GESETZte Wahrheit in Sätzen
Liebe Majanna,
Du hast dich in der Tat bemüht und deswegen soll dir eine Antwort meinerseits nicht verwehrt bleiben – dies darf aber keinesfalls als (herablassende) Geste der Belohnung o.ä. aufgefasst werden, ich schreibe dir nur, da ich die Sätze, die du in redlicher Eloquenz verfasst hast, gebührlich respektiere. Es sind jedoch nicht mehr meine Sätze, und um deinem Beitrag annähernd gerecht zu werden, müsste ich beinahe auf jeden einzelnen deiner Abschnitte von neuem eingehen. Das möchte ich aber unterlassen – und ich bitte an dieser Stelle um Entschuldigung, doch ich habe das Gefühl bekommen, das wohl mein Stil ein wenig enervierend zu sein scheint und möchte deswegen niemanden mehr zu viel zumuten.
Auf deine letzten beiden Abschnitte möchte ich dennoch näher eingehen, auch wenn ich mich kurz zu halten versuche. Ich behaupte tatsächlich, dass wir uns immer im Bann der Sprache befinden, wenn wir uns ausdrücken, wenn wir uns diverser Sätze (hier in einem metaphorischen Sinn) bedienen, um in einer Beziehung zum Anderen etwas zu setzen – das ist doch in der Tat nichts anderes als logisch. Der Logos und die Tat. Der letzte Satz setzte diese zwei berüchtigten, nun in substantivierter Form auftretenden Worte – eine logische Satzung ist ein Sprechakt (ich erinnere mich daran, dass du dieses Wort auch verwendet hast), ein Vollzug. Das Wort Vollzug referiert stark auf einen ‚juridischen Bereich’ und nicht (viel) anders (doch es bestehen eine Unmenge an Möglichkeiten) ist meine Anspielung auch zu verstehen. Ein Setzungsakt ist der Akt einer Grenzziehung, die der eine kraft der ihm verliehenen Möglichkeiten, deren Sklave er ist, vollzieht, um den Anderen auf der anderen Seite zu positionieren. Der Ausschluss des Anderen, die Potentialität (des Anderen und seiner Ausschliessbarkeit), macht es überhaupt erst möglich, dass sich der Eine seiner Möglichkeiten (der Grenzziehung) bedienen kann. Er selbst hat die Rolle des sklavischen Herrschers inne, der sich selbst über das Gesetz stellen muss, um die Grenze (des Gesetzes) zu behaupten, der selbst aber am meisten auf das Gesetz angewiesen ist, um überhaupt in dieser Form zu existieren; und deswegen befindet er sich eigentlich nicht bloss über dem Gesetz, sondern sieht sich schon immer bereits in dessen Strukturen gefangen. Ebenso sehen wir uns in der Textur der aus klebrigen Spinnfäden bestehenden Sprache gefangen: Wir können persuasiv versuchen, den anderen von einer Wahrheit, unserer Wahrheit, der Wahrheit unserer Existenz (daher dulden wir keinen Widerspruch – wir sprechen, wir bedienen uns des Logos, des Gesetzes), zu überzeugen und vollziehen damit performativ nichts anderes, als an unserem eigenen (und dennoch uns vorgängigen) Spinnennetz weiterzustricken.
Wir oszillieren, d.h. schwingen wie ein Pendel, zwischen dem Versuch, den Anderen von unserem Gesetz, unserer Wahrheit, zu überzeugen und dabei nicht vom Gesetz selbst, von der Wahrheit unserer Wahrheit, den Boden unter den Füssen weggezogen zu bekommen, hin und her.
Nietzsche sagt ja: „Wenn nach Aristoteles der Satz vom Widerspruch der gewisseste aller Grundsätze ist, wenn er der letzte und unterste ist, auf den alle Beweisführung[en] zurückgehen, wenn in ihm das Princip aller anderen Axiome liegt: um so strenger sollte man erwägen, was er im Grunde an Behauptungen voraussetzt.“
Vom autoritärsten aller Sätze, dem Satz vom Widerspruch, der als Herrscher sein Gesetz aufstellt, wollen wir wissen, „was er im Grunde an Behauptungen voraussetzt.“
Wenn die Sprache selbst das „Resultat aus lauter rhetorischen Künsten“ (2. Nietzsche-Zitat) ist, und diese Rhetorik uns zum einen überredet, das von ihr Behauptete als wahr anzuerkennen, auf der anderen Seite aber ihre Rhetorizität offen behauptet, fällt es uns schwer zu entscheiden, ob ihre Wahrheit annehmbar ist oder nicht.
Auch meine Texte unterliegen ja diesen Gesetzen, ich habe ja geschrieben, dass ich bzw. wir sie unweigerlich angenommen haben, als uns yazoo bat – unter seinen Bedingungen – über die Rhetorik zu sprechen, über sie nachzudenken. Mit all dem, das ich jetzt ausgedrückt habe, erhebe ich Anspruch auf Wahrheit. Mit der eben beschriebenen Struktur aber, habe ich mich ja selbst schon immer entlarvt, die Wahrheit keinesfalls zu sprechen. Auch wenn ich diesen Satz nun zu Ende geschrieben haben werde, werden wir trotzdem alle wieder mit derselben Aufgabe konfrontiert: Anerkennen wir das Beschriebene als wahr, auch wenn es uns zu bedenken gegeben haben wird, dass seine Wahrheit auf Voraussetzungen gründet, die der Wahrheit den Boden unter den Füssen wegzuziehen imstande sind – die es laufend tun?
Der unglückselige Satz (das GeSetz): „Bitte nicht das kleine 1x1 der Rhetorik.“, bot für mich Anlass zu gründlicher Reflexion, die auf alle – dem GESETZten Satz – nachfolgenden Fragen unweigerlich einwirken musste. Ich erhoffte mir durch eine Art performativer Persuasion – die ihre Rhetorizität leidlich zu behaupten bemüht war – eben eine Wirkung auf die ‚wahre’ Problematik der Fragestellung.
Dass du zwei Stunden für eine für dich fruchtbare Lektüre meines Beitrags gebraucht hast, liebe Majanna, bereitet mir – wie soll es auch nicht – ein schlechtes Gewissen. Tröste dich damit, dass du mich zwar bestimmt verstanden hast (so gut dies für dich eben möglich war), jedoch nicht begriffen hast – denn ein vollständiges Be-greifen bedeutete eine Kernschmelze unserer teilbaren In-dividualitäten (die Zeit der Kugelmenschen ist aber leider vorbei; siehe Platon: Symposion)…