannst Du doch mit Leichtigkeit überall erkennen. Die Mehrzahl der Erwerbstätigen sind doch nur relativ leicht ersetzbare Glieder einer Kette. Während ein Arbeiter (trifft aber auch auf andere Berufe zu, z.B. einen unselbstständigen Architekten) früher den ganzen Arbeitsablauf nicht nur kannte, sondern auch ausführen konnte, wird er heute nur für eine einzelne Phase des Prozesses eingesetzt -oft ohne Kenntnis davon, was 'vor ihm' und 'nach ihm' mit dem Produkt geschieht- seine Arbeit durch Maschinen/Computer ersetzt etc. Was auf der einen Seite eine Vereinfachung, Erleichterung und Verbilligung bedeutet, bedeutet auf der anderen Seite Versachlichung, Kränkung und Herabsetzung des Menschen - das ist aussen. Sieht sich der Mensch innen universeller -und das tun wir doch, mit wenigen Aussnahmen vielleicht alle, steht er vor einem Problem. Eigentlich steht er vor einer ganzen Anzahl Probleme, auch existenziell, aber hier geht es primär um den 'inneren Frieden'. Darum meine ich, geht es primär darum, sich ein neues Bewusstsein/Selbstbewusstsein 'zu besorgen', darin ist jeder einzelne sich selbst überlassen und gefordert. Das sehe ich als einen Übergang/Aufbruch zu etwas Neuem, das aber mit meiner Identität, oder besser der Summe meiner Identitäten möglichst wenig kollidieren soll, um mich nicht noch mehr verunsichern. Es ist für viele ein Elend, aber auch eine Chance. Ich werde mich dabei aber sicher nicht neu erfinden. Ist es bei Dir anders, beweist es doch nur, dass wir different sind und nicht, einer von uns sei im Unrecht. Eins haben wir doch gemeinsam, wir fühlen uns unverstanden ;).
Wenn Du aber sagst 'Sinn wird man nicht finden, sondern erfinden müssen', so entgegne ich: Du darfst nicht verallgemeinen. Es irritiert. Ist das Leben sinnlos, dass man einen Sinn zuerst erfinden muss? Ich stellte mir die Frage nach dem Sinn des Lebens noch nie, dachte immer, so was macht man nur, wenn man am Ende ist. Betrachte mein Leben nicht als sinnlos, werde also auch keinen (neuen) Sinn erfinden müssen. Eher würde ich im Bedarfsfall auf Robins 'mit (neuen) Inhalten füllen' zurückgreifen.
Es ist vielleicht eine banale Definition, doch mein Ziel ist: ein gemeinschaftfähiges Individuum, das sich seiner Eigenart bewusst ist.
Meine (u.v.A. natürlich!) sozial undifferenzierte Identität hält die Gemeinschaft am Laufen, von weiteren undifferenzierten Kollektivitäten möchte ich absehen. Sie könnten hilfreich sein, sicher, aber auch behindernd, die eigene Identität zusammen zu halten. Es heisst nicht, dass ich Eins bin mit mir, eher das Gegenteil ist der Fall, das Veruneintsein. Es gibt auch keine plausiblen Argumente gegen die kollektive Angleichung, weil Isolierung mit Neurosen verbunden werden könnte. Nur beides zu wollen, ist für mich Utopie. Die Knotenpunkte sind mir dafür um so wichtiger. Hoffe, Du verstehst es jetzt besser. Besser erklären kann ich es nicht.


Robin schrieb:
Jérôme, wenn ich dich recht verstanden habe, siehst du dieses Wirrwarr als einen Übergang an? Und die Technik spielt eine große Rolle dabei?!
Vielleicht hilft uns die Technik, eine neue Mystik zu entwickeln?! Sie bindet unsern Überschuss an transzendenter Ungewissheit, der durch die Desillusionierung der Wissenschaft frei wurde?! Stellt dabei einen Großteil der Bevölkerung ruhig, während sich die kreative Elite darin spielerisch-weltanschaulich austobt?!

So formuliert klingt es ziemlich krass und beunruhigend. Aber: Angesichts vieler Probleme scheint Technik unsere letzte Hoffnung (und unser Fluch). Und warum sollte sich an ihr nicht eine neue senkrechte Weltordnung etablieren?

