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Frankreich: Kopftuchverbot - was haltet ihr davon?

Walter

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3. Oktober 2002
Beiträge
5.013
Heute abend hat das französische Parlament entschieden, für ein Jahr alle auffälligen Religionszeichen an staatlichen Schulen zu untersagen, also Kopftücher, großes Kreuz, Kippa.

Das Gesetz tritt im Herbst in den öffentlichen Schulen in Kraft. Es ist auch die Rede davon, dass jeder Entscheidung ein möglichst ausgedehnter Dialog vorangehen soll. Die Regelung sieht vor, dass die Regierung nach einem Jahr Bilanz zieht und eventuell Verfahrenskorrekturen anbringt

Die Entscheidung ist auch in Frankreich umstritten. Zitat von der Homepage des Standards (österr. Tageszeitung):

Grundsätzliche GegnerInnen der Vorlage argumentierten, das Kopftuchverbot verleihe den radikalen IslamistInneen Auftrieb. Diese hätten auch die drei Kundgebungen gegen das Gesetz organisiert. