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Lebt die DDR weiter?

Ziesemann schrieb:
Die DDR war nicht nur Stasi, sie war mehr und Schlimmeres. Ich bringe Dir ein Beispiel von Joachim Gauck (Dir sicherlich ein Begriff):

Hallo Ziesemann,

Beispiele aus dem Leben in der DDR kann ich Dir zu Hunderten liefern und zwar aus eigenem Erleben. Da brauche ich mich nicht auf Herrn Gauck oder seine Nachfolgerin zu stützen. Aber nicht alle meine Beispiele fügen sich so nahtlos ein in das Bild dieser berufsmässigen "Aufarbeiter der DDR-Vergangenheit".

Unbequeme Fragen zu stellen, das erforderte in der DDR tatsächlich Mut, ganz besonders in den 1950er Jahren. Ich empfehle Dir hierzu, auch mal etwas von der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann zu lesen, z.B. die Erzählung "Wenn die Stunde ist zu sprechen ...".

Meine eigene Erfahrung besagt, dass es durchaus möglich war, unbequeme Fragen zu stellen, ohne gleich verhaftet zu werden. Ich erinnere mich noch gut an eine kritische Eingabe an das ZK der SED im Jahre 1976, als es um das sog. "Berlin-Programm" (vorrangiger Aufbau der Hauptstadt) ging. Zwar hat es nicht geholfen, aber es gab auch keine Repressalien. Und gegen Ende der DDR haben "wir" z.B. gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" protestiert, ebenfalls ohne Erfolg und Repressalien.

In diesem Sinne möchte ich sagen, dass die DDR nicht schlimmer als die Stasi war. Einer meiner Schweizer Arbeitskollegen bekannte mir gegenüber neulich, dass von ihm ein "Dossier" angelegt worden war, weil er Kontakte zu Ostdeutschen gepflegt hatte. Verträgt sich so etwas mit der vielgepriesenen Freiheit?

Ich glaube, dass eine historisch adäquate Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit noch längst nicht erfolgt ist. Ich würde es sehr bedauern, wenn "unbedarfte Wessis" hier die Oberhand hätten.

Gruss
Hartmut
 
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Hartmut schrieb:
Hallo Ziesemann,

Beispiele aus dem Leben in der DDR kann ich Dir zu Hunderten liefern und zwar aus eigenem Erleben. Da brauche ich mich nicht auf Herrn Gauck oder seine Nachfolgerin zu stützen. Aber nicht alle meine Beispiele fügen sich so nahtlos ein in das Bild dieser berufsmässigen "Aufarbeiter der DDR-Vergangenheit".

Entschuldige Hartmut, ich hatte vergessen, dass Du "gelernter DDR-ler" (Lothar de Maiziére) bist, obwohl ich das aus Deinem Thread "Kapitalistische Verbrechen" hätte erkennen können.

Unbequeme Fragen zu stellen, das erforderte in der DDR tatsächlich Mut, ganz besonders in den 1950er Jahren. Ich empfehle Dir hierzu, auch mal etwas von der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann zu lesen, z.B. die Erzählung "Wenn die Stunde ist zu sprechen ...".
Man sollte das Wissen seiner Diskussionskontrahenten nie unterschätzen; zwar kenne ich dies von Dir genannte Buch nicht, aber ich kenne Stefan Heym, Stephan Hermlin, Cjristoph Hein, Hermann Kant, Christa Wolf u.a.

Meine eigene Erfahrung besagt, dass es durchaus möglich war, unbequeme Fragen zu stellen, ohne gleich verhaftet zu werden. Ich erinnere mich noch gut an eine kritische Eingabe an das ZK der SED im Jahre 1976, als es um das sog. "Berlin-Programm" (vorrangiger Aufbau der Hauptstadt) ging. Zwar hat es nicht geholfen, aber es gab auch keine Repressalien. Und gegen Ende der DDR haben "wir" z.B. gegen das Verbot der sowjetischen Zeitschrift "Sputnik" protestiert, ebenfalls ohne Erfolg und Repressalien.

Das mag in Einzelfällen so gewesen sein, aber das Prinzip war Angsterzeugung - wie mir meine vielen Freunde und Bekannten in der Zeit von 1974 bis 1989 bei meinen Besuchen immer wieder bestätigten. - Und gegen Ende der DDR gegen das Sputnik-Verbot zu protestieren, war leicht. Das tat sogar die PH Magdeburg, Margots Lieblingskaderschmiede.

