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Warum Misstrauen?

Nachtrag:

Ich komme ja aus der Ecke, wo man die Dinge auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wem sie was bringen. Cui bobo?

Ausgehend von meiner Grundannahme, dass Handlungen aus mehr bestehen als aus dem, das sich „auf den ersten Blick“ darbietet, stellt sich dieses Frage so:

Misstrauen in die Oberfläche des Dargebotenen – Vertrauen in die Oberfläche des Dargebotenen, wem nützt was?

An einem ganz deutlichen Beispiel, nämlich der Werbung, durchgedacht: an der Oberfläche werden Produkt und positiv besetzte Begriffe (Glück, Gesundheit, Wohlstand, Jugendlichkeit,...) miteinander verbunden. Der Mensch, der grundsätzlich dem vertraut, das an der Oberfläche liegt, wird also die Produkte kaufen, um zu diesen schönen Dingen zu kommen. Dieser Vorgang nützt, davon gehe ich aus, ihm nicht, er nützt aber denen, die die Produkte verkaufen wollen. Weshalb sie sich bemühen werden, die Oberfläche möglichst glaubwürdig herzustellen.

Wenn es z.B. um die Ausschreibung eines großen Projektes geht, dann gibt es in aller Regeln einen sog. „informellen Kreis“, also eine Gruppe, in der man um die Hintergründe weiß, eine Gruppe, innerhalb der die Entscheidungen gefällt werden.
Diejenigen, die dieser informellen Gruppe nicht angehören, kriegen die Ausschreibungsbedingungen zu lesen und werden auf sie verwiesen. Auch hier ein ähnliches Phänomen wie in der Werbung: es wird viel Energie darauf verwandt, die Oberfläche (die Ausschreibung und das Entscheidungsverfahren) als vertrauenswürdig darzustellen.
Um eine Chance auf den Auftrag zu haben, wird man sich allerdings primär bemühen müssen, Bestandteil dieser informellen Gruppe zu werden. Außer wenn (aus irgendwelchen Gründen) beschlossen wurde, einen Außenstehenden mit dem Projekt zu betrauen, ist man sonst völlig chancenlos. Man nennt diesen Vorgang heute „Lobbying“, die Akzeptanz dieser „Unteroberflächenwelt“ ist in den letzten Jahren derart hoch geworden, dass dieses Tun nun nicht mehr irgendwie bemäntelt werden muss. Noch vor kurzem hätte man sowas Freunderlwirtschaft o.ä. moralisch abwertend bezeichnet.

Im zwischenmenschlichen Bereich liegen die Dinge natürlich etwas anders, aber auch dort denke ich letztlich, dass diejenigen, die sich des Umstandes bedienen, dass Oberfläche und Untergrund ganz verschieden „bespielt“ werden können, die Nutznießer sind.

Wenn Horvath in den Geschichten aus dem Wienerwald den Fleischermeister sagen lässt: „Meiner Liebe entgehst du nicht!“, so macht er auf sprachliche geniale Weise genau diesen Umstand sichtbar.

Dass Oberfläche und Untergrund ohne Widersprüche sind, das charakterisiert (neben anderem) eine positive Kommunikationsstruktur, in der es dann, wenn es zu Irritationen kommt, nur der Auflösung von Missverständnissen bedarf, um den Einklang wieder herzustellen. Und das kennen wir ja alle, wie ich vermute, aus den Freundschaften und positiven zwischenmenschlichen Bezügen unseres Lebens.

Mit Grüßen
Katharina
 
Werbung:
Hallo Muzmuz,

ich denke, dass die „einheit“ (das paradies) das erste ist.
aber schon dann, wenn man dieses einssein als einssein, paradies, vertrauen bezeichnet, es also erkennen kann, ist man schon aus der selbstverständlichkeit dieses seins „heraußen“ (man nähme es nicht wahr, gäbe es nicht die erfahrung eines anderen zustandes).

und auch biologisch ist es ja so, dass ein kind im mutterleib symbiotisch ist, du in aller regel bleibt diese symbiotische erfahrungswelt bis zur konstituierung des „ich“ auch erhalten.

