Svensgar
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Westberlin, 11. Mai 1998
Lieber Pete.
Es ist Sonntag, kurz nach Ein Uhr.
Heute morgen, gegen Ende meiner Zeitungstour, wurde ich schon von der Sonne geblendet, seitdem halte ich mich in meiner Mietsache auf.
Gestern mußte ich wegen zäher Schmerzen in den Oberschenkeln die Trainingsdistanz von 1200 Meter auf 300 Meterchen verkürzen. Ich hätte mich natürlich zwingen können, mein Pensum einzuhalten, aber damit wäre ich, wie ich aus zahllosen Sportübertragungen weiß, ein großes Risiko eingegangen.
Am Donnerstag besuchte ich Jana. Der Tisch in der Küche war schon gedeckt, ein Salat geschnippelt. Ich wurde mit einem vierfachen Wodka empfangen, an dem ich Stunden nippte. Die Kartoffeln kochten schon. Auf meinen Einwand, daß ich ja noch gar keinen Hunger habe, löschte Jana die Flamme des Gasherdes und meinte, wenn es soweit sei, zünde sie die Kartoffelkochstelle erneut. Das sind die Kochtechniken Janas. Später war mein Hunger soweit, sie setzte das Kartoffelnkochen fort und in einer Pfanne briet sie vier, mäßig vertrauenserweckende aufgetaute Tiefkühl-Fisch-Filets. Ich ließ es geschehen. Rauch verkündete den Zeitpunkt, ab wann der Fisch durchgebraten schien. Jana goß das Kartoffelwasser ab, Kartoffelkochzeit vermutlich 1 1/4 Stunde, und pellte dampfende Knolle für Knolle in ihrer Hand. Das Pellgut war sehr heiß. Als sie die Schale abgezogen hatte, warf sie es auf die Teller. Es sah alles nicht sehr lecker aus, aber ich zwang mich, meine Göttin nicht zu verstören.
Nachdem wir beide sehr wenig gegessen hatten, besprachen wir noch unseren für morgen geplanten Kanuausflug. Hernach empfahl sie mir Kästners Fabian und Arno Schmidts Tagebuch eines Fauns. Nebenbei gestand sie mir eine, in den letzten zweieinhalb Jahren geholte Hepatitis C-Infektion; ich konnte noch kein medizinisch geschultes Personal zu diesem Mal befragen. Aber es scheint, daß Geschlechtsverkehr, gleich wohin in Jana, nicht risikolos sein wird.
Leider habe ich mir zuviel Zeit gelassen, diesen Besuch niederzuschreiben ... mehr fällt mir nicht mehr ein. Überhaupt schreibe ich zuwenig, mein ganzes Leben läuft sehr schlecht ab. Ich darf zwar nun ab und an Jana treffen, aber darunter sieht es übelst aus. Ich könnte mich selbst zusammenschlagen.
Morgen fahre ich also mit Jana in den Landkreis Oberhavel. Dort bringen wir das Kanu samt Kraftmotor irgendwo ins Wasser und starten. Ich sorge für viel Bier und Snacks. Unten in der Kühltasche liegen schon jetzt zwei Ostkondome. Noch am Donnerstag sagte Jana, sie wisse nie, wenn sie mit jemanden den Tag verbracht hat, ob sie ihn auch noch zu ficken gedenke; damit sei immer zu rechnen, und eine Abfuhr diesbezüglich nähme sie übel. Ich kann mich morgen nur gründlich waschen und abwarten, was sich Jana vornimmt. Donnerstag versuchte ich noch vorzubeugen, indem ich sagte, seine Götter fickt man nicht, aber sie faßte es nur als dummen Spruch auf.
Ich ziehe mich nun aus einem mir unsympathischen Brief zurück. Ich hätte mehr leisten sollen, dann wäre mir jetzt wohler. Aber vielleicht treffe ich Jana nur dann wieder, damit sie mir Sterbehilfe leistet. Und das ist seit vielen Jahren bitter nötig. Schon Cioran bemerkte, den Grad einer Krankheit erkennt man daran, wieoft der Betreffende das Wort Leben verwendet.
Weg mit diesem kümmerlichen Brief.
Dein Svensgar.