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Angst essen Seele auf

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Marianne

Guest
Wer erinnert sich nicht an diesen wunderbaren Film, in dem Brigitte Mira, die gerade in hohen Alter gestorbene Schauspielerin, bewies, dass sie nicht " nur" Volksschauspielerin war.

Die Zusammenhänge zwischen Gefühlen von Angst ( als Lebensangst, als Angst vor immer neuen, "alten" Situationen, in denen das Menschsein von außen verhindert wird ( Inhalt des Films, so wie ich ihn im Gedächtnis behielt) und Handlungen der Menschen mag ja jede(m/r ) von uns klar sein.

Ich wage es, diese These zu erweitern:

Alltag fressen Seele auf!

Ich verallgemeinere jetzt mal eine von mir gedachte Eigenschaft von "Seele", nämlich als eine Fähigkeit des Menschen Phantasien sowohl zu entwickeln als auch ihnen nachzuleben.

Und diese Fähigkeit " verkümmert" im Lebenskampf - denke ich mal. Das trifft auf mich zu.

Wie beurteilt Ihr meine These?

Marianne
 
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Wie? Hast du keine Phantasien mehr?
Oder was "frisst" deine Seele auf? Welche Angst? Welche Phantasie(losigkeit)?


Gysi
 
Lieber Gysi,
hier geht es eigentlich nicht um mich. Auch geht es nicht um Angst. Das war nur der "Aufhänger" für mich und die unter uns, die den Film einstens sahen. Das Thema heißt: ich wies darauf hin *grr* " Alltag frisst Seele auf". Ich habe auch nicht das Gefühl, dass meine Phantasie im Alltag verkümmert. Das deshalb, weil ich ja um das doppelte Gesicht des Alltags weiß: Tun können / dürfen hier - sich aus dem reinen Tun mittels der Phantasie zu befreien da.

Marianne
 
Hallo,

ich denke, mit dem Alltag ist es so wie mit der Angst: Es ist schwer festzustellen, wieviel davon gut für einen ist.
Für Angst kann man immer zwei Thesen aufstellen, die sich zu widersprechen scheinen:
Er/sie wuchs in der Jugend zu sorglos auf, so dass das Leben dann mit voller Wucht traf.
Oder: Ihre/seine Jugend war so voller Angst, dass der Rest des Lebens nicht mehr unbeschwert sein konnte.

Außerdem macht Angst krank - kann aber auch Krankheit sein.

Angst und Alltag hängen zusammen, da die Gesellschaft Ängste und Druck erzeugt, die den Alltag bestimmen. Ob man neben meinem Beruf auch noch offen für Überraschendes sein kann, man Freiraum für Kreativität hat, hängt damit zusammen, wie beruhigt man in den Feierabend gehen kann. Wird man die Gespenster des Alltags nicht los, dann fressen sie einen in der Tat auf.
Ähnliches gilt für Beziehungen: Jene töten das Leben ab, die immer Druck erzeugen, bei denen immer Spannung in der Luft hängt. Die sind gefräsig.

Ansonsten kann Alltag etwas sehr Beruhigendes sein, vor allem, wenn man ihn liecht varriert :)
 
Marianne, vielleicht ist das Wort "Lebenskampf" ein wenig missverständlich. Es würde nämlich bedeuten, dass Menschen, die weniger zu "kämpfen" haben, automatisch mehr an Phantasie haben müssten. Dem ist aber kaum so, spontan fällt mir z.B. Erich Fried ein.
Angst ist meist automatisch lähmend, der "Alltag" hängt aber stark von anderen Umständen und auch Charaktereigenschaften ab.
Gerade alltägliche Rituale haben etwas poetisches, beruhigendes und gleichzeitig befriedigendes, finde ich.
Dein "Tun können / dürfen..." gefällt mir aber sehr! Kein "müssen". Wenn wir uns nämlich klar werden, dass fast alles "Müssen" durch "Dürfen" ersetzt werden kann, gewinnt der Alltag noch eine positive Seite mehr. (Was mich aber nie hindern könnte, auf verschiedene Alltäglichkeiten zu schimpfen ;).)
 