In diesem Sinne möchte ich sagen, dass die DDR nicht schlimmer als die Stasi war. Einer meiner Schweizer Arbeitskollegen bekannte mir gegenüber neulich, dass von ihm ein "Dossier" angelegt worden war, weil er Kontakte zu Ostdeutschen gepflegt hatte. Verträgt sich so etwas mit der vielgepriesenen Freiheit?
Das bezweifle ich schlicht. Ich habe, s.o., sehr viele und vielfältige Kontakte gepflegt; niemals wurde ich im Westen darum gefragt, obwohl ich in einer nicht unwichtigen sicherheitsrelevanten Stellung tätig war. Man muß aufpassen, daß man die fundamentalen Unterschiede nicht verwischt, und nicht den Eindruck erweckt, im Grunde seien Stasi=BND und Verfassungsschutz, halt nur ein wenig rigoroser.


Ich glaube, dass eine historisch adäquate Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit noch längst nicht erfolgt ist. Ich würde es sehr bedauern, wenn "unbedarfte Wessis" hier die Oberhand hätten.

Gruss
Hartmut
Da stimme ich zu. Wenn diese Aufarbeitung keine Persilwäsche werden soll, dann sollten Unbedarfte jeder Herkunft daran nicht mitwirken.

Laß es mich, lieber Hartmut, auf eine Kurzformel bringen:
Es war nicht alles schlecht in der DDR, aber die große Richtung hat nicht gestimmt. Und es war nicht (erst recht ist nicht) alles gut in der BRD; aber die große Richtung stimmte. - Doch stimmt sie noch?

Beste Grüße - Ziesemann
 
Hartmut schrieb:
In diesem Sinne möchte ich sagen, dass die DDR nicht schlimmer als die Stasi war. Einer meiner Schweizer Arbeitskollegen bekannte mir gegenüber neulich, dass von ihm ein "Dossier" angelegt worden war, weil er Kontakte zu Ostdeutschen gepflegt hatte. Verträgt sich so etwas mit der vielgepriesenen Freiheit?

dazu Ziesemann:

Ziesemann schrieb:
Das bezweifle ich schlicht. Ich habe, s.o., sehr viele und vielfältige Kontakte gepflegt; niemals wurde ich im Westen darum gefragt, obwohl ich in einer nicht unwichtigen sicherheitsrelevanten Stellung tätig war. Man muß aufpassen, daß man die fundamentalen Unterschiede nicht verwischt, und nicht den Eindruck erweckt, im Grunde seien Stasi=BND und Verfassungsschutz, halt nur ein wenig rigoroser.

Hartmut bringt da einen Vergleich zur Schweiz, nicht zur Bundesrepublik. Nach meiner Erfahrung, ich habe ca 6 1/2 Jahre in der Schweiz gelebt, war das Sicherheitssystem da viel rigoroser als in Deutschland.
So staunte ich, als ein mir lieber Bekannter folgendes erzählte: sein Sohn, damals noch sehr jung, hatte eine junge Freundin - wenn ich mich richtig entsinne stammte sie aus Polen. Der besorgte Vater, der in der Stadtverwaltung tätig war, ging zur zuständigen Sicherheitsbehörde und lies sich das Dossier der jungen Frau zeigen. Und dieses Dossier, zwar unbedenklich, bestand tatsächlich. Als ich ihm darauf ansprach, erwiderte er, dass ich mir ja nicht vorstellen sollte es würden nicht auch über mich Daten, zum Zwecke der Sicherheit, gespeichert. Denn auch ich stammte ja aus den Osten.

Habe ich diese Unterschiede richtig erfasst, Hartmut?

Gruß von Miriam
 
Minnie schrieb:
Lebt die DDR weiter ?

ja, solange...
...keine andere "lösung" gefunden wird (zumindest funktioniert die BRD auch nicht einwandfrei)
...die vermarktung weiterhin reibungslos klappt
...die letzten "DDR-ler" noch existieren
 
Hallo Hartmut,
Du verdankst es miriam, daß ich mich bei Dir entschuldigen muß, was hiermit geschehe - Ich hatte tatsächlich nur flüchtig gelesen und so übersehen, daß Du einen Kollegen aus der Schweiz meintest. Noch immer habe ich allerdings meine Zweifel, ob das stimmen kann; aber wenn er während der Zeit des Kalten Krieges Kontakte zu höheren SED-Chargen pflegte, mag das schon sein. Da könnte ein Spionageverdacht naheliegen. Nur - mit dem unfassenden Überwachungsapparat (170 km Akten!) der Stasi ist das nicht mal näherungsweise gleichzusetzen.