Ich denke nicht, dass das „misstrauen“ zuerst da war, weil es ja der differenzierung vom anderen bedarf und weil ich eben davon ausgehe, dass das „urerleben“ das der einheit (unfifferenziertheit) ist.

Mit Grüßen
Katharina
 
Ich finde beide Gedankenstränge, Muzmuz mehr aus der Vogelperspektive, Katharina mehr aus den Mikrosystemen, interessant.

An Katharinas Beispiele anschließend, könnte man auch die viel gerühmte Gastfreundschaft als verklausuliertes Misstrauen deuten. Ich lass dich in mein Haus, damit du mich nicht überfällst. Biete dir mein Essen, damit du es mir nicht klaust. Biete dir einen Schlafplatz, damit du mich im Schlaf nicht mordest...
Das mag beim Enstehen der Gastfreundschaft eine Rolle gespielt haben. Auf jeden Fall ist die Gastfreundschaft, gerade durch ihre Zuvorkommenheit, ein Zeichen, das die Differenz zwischen Fremdem und Eigenem unterstreicht.
Beim Ursprung von Vertrauen/Misstrauen stimme ich eher Muszmuz zu, einfach weil nach Katharinas Version Vertrauen dann Erkenntnislosigkeit bedeutet. Denn ohne Differenzierung keine Erkenntnis und für mich ist das dann kein Leben...letzlich aber vielleicht eine metaphysische Haarspalterei.
Ist das Kind dann einmal geboren muss es schnell und völlig zu Recht trauen und misstrauen.
Die Frage, die sich dann ergibt, wäre also nicht, wie Minnie ursprünglich gesagt hat "Warum Misstrauen?" sondern warum überhaupt Vertrauen?
Oder, weiter gefragt, warum bauen die EInen ihr Misstrauen besser ab im Laufe ihrer Entwicklung, überwinden Ängste gegen Fremdheit, entwickeln Techniken der Offenheit?
Ich glaube, dass es hier zwei Typen der Offenheit gibt, nämlich eine naive und eine intellektualisierte, wie sie zum Beispiel linke Kreise mit ihrer teils ideologisch unterfütterten Toleranz, ja Präferenz fremder Kulturen praktizieren.
Nun wird es kompliziert, denn ich will diese Art der Offenheit nun wiederum nicht diffamieren, indem ich sie mit dem Vertrauenskalkül z.B. der Werbung gleichsetze.
Ich glaube, hier zeigt sich die Einheit der Differnez des Begriffes Vertrauen/Misstrauen. Bei jeder Demonstration von Vertrauen schwingt die Möglichkeit der (Ent)täuschung mit, sonst wäre die Demonstration nicht von nöten. Und bei jeder übermäßigen Werbung um Vertrauen ist Misstrauen geboten. Gleichzeitig schwningt in jedem Misstrauen das Vertrauen in das Eigene mit, eigene Werte, eigene Stärke, eigene Gefühlswelt.
Und daher ist natürlich auch das Misstrauen nicht etwas nur negatives.
 
Oh, spannend robin!

„Gastfreundschaft als verklausuliertes Misstrauen deuten. Ich lass dich in mein Haus, damit du mich nicht überfällst. Biete dir mein Essen, damit du es mir nicht klaust. Biete dir einen Schlafplatz, damit du mich im Schlaf nicht mordest...“

Das ist mir nicht so ganz schlüssig, bzw. bräuchte es da für mich ein paar zusätzliche Gegebenheiten, um es mir plausible zu machen, eher fiele mir da das Trojanische Pferd ein.

“Beim Ursprung von Vertrauen/Misstrauen stimme ich eher Muszmuz zu, einfach weil nach Katharinas Version Vertrauen dann Erkenntnislosigkeit bedeutet.“