Hallo, Robin, hallo, Celine!

Ich habe das Thema - so wie es oft meine Art ist - eigentlich ganz spontan ins Forum gestellt.

Zunächst: Kompliment, Celine, Das Wort Lebenskampf ist natürlich ein Krampf.

Ich ersetze es hier durch: Lebensbewältigung. Und die passiert im Alltag und muss nicht negativ besetzt sein: das Leben als Aufgabe zu sehen ist für mich nicht negativ, sondern zunächst eher wertneutral.
Negativ - also "Seele aufessend" kann er aber werden, wenn er nur noch der Reproduktion der Arbeitskraft des Subjekts dient. Ich habe gestern den Film " Vollgas" im 3Sat gesehen. Eine junge Kellnerin am Ende der Wintersaison - alleinerziehende Mutter - hat keinerei Muße mehr für " Seele", für das Entwickeln von Phantasien: sie endet im Alkoholismus. Sie hatte offensichtlich keine Angst vor diesem Leben; es schien ihr so als sei es ihr freier Wille, die Tage und Nächte durchzuarbeiten, einen " drauf zu machen" ( Ballermann auf osttirolerisch). Mir schien es so, als ob der ständige Alltagsstress ihre Fähigkeit zur Phantasie als Zukunftskorrektiv verkümmern ließ.

So kann ich mich durchaus Robins Überlegungen anschließen, wenn er für " die Mitte" plädiert.



Ich sehe das so wie er: ( hihi - fast luhmannisch!) Unser System Leben als Lebensvollzug definiert sich im Normalfalle im Spannungsfeld von unreflektiertem Tun ( im weitesten Sinne Alltag) und Wunschvorstellungen.

Verbindend ist zwischen diesen Polen die Phantasie.

Sie ermöglicht es uns, unseren Alltag an unsere Wünsche ranzubringen.

So ähnlich stelle ich mir das für den Hausgebrauch vor.


Künstler stehen vielleicht an der einen Seite des angedachten Paradigmas, Naturwissenschaftler oder Mathematiker auf der anderen.
Ist natürlich ein willkürlicher Quatsch, den ich gerade verzapfe.
Was ich meine - vermute, ist, dass es Künstlern gelingt, ihre Phantasie ( mit viel Fleiß und Müh vorher im speziellen Werkzeuggebrach geschult) über diesen Alltag zu erheben obwohl sie einen fixen Platz im Alltag hat.


Danke für Eure Anregungen.

Marianne



Überwiegen
 
Lebensqualität und Arbeit

Dazu fällt mir spontan ein Spruch ein:

Arbeiten um zu leben oder leben um zu arbeiten.

Es ist nicht das Leben, das uns auffrißt, sondern unsere Wünsche, denen wir nachlaufen und die uns zu einer Überbewertung der Arbeit treiben.

MfG

Triskell
 
Marianne schrieb:
Verbindend ist zwischen diesen Polen die Phantasie.

Sie ermöglicht es uns, unseren Alltag an unsere Wünsche ranzubringen.

So ähnlich stelle ich mir das für den Hausgebrauch vor.


Künstler stehen vielleicht an der einen Seite des angedachten Paradigmas, Naturwissenschaftler oder Mathematiker auf der anderen.
Ist natürlich ein willkürlicher Quatsch, den ich gerade verzapfe.
Was ich meine - vermute, ist, dass es Künstlern gelingt, ihre Phantasie ( mit viel Fleiß und Müh vorher im speziellen Werkzeuggebrach geschult) über diesen Alltag zu erheben obwohl sie einen fixen Platz im Alltag hat.

