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Schulnoten - willkürlich und überholt oder effektiv und präzise?

PhilippP

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8. April 2003
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930
Ein Thema, das immer wieder heiß diskutiert wird, ist das der Schulnoten. Derzeit läuft beispielsweise in Deutschland (Baden-Württemberg) ein Versuch an 39 Grundschulen, komplett ohne Benotung auszukommen. Das alles gab es schon früher, nun gibt es eine Neuauflage, da das politische Klima sich abermals wandelte. An die Stelle der Noten sollen Lerngespräche und individuelle Rückmeldungen treten.

Dabei wird regelmäßig damit argumentiert, dass Noten ein einseitiges Lernen begünstigen (Lernen nur für gute Noten) und damit ein unangemessener Leistungsdruck verbunden sei.

Noten wird generell meist ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Sie seien gar nicht objektiv, vielmehr vom Gutdünken der Lehrkraft (Tagesform, Sympathie, persönlichen Vorlieben etc.) geprägt und würden Schüler stigmatisieren sowie herabwürdigen.

Bevor ich als Lehrer meine Sicht der Dinge zum Besten gebe, möchte ich euch die Gelegenheit bieten, das Feld mit Ansichten, Einsichten, Erfahrungen und Argumenten zu bestellen!
 
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Ich finde Schulnoten effektiv und präzise. Sie drücken aus, wie gut Lehrer und Schüler zusammen passen. Ich gehe davon aus, dass diese Harmonie, die auf dem guten Willen des Lehrers und auf der Anpassungsfähigkeit des Schülers basiert, das ist, was man mit Noten messen möchte. Wenn es einer Schülerin gelingt, ihr Abitur mit 1,0 abzuschließen, dann kann sie Psychologie oder Medizin studieren, denn sie hat größte Anpassungsfähigkeit und Hingabe bewiesen.
 
Ein Thema, das immer wieder heiß diskutiert wird, ist das der Schulnoten. Derzeit läuft beispielsweise in Deutschland (Baden-Württemberg) ein Versuch an 39 Grundschulen, komplett ohne Benotung auszukommen. Das alles gab es schon früher, nun gibt es eine Neuauflage, da das politische Klima sich abermals wandelte. An die Stelle der Noten sollen Lerngespräche und individuelle Rückmeldungen treten.
Naja, wenn so'ne Lehrkraft nur wenig Schüler und viel Zeit hat, dann klappt das wohl mit dem persönlichen Gespräch. Aber Schule ist Massenabfertigung, ein Lernfabrik sozusagen. Mit jedem Schüler den Stand seines Wissens einzeln zu verhandeln, ist wahnsinnig ineffizient.

Ich finde das Notensystem ganz okay. Auch wenn es mal Lehrer gibt, die Schüler unfair bewerten, kann man Beschwerde einlegen. Ein Lehrer, der sich viele Beschwerden einfängt, riskiert seine Karriere. :)
 
Mir wäre es lieber, diese Gelegenheit der Bewährung auszulassen und gleich deine Erfahrungen und Einsichten zu vernehmen.
*mein Heft raushole*

Großartiges solltest du von mir allerdings nicht erwarten, aber sehr gerne werde ich meine Erfahrungen sowie Einsichten darzustellen versuchen.

Am Anfang steht die Frage, was man von den Lernenden in der Schule eigentlich möchte. Hier herrscht meines Erachtens eine zunehmende Diffusion an Zielvorgaben, Ansprüchen und zum Teil nicht hinterfragten Idealen, die im offenen oder verdeckten Widerspruch zu weiterhin primär vorgegebenen Zielen stehen. Jene Ziele werden von der Gesellschaft und den allgemeinen Erfordernissen gesetzt und die Schule kann sich jenen nicht entziehen, ohne die eigene Relevanz grundlegend in Frage zu stellen. So wird spätestens das Abschlusszeugnis einer Schulform (in der Regel aber schon das Zeugnis davor) ausschlaggebend dafür sein, welche berufliche Qualifikation oder anschließender, weiterführender Bildungsgang besucht werden kann: Selektion und Allokation. Jede alternative Form der Beschulung, die bis dahin die notwendigen Kompetenzen zwar vermittelt, jedoch keine hinreichend vergleichbaren und klaren Leistungsrückmeldungen erbracht haben, müssen in der Folge spätestens hier diesen Erfordernissen ebenfalls genügen. Oftmals führt das zu Irritationen und Anschlussschwierigkeiten der Lernenden und gegebenenfalls zu Frustrationserfahrungen, die der bis dahin gewählte Lernweg womöglich erfolgreich umschiffen konnte.

