Corsario
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Dass ein gelehrtes Werk wie Rüdiger Safranskis Buch über "Romantik" bis an die vorderen Plätze der Bestellerlisten vordringen konnte, ist selbst schon ein Zeitzeichen!
Safranskis Buch präsentiert sich als das Panorama einer Epoche: der deutschen Romantik. Was die Fachkritik bemängelte, nämlich dass ihm ein bisschen der rote Faden und die besondere Pointe fehle, war sicherlich die Voraussetzung für dessen Erfolg beim großen Leserpublikum. Es werden keine schwindelerregenden Interpretationen entwickelt, kein extravagantes Garn gesponnen, sondern mit kräftigen Strichen das Bild einer geistigen Bewegung entworfen, die wie keine andere die Kultur der Deutschen bis heute geprägt hat.
Im guten oder auch in einem schlechten Sinn?
Dass diese Frage eine vieltausendköpfige Leserschaft bewegen konnte, eignet sich selber zu jener besonderen Pointe, an der es Safranskis Darstellung fehlt! Wenn man es nämlich als eine Antwort auffasst auf die Frage, ob unsere Zeit für eine NEUE Romantik "reif" ist.
Der spezifische Charakter des Romantischen sei das Ungewisse, wird Oscar Wilde zitiert. In der voran gegangenen Epoche der Aufklärung und des Rationalismus hatte es nur "noch"-Ungewisses gegeben: Morgen schon würde es gewiss geworden sein; oder doch wenigstens gewisser. Die Romantiker, die ab 1794 in Jena auftraten, meinten hingegen, dass gerade das, worauf es am meisten ankommt, seinem WESEN nach ungewiss ist.
Die Grundüberzeugung vom ebenso grenzenlosen wie unaufhaltsamen Fortschreiten der Erkenntnis teilen die positiven Wissenschaften mit dem Rationalismus, und müssen es. Sie haben den Siegeszug der Großen Industrie ermöglicht, dem die romantische Ungewissheit nicht lange widerstehen konnte. Dennoch war die romantische Grundhaltung der wesentlichen Ungewissheit das Moderne an der Moderne. Das positivistische Selbstvertrauen des Industriezeitalters war eine kostspielige Täuschung.
Wir stehen am Ende des industriellen Zeitalters und wissen nicht, was nachher kommt. Mehr Ungewissheit war nie. Kein Wunder, dass das Romantische neue Zuwendung erfährt. "Anything goes"?! Die 'Postmoderne', die uns die wieder wachsenden Ungewissheiten der Welt zu einer permanenten Casting-Show verharmlosen wollte, hat fertig. Das Ungewisse ist eine ernste Sache.
Aber nur mit Ernst, nur in Ungewissheit lässt sich das Leben nicht aushalten. Würde ich tatsächlich an Allem und Jedem zweifeln, das mir begegnet, würde ich kaum die nächste Viertelstunde über die Runden bringen. "Wohl wissend", dass ich in einer Welt lebe, in der "nichts gewiss" ist, muss ich doch immer SO TUN, ALS OB.
Und das Bewusstsein davon, dass dies so ist, nannten die Romantiker IRONIE.
Der im Alltag eingerichtete Normalmensch, der seinen Geschäften nachgeht und auf seinen Vorteil achtet – wissend, dass, wer nehmen will, auch geben muss -; also derjenige, den die Romantiker einen PHILISTER nannten: der kennt Ironie nur als ein Stilmittel, das ihm gelegentlich gute Dienste leistet. Der hält sich unter der Woche die Ungewissheiten auch sorgsam vom Hals und hebt sie auf für die Rateshow am Samstagabend (und es ist wahr, ihrer sind noch viele). Ironie verwenden sie nur als List, und darum misstrauen sie ihr bei allen Andern.
Romantische Ironie ist aber eine Weltsicht. Im Wortlaut der Sätze muss sie sich gar nicht zu erkennen geben. Sie ist vielmehr die Folie, vor der sie überhaupt erst ihren… na ja, ihren "Sinn" erhalten, der eben nicht Ja ja, nein nein lautet, sondern sozusagen "in der Schwebe" ist. Und fragt man: "Meinst du das ernst?", dann heißt es: "Wie man's nimmt." Den alltäglichen Verkehr erleichtert es nicht. Das war auch nicht der Ehrgeiz der Romantiker. Denn die Ungewissheit war ihnen ja nicht nur Verlust an Berechenbarkeit – den begrüßten sie gar noch! Sie war ihnen vor allem: der Gewinn neuer Möglichkeiten. Und die fangen immer erst einmal mit neuen Denkmöglichkeiten an:
"Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es", lautet ein Satz von Novalis, den Safranski immer wieder zitiert. Und als den vollendeten dichterischen Vertreter dieser IRONIE (die Theoretiker waren Novalis und Fr. Schlegel) nennt er völlig richtig E.T.A. Hoffmann, bei dem ein Archivarius auch mal als Salamander und eine Alraune auch als Minister auftritt. Es ist nicht so; aber wenn es so wäre?
