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Mozart!!!

Gaius schrieb:
Wobei man von Deinen Sachen nun auch nicht gerade behaupten kann, daß sie Bürgerschreckqualitäten hätten, Robin.
:schaukel:

Gott bewahre! Der Begriff war auch nicht abfällig zitiert; lustig nur, dass man diesen Unterschied machen muss (freundlich/unfreundlich)

Vielleicht ist es Zeit, sich einzugestehen, daß die klassische und die Neue Musik sich zu zwei grundverschiedenen Genres entwickelt haben.
Auf jeden Fall. Es gibt ja dann noch so Subgenres wie "freie Musik". Das sind dann Leute, die free jazz mit neuer Musik verquicken. Ein seeeehr eigenes Publikum...

Einspruch, Euer Ehren. Schönberg selbst hat sich zu Recht gegen den Begriff "Atonalität" gewandt - und an jeder Komposition, die im Rahmen des temperierten 12-Tonsystems sich bewegt, sind ja grundlegend tonale, auf die traditionelle Diatonik rückbeziehbare Aspekte nachweisbar.
Hm, na gut, sicher schwer, ein "atonales" Intervall auf dem Klavier zu spielen...
Was die Trainierbarkeit angeht: ich staune immer wieder, was die Musiker von spezialisierten Spitzenensembles wie dem Ensemble Intercontemporain (Paris), Ensemble Modern (Frankfurt) oder dem Asko-Ensemble (Amsterdam) drauf haben.
Sicher. Was man übers ensemle modern so hört, wird bei den Vorspielen extremer Wert auf überdurchschnittliches Blattspiel gelegt
(um noch mal auf Mozart zu kommen: er wäre dort sicher aufgenommen worden ;))
Aber du sprichst von Spezialisten. Der "gemeine" Hörer hat seine Grenzen. Einmal durfte ein Redakteur (kein Spezialist) etwas über Beethovens späte Klaviersonaten machen. Er schwadronierte dann davon, dass B. in den späten Fugen fast "atonal" wäre...abgesehen, dass das Quatsch ist, wie muss dann der Mensch auf wirklich dissonante Musik reagieren?
Ich sehe in der Entwicklung der neuen Musik eine fatale Konvergenz mit den Idealen des neuen Menschen im Kommunismus: Statt zu schauen, wie der Mensch ist, wird davon ausgegangen, wie er sein müsste (und Komponisten, genau wie Kommunisten, die dann entdecken, dass sie gar nicht so sind, wie das Dogma vorschreibt, versuchen dies zu verbergen...)
So richtig unerträglich wird (wurde?) neue Musik ja nicht nur durch ihren Klang, sondern durch den meist völlig hanebüchenen intellektuellen Überbau, den sie mit sich rumtrug.

Man kann nicht immer nur hinterm Ofen im liebgewordenen vertrauten Staub kleben.
Davon bin ich weit entfernt. Mir gefiel neulich sogar ein Streichquartett von Lachenmann richtig gut (was auch immer er sich sonst anmaßen mag)

Unabhängig davon scheinen die Liebhaber des Free Jazz, wie auch die Heavy-Metal- und Industrial-Fans, mit "Atonalität" ja keine weiteren Schwierigkeiten zu haben. Oder will uns jemand erzählen, da ginge es noch mit der liebgewonnenen klassischen Harmonielehre zu?
Die neue Musik könnte hier viel von lernen. das meinte ich auch mit Sound...Atonalität konsequent verstanden wäre Sound...und da sind Edel-Techno-Leute sehr weit gekommen. Bestimmte Komponisten nehmen das auch schon auf (um dann doch Elemente einzubauen, dass sie ja nicht mit der Kommerzmusik verwechselt werden könnten) Bestimmte Heavy Musik verbindet Elemente der Minimal music mit einem extrem kraftvollen Klangauftritt (hübsch ausgedrückt, Alta...)...das hat für mich Qualitäten.