Schule ohne Noten ist somit nicht per se abzulehnen, sofern an Stelle der Benotung eine taugliche alternative Bewertungsform praktiziert wird, die gegebenenfalls unkompliziert auch auf die konventionelle Leistungsbewertung übertragen werden kann. Meiner Erfahrung nach ist das aber mit größeren Problemen behaftet und es muss geleistet werden (Arbeitszeit und Kenntnisse). Verbalbeurteilungen wirken meist weicher und bieten somit weniger Potential für Kränkungen, sie sind jedoch entsprechend auch diffuser und weniger präzise hinsichtlich der jeweils erbrachten oder nicht erbrachten Leistung. Da sie in der Regel auf Grund der Rechtssicherheit und Effizienz formelhaft erstellt werden, ist letztlich die aufs Individuum bezogene vermeintlich erhöhte Aussagekraft nicht zwangsläufig tatsächlich auch gegeben. Individuelle Bewertungen oder gar die Persönlichkeit in der Ganzheit betreffende Verbalbeurteilungen halte ich also für praktisch nicht leistbar. Einerseits fehlt hierfür der Lehrkraft schlicht die Zeit, auf der anderen Seite sind wir keine Psychologen, die eine Persönlichkeit ganzheitlich erfassen und bewerten könnten/sollten. Mein Selbstverständnis als Lehrkraft ist, dass wir Wissen/Kompetenzen aufbereiten, bereitstellen und vermitteln und hierbei typische und pädagogisch handhabbare Lernprobleme berücksichtigen. Dazu gehört eindeutig nicht, dass wir z.B. emotionale oder kognitive Lernstörungen oder psychologisch anderweitig verwurzelte Lernblockaden lösen oder behandeln können sollten. Dafür sind wir nicht ausgebildet, dennoch wird uns das regelmäßig und vermehrt wie selbstverständlich zugemutet.

Zurück zu den Noten. Als Schüler haben mich Noten häufig beunruhigt, ich hatte nicht selten Angst vor schlechten Noten und hielt mich selbst für mangelhaft, wenn ich eine ebensolche Note in der Schule schrieb. Das lag aber - das sehe ich heute mit entsprechendem Abstand so - nicht an den Noten, sondern an der Bedeutungszuschreibung, die ich selbst diesen verlieh. Ursächlich war aber nicht mein kindliches Wertesystem, sondern das meiner Umwelt. Noten werden weithin missverstanden, fehlinterpretiert und überschätzt. Das ist ein Teil des Problems. Das andere ist vermutlich der Umgang unserer Gesellschaft mit unterschiedlich ausgeprägten Begabungen und Fertigkeiten. Wenn also z.B. ein Mensch eben - und sei es auch nur in einer frühen Phase des Lebens - weniger leistungsfähig, talentiert und motiviert ist als andere in der Vergleichsgruppe, so wird ihm dies negativ angelastet, schlimmstenfalls dies auf seine Persönlichkeit übertragen.