Es ist witzig. Aber ist es Scherz und Laune? "Witz ist eine ernste Sache", sagte Johann Gottlieb Fichte, in Jena der philosophische Leuchtturm der frühen, der wahren Romantik. Denn wer immer es ganz, ganz ernst nimmt mit den Sachen, findet "im Grunde" – wenn überhaupt – nur ein Paradox. Was ist 'das Wahre'? "Wie sollte nicht jeder Satz über das Absolute und Transzendente nur unter ironischem Vorbehalt gesprochen werden Dürfen? Endliches zu sagen [andere Wörter haben wir ja nicht, J.E.] über das Unendliche kann und darf nur ironisch sein. Ironie gehört deshalb in jede Philosophie, die das Ganze zu begreifen versucht", schreibt Safranski, und schließt mit dieser Frage Friedrich Schlegels: "Ist sie nicht wirklich die innerste Mysterie der kritischen Philosophie?"
Bei der Epoche, die nun untergeht, handelt es sich nicht bloß um zweihundert Jahre Kapitalismus und Industriezeitalter. Das Eindringen der Neuen Medien und Informationstechniken in die materiellen Fertigungsvorgänge selbst kündigt das Ende von zehn-, zwölftausend Jahren Arbeitsgesellschaft an. Doch wie bei den alten Griechen zwischen zwei Tragödien zur Erholung eine Komödie geschoben wurde, haben wir zunächst einmal die Farce der "Postmoderne" erlebt. Da war nur Geistreichelei und keine Ironie – die wäre ihr "zu ernst" gewesen. Die Frage nach dem Wahren führt nämlich erst dann in ein Paradox, das nur in Ironie zu ertragen ist, wenn man sie sich STELLT.
In diesem Sinne – dass die Zeitenwende, die auf uns zu kommt, ernst genug wird, um uns zu der Frage nach dem Wahren zu veranlassen, für deren paradoxalen Gang wir uns schon jetzt in Ironie rüsten sollten – glaube ich wirklich, dass uns eine "neue Romantik" und, wenn man es so will, eine Neue Moderne bevor steht.
Und weil wir Deutschen eben eine romantische, will sagen zwiespältige und paradoxale Nation sind, müssen wir uns vielleicht wieder einmal hervor tun.
Safranskis Buch präsentiert sich als das Panorama einer Epoche: der deutschen Romantik. Was die Fachkritik bemängelte, nämlich dass ihm ein bisschen der rote Faden und die besondere Pointe fehle, war sicherlich die Voraussetzung für dessen Erfolg beim großen Leserpublikum. Es werden keine schwindelerregenden Interpretationen entwickelt, kein extravagantes Garn gesponnen, sondern mit kräftigen Strichen das Bild einer geistigen Bewegung entworfen, die wie keine andere die Kultur der Deutschen bis heute geprägt hat.
Im guten oder auch in einem schlechten Sinn?
Dass diese Frage eine vieltausendköpfige Leserschaft bewegen konnte, eignet sich selber zu jener besonderen Pointe, an der es Safranskis Darstellung fehlt! Wenn man es nämlich als eine Antwort auffasst auf die Frage, ob unsere Zeit für eine NEUE Romantik "reif" ist.
Der spezifische Charakter des Romantischen sei das Ungewisse, wird Oscar Wilde zitiert. In der voran gegangenen Epoche der Aufklärung und des Rationalismus hatte es nur "noch"-Ungewisses gegeben: Morgen schon würde es gewiss geworden sein; oder doch wenigstens gewisser. Die Romantiker, die ab 1794 in Jena auftraten, meinten hingegen, dass gerade das, worauf es am meisten ankommt, seinem WESEN nach ungewiss ist.
Die Grundüberzeugung vom ebenso grenzenlosen wie unaufhaltsamen Fortschreiten der Erkenntnis teilen die positiven Wissenschaften mit dem Rationalismus, und müssen es. Sie haben den Siegeszug der Großen Industrie ermöglicht, dem die romantische Ungewissheit nicht lange widerstehen konnte. Dennoch war die romantische Grundhaltung der wesentlichen Ungewissheit das Moderne an der Moderne. Das positivistische Selbstvertrauen des Industriezeitalters war eine kostspielige Täuschung.
Wir stehen am Ende des industriellen Zeitalters und wissen nicht, was nachher kommt. Mehr Ungewissheit war nie. Kein Wunder, dass das Romantische neue Zuwendung erfährt. "Anything goes"?! Die 'Postmoderne', die uns die wieder wachsenden Ungewissheiten der Welt zu einer permanenten Casting-Show verharmlosen wollte, hat fertig. Das Ungewisse ist eine ernste Sache.
