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Hadsch - Wallfahrt

Marianne

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Registriert
9. September 2007
Beiträge
790
ich sehe gerade im 3-SAT eine sehr interessante Dokumentation über diese religiöse Verpflichtung unserer muslimischen Brüder und Schwestern....
Diese etwas pathetische Bezeichnung erwächst aus meinem Weltbild, in dem alle Menschen gleich sind.

Mir kommen beim Sehen auch folgende Gedanken. Wallfahrten waren bei uns in der abendländischen Christenheit, vor allem bei Katholiken, bis ins frühe 20. Jahrhundert eine fest verankerte Einrichtung.


Wie kommt es, dass ein religiöser Mensch im Aufbruch Kräfte tankt? Dass durch das Gemeinschaftserlebnis die verbindende Ideologie gestärkt wird, haben ja auch politische "Führer" begriffen und benutzt: Demonstrationen - sit ins usw.... .
Doch davon abgesehen: der Aufbruch aus dem Alltag bringt den/die "Fahrenden" zur Selbstbesinnung. Davon berichten ja auch zahlreiche Menschen, die den Jakobsweg allein gehen..


PS: da ich ein areligiöser Mensch bin und deshalb mehr an Ursache - Wirkungsüberlegungen interessiert bin, habe ich das Thema im Philosophie gestellt.
 
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AW: Hadsch - Wallfahrt

Marianne schrieb:
Dass durch das Gemeinschaftserlebnis die verbindende Ideologie gestärkt wird, haben ja auch politische "Führer" begriffen und benutzt: Demonstrationen - sit ins usw.... .
Stimmt Marianne, dies ist wahrscheinlich auch der Grund, dass ich mit großen Unbehagen solche Wallfahrten sehe.

Mich hat neulich ein Interview mit Abdellah Hammoudi, Moslem und Ethnologie-Professor, interessiert, der auch mal nach Mekka pilgerte, er der die muslimischen Rituale nicht mehr folgt, die ihm fremd geworden sind. Dadurch ist sein Buch "Saison in Mekka" ein nüchterner Bericht.
Was habe ich so dem Interview entnommen?

Was mir so gefährlich erscheint, ist dass als Massenphänomen die Religion als Erlebnis eben schnell in die Nähe des Fanatismus rückt.

Obwohl auch hier die Trennung zwischen Mann und Frau strikt eingehalten werden sollte, treffen sie unweigerlich aufeinander. Hammoudi spricht auch von sich zankenden Pilgern im Rahmen dieser heiligen Pilgerfahrt.

Außerdem stelle ich fest: persönlich bin ich auch heute noch geprägt vom wunderbaren Bericht den wir dem rasenden Reporter Egon Erwin Kisch, zu verdanken haben und dessen Titel lautet: "Ich bade im heiligen Wasser". Es sind Kischs persönliche Beobachtungen in Lourdes.

In manchen Teilen treffen sich Kischs Anmerkungen mit denen Hammoudis, der aber immer respektvoll bleibt, denn beide betrachten Wahlfahrten als Pauschalreisen, sehr mangelhaft organisiert, und natürlich mit unglaublichen Wucherpreisen.
Aber im Gegensatz zu Kisch, bewirkt die Reise nach Mekka auch bei Hammoudi eine Art des Erwachens seiner religiösen Gefühle.

Ich habe das Buch von Hammoudi nicht gelesen, sondern ihn nur in einem Interview erlebt. Egon Erwin Kisch habe ich seinerzeit regelrecht verschlungen - und zwar alles was er geschrieben hat.

Liebe Grüße

Miriam

 
AW: Hadsch - Wallfahrt

Hallo miteinander!

Ergänzend zum Thema Wallfahrt:

Vor kurzem habe ich das Buch von Roland Girtler "Irrweg Jakobsweg" gelesen,
Untertitel "Die Narbe in den Seelen von Muslimen, Juden und Ketzern".

In diesem Buch beschreibt er die Vereinnahmung des Jakobus als "Matamoros" durch die Reconquista. Jakobus, der Maurentöter.