Schöne Grüße

P.S: bin noch nicht dazu gekommen, deine Noten zu studieren, mache ich aber noch... :winken1:
 
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Robin schrieb:
Es gibt ja dann noch so Subgenres wie "freie Musik". Das sind dann Leute, die free jazz mit neuer Musik verquicken. Ein seeeehr eigenes Publikum...
Wo kann ich die kennenlernen? Klingt spannend.

Ich hatte bislang nur ein paar Kontakte zur freien Improvisationsszene; die warfen mir und meinen Kollegen von der Neuen Musik dann regelrecht vor (nicht ohne pseudo-intellektuell/politischen Überbau, versteht sich), daß wir unsere Musik überhaupt noch notierten: Was wir uns denn anmaßten, daß wir anderen vorschrieben, was sie zu spielen hätten. Die waren seeehr von sich überzeugt. - Daß dieselben Leutchen von ihren instrumentalen Fähigkeiten her schon mit der Darbietung einer einfacheren Suite aus dem Umfeld Bachs überfordert wären, steht wohl auf einem anderen Blatt... aber solche geschätzten hochkreativen Dilettanten meinst Du wohl nicht.

na gut, sicher schwer, ein "atonales" Intervall auf dem Klavier zu spielen...
Das auch (aber wir schaffen alles, dann wird die Kiste eben präpariert) - ich meinte vor allem, daß es unmöglich sei, ein "atonales" Intervall überhaupt zu hören. Das Gehör übt selbst aktiv eine gewisse "tonale Schwerkraft" aus: es versucht von sich aus, Ordnung zu stiften. Damit kann man als Komponist ganz bewußt arbeiten. Die Musik kann lediglich mehr oder weniger komplex - bis hin zum Chaos - organisiert sein, oder diese tonale Schwerkraft mehr oder weniger stark zu negieren versuchen. Die Hauptschwierigkeit beim Hören komplexer neuer Musik dürfte jedoch weniger in der Harmonik als in der Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit der musikalischen Ereignisse zu suchen sein, die vom Gängelband der eingeübten Konvention gelöst sind.

Aber du sprichst von Spezialisten. Der "gemeine" Hörer hat seine Grenzen.
Aber die Konzerte dieser Ensembles sind gut besucht, diese Musik hat also ihre Interessenten und Liebhaber! Der "gemeine" Klassik-Hörer kann doch die kompositorischen Vorgänge in einer Bach-Fuge genausowenig beurteilen. Ich weiß nicht recht. Die Anforderungen an Konzentration und Auffassungsfähigkeit der Hörer sind doch bei einer Messe von Ockeghem, den Fugen aus Bachs "Wohltemperiertem Klavier" oder Beethovens "Großer Sonate für das Hammerklavier" kein Stück geringer als bei einem x-beliebigem Stück Neuer Musik, eher im Gegenteil. Ist diese Musik beliebter, weil sie vertrauter zu sein scheint, und weil man sie auch als angenehmes Geplätscher an sich vorbeirieseln lassen kann?

Mir ist jedenfalls noch kein Hörer begegnet, der Musik bewußt mitempfindet und ganz auf sich wirken läßt, der nicht auch mit Werken Neuer Musik etwas hätte anfangen können. (Liebe Grüße wieder an Lilith!) Zumindest im Konzert - aber das Konzerterlebnis muß auf jeden Fall sein, auch bei der Klassik.