Noten sind weder objektiv noch eindeutig und schon gar nicht geeignet, Persönlichkeiten zu bewerten. Das sollen und wollen sie auch gar nicht. Wenn man sie aber einfach versteht und nutzt, sind sie sehr verlässliche Indikatoren einer jeweils erbrachten Leistung und Umsetzung vorher möglichst präzise bestimmter Leistungsvorgaben. Auch in solchen Schulfächern, die man naturgemäß eher für wenig objektiv und schwammig hält. Das habe ich erst wieder gemerkt, als ich meiner neuen Klasse im Fach Deutsch das Zeugnis schrieb. Ich kannte ihre Vornoten nicht, stellte aber fest, dass - bis auf wenige Ausnahmen, die aber insgesamt eine Leistungssteigerung oder Leistungsabfall hatten - meine Noten fast identisch waren mit den vorherigen. Das überrascht mich nicht (mehr), jeder Lehrer weiß, dass die Noten der Schüler auch untereinander (bei Klassenwechseln/Fachwechseln) in der Regel kaum variieren. Es kommt in der Praxis quasi nie vor, dass ein Schüler bei einem Lehrer in einem Fach eine 2 (gut) hat und bei einem anderen plötzlich eine 4 (ausreichend).

Ich könnte noch mehr schreiben, will aber die Leser nicht überrumpeln. Es sollte für einen ersten Eindruck reichen.
 
Danke für die Darstellung. Mir fehlt der Aspekt des Alters und der Schultyp - gerade bis zum 14. Lebensjahr (eine Art generelle Allgemeinbildung). Vielleicht können Sie etwas dazu sagen.

Ich bin ein Fürsprecher des klassisch differenzierten Schulsystems, das allerdings durch vermehrten Einsatz von Spezialisten (Sozialarbeiter, Schulpsychologen, Schulbegleiter, Sonderpädagogen usf.) in seiner Handlungsfähigkeit bestärkt werden sollte. Idealerweise sollten die Klassengrößen mit wachsender pädagogischer Komponente abnehmen: Gymnasium z.B. max. 30 Schüler in einer Klasse, Realschule 25 Schüler, Hauptschule max. 20 Schüler (eher um die 15) und auf Förderschulen je nach Art und Form der Lernbehinderung. Ab Hauptschule wäre zudem Team-Teaching (2 Lehrkräfte pro Klasse) sinnvoll, dies ebenso in der Grundschule, wo ich Klassengrößen von über 20 gleichfalls für wenig erstrebenswert halte.

Noten sind in den ersten beiden Grundschuljahren - jedenfalls hierzulande - ohnehin schon seit ich denken kann nicht üblich und das hat sich bewährt, da hier die Basiskompetenzen vermittelt werden und die Verbalbeurteilungen obendrein hilfreich sind, um früh schon typische Verhaltensauffälligkeiten (hohe Ablenkbarkeit, Verträumtheit etc.) festzustellen. Daher sind die frühen Grundschulzeugnisse z.B. bei Diagnosen von ADHS auch überaus hilfreich und werden auch von Erwachsenen noch zur Diagnoseunterstützung herangezogen. Aus Gründen der Effizienz halte ich eine Weiterführung der Verbalbeurteilungen ab der 3. Klasse nicht für sinnvoll, zumindest in den Hauptfächern sollten Ziffernnoten genaue Leistungsrückmeldungen ermöglichen, damit auch der dann (so würde ich es mir wünschen) wieder verbindliche Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen entsprechend erfolgen könnte. Bei uns ist die Empfehlung der Grundschule seit einigen Jahren nicht mehr bindend, die Eltern können entscheiden, wohin ihr Kind gehen soll. Das halte ich für ungünstig und meines Erachtens hat das viel unnötiges Leid (vor allem auf Schülerseite) beschert.

Ich hoffe, dass ich die Fragen damit - zumindest ansatzweise - beantworten konnte.
 
... Lernen nur für gute Noten.

Für was sollte der gemeine Schüler denn sonst lernen?

In meiner herrlichen Schulzeit galt es allgemein, Abschlüsse zu erreichen, eine jahrelange Angelegenheit, verbunden mit Zwang zum wochentäglichen Schulgang.
Das Notensystem war stets einfach gebaut und in seiner Gewichtung leicht auszurechnen. Ich habe es nie erlebt, daß Bewertete zu schlecht bewertet wurden, zu gut bewertet gab es oft, auch als nötige Hilfe für potentielle Sitzenbleiber.