Der Apostel Jakobus war zwar nie in Galizien, auch als Leichnam nicht, doch brauchte man eine Symbolfigur (den ersten Märtyrer unter den Aposteln) als Galionsfigur im Kampf gegen Mauren, Juden und Ketzer.

Gegen die gings dann rund, Zehntausende wurden verbrannt und noch mehr verfolgt.
Unermessliche Kulturschätze gingen verloren, als ca. eine Mio. Bücher der Mauren nach dem Fall von Granada den Flammen übergeben wurden.

Und nun frage ich mich wirklich:

Kann man als Pilger auf dem Jakobsweg überhaupt Gnade finden, wenn man die Geschichte kennt?!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

Danke dir Raphael für deinen Beitrag, der mich in meinen Mutmaßungen bestätigt, dass hinter diesen heiligen Kulissen sich ganz andere Fakten verbergen, als die Legenden die weiter gegeben werden.

Warum werden historische Gegebenheiten dermaßen verdreht? Können wir mit der Wahrheit nicht leben?

Ich finde, dass Marianne ihren Thread zu Recht hier eröffnet hat, bei Philosophie - denn mir persönlich scheint diese Frage die ich oben versucht habe zu formulieren, von großer Bedeutung.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

Kann man als Pilger auf dem Jakobsweg überhaupt Gnade finden, wenn man die Geschichte kennt?!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael

ich denke: JA.

die gnade ist eine höchstpersönliche angelegenheit.
eine angelegenheit - wenn mensch so will - zwischen dem einzelnen menschen und gott. (oder anders ausgedrückt: dem körperlichen bewusstsein und dem höheren bewusstsein.)

das, was der/die einzelne für sich selbst erlebt, ist ein eigenes kapitel.
dass da andere an diesem mythos mitschneiden, ist die "welt der realität".

beides existiert nebeneinander wunderbar. es muss sich nicht in die quere kommen.

doch ist für die persönliche "gotteserfahrung" natürlich auch keine wallfahrt oder kein jakobsweg vonnöten.
wenngleich auf solchen wegen, wo sich viel menschliches verdichtet, auch gewisse kräfte frei werden......so ähnlich wie auf kraftplätzen.
und diese kräfte sind auch wirksam und werden von manchen menschen als hilfreich erfahren.

lg kathi
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

Hallo Marianne und Miriam!

Der geschichtlichen Wahrheit kann sich nur jener Mensch nähern, der bereit ist seine Vorurteile a) zu erkennen und b) zurückzustellen.

Massenbewegungenen ängstigen mich, allein ihre Größe bedeutet für mich Gefahr. Auf der Hadsch sind beispielsweise schon viele Menschen in der Panik totgetrampelt worden.

Interessant wäre ein Buch der Wallfahrten, auch unter Berücksichtigung indischer Vorkommnisse, wie dem Kumbh Mela -Fest, welches alle zwölf Jahre stattfindet und Millionen Gläubige anzieht.

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

ein wenig spät --- persönliche Gründe ---- aber doch, will ich nun zu Euren Postings Stellung nehmen.

Ja, es ging mir wirklich nicht um aktuelle Berichterstattungen über religiöse Wanderungen.

Es geht mir um die Frage des Aufbruchs.

Müssen wir alle nicht auf - ausbrechen , um uns neu definieren zu können ?

Ein religiöser Mensch nun bricht auf, um seine religiöse Überzeugung zu festigen. Miriam, Du hast aufgezeigt, dass eine Folge dann auch Fanatismus für das Eigene sein kann.
Kathi sieht das eher so wie ich es auch sehe: innere Einkehr - Meditation kann auch in der gleichgesinnten Masse möglich sein.
Raphael, Du bezweifelst, dass eine christliche Wallfahrt an einen Ort ( San Jago de Compostela ), der uns vom Gegenteil der Lehre kündet, in deren Namen Erbauung gesucht wird, sinnvoll sei.
Nun ja: ich denke, das ist zweitrangig: Vordergründig ist doch das religiöse Erlebnis, die Begegnug mit dem Absoluten - Gott - Allah --- habe ich mir von Jakobspilgern und Hadschis ( männlichen und weiblichen) erzählen lassen.