Ich sehe in der Entwicklung der neuen Musik eine fatale Konvergenz mit den Idealen des neuen Menschen im Kommunismus: Statt zu schauen, wie der Mensch ist, wird davon ausgegangen, wie er sein müsste (und Komponisten, genau wie Kommunisten, die dann entdecken, dass sie gar nicht so sind, wie das Dogma vorschreibt, versuchen dies zu verbergen...)
Kann sein. Man kann auch in der reihenmäßigen Zurichtung der Melodik und Harmonik in der Zwölftontechnik Parallelen zum Faschismus konstruieren wollen. Aber hier ist große Vorsicht angezeigt. Was ist künstlerisch bloß befangener Reflex, was ist kommentierende Reflektion auf das politische Zeitgeschehen? Soviel sei zugegeben: "Avantgarde" zu sein, hieß in D nach dem II.Weltkrieg in der Regel, "linksextrem" und damit totalitär gesinnt zu sein. Aber diese Zeiten sind hoffentlich vorbei?

Ich hab' mich ja noch so über Lachenmann amüsiert. "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" - unglaublich starke Musik, das nur am Rande - ist am Ende doch "große Oper", auch wenn da nicht wirklich gesungen wird. Was sich da antibürgerlich geriert, ist nur mit dem voll ausgeschöpften Apparat der bürgerlichen Institution Opernhaus realisierbar, und es springt der staatlich geförderte Renommierkomponist dabei heraus. Ist das jetzt noch "kritische Kunst" oder einfach nur dumm gelaufen?

So richtig unerträglich wird (wurde?) neue Musik ja nicht nur durch ihren Klang, sondern durch den meist völlig hanebüchenen intellektuellen Überbau, den sie mit sich rumtrug.
Der (meist pseudo-)intellektuelle Überbau ist Ballast, den man freilich abwerfen muß. Aber nochmal: das meiste klingt gar nicht so unerträglich. Wir erleben Musik doch nicht als bloßen Klang, sondern als wechselnde Spannungen. Viele neue Musik ist m.E. eher unterspannt, was dann durch kluges oder bekenntnishaftes Gerede kompensiert werden soll. Wirklich im besten Verstande des Wortes "unerträglich" (aufgrund seiner hoch konzentrierten, unauflösbaren inneren Spannung) ist wohl ein Werk wie das Violinkonzert (1936) von Arnold Schönberg, seine erste größere Komposition in der Emigration, das den Gegensatz zwischen der Zurichtung des Einzelnen im Faschismus und dem Bedürfnis des Individuums nach Freiheit technisch und hörbar in sich austrägt. Musik von der Größe hat späterhin vielleicht nur noch der Amerikaner Elliott Carter (*1908) geschrieben - da geht es dann um Bedingungen und Probleme des menschlichen Zusammenlebens in der entfesselten Demokratie.

Dagegen ist alle Heavy Musik kalter Kaffee (wenn Du mich fragst).

Schöne Grüße! :winken1:
 
Gaius schrieb:
Wo kann ich die kennenlernen? Klingt spannend.

... aber solche geschätzten hochkreativen Dilettanten meinst Du wohl nicht.
Ähem, doch eigentlich schon...:D

Das Gehör übt selbst aktiv eine gewisse "tonale Schwerkraft" aus: es versucht von sich aus, Ordnung zu stiften. Damit kann man als Komponist ganz bewußt arbeiten.
Dem hat man aber in der Zeit, als alles in Reihen organisiert wurde, wohl kaum Rechnung getragen, oder?


Die Hauptschwierigkeit beim Hören komplexer neuer Musik dürfte jedoch weniger in der Harmonik als in der Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit der musikalischen Ereignisse zu suchen sein, die vom Gängelband der eingeübten Konvention gelöst sind.
Du meinst: Es passiert zu wenig ;) ?
Du meinst, dass musikalische Strukturen erst erkennbar werden, wenn man sich für eine relativ lange Zeit in eine sehr konzentrierte Rezeptionsposition gebracht hat?
Nun, mir geht es so, dass sowieso die meisten Stücke kürzer und kurzweiliger sein dürften, auch in der Klassik...Dieses "Versenken" gelingt mir oft nicht - vielleicht bin ich auch schlicht zu hippelig...