Ich sehe es so, dass ein Zustand, der so umfassend ist, dass es keine Differenzierung gibt, ja auch keinen Anlass zur Erkenntnis gibt. Was sollte denn erkannt werden, wenn alles eins ist?
Vertrauen, ich habe das bereits zu sagen versucht, ist ja ein Begriff, der die Differenzierung bereits voraussetzt. D.h., wer die Erfahrung gemacht hat, dass es auch anderes als ihn selbst gibt, anderes, das sich auch anders manifestiert, wird nicht mehr vom „Gleichklang“ (wo man dem anderen wie sich selbst vertraut) ausgehen, sofern er entsprechend lernfähig ist. Er wird lernen, dass Vertrauen mal mehr, mal weniger angebracht ist. Jemandem zu vertrauen, halte ich mitnichten für den Beweis der Erkenntnislosigkeit, sondern vielmehr für das Gegenteil: es beruht ja auf einer Entscheidung, auf dem Umgang mit dem (gewussten) Anderen und ist nicht Ausdruck eines Zustandes, in dem es keine Unterschiede, nichts Fremdes gibt.

„Ist das Kind dann einmal geboren muss es schnell und völlig zu Recht trauen und misstrauen.“
Ein Neugeborenes KANN gar nicht vertrauen oder misstrauen, dazu sind seine kognitiven Fähigkeiten ja gar nicht ausreichend genug entwickelt. Nicht umsonst gibt es Mechanismen wie das Kindchenschema, die sozusagen für die Sicherstellung der elementaren Bedürfnisse des Neugeborenen zu sorgen versuchen.


“Oder, weiter gefragt, warum bauen die EInen ihr Misstrauen besser ab im Laufe ihrer Entwicklung, überwinden Ängste gegen Fremdheit, entwickeln Techniken der Offenheit?“

Wenn man sich den Begriffen „Misstrauen“, „Angst“ und „Offenheit“ wertfrei zu nähern versucht, muss man sich v.a. mit ihren Funktionen beschäftigen, denke ich. Ich will damit sagen, dass deine Frage ja schon von einer Wertung ausgeht, dass nämlich Misstrauen und Ängste vor Fremdheit etwas zu Überwindendes seien, bzw. dass „Offenheit“ das Ergebnis dieser Überwindung sei. Da sind für mich also schon zu viele Prämissen drin, nicht nur dass ich bezweifle, dass Offenheit und Vertrauen das Gleiche sind.

„...wie sie zum Beispiel linke Kreise mit ihrer teils ideologisch unterfütterten Toleranz, ja Präferenz fremder Kulturen praktizieren.“
Zu solchen (die „linken Kreise“ ???) insofern diffamierenden Äußerungen, als dass angenommen zu werden scheint, dass es dort eben nicht wirklich um Toleranz ginge, kommt man, wie ich denke, wenn man begriffs-ungenau ist.
Im Übrigen passiert hier genau das, worüber ich geschrieben habe: du tust hier (zumindest für meine Ohren, aber auch für deine, weil du später ja schreibst, dass du nicht diffamieren willst)) massives Misstrauen den „linken Kreisen“ kund. Deinem (innewohnenden) Diktum von Offenheit (Vertrauen?) folgend, müsstest du für Toleranz halten, was sich als Toleranz ausgibt.


„Bei jeder Demonstration von Vertrauen schwingt die Möglichkeit der (Ent)täuschung mit, sonst wäre die Demonstration nicht von nöten. Und bei jeder übermäßigen Werbung um Vertrauen ist Misstrauen geboten. Gleichzeitig schwningt in jedem Misstrauen das Vertrauen in das Eigene mit, eigene Werte, eigene Stärke, eigene Gefühlswelt.“

Damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Ich sehe das auch so, dass einen die Anerkenntnis des anderen (und damit letztlich immer Fremden) in die Unsicherheit bringt. Ein wenig angenehmer Zustand, in den man nicht kommt, wenn man den anderen als anders schlicht negiert, indem man Unterschiede so weit nivelliert, dass man das andere, eigentlich Fremde als „unfremd“ erlebt, oder aber umgekehrt: indem man alles, das einem selbst nicht gleicht, als „gefährlich“ klassifiziert.