Nun:
meine Kritik an diesen "Wanderungen" im Namen einer Ideologie liegt ganz woanders.

Ich halte - wie oben gesagt - die Bereitschaft zum Aufbruch aus Gewohntem für eine humane "condicio sine qua non“.
Nur, wer sich bereit hält, auszubrechen, kann bei sich wieder ankommen: mit einer neuen Sicht auf sich und die Welt.

und diese religiösen Wanderungen verhindern - mMn - geradezu einen Aufbruch, weil sie das Alte bestärken....
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

......

und diese religiösen Wanderungen verhindern - mMn - geradezu einen Aufbruch, weil sie das Alte bestärken....

Hmmmmm....... Da ist also ein Impuls, aufzubrechen und neue Erfahrungen zu machen. Und dann bricht man auf und geht zu Fuß z.B. nach Mariazell.... Das machen bei uns sehr viele Menschen, zunehmend auch junge Leute.
Sie erleben dabei ein paar schöne Tage in der Gruppe, es wird meist ein bisschen gebetet und gesungen, aber eigentlich haben sie hauptsächlich viel Spaß zusammen.

Sie müssen 1 Mal gemeinsam in einem Pilgerquartier übernachten, auch das ist meistens ein schönes Gemeinschaftserlebnis, wenn es auch oft in ein Saufgelage ausartet (habe ich gehört :bier:).

Wenn sie dann mit schmerzenden Füßen und ziemlich ausgepowert in Mariazell ankommen und dort in der Basilika gemeinsam mit anderen eine Messe oder Andacht feiern, dann kriegt das Ganze erst den Stempel einer religiösen Handlung. In diesem durch die Erschöpfung entspannten Zustand werden sie mit frommen Worten und Liedern wieder überschüttet.

Und die Wallfahrer ordnen das ein als Bestätigung, dass die katholische Religionsgemeinschaft doch sehr in Ordnung sein muss, wenn sie so schöne religiöse Erlebnisse zu bieten hat. Obwohl das Erlebnis überhaupt nichts mit Religion und schon gar nichts mit Katholisch-Sein zu tun hat. Eher mit einem zweitägigen Wandertag, wie man ihn auch als Schüler erlebt hat.

Nur dass eben die Momente, die einen in eine meditative Situation bringen können, (gleichmäßiger Rhythmus beim Gehen z.B.) sofort mit Gebeten (der Rosenkranz ist ja ein sehr beliebtes Wallfahrergebet) oder frommen Liedern aufgefüllt werden, damit nur ja die Gedanken bei der Sache bleiben und keine abwegigen aufkommen.


:blume1:
 
AW: Hadsch - Wallfahrt

liebe Lillith ...

lies bitte noch einmal.

und diese religiösen Wanderungen verhindern - mMn - geradezu einen Aufbruch, weil sie das Alte bestärken....

in diesen vorsichtigen Worten liegt genau derselbe Inhalt wie in Deinem Posting. nur nicht so brutal formuliert, denn ich habe Achtung vor Menschen, die - wenn auch mMn in einem Wahn befangen - zu ihren religiösen Übungen stehen: und Wallfahrt - Hadsch sind solche.
 
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AW: Hadsch - Wallfahrt

liebe Lillith ...

lies bitte noch einmal.



in diesen vorsichtigen Worten liegt genau derselbe Inhalt wie in Deinem Posting. nur nicht so brutal formuliert, denn ich habe Achtung vor Menschen, die - wenn auch mMn in einem Wahn befangen - zu ihren religiösen Übungen stehen: und Wallfahrt - Hadsch sind solche.

Liebe Marianne!
Genauso hab ich deinen Satz auch verstanden, mein Beitrag war die Schilderung eines Szenarios, das beim Lesen dieses Satzes vor meinem inneren Auge aufstieg.

Ich will auch keinesfalls die Wallfahrer hier kritisieren. Jeder tut das, was ihm passt, aus welchen Gründen auch immer. Für mich ist aber interessant, wie die menschlichen Bedürfnisse gleich für die Machtinteressen von politischen Institutionen benützt werden. Und die Katholische Kirche agiert da mehr als politische Institution, denn als eine Religionsgemeinschaft.

:blume1:
 
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