Aber die Konzerte dieser Ensembles sind gut besucht, diese Musik hat also ihre Interessenten und Liebhaber!
Nun gut. Man klagt meistens über den Zustand der Gegenwartsmusik. Man kann aber auch einen anderen Standpunkt annehmen und sagen: Es passt schon. Warum auch nicht? Vielleicht sollte man auf Pauschalurteile verzichten oder gar konstatieren, dass es wieder besser wird?!
Es gibt eben einen großen Graben zwischen einem halbwegs fuktionierendem Konzertbetrieb und dem, was auch in "Klassik"-Radios gespielt wird (nämlich - um aufs Thema zurückzukommen - Mozart, Haydn, Schubert rauf und runter).
Ich habe auch keinen Vorschlag, wie und ob man den zuschütten soll. Womöglich gibt es woanders auch gute Spezialsendungen zu dem Thema - in Berlin kenne ich keine.
Ich weiß nicht recht. Die Anforderungen an Konzentration und Auffassungsfähigkeit der Hörer sind doch bei einer Messe von Ockeghem, den Fugen aus Bachs "Wohltemperiertem Klavier" oder Beethovens "Großer Sonate für das Hammerklavier" kein Stück geringer als bei einem x-beliebigem Stück Neuer Musik, eher im Gegenteil. Ist diese Musik beliebter, weil sie vertrauter zu sein scheint, und weil man sie auch als angenehmes Geplätscher an sich vorbeirieseln lassen kann
Gehst du von zwei Arten zu hören aus? Kann man die B-Dur-Sonate "plätschern" lassen? Zumindest ich kann sie teilweise plätschern lassen, um mich dann wieder an einer Stelle in der Aufmerksamkeit fangen zu lassen.
Ich denke schon, dass es bei nicht tonal gebundener Musik einfach länger dauert, bis sich ein Gefühl der Vertrautheit und Erinnnerung eingestellt hat. Diese Spaltung zwischen dem, was Leute zuhause hören und ich welche Konzerte sie gehen, gibt es nun mal, so zumindest meine unsystematischen Beobachtungen.

Mir ist jedenfalls noch kein Hörer begegnet, der Musik bewußt mitempfindet und ganz auf sich wirken läßt, der nicht auch mit Werken Neuer Musik etwas hätte anfangen können.
Man kann in die Leute nicht reinschauen.
Kann und darf Musik auch funktional sein? Ist sie immer funktional, auch wenn sie absolut behauptet wird? Fragen, Fragen?
Na, Hauptsache es gibt sie, die Musik.

Was sich da antibürgerlich geriert, ist nur mit dem voll ausgeschöpften Apparat der bürgerlichen Institution Opernhaus realisierbar, und es springt der staatlich geförderte Renommierkomponist dabei heraus. Ist das jetzt noch "kritische Kunst" oder einfach nur dumm gelaufen?
Das ist wohl ein grundsätzliches Problem, so auch vor allem im Theater. Der gesellschaftskritische Anspruch unter Subventionen umgesetzt - oder leistet sich die Gesellschaft ihre Narren? Auch hier die Frage nach der Funktion - ich konnte mit diesen Ansätzen nie etwas anfangen. Ich habe weder das Gefühl Theater noch Musik zu brauchen, um zu sehen, wo gesellschaftliche Probleme liegen. Eine Verarbeitung solcher Probleme ist im Roman besser aufgehoben. Ist aber auch Ansichtssache.

Für mich sollte Musik schon hörerfreundlich sein - gerade weil sie so direkt wirkt. Ich verstehe Vorwürfe der Gefälligkeit und der Unterhaltung nicht. Und selbst diese Vorwürfe setzen voraus, dass allgemein gewusst wird, was "nur" gefällig oder "nur" unterhaltend sei.
Vielleicht wird alles gut, wenn die KomponistInnen auf sich selbst hören - mein Verdacht ist eben, dass sie das Jahrzehnte lang - unter dem Druck ihrer übermächtigen Dozenten - nicht getan haben.