Mit Grüßen
Katharina
 
huhu katharina !

wenn ich an symbiose als zusammenleben verschiedener individuen zum beiderseitigen vorteil sehe, dann ist das system embryo-mutter keine symbiose, sondern parasitär (embroy der parasit, mutter der wirt)
ich sehe viele ähnlichkeiten auf biologischer ebene zwischen einem gutartigen tumor und einem embryo
beide sind bezüglich erbsubstanz von der mutter unterschiedlich (also ein eigener organismus), leben und wachsen, indem sie sich vom wirt ernähren
der unterschied besteht darin, dass, wenn der embryo so gross ist, dass akute lebensgefahr für die mutter besteht, die zeit für die geburt gekommen ist, der tumor aber muss operativ entfernt werden

das individuum mutter hat keinen biologischen nutzen darin, den embryo in sich zu tragen; der embryo bedient sich bei der mutter, gibt aber nichts vergleichbares zurück
warum sich dieses system durchgesetzt hat ist klar; die evolution kümmert sich nicht um das individuum, sondern um die art bzw die gene der art; und für die art ist das parasitäre system mutter-embryo essentiell, da ohne nachwuchs die art ausstirbt
damit eine mutter sich diese "qual" überhaupt antut, hat ihr die natur den sexualtrieb und den mutterinstinkt mitgegeben, der sie sozusagen zwingt, auf eigene kosten das überleben der art zu gewährleisten

ob zuerst vertrauen oder misstrauen da war, wird bei folgendem gedankengang ersichtlich:
vertrauen ist dann notwendig, wenn man voneinander in einem gewissen maße abhängig ist
zuerst aber stehen in der natur die individuen in konkurrenz zueinander
zur erreichung von einigen zielen ist aber manchmal ein individuum alleine unfähig und es ist genötigt, ein bündnis einzugehen
und erst für dieses bündnis ist das vertrauen notwendig

soziale systeme haben sich in der tierwelt, pflanzenwelt oder auch beim menschen nicht dadurch entwickelt, weil es ja so schön ist, einander zu vertrauen, sondern es sind zweckbündnisse, damit die überlebenschancen der art gesteigert wird; aus der sicht des individuum geht es gerne bündnisse ein, um die eigenen interessen zu wahren

war ein individuum arglos, hatte es in der natur wenig chancen (wurde von fressfeinden überwältigt oder von konkurrenten überrannt)
daher ist entwicklungsmäßig der größte nutzen dann erzielt, wenn man gerade so viel vertrauen hat, wie nötig
ich habe das auch vor kurzem beim spatzen-füttern gesehen
sie haben hunger, also sind sie dazu getrieben, interesse zu haben
wären sie arglos, hätten mich die spatzen überfallen und alles sofort gefressen
sie haben aber meine bewegungen, das futter und die umgebung abgechekt und haben sie situation abgewägt
lohnt sich die gefahr für das futter ?
hätten sie zu viel misstrauen, bekämen sie kein futter
hätten sie zu viel vertrauen, gingen sie zu leicht in eine falle und würden gefressen werden
was ist also die "beste lösung" ?
grade so ein maß an ver- und misstrauen um zu überleben und nachwuchs haben zu können

ver- und misstrauen gab es schon lange, bevor es den menschen gab und vertrauen gab es immer nur so viel, wie es nötig war, weil vertrauen eine schutzlosigkeit zur folge hat, deren übermaß das ende bedeutete

lg,
Muzmuz
 
Bei Beantwortung der Frage "Was ist zuerst da, das Misstrauen oder das Vertrauen" wäre meiner Meinung
nach auch der Entwicklungsstand, Reifegrad, Lebenserfahrungshorizont eines Menschen mit ins Kalkül zu ziehen.

Beim Säugling erscheint mir die Annahme von Katharina einleuchtend, dass er noch
kein Misstrauen haben kann, weil ihm dazu noch wesentliche Voraussetzungen fehlen.

Das bei Kleinkindern zu beobachtende "Fremdeln" setzt ja erst im Alter von etwa 7-8 Monaten ein,
nach Reifung und Ausdifferenzierung der erforderlichen Hirnstrukturen.

In den ersten Lebenswochen und -Monaten dürfte somit das Vertrauen vorherrschend sein,
was ja auch in der Redewendung "naive Vertrauensseligkeit" recht gut zum Ausdruck kommt.

Mit zunehmender Lebenserfahrung, Differenzierungsfähigkeit, Erkenntnisfähigkeit, kehren sich allmählich die
Verhältnisse um, sodass beim Erwachsenen eine "gesunde Portion Misstrauen" vorherrscht.
Das Vertrauen muss dann erst durch positive Erfahrungen wieder-erweckt werden.