So. Bitte letztere Ausführungen nicht ZU ernst nehmen und weiter antworten
:danke:

Es ist in der Tat ziemlich krass, aber findet das nicht schon statt? Um bei dem Senk- und Waagrechten-System zu bleiben (its not me -grins), sehe ich uns in der Senkrechten der Wissenschaft/Technik und sie als unsere Ersatz-Religion. Jeder hat wieder darin einen festen Platz - die Ausdifferenzierung findet wie bisher hauptsächlich in der Waagrechten, vielleicht hauptsächlich über Kunst und Lebenskunst ;). Aber vielleicht versuche ich auch nur Locken auf einer Glatze zu drehen. Bin noch zu veruneint!
 
Hallo!

Bevor sich jetzt hier falsche Worte einschleichen: Kontingenz heißt das ;)

Its not me, ich suche keine einheitliche Lösung für alle. Das ist in der Tat das Positive der Postmoderne und Jérôme hat dies auch umschrieben mit "nicht mehr rudeln müssen"

In meinem Eröffnungsstatement habe ich die Kontingenz :rolleyes: möglicher Antworten nicht einschränken wollen. Ich habe nach Vor- und Nachteilen gefragt, für Gesellschaft und Individuum und ich habe Vor- und Nachteile bekommen. Ich bin da zwiespältig, wie die Meisten.
Ein reines Bejubeln der Postmoderne halte ich für eine paradoxe Haltung, es ist eine sowohl-als-auch Situation, dazu passt eine sowohl-als-auch Haltung.
Warum ich das zwiespältig sehe, habe ich schon ausführlich beschrieben: Was ist mit Problemlösungen, die Geschlossenheit verlangen? Die solidarische Anstrengungen verlangen? Was ist mit einer Gesellschaft, wo jeder so auf sich selbstfixiert durch Selbstfinden ist, dass er keinen Sinn mehr für das Allgemeine hat?
Man kann dann sagen, ja das ist doch auch möglich. IN der Praxis, wie in dem Buch "Tugend der Orientierungslosigkeit" kommt es dann aber im Endeffekt zum selbstgefälligen Hedonistentum.

Selbstfinden und Selbsterfinden halte ich übrigens für keinen so großen Gegensatz. Beiden gemein ist die Illusion, dass man es wirklich "selbst" ist, der etwas tut. Luhmann sprach übrigens bei seiner eigenen "Selbstfindung" einer Karriere von einem Staatsbeamten zu einem der bedeutensten Denker der Nachkriegszeit vor allem über die Bedeutung von Zufällen.
Daher denke ich: Man eben mit dem zurandekommen, was eben da ist. Dass ich da auch Kapital draus schlage, gerade wenn ich eine positve Einstellung dazu aufbaue, ist klar.

An diesem Abschnitt über Porty sehe ich nichts Spezifisches. Natürlich ist SInn abhängig von semantischen Codes, von Kommunikation (triffts besser als "Sprache", finde ich). Aber genau deshalb kann er auch nicht neu erfunden werden, denn auch eine Neu- oder Umdeutung von Sinn geschieht mithilfe generalisierter Codes. Will man seine Art zu lieben neu erfinden, muss man sich trotzdem auf die alte Liebe berufen und wird dann vielleicht feststellen, dass man sooo weit davon sich nicht entfernen kann ;)

Muzmuz, die Diskussion, wie sie sich jetzt entwickelt hat, ist vielleicht eine elitäre, aber das liegt daran, dass wir uns doch am Schluss sehr auf die Selbst(er)findung beschränkt haben. Warum die Menschen früher aber keine Zeit gehabt haben sollen, scheint mir nach wie vor unbewiesen und Spekulation. Man könnte genauso gut umgekehrt behaupten: IN Gegenden, wo es Nahrung im Überfluss gab, hatten die Menschen sogar zu viel Zeit, und der Grund warum sie sich eventuell nicht mit Identitätskonflikten bschäftigt haben, ist der: Es ging ihnen einfach zu gut :)

:winken1:
 
Hi Jerome,

du schreibst: "Habe ich gesagt, dass geistige Potenz, Universalität und Freiheit der Selbstfindung nicht dienlich sind? Ich kann das nirgends so finden, finde es aber spitzfindig, mir so was zu unterstellen , verstehen kann ich es schon gar nicht."

Nein, nein ich wollte dir gar nichts unterstellen. :) Ich habs einfach so verstanden - das ist alles. Du hast es eingeleitet mit: "Von 'sich erfinden zu müssen' ist kaum die Rede.“ Das hab ich einfach nicht so begriffen, wie du es anscheinend meintest. Ich habs ungefähr so verstanden:"Davon kann gar nicht die Rede sein oder es ist nicht der Rede wert." Wenn ich dich jetzt richtig verstehe, meintest du damit nur, hier im Thread ist nicht davon die Rede... :)

Wenn ich es nicht wieder falsch verstanden habe :) ist das Missverständnis damit ausgeräumt, oder?