Wir hatten auch in der Oberstufe bis in die 10. Klasse Religionsunterricht, ich gehörte zur mehrheitlichen Gruppe der Protestanten, die wenigen Katholiken mußten sich in den Zeiten des religiösen Unterrichtes in einem leeren Klassenraum finden, wurden irgendwie wie formal beschäftigt.

Es war für alle entspannend und locker, da es keinen Leistungsdruck gab, man konnte sich leicht nebenbei beschäftigen, je nach Fasson, nur nicht zu auffällig. Der rothaarige Religionslehrer hatte keine Macht, das wußte jeder, er gab sich stets antiautoritär, fast kumpelhaft.
Es gab sehr viel Sexualkunde-Unterricht. Die wenigen Aufklärungsfilme haben wir mehrmals gesehen, waren stets beliebt, die Jungs waren für jede Brust dankbar. Aus Mangel an verfügbaren Filmen für den Filmprojektor sahen wir im Religionsunterricht die mehrstündigen Weltkriegsberichte (die gab es auch in Geschichte und später in Politologie zu betrachten). Die Filmvorführungen gehörten allgemein zu den beliebtesten Veranstaltungen.
Bei akuten Ereignissen gab es gerne Diskussionsrunden über Atomkraft, Wettrüsten, Todesstrafe, Abtreibung, Sterbehilfe, Zweiter Weltkrieg. Also, es ging immer um weltliche Themen, an Bezüge zu Gott kann ich mich gar nicht erinnern.

Das Religions-Zeugnis gab es halbjährlich lediglich im DIN A5 Format. Es gab nur Noten bis genügend (4), danach "... hat teilgenommen". Ich hatte ab der neunten Klasse nur noch "... hat teilgenommen". In der zehnten Klasse haben einige Kollegen die Zeugnisse untereinander getauscht, ich habe noch das von Zeugnis von Dirk Otta, das im Kellerverschlag vergeht, er war laut Dokument in diesem Halbjahr wie befriedigend (3).
 
Das Notensystem war stets einfach gebaut und in seiner Gewichtung leicht auszurechnen. Ich habe es nie erlebt, daß Bewertete zu schlecht bewertet wurden, zu gut bewertet gab es oft, auch als nötige Hilfe für potentielle Sitzenbleiber.

Daran hat sich nicht viel geändert. Wir sind bei der Notengebung heute wahrscheinlich aber noch zurückhaltender und das "pädagogische Augenmaß" wird stets im Sinne der Schülerschaft oft und öfter eingesetzt. Sitzenbleiben ist eigentlich nur möglich, wenn man komplett abgemeldet ist und gar keinen Ansatzpunkt einer positiven Leistungsbewertung bietet. Pubertierende schaffen das durchaus häufiger, meist in Kombination mit privaten Schwierigkeiten und/oder psychischen Problemen. Ansonsten wird eigentlich alles durchgeschleust.

Unsere Schüler gehen auch gern zur Schule. Neuere Untersuchungen bestätigen das: 4 von 5 Schülern fühlen sich in der Schule wohl. Das sind alles erfreuliche Entwicklungen. Wenn ich an meine Schulzeit denke, muss ich sagen, dass wir damals ziemlich hart behandelt wurden und die Lehrer in der Regel unzugänglicher waren. Die heutige Jugend hat es einfacher und dazu steuere ich meinen Teil bei, dafür bin ich Lehrer geworden. Ich möchte aber nicht, dass sich die schulischen Anforderungsprofile in falsch verstandener Kuschelpädagogik vollends auflösen. Das schürt Bildungsungerechtigkeit und bereitet junge Menschen nicht adäquat auf das spätere Leben vor, das nicht selten hart und wenig herzlich geartet ist.
 
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Wer strebt überhaupt nach der Abschaffung schulischer Noten? Wer hätte einen Nutzen davon, wer bliebe dennoch oder erst recht auf der Strecke?
 
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