Es bleibt jedoch auch beim Erwachsenen eine angeborene Ambivalenz zwischen Neugier und Scheu vor Neuem
erhalten, sodass eine Vorherrschaft des Vertrauens und eine Vorherrschaft des Misstrauens einander
abwechseln.


Bei der zitierten Gastfreundschaft könnte auch diese angeborene Ambivalenz eine wesentliche Rolle spielen.

Auf eine besonders hohe Gastfreundschaft trifft man ja zumeist bei Menschen, die in vergleichsweise
abgeschiedenen Regionen leben und deshalb relativ wenige "aufregend neue" soziale Kontakte haben.
Mit zunehmender touristischer Erschliessung solcher Regionen verwandelt sich die ursprüngliche
Gastfreundschaft nicht selten in ein Kundenbetreuungs-Kalkül, wie das in Mitterlehners legendärer
Piefke-Saga so treffend persifliert wurde.

lg nase
 
Hi Katharina,

nein so viele Wertungen sind da nicht drin, wie du siehst.

Ich gebe nur Hypothesen und Anregungen.
Die Überwindung von Misstrauen bei der Annäherung Fremder durch Gastfreundschaft liegt ja im Interesse beider. Die Ankunft eines Fremden, gerade in abgelegenen Regionen, ist nie etwas selbstverständliches. Der Wunsch, NEues zu erfahren hält sich eventuell die Waage mit der Angst, dass der andere feindliche Absichten habe. Daher ist die Gastfreundschaft eventuell ein Ritual, um einerseits das Neue zuzulassen, andererseits das eventuell Feindliche zu beschwichtigen.

Die einzige Wertung, die ich von Grund auf annehme, ist: Wenn ich vor die Wahl gestellt bin zwischen Bekanntem und Fremden, ziehe ich das Bekannte vor, zunächst in einem naiven Sinne. Nämlich das Eigene. Keine Differenz ohne Hierarchie. Wie stark diese Hierarchie zu heutigen Zeiten noch ist, ist kulturell sehr verschieden. In Japan beispielsweise ist das Verhältnis zu Fremden sehr ambivalent. Einerseits ist der europäische Typus das Schönheitsideal der meisten Japaner, auf der anderen Seite herrscht starkes Misstrauen gegenüber Fremden. Was natürlich bedeutet, dass die Japaner gerade zu Fremden (und überhaupt) besonders höflich sind. Die japanische ist eine verschlossene Gesellschaft und ich sehe das in Korrelation mit ihren ausgeprägten Höflichkeitstechniken. (Ich beziehe meine Information aus dem Buch "Tokio Tango")

Ich selber habe die Idee des Multi-Kulti und der Toleranz gegenüber fremden Kulturen hier schon mehrhaft heftig verteidigt.
Ich weiß nicht, worin der Wert liegen soll, dass es um "Toleranz an sich" gehen soll. Entscheidend ist, was hinten heraus kommt. Ich glaube nicht, dass man tolerant an sich ist, sondern ein natürliches (wahrscheinlich sogar biologisch determiniertes) Misstrauen gegenüber dem Fremden überwinden muss. Dazu bedarf es intellektueller Unterfütterung, man muss plausibel machen, dass man durch Offenheit und Abbau von Misstrauen mehr Vor- als Nachteile hat. Wenn man sich diese Offenheit als naturgegeben abverlangt, kann man sich leicht überfordern. Oder es kommt gar zu Idealisierung des Fremden (und Abwertung der eigenen Kultur - wir Deutschen seien so verklemmt usw.), die dann aber böse nach hinten losgehen kann, wie Beispiele von gescheiterten interkulturellen Beziehungen zeigen (ich beziehe mich hier auf Radiofeatures zu dem Thema, durchaus von liberalen Journalistinnen produziert).

Offenheit und Vertrauen sind nicht dasselbe, aber die Grenzen von Offenheit/Verschlossenheit läuft vielleicht parallel zu der von Vertrauen/Misstrauen.
Ich hoffe, solche Thesen vertreten zu dürfen, ohne in den Ruch der Diffamierung zu kommen, denn mich in der Hinsicht ständig verteidigen zu müssen, fände ich sehr anstrengend.