Grüße me
 
Brot und Spiele - aber wofür ?

Die von Maslow skizzierte Bedürfnishierarchie wurde hier bereits angesprochen, und ich zweifle
nicht daran, dass die Umstellung von primär vertikalen auf mehr horizontal orientierte Strukturen
auch mit dem Umstand zu tun hat, dass die existenziellen Bedürfnisse auf breiter Basis befriedigt
sind. Zumindest insofern, als dadurch die Wirksamkeit und Effizienz der vertikalen Orientierung
bei der Sicherung existenzieller Bedürfnisse als Argument an Gewicht verliert.

In der "Ersten Welt" haben wir in mehreren Bereichen bereits ein sehr hohes Niveau erreicht,
wie etwa beim materiellen Wohlstand, beim Zugang zu Bildung, zur Einsicht in gesellschaftliche
Wirkungsmechanismen, bei Menschenrechten und Humanismus.

In Anbetracht dieses hohen Niveaus sind dann Phänomene wie zunehmender Individualismus und
stärkeres Streben nach Selbstverwirklichung nicht wirklich verwunderlich.

Für die Gesellschaft insgesamt ergibt sich daraus eine neue Herausforderung.

Nachdem die tradierten "kategorischen Imperative" in die Gerümpelkammer der Geschichte
verstaut, oder gar als Sondermüll entsorgt wurden, besteht die Herausforderung für die
kommenden Generationen darin, einen ausreichend breiten Konsens für eine Wertebasis
zu finden, die sich zu einer tragfähigen Ethik verknüpfen lässt.

Oder andersherum gefragt,
welche Lektionen werden Céline und Jérôme der kleinen Yannick-Andrée in den ersten fünf
Lebensjahren beibringen ?

Die Lektion Eins wird vermutlich lauten: "Mammi und Pappi haben dich lieb!".
Das ist richtig und wichtig, allerdings für eine Ethik nicht ausreichend.
Deshalb wird es spannend, wie wohl die Lektionen Zwei, Drei, Vier, ..... lauten werden.

Ein Defizit an Basiswerten für eine tragfähige Ethik wurde ja schon von linken Intellektuellen
der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts wie eine Schlechtwetterfront heraufziehen
gesehen, glücklicherweise ist das aber offenbar ein langsam ablaufender Prozess.

Die immer wieder anzutreffenden Instrumentalisierungen menschlicher Bedürfnisse durch jeweilige
Machthaber erschweren eine Antwortfindung zusätzlich.

Da lautet ein bewährtes Rezept: Das Volk braucht Brot und Spiele ( damit es ..... ).

Damit es was ?

Damit es sich im Sinne der machthabenden Gesellschaftsschichten verhält,
und nicht auf dumme Ideen kommt.

Aus der Sicht der französichen Aristokratie war es ohne Zweifel eine ziemlich dumme Idee,
die Guillotine nicht nur zu entwickeln,
sondern sie auch zwecks Veränderung der Machtverhältnisse einzusetzen.

Da haben anscheinend die Aristokraten dem französischen Volk entweder zuwenig Brot,
oder zuwenig Spiele geboten.

Tja, so kann es gehen, wenn man bewährte Rezepte ignoriert.



Dass die zunehmende horizontale Orientierung eine Identitätsfindung erschwert,
erscheint mir nur vordergründig ein Problem zu sein.

Selbstverwirklichung ist aufs Engste verwoben mit einer Positionsbestimmung auf der weitläufigen
Landkarte mit neuen möglichen Identitäten. Beide sind sie sehr anstrengend, beide sind deshalb
ein Luxus, den man sich erst nach Befriedigung der existenziellen Bedürfnisse leistet.
Getreu dem nicht mehr ganz neuen Motto: " Erst kommt das Fressen, dann die Moral ! "

Die Qual der Wahl erscheint mir als eine unvermeidbare Begleiterscheinung der zusätzlichen
neuen Möglichkeiten. Die Kohlengrubenarbeiter des 19. Jahrhunderts hatten diese Qual vermutlich
nicht, hätten sie aber vermutlich gerne in Kauf genommen.


Wenn die zitierte "Patchwork Identität" von manchen Beobachtern als problematisch,
weil in sich widersprüchlich, empfunden wird, so kann das ja auch an den Beobachtern liegen,
die recht willkürlich Zusammengehörigkeiten oder Unverträglichkeiten postulieren,
für die es aber keine ausreichende sachliche Begründung gibt.

Das Postulat "wer eine Rolex Armbanduhr trägt, kauft nicht bei Aldi ein" ist ein Beispiel dafür.

Warum sollte eigentlich jemand, dem eine Rolex gut gefällt, nicht bei Aldi einkaufen ?

Nur weil irgendwelche weltfremden Schreibtischtäter sich einbilden, das passe nicht zusammen ?

Mir gefällt deshalb auch die Position von Jérôme zu Patchwork-Identitäten sehr gut.

Ich kann nicht mal meine Patchwork-Ansichten von der Welt und von mir selbst zu einer
kohärenten Weltanschauung zusammentragen. Also begnüge ich mit mit dem Stückwerk,
weil ja ohnehin jedem Menschen bestenfalls Ausschnitte des Wirklichen gegeben sind.
Das allein macht mich für absolute Weltanschauungen aber auch nur Antworten untauglich,
was ich aber als positiv ansehe.
Mit meiner Identität habe ich keine Probleme.
Die sehe und akzeptiere ich als Patchwork verschiedener Identitäten.
( Es geht halt wirklich nichts über eine tiefgreifende und nachhaltige Einheit der Differenz ! )


Und was den Kommunismus betrifft, dazu gibt es auch ein schönes Sprücherl von ehemaligen
Austromarxisten (davon waren ja ein beachtlicher Teil Töchter/Söhne aus bürgerlichem Hause),
das geht ungefähr so:

"Wer in den 20er und 30er Jahren KEIN Kommunist war, der hatte kein Herz,

und wer in den 60er und 70er Jahren NOCH IMMER Kommunist war, der hatte kein Hirn."


lg nase

[ Obendrein kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Robin die Soziologen viel zu
ernst nimmt. Er sollte sich einmal die Empfehlung meiner Grossmutter zu Gemüte führen:

"Wenn du zufrieden bist, und das auch bleiben willst, dann gehe Soziologen aus dem Weg." ]
 
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huhu robin !

mit zeit haben meine ich nicht kurze zeit von minuten, stunde oder tagen; sondern eher maßen von lebensspannen

wer einmal in hungersnot war, oder in einer sonstigen existenznot, den wird dieses erlebnis ein leben lang prägen
sein kopf wird voll sein, um eine wiederholung dieser not zu vermeiden

solche ängste sind nicht nur kognitiv, sondern generell; eine uns bekannte form des auswuchses ist die gier, die nicht nur auf den menschen, sondern generell bei allen lebewesen zu beobachten ist

das heißt für den menschen: wenn der hunger für den tag gestillt ist, dann gilt die sorge dem nächsten tag
ist er für den nächsten tag auch gestillt, gilt die sorge dem übernächsten und so weiter
aus diesem trieb legte sich der mensch auch in guten zeiten vorräte für schlechtere zeiten an (vor allem, wenn die umwelt durch den wechsel der jahreszeiten geprägt wird)
selbst wenn es eine umgebung gibt, wo zur zeit versorgung im überfluss gewährleistet ist, hat ein mensch existienzielle zukunftsängste

wobei besonders in solchen reichen gegenden zur angst, dass sich die gegend verändern könnte jene dazukommt, dass jemand anderer diese gegend streitig machen kann
somit war der frühe mensch immer mehr oder minder im stress und muße kam so gut wie nie auf und wenn, dann höchstens für kurze zeit

selbst vor einigen jahrzehnten war die situation für den großteil der menschen in österreich nicht viel anders
im 2. weltkrieg und in der zeit danach war die sorge, genug zu essen, eine bleibe zu haben und sonstwie versorgt zu sein eine alltägliche

auch als es in den 60ern mit unserem wohlstand steil bergauf ging, war diese existenzangst noch immer in den menschen, die andere zeiten kannten
du kannst es noch heute sehen, wie sich alte leute auf festen benehmen, wo es gratis-würschtl gibt
für uns unbedarfte sieht dieser drang zu horten bizarr aus, aber es kommt weniger von der altersschrulligkeit als von den traumatischen erlebnissen aus schlechteren zeiten

die, die ein leben im wohlstand gewohnt sind und sich zeit ihres lebens nie ernsthafte sorgen um ihre existenz machen mussten, haben diese ängste nicht bzw bei weitem nicht so ausgeprägt
wenn der kopf dann nicht permanent beschäftigt ist mit "wie kann ich mein überleben sichern", dann ist der platz frei für andere gedanken, andere überlegungen; und andere probleme, die für andere personen irrelevant sein mögen, werden angeschnitten
nicht umsonst gilt auch das sprichwort "hat der mensch keine probleme, dann erschafft er sich welche"

lg,
Muzmuz
 
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