......Du versuchst, die Suche nach Abenteuern über die Vernunft zu verstehen und eventuell sogar darüber zu regulieren. Ich denke, da packt der Hase den falschen Ofen an den Hörnern.
Ich glaube die Ausprägung individueller Bedürfnisse nach "Abenteuern" wird vom jeweiligen Schicksal abhängen.
Mein Schicksal ist von erzwungenen "Abenteuern" bestimmt:
Wir waren 5 Geschwister. Heute sind wir noch 4.
Als ich 4 Jahre alt war, das war 1954, besuchten uns auf ihrer Urlaubs-Durchreise meine Großtante mit Ehemann in Heidelberg. Beim Abschied standen wir 5 Kinder wie die Orgelpfeifen nebeneinander und wurden gefragt, wer denn mal für ein paar Tage mit zu ihnen nach Mönchengladbach wolle.
Ich rief laut "ich", hatte demnach wohl keinerlei Trennungsangst oder ausgeprägtes Familien-Gefühl.
Aus diesen "paar Tagen" wurden 4 Jahre. Mein Opa hatte dafür in Manier "Familien-Pate" lediglich auf einen Zettel geschrieben, damit einverstanden zu sein, dass ich nun bei seiner Schwester lebte. Was unsere Mutter davon hielt, oder mein von ihr geschiedener als Rechtsanwalt bestimmt in solchen Sachen rechtskundiger Vater, weiß ich nicht.
Heute unvorstellbar, das Jugendamt würde sich bei solchen Methoden wohl einschalten.
Nun wurde ich über Nacht zum Einzelkind, das volle Aufmerksamkeit genoss, die ich zuvor mit 4 Geschwistern teilen musste. Zudem bedeutete meine Gegenwart für Tante und Onkel, beide Mitte 50 und unfreiwillig Kinderlos geblieben, ein spätes "Elternglück".
Entsprechend wurde ich verwöhnt. Ich bekam einen Tretroller mit Fußbremse, und wurde für damalige Verhältnisse eher ungewöhnlich mit reichlich Spielzeug bedacht. Auf der Kirmes hat mein Onkel so lange Lose gekauft, unter Protest meiner Tante ("Albert, hör doch auf..") bis das er für mich einen Riesenteddy, noch so einer mit Strohfüllung und per Gelenken schwenkbaren Armen und Beinen.
Mit 5 wurde ich in MG eingeschult.
Als ich 8 war, besuchte uns meine Mutter und nahm mich einfach wieder mit nach Heidelberg. Die Hintergründe, warum sich meine Mutter plötzlich auf mich besann und sich auch gegen den "Opa-Paten" durchsetzen konnte, weiß ich bis heute nicht.
Auch diese quasi hin und her "Warenverschickung" (ich als Ware) ging wohl auch ohne Zutun bzw. Kenntnis des Jugendamtes.
Nun lebte ich über Nacht bei Mutter nebst älterer Schwester und älterem Bruder, die mich nun wohl eifersüchtig als "Eindringling" betrachteten und mich entsprechend mies behandelten.
Mutter arbeitete als Kellnerin in der Wirtschaft "Ritterhalle" (heute "Kulturbrauerei") mit an der Hausecke in etwa 4 m Höhe angebrachter markanter Ritterfigur (mit Speer) in der Leyergasse und "parkte" mich dort öfters, damit sie mich immer im Blick hatte wenn ich dort meine seltenen Hausaugaben machte, oder mein einziges je gelesenes Erzählbuch "Klaus Störtebeker" las..
So was wie Freunde hatte ich dort nicht, galt ja in meiner Geburtsstadt Heidelberg dennoch als Zugereister, zumal ich mir aus MG schon ein wenig einen rheinländischen Dialekt angeeignet hatte, aber überwiegend akzentfrei also vermeintlich hochnäsig hochdeutsch sprach, weshalb ich, egal wo ich gerade war, mit der etwas distanziert ausladenden Frage, "du bist aber nicht von hier?" konfrontiert wurde.
Wohl verständlich, das ich bald wieder zu Tante und Onkel wollte. Also schwänzte ich etappenweise tagelang die Schule, übernachtete an den verschiedensten Orten und bin sogar einmal zur Autobahn gelaufen, die bis in die Stadt reinführte und wollte dann auf dem Standstreifen bis nach MG laufen. Nach ein paar km hielt ein Polizeiauto an, und die Polizisten frugen was ich da mache ich dürfe dort nicht laufen. Ich flunkerte, ich hätte mit Kindern auf den Strohballen am angrenzenden Feld gespielt, die Kinder wären aber einfach abgehauen und ich wüsste jetzt ich nicht wie ich wieder zurück komme. Die Polizisten sagten mir, ich bräuchte nur in die andere Richtung zurücklaufen, dann käme ich wieder in die Stadt (so was wäre heute undenkbar).