Die Erklärungen von Muzmuz finde ich kohärent. Sie sind zwar extrem biologistisch, aber ich glaube schon, dass sich eine Menge biologischer Faktoren in gesellschaftliche Faktoren transformiert haben.
 
Hallo muzmuz,

ich bin ja eine große freundin unkonventioneller zugänge und zusätzlich eine, die allerhand gegen die ideologie hat, die sich da ums muttersein zu ranken pflegt, deshalb habe ich von dieser seite her keine einwände gegen deine vergleich (gutartigem), parasitärem tumor und schwangerschaft. Trotzdem hinkt der Vergleich für mich beträchtlich, weil er nämlich 2 ganz wesentlich unterschiedliche dinge außer acht lässt:

mit ausnahme der heiligen mutter gottes (und selbst da soll es anderslautende gerüchte geben ;)), ist die schwangerschaft etwas, das nicht ohne eigenes zutun passiert. Wenn man mal von k.o.-tropfen und befruchtungen unter vollnarkose u.ä. ja denn dioch eher selten vorkommenden dingen absieht. – einen tumor kann ich nicht so gezielt hervorrufen (was man am beispiel seiner abwehrt noch viel besser sieht. Schwangerschaftsverhütung kann man wesentlich verlässlicher als tumorverhütung gestalten.)
das zweite ist, dass das kinderkriegen, also die fortpflanzung ein den menschen innewohnender wunsch ist. mal mehr, mal weniger, aber er ist ja etwas, das alle lebenwesen haben. der wunsch, nicht auszusterben.
Selbst Mutter könnte ich allerhand von der Mühsal erzählen, aber eben auch davon, dass ich jede Menge und mehr zurückbekommen habe. Die Mühsal als Erklärungsgrundlage herzunehmen und das Schöne in den Bereich der Instinkte auszulagern, halte ich für ein falsches Vorgehen. Nebstbei zeigen uns doch gerade jetzt Dinge wie das BrüchigWerden des Generationenvertrages, dass es durchaus auch auf der „nackten Nützlichkeitsebene“ Dinge gibt, die die Mutter/der Vater zurückbekommen haben. Zumindest bislang. Und es ist sehr wohl auch das Individuum „Mutter“ (und „Vater“), das sehr wohl auch biologisch Nutezn zieht, weil es dann IHRE Anlagen sind, die innerhalb der Art weitergegeben werden.

Diese (zentralen) elemente, nämlich die freie Entscheidung für ein Kind und der Umstand, dass die Eltern von dem Kind dann auch etwas haben, fehlen in deinem Parasitenvergleich völlig.

Der gedanke der symbiose (zu beiderseitigem nutzen) triffts m.E. eher.


Was das eigentliche Thema „Misstrauen“ vs. „Vertrauen“ angeht, so bin ich ziemlich deiner Meinung. Zumindest halte ich das Vertrauen auch nicht unbedingt für das Zeichen einer höheren Seinsform. Es ist etwas, das innerhalb einer Gemeinschaft notwendig ist, auch im Sinne einer sozialen Identität – genauso wie das Misstrauen. Er hat auch (weil du es ja so gern „tierisch“ hast! ;) ) mit dem Umstand zu tun, dass der mensch ein „Herdentier“ ist, also eine Lebensform, die prinzipiell zu Gemeinschaft fähig ist und dies auch anstrebt.

Ob es zulässig ist, auch bei Tieren von „Vertrauen“ zu sprechen, oder ob die Fähigkeit Vertrauen zu entwickeln, nicht etwas sehr Menschliches ist, das man auf das Verhaltend er Tiere bloß überträgt, lass ich mal dahingestellt.