Willkürlicher Quatsch ist das nicht. Bedenkenswert ist jedoch die Rolle der Phantasie. Gewiss, phantasielose Menschen sind schrecklich - doch was können sie im Endeffekt dafür?
Ist es nicht möglich, das Menschen einfach so gut wie keine Phantasie besitzen? Und wenn das so ist, wie kann man ihnen helfen. Paradoxerweise kann die Phantasie nie ausreichen, sich vorzustellen, man habe keine Phantasie - man weiß also auch nicht, ob sie nur für einen selbst wichtig ist oder für alle oder für alle gleichermaßen.
Ein Künstler übrigens, wie du ihn beschreibst, wäre fast eher ein Kunsthandwerker. Also einer, der Kunstmachen nicht als täglichen inneren Existenzkampf beschreibt, sondern als angenehmes phantasieangereichertes Tun. Eine schöne Vorstellung, aber wenige Künstler kommen in ein so stabiles Gleichgewicht...;)
 
Robin schrieb:
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Ein Künstler übrigens, wie du ihn beschreibst, wäre fast eher ein Kunsthandwerker. Also einer, der Kunstmachen nicht als täglichen inneren Existenzkampf beschreibt, sondern als angenehmes phantasieangereichertes Tun. Eine schöne Vorstellung, aber wenige Künstler kommen in ein so stabiles Gleichgewicht...;)
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Ic habe meine Worte eigentlich nicht so gemeint. Aus der Malerei und der Musik kenne ich Künstler - auch aus der Literatur.

Ich denke, dass jeder, der sich Künstler nennen darf, das Endprodukt seiner Phantasie - sein Werk - genau so wie Du es oben sagst, ale eines des Kampfes des Subjekts mit der Umwelt als Existenzkampf- /bitte nicht materiellen Existenzkampf, obwohl das häufig dazu kommt) sehen muss. Die vielgepriesene Inspritation sehe ich als Antwort auf Auseinandersetzungen eines Künstlers mit Außenwelten.

Nur: Und nur darauf bezogen sich meine - wie immer zu verkürzten Sätze : sie meinten ungefähr das:- ein Maler muss mit der Farbenlehre vertraut sein, ein Musiker mit Noten und was man mit ihnen " produzieren " kann.


Aber - angeregt von Deinen Worten über Kunsthandwerker. eine kleine Bemerkung. Sei mir nicht gram, wo sind die Grenzen zwischen Künstler und Kunsthandwerker?


Marianne
 
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@triskell
Es ist nicht das Leben, das uns auffrißt, sondern unsere Wünsche, denen wir nachlaufen und die uns zu einer Überbewertung der Arbeit treiben.

manchmal schaut es so aus, als ob es durch eine extremsituation erst sichtbar würde, dass da etwas nicht im gleichgewicht ist.
manchmal überwiegt das alltägliche, das einen aufzufressen droht. kaum merkst du es, kannst du es auch ändern (wenn du glück hast).

die phantasie wird dadurch mMn erst gefordert. denn ich glaube nicht daran, dass nur künstler ihre phantasie in ihr leben einbringen können.
ich denke da an kreative lösungen von organisatorischen problemen, z.b. haben wir kollegen im büro eine zeit lang abwechselnd den wocheneinkauf für alle gemacht, weil wir immer so einen stress hatten damit nach der arbeit.

das geheimnis ist, für sich selber herauszufinden, ob es nicht eine passendere möglichkeit gibt, die arbeit, die zu tun ist, umzusetzen. da ist phantasie gefragt, denn jeder hat seine eigene beste möglichkeit, die er finden muss.

da ich inzwischen selber künstlerisch tätig bin, hab ich mit verschiedensten vertretern dieses genres zu tun. da gibts auch solche und solche.
es ist eine frage der persönlichen reife und lebenserfahrung, also wie sehr ich mich selber schon kenne und weiß, wie ich funktioniere und wo meine bedürfnisse sind, ob ich mich von äußeren anforderungen auffressen lassen muss oder mich so arrangieren kann, dass es mir gut geht damit.

da ich ein grundsätzlich radikaler mensch bin, hab ich irgendwann erkannt, als sich mein zu großer stress auch mit den phantasievollsten lösungen nicht mehr verhindern ließ, dass ich diesen job aufgeben muss. und das hab ich getan. ich muss zwar jetzt finanziell ein bisschen leiser treten, aber es hat sich gelohnt.

:jump1:

lilith51
 
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