Ötnschies letzten Satz stimme ich lebhaft zu. Dazu eine kleine Illustration. Mitte der 90er Jahre fand in München ein internationaler Kongreß statt. Ein westdeutscher Prof. hielt dort eine scharf abwertende, auch zum Teil polemische Rede gegen Wissenschaft und Forschung in der DDR. Um mich herum saßen Professoren ostdeutscher Universitäten, sehr empört. nicht ganz zu unrecht. Mehrmals forderte ich sie lautstark auf, sich zur Diskussion zu melden: Hier gibt es keine Stasi, hier können Sie frei, auch sanktionsfrei reden! - Alle schwiegen, wollten nicht auffallen.
Das System der DDR hatte sie lebenslang zu erbärmlichen Duckmäusern erzogen. Sie hatten ihre Lektion gelernt: Besser ist es zu schweigen.

Grüße - Ziesemann
 
Alle schwiegen, wollten nicht auffallen.
Das System der DDR hatte sie lebenslang zu erbärmlichen Duckmäusern erzogen. Sie hatten ihre Lektion gelernt: Besser ist es zu schweigen.

....oder sie wollen jetzt das erste Wort führen und erwarten sich von den anderen, dass sie schweigen. Auch das dürfte sich aus der ehemaligen DDR herauskristallisiert haben. FEHLENTWICKLUNGEN aus einem ehemaligen kommunistischen Regime.

suche
 
Ich sehe meine Schwiegereltern, die oft auf ihre 'Datsche' fahren und dort liebevoll ihre Wachsbohnen und Zucchinis heranziehen. Früher, in DDR-Zeiten, war das Saatgut besser, sagt die Mutti, da konnte man die Kerne vom selbstgezogenen Gemüse trocknen, im nächsten Jahr einbuddeln und es wuchs. Das Saatgut, das man heute kaufen kann, wächst nicht besonders.

Die Halorenkugeln schmecken noch genauso wie früher, sagen die Leute aus dem Bekanntenkreis.

In DDR-Zeiten hatte man noch Respekt vor der Arbeit anderer, niemandem wäre es eingefallen, mutwillig Laternenpfähle zu beschädigen oder das Auto des Nachbarn mit Graffiti zu besprühen, sagen unsere Nachbarn.

In DDR-Zeiten durfte unsere Mitarbeiterin nicht ihr Wunschstudium machen, weil sie und ihre Eltern Mitglieder einer Kirche sind, sagt sie. Sie sagt auch, daß sie als junges Mädchen unbedenklich auch spät Abends noch ausgehen konnte, da gab es keine Vergewaltiger und Kinderschänder.

In der DDR gab es viele Sachen nicht, aber alle hatten Arbeit, Wohnung und ausreichend zu essen, der Grundbedarf war jedem sicher. Vor allem Kinderbetreuung war jederzeit sicher, neben Kinderkrippen und Hort gab es auch regelmäßige Arbeitsgruppen, in denen die Kinder ihren Interessensgebieten entsprechend gefördert und angeleitet wurden.

"Ihr im Westen" konntet euch immer alles kaufen, bei euch gab es keine Reisebeschränkungen und wenn ihr umziehen wolltet, mußtet ihr niemanden um Erlaubnis fragen - sagen die Leute hier.

"Ihr Wessis" habt unsere Betriebe abgewickelt, platt gemacht oder sie in eure Konzerne einverleibt, damit euer Profit steigt und wir als Kunden nur noch eure Produkte kaufen können. Selbst unser geliebter Bautzener Senf gehört mittlerweile Develey. Nach anfänglichem Durchprobieren - wir wollten wissen, wie eure bunten, schönen Produkte schmecken - waren fast alle unsere gewohnten Produkte vom Markt verschwunden und tauchten erst lange später und oft geschmacksverändert wieder auf.