Liebe Grüße
Katharina
 
Hallo nase,

Diese touristische Form von Gastfreundschaft ist ja selbst ein Beispiel dafür, worüber wir hier sprechen, denke ich.
Denn wer diese inszenierte Gastfreundschaft für „echte“ Gastfreundschaft hält, also für etwas hält, das ohne ein anderes Eigeninteresse als das des zwischenmenschlichen Kontaktes, ist eben naiv. In Ermangelung realer Gastfreundschaft werden solche käuflichen Surrogate allerdings immer beliebter.
Aber da solche Sachen ja ans Geldbörsel gehen, ist ja niemand so blöd, den Nutzen des anderen nicht zu bemerken. Der „wahre“ Wert wird dann ja auch wo anders abgelesen, nämlich dort, wo man sich als Tourist „individuell“ wahrgenommen fühlt, bzw. wo man die Möglichkeit bekommt, den „gastfreundlichen anderen Menschen“ eben als individuelle Person wahrzunehmen. Also jenseits dessen, das man bezahlt hat. Dass sich auch das funktionalisieren lässt, dass sich also auch dieses Gefühl, eben persönliche Gastfreundschaft zu genießen, sehr wohl auch inszenieren lässt, weiß jeder, der sich im Tourismusgeschäft auskennt.

Aber das war ja eigentlich nicht Robins ursprünglicher Ansatz. Ich habe ihn so verstanden, dass Gastfreundschaft prinzipiell etwas ist, das in gewisser Weise dem (vermuteten) Angriff zuvorkommt. In der Art: Indem ich dir Gastfreundschaft anbiete, erkläre ich dich zu einem Freund (des Hauses) und als Freund darfst du uns nichts antun.
Das funktioniert aber nur so lange, solange der Eingeladene "Freund" auf diese „moralisch-ethische“ Weise auslegt wie der Gastgeber. Und als Gastgeber wird man nur solche andere auf diese Weise „entwaffnen“ wollen, die man entsprechend einschätzt. Nicht alle Gäste geben die Waffen wirklich an der Eingangstür ab! ;)

Deiner Darstellung zum thema Misstrauen/Vertrauen kann ich nur zustimmen!

Grüße
Katharina
 
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Hallo Robin,

„Daher ist die Gastfreundschaft eventuell ein Ritual, um einerseits das Neue zuzulassen, andererseits das eventuell Feindliche zu beschwichtigen.“

Ja, das kommt mir plausibel vor. Kann ich mir vorstellen.

“Die einzige Wertung, die ich von Grund auf annehme, ist: Wenn ich vor die Wahl gestellt bin zwischen Bekanntem und Fremden, ziehe ich das Bekannte vor, zunächst in einem naiven Sinne. Nämlich das Eigene.“

Das glaube ich auch, bzw. spricht sehr viel, das ich sehe, dafür. Weil ja oft sogar das Unangenehme, das man kennt, dem in Aussicht gestellten weniger Unangenehmen, das man aber nicht kennt, vorgezogen wird. „Da kennt man sich wenigstens aus.“ Und ja, dort kennt man die Hierarchien und Zusammenhänge wenigstes, das ist vertrautes Terrain, Entwicklungen scheinen sich abschätzen zu lassen. Ich glaube, dass man vieles, das zunächst unverständlich ist, so erklären kann. (Bis hin zur Wahl Bushs?)

Deinen kurzen Exkurs zum Thema Höflichkeit finde ich sehr interessant. Dass Höflichkeit auch Ausdruck von Distanz ist, sehe ich auch so. Dass sich Misstrauen so ausdrückt, dass man höfliche Distanz herstellt, halte ich übrigens für eine sehr kultivierte Form, damit umzugehen.

Auch was das Toleranzthema angeht, sind wir offensichtlich einer Meinung. Ich halte gar nichts von Worten allein, und klingen sie auch noch so schön. Da gibt der gute alte Lessing mit seiner pragmatischen Wirkungsprobe (der „echte“ Ring wird sich an den Wirkungen, die er zeitigt, erkenntlich machen!) nach wie vor viel her!
„Entscheidend ist, was hinten heraus kommt.“ – Genau!
Ich denke auch, dass Toleranz eine Kulturleistung ist und einem nicht in die Wiege gelegt wurde. Und ich denke auch, dass Idealisierung des Fremden strukturell gesehen dasselbe ist wie Ablehnung. Beides bezieht sich nicht aufs Konkrete, beides tritt nicht in wirklichen Austausch mit dem Fremden.


Mit Grüßen
Andrea
 
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