Wirklich im besten Verstande des Wortes "unerträglich" (aufgrund seiner hoch konzentrierten, unauflösbaren inneren Spannung) ist wohl ein Werk wie das Violinkonzert (1936) von Arnold Schönberg, seine erste größere Komposition in der Emigration, das den Gegensatz zwischen der Zurichtung des Einzelnen im Faschismus und dem Bedürfnis des Individuums nach Freiheit technisch und hörbar in sich austrägt. Musik von der Größe hat späterhin vielleicht nur noch der Amerikaner Elliott Carter (*1908) geschrieben - da geht es dann um Bedingungen und Probleme des menschlichen Zusammenlebens in der entfesselten Demokratie.
Vielleicht sollte ich mir das mal anhören. Danke für die Anregungen.
Dagegen ist alle Heavy Musik kalter Kaffee (wenn Du mich fragst).
Mir gefällt davon auch nur 0,01 Prozent.
Aber wahrscheinlich hören wir Musik verschieden. (Wie alle Menschen)

:winken1:
 
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Robin schrieb:
Ähem, doch eigentlich schon...
Tja! Es ist halt nicht jeder ein Alex von Schlippenbach, der improvisiert!


Dem hat man aber in der Zeit, als alles in Reihen organisiert wurde, wohl kaum Rechnung getragen, oder?
Unterschiedlich. Schönberg, Berg und Webern schon - da ging es ja "nur" um die Emanzipation der Dissonanz von den standardisierten Satzregeln zwecks größerer Freiheit des Ausdrucks, und die Reihentechnik diente a) der integralen (nicht: totalitären!) Verdichtung der motivischen Bezüge und b) der Organisation der Harmonik. In beiden Dimensionen sollten noch stärker als in der tonartlich organisierten Musik dieselben Gesetze gelten.

Boulez verkündete später jedoch, die Diskussion der Harmonik stünde nicht mehr auf der Tagesordnung - de facto wurden harmonische Fragen schlicht ignoriert, und der Serialismus dehnte die Reihentechnik auf Rhythmus, Klangfarbe, Dynamik und Artikulation aus. Höhere Mathematik - Verarmung der musikalischen Spontaneität einerseits. Andererseits wurde dadurch gehörsmäßig Neuland betreten, das man erst viel später, als die seriellen Dogmen gefallen waren, kompositorisch voll erobern und musikalisch ausschöpfen konnte. Stichwort "Postserialismus", der eigentlich eine Rückkehr zur Gestaltungsfreiheit der frühen Atonalität des Expressionismus der 10er/20er Jahre des 20.Jh. bedeutete.

Leider hat die doktrinäre Meinungsführerschaft der Serialisten beim Publikum das Vorurteil in den Köpfen festgesetzt, daß alle Neue Musik bloß errechnet sei. Dabei arbeiten wir heute höchstens noch mit den Geheimnissen der Fibonacci-Reihen wie weiland der alte Bach... und ein Geheimnis ist bekanntlich dazu da, nicht verraten zu werden :D. Es ist also wurscht, ob der Hörer davon etwas weiß oder nicht.


Du meinst, dass musikalische Strukturen erst erkennbar werden, wenn man sich für eine relativ lange Zeit in eine sehr konzentrierte Rezeptionsposition gebracht hat?
Ja. Oder hat sich Dir je ein spätes Beethoven-Streichquartett gleich beim allerersten Hören voll erschlossen? Mir nicht. Ich mußte Hören immer wieder neu lernen. (Zu "hibbelig" bin ich aber auch, deswegen fand ich lange Zeit fast nur an Musik Geschmack, die meine Sinne tendenziell überfordert.)
Nun, mir geht es so, dass sowieso die meisten Stücke kürzer und kurzweiliger sein dürften, auch in der Klassik...
Siehst Du, so ist das. Keine Geduld und Muße mehr, diese Jugend. Und die langsamen Sätze (Bruckner!) ziehen sich endlos und erbarmungslos dahin...


Man klagt meistens über den Zustand der Gegenwartsmusik. Man kann aber auch einen anderen Standpunkt annehmen und sagen: Es passt schon. Warum auch nicht? Vielleicht sollte man auf Pauschalurteile verzichten oder gar konstatieren, dass es wieder besser wird?!
Ja. Schlimm, diese Klagerei. Statt einfach die Musik Musik sein zu lassen, sich das herauszusuchen was einem gefällt und Schluss der Debatte. Wenn, ja wenn...
Es gibt eben einen großen Graben zwischen einem halbwegs fuktionierendem Konzertbetrieb und dem, was auch in "Klassik"-Radios gespielt wird (nämlich - um aufs Thema zurückzukommen - Mozart, Haydn, Schubert rauf und runter).
... im Rundfunk wenigstens noch ganze Werke gesendet würden, und es kompetente Einführungen in Dies und Das gäbe. Es ist darum ganz schlecht bestellt, wie Du schon sagtest. Wir haben ja das ganze klassische Repertoire noch im Radio kennengelernt und uns auf Musikkassetten gezogen. Dazu besteht heute keine Chance mehr. Nur noch Häppchen und Schnäppchen. SO erfährt man gewiß nicht, was eine Mozartsonate oder eine Mahlersymphonie ausmacht. Wie sagen wir doch gleich zu "Radio NDR Kultur?" "Radio Ende der "Kultur".


Gehst du von zwei Arten zu hören aus?
Nein, von n hoch x Arten! Was ich nur immer meine ist, daß auch die Klassik vielfach lange Vertrautheit braucht, um alles zu kapieren. Mindestens ein halbes Jahr regelmäßiger Übung habe ich - als Berufsmusiker! - gebraucht, um den Unterschieden in der Musik des 10. bis 14. Jh etwas abgewinnen zu können! Das Gehör - und das Gefühl - braucht immer Zeit, um Fremdes an sich heranzulassen oder evtl. neue Schemata zur Orientierung auszubilden. Die Zeit sollte man sich gönnen.


Kann und darf Musik auch funktional sein? Ist sie immer funktional, auch wenn sie absolut behauptet wird?
Rundheraus ja. War nie anders, wird nicht anders, und geht auch gar nicht anders. Musik ist vom Menschen für den Menschen; damit hat sie immer eine irgendwie geartete Funktion. - Das Wort von der "absoluten Musik" betraf ja auch nur a) die soziale Ablösung der Kunstmusik von der rituellen Funktion innerhalb von Aristokratie und Kirche und b) -inhaltlich- das Fehlen außermusikalischer, illustrativer Bezüge.

Richtig, die Gesellschaft leistet sich ihre Narren. So und nicht anders ist z.B. das Gerede unserer Bundesbeauftragten für Kultur zu verstehen, daß die Kunst gesellschaftlich notwendig sei, damit sie "uns" einen von uns unabhängigen *lol* Spiegel vorhalte, in dem "wir" "uns" wieder erkennen bis zur endlich erfolgten Katharsis durch unausgesetztes Geschlingensiefe. So hat Adorno das Wort von der Kunst als "Welt sui generis" aber nicht gemeint!


Vielleicht wird alles gut, wenn die KomponistInnen auf sich selbst hören - mein Verdacht ist eben, dass sie das Jahrzehnte lang - unter dem Druck ihrer übermächtigen Dozenten - nicht getan haben.
JEDER verantwortungsvolle Dozent der Komposition erzieht seine ElevInnen heute dahingehend, daß sie nur auf sich selbst und ihre innere Stimme hören sollen. Heraus kommen freischwebende Solipsisten, denen von Kritik und Gesellschaft zugemutet wird, für alle verbindliche Wahrheit zu sprechen.

Und die Dialektik sitzt in der Ecke und lacht sich schief.
:lachen: :lachen: :lachen:
 
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