Aber nur mit Ernst, nur in Ungewissheit lässt sich das Leben nicht aushalten. Würde ich tatsächlich an Allem und Jedem zweifeln, das mir begegnet, würde ich kaum die nächste Viertelstunde über die Runden bringen. "Wohl wissend", dass ich in einer Welt lebe, in der "nichts gewiss" ist, muss ich doch immer SO TUN, ALS OB.
Und das Bewusstsein davon, dass dies so ist, nannten die Romantiker IRONIE.
Der im Alltag eingerichtete Normalmensch, der seinen Geschäften nachgeht und auf seinen Vorteil achtet – wissend, dass, wer nehmen will, auch geben muss -; also derjenige, den die Romantiker einen PHILISTER nannten: der kennt Ironie nur als ein Stilmittel, das ihm gelegentlich gute Dienste leistet. Der hält sich unter der Woche die Ungewissheiten auch sorgsam vom Hals und hebt sie auf für die Rateshow am Samstagabend (und es ist wahr, ihrer sind noch viele). Ironie verwenden sie nur als List, und darum misstrauen sie ihr bei allen Andern.
Romantische Ironie ist aber eine Weltsicht. Im Wortlaut der Sätze muss sie sich gar nicht zu erkennen geben. Sie ist vielmehr die Folie, vor der sie überhaupt erst ihren… na ja, ihren "Sinn" erhalten, der eben nicht Ja ja, nein nein lautet, sondern sozusagen "in der Schwebe" ist. Und fragt man: "Meinst du das ernst?", dann heißt es: "Wie man's nimmt." Den alltäglichen Verkehr erleichtert es nicht. Das war auch nicht der Ehrgeiz der Romantiker. Denn die Ungewissheit war ihnen ja nicht nur Verlust an Berechenbarkeit – den begrüßten sie gar noch! Sie war ihnen vor allem: der Gewinn neuer Möglichkeiten. Und die fangen immer erst einmal mit neuen Denkmöglichkeiten an:
"Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es", lautet ein Satz von Novalis, den Safranski immer wieder zitiert. Und als den vollendeten dichterischen Vertreter dieser IRONIE (die Theoretiker waren Novalis und Fr. Schlegel) nennt er völlig richtig E.T.A. Hoffmann, bei dem ein Archivarius auch mal als Salamander und eine Alraune auch als Minister auftritt. Es ist nicht so; aber wenn es so wäre?
Es ist witzig. Aber ist es Scherz und Laune? "Witz ist eine ernste Sache", sagte Johann Gottlieb Fichte, in Jena der philosophische Leuchtturm der frühen, der wahren Romantik. Denn wer immer es ganz, ganz ernst nimmt mit den Sachen, findet "im Grunde" – wenn überhaupt – nur ein Paradox. Was ist 'das Wahre'? "Wie sollte nicht jeder Satz über das Absolute und Transzendente nur unter ironischem Vorbehalt gesprochen werden Dürfen? Endliches zu sagen [andere Wörter haben wir ja nicht, J.E.] über das Unendliche kann und darf nur ironisch sein. Ironie gehört deshalb in jede Philosophie, die das Ganze zu begreifen versucht", schreibt Safranski, und schließt mit dieser Frage Friedrich Schlegels: "Ist sie nicht wirklich die innerste Mysterie der kritischen Philosophie?"
Bei der Epoche, die nun untergeht, handelt es sich nicht bloß um zweihundert Jahre Kapitalismus und Industriezeitalter. Das Eindringen der Neuen Medien und Informationstechniken in die materiellen Fertigungsvorgänge selbst kündigt das Ende von zehn-, zwölftausend Jahren Arbeitsgesellschaft an. Doch wie bei den alten Griechen zwischen zwei Tragödien zur Erholung eine Komödie geschoben wurde, haben wir zunächst einmal die Farce der "Postmoderne" erlebt. Da war nur Geistreichelei und keine Ironie – die wäre ihr "zu ernst" gewesen. Die Frage nach dem Wahren führt nämlich erst dann in ein Paradox, das nur in Ironie zu ertragen ist, wenn man sie sich STELLT.
In diesem Sinne – dass die Zeitenwende, die auf uns zu kommt, ernst genug wird, um uns zu der Frage nach dem Wahren zu veranlassen, für deren paradoxalen Gang wir uns schon jetzt in Ironie rüsten sollten – glaube ich wirklich, dass uns eine "neue Romantik" und, wenn man es so will, eine Neue Moderne bevor steht.
Und weil wir Deutschen eben eine romantische, will sagen zwiespältige und paradoxale Nation sind, müssen wir uns vielleicht wieder einmal hervor tun.