"Unsere Arbeitsplätze habt ihr zerstört, hier ist kaum noch Infrastruktur und die nachwachsende Jugend kann ihre paar Hartz-Pfennige frustriert versaufen oder den Rechtsradikalen nachwerfen in der Hoffnung, daß irgendwann nicht mehr an jeder Ecke Fidschis Obst über und geschmuggelte Zigaretten unter der Theke verkaufen, während die nicht abgewanderten Deutschen zu teilweise erbärmlichen Bedingungen weit unter ihrer Qualifikation und auch weit unter der offiziellen Armutsgrenze sehen können, wie sie gegen polnische Scheinselbständige konkurrieren können."

Ok, das war der "Ossi-Teil".


Ich Wessi sehe hier aber auch: Jammerlappen, die ihre tragische DDR-Vergangenheit beklagend und die heute über großzügige Datschen am Müggelsee inkl. eigenem Boot verfügen. Auf die Füße gefallene Stasi-Kader in Behörden und Ämtern. Resigniert-rebellische Jugendliche, deren ganzer Stolz im Besitz großer Hunden und möglichst vieler Kinder zu bestehen scheint.

Ich Wessi, der ich immer überall hinreisen durfte, konnte mir Urlaubsreisen in ferne Länder kaum leisten, weil ich zwar gut verdiente, weit mehr als die Hälfte meines Einkommens allerdings für eine erschwingliche Wohnung 80 km entfernt von meinem Arbeitsplatz plus der Fahrtkosten für den täglichen Arbeitsweg weggeben konnte.

Ich Wessi hatte auch die Freiheit, mir alles zu kaufen, was ich wollte - vorausgesetzt, ich hätte nicht neben dem Schulbesuch auf dem zweiten Bildungsweg nicht noch nächtelang für wenig Geld jobben müssen, um die "gleichen Bildungschancen für alle" auch in der Praxis finanzierbar zu machen. So blieb's oft genug bei der plattgedrückten Nase an Schaufensterscheiben.

Wir im Westen durften immer wählen und mußten keine Repressalien befürchten, weil wir die DDR-übliche Wahlfarce nicht mitmachen mußten. Daß ein ehemals grüner Schily zum reaktionär-radikalen Freiheitsbeschneider werden konnte - jo mei, Pech halt, muß man halt nächstens was anderes "frei wählen".



All das könnte man endlos weiterschwadronieren, im Westen, im Osten, alle fühlen sich belogen und benachteiligt und überhaupt war früher alles besser. Nur: wem nützt das?

Ist die DDR tot?

Nä. Ist sie nicht. Sie hat sich von der BRD auflecken lassen und verursacht ihr jetzt gelegentliches Bauchgrummeln und noch gelegentlicher ein unsanftes Ruhekissen. Meistens aber sitzen die beiden Schwestern gemeinsam am Stammtisch und beklagen ihr Schicksal - denn waschechte Deutsche sind'se halt beide, ne?
 
Ziesemann schrieb:
Laß es mich, lieber Hartmut, auf eine Kurzformel bringen:
Es war nicht alles schlecht in der DDR, aber die große Richtung hat nicht gestimmt. Und es war nicht (erst recht ist nicht) alles gut in der BRD; aber die große Richtung stimmte. - Doch stimmt sie noch?

Danke für den Brückenschlag, lieber Ziesemann. Mit Deiner Kurzformel kann ich leben.

Wenn ein Staat untergeht, so kann das nicht an Einzelheiten gelegen haben. Die grosse Richtung, die stimmen muss, hat Marx selbst formuliert: die Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem dynamischen Charakter der Produktivkräfte.

Grüsse von
Hartmut
 
Hartmut schrieb:
Wenn ein Staat untergeht, so kann das nicht an Einzelheiten gelegen haben. Die grosse Richtung, die stimmen muss, hat Marx selbst formuliert: die Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem dynamischen Charakter der Produktivkräfte.



Klingt interessant, ich kapier's nur nicht ganz, magst du's bitte ein wenig erklären? Wo gehört da der "menschliche Faktor" hin - zu den Produktivkräften?

Danke schonmal :)
 
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wirrlicht schrieb:
Wo gehört da der "menschliche Faktor" hin - zu den Produktivkräften?

Ja, die wichtigste Produktivkraft sind die Menschen mit ihren Produktionserfahrungen, Arbeitsfertigkeiten und ihrer Bildung.
Weiter gehören zu den Produktivkräften die Produktionsmittel (Maschinen, Computer, Rohstoffe, Energie etc.), die Leitung, Organisation und Technologie der Produktion und nicht zuletzt die (angewandte) Wissenschaft.

Grüsse von
Hartmut
 
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