Essen habe ich mir immer im Kaufhaus zusammen geklaut (Schokoriegel usw.). Dann habe ich mich im Kaufhaus am Stand eines Mannes wohlgefühlt, der mit seinem Verkaufsstand für Schuhcreme warb, und vorführte wie die Creme zu handhaben ist (heute auch unvorstellbar).
Um die Karnevalszeit herum gab er mir ein wenig Geld, damit ich mir eine Narrenkappe aus Papier kaufen könne.
Mit dieser Kappe lief ich dann wie so oft zum neu gebauten Heidelberger Hauptbahnhof. Da kam mir ein Mann entgegen, mit Zylinder und Gehstock. Dem gefiel meine simple Papier-Narrenkappen-Nachahmung so gut, dass er mir anbot, die Narrenkappe gegen seinen hochwertigeren Zylinder und Gehstock zu tauschen.
Damit ging ich dann wieder ins Kaufhaus zu dem Schuhcreme-Vorführer um ihn über meinen Tausch zu berichten. Der Vorführer malte mir dann ein C.Chaplin-Oberlippenbärtchen an.
So lief ich dann stolz wie Oskar über die Hauptstraße. Einige Kinder aus meiner Klasse erkannten mich zufällig und riefen mir "Schulschwänzer, Schulschwänzer" hinterher.
Oft ging ich wieder nachhause, des Hungers wegen, oder wurde von der Mutter in der Stadt aufgegabelt.
Einmal kam ich vom Spielen nachhause, als in der Küche ein mir unbekannter Mann saß. Mir fiel gleich sein Gehstock und sein für mich seltsamer Schuh auf, der, wie mir erst viel später klar wurde, ein leicht verkürztes Bein kaschieren sollte.
Ich grüßte freundlich, ging aber gleich wieder raus zum spielen.
Als ich später wieder nachhause kam, war der Mann weg und mein Mutter sagte mir dann, dass er mein Vater gewesen sei. Dass konnte sie oder er mir also nicht sagen, als er noch zugegen war. Somit habe ich meinen Vater in echt nur einige Sekunden gesehen. Vielleicht als Kleinkind eher, aber daran habe ich keine Erinnerung.
Ansonsten habe ich Jahre später zwei s/w Fotos von ihm von meiner Schwester bekommen. Die waren vergessen worden, als unsere Mutter nach der Scheidung alles was an ihn erinnerte, vernichtet hatte, ohne zu berücksichtigen, dass seine Kinder vielleicht gerne Erinnerung an ihn gehabt hätten, mindestens Fotos.
Er wurde uns Kindern gegenüber von den Großeltern wie auch von unsrer Mutter denkbar schlecht geredet, er hätte sein Anwaltszulassung verloren, sein ganzes Vermögen (angeblich Grundstücke und Häuser) im Wiesbadener Spielcasino verzockt und versoffen.
Er starb als ich 13 war, worüber mich meine Mutter oder Geschwister nicht informierten, sondern ein Anwalt, der mir aber empfahl, einer hohen Schuldenlast wegen die Erbschaft abzulehnen, was ich dann auch tat..
Ich rätsele bis heute darüber, ob derartige Empfehlung ein Anwalt so lapidar ohne jegliche weitere Daten abgeben darf.
Alles sehr mysteriös, auch der Umstand dass ich bis heute nicht weiß, ob er mit seinem besagten Kurzbesuch meiner Eskapaden wegen nach dem Rechten sehen wollte und ihn meine Mutter deshalb (widerwillig?) eingeladen hatte.
Ich habe nach seinem Besuch mit meiner Schulschwänzerei nicht aufgehört, im Gegenteil, das Schweigen meine Mutter, über die Identität dieses für mich fremden Mannes war ja noch mehr Grund, die Schule zu schwänzen und von Zuhause wegzulaufen.
Einmal wollte ich der Kälte wegen nicht im Freien, sondern im Beichtstuhl einer Kirche übernachten, nachdem ich meinen Durst aus dem Weihwasserbecken gestillt hatte (und diese von vielen Händen kontaminierte Brühe auch überlebte..).
Vermutlich machte ich Geräusche so dass mich der Pfarrer entdeckte, mich dann in der Sakristei aufwärmte und dann nach Hause brachte.
In dieser Nacht war mein Onkel in einer Art spontaner "Rettungsaktion" aus MG mit dem Zug gekommen, weil er von meiner Oma über meine Eskapaden gehört hatte. Der hat mich dann in dieser Nacht auch gleich wieder mit nach MG genommen.
Mit meinen Eskapaden habe ich mir ein "Sitzenbleiben" eingehandelt ("der Schüler hat oft gefehlt"). In MG zurück blühte ich dann wieder zu schulischen Bestformen auf.
Ich denke, bei solchem Schicksal und unfreiwilligen "Abenteuern" ist mein geringes bis nicht vorhandnes Bedürfnis nach freiwilligen Abenteuern begründet.
So gibt es in allen Lebensbereichen immer irgendwelche individuellen Gründe etwas zu tun oder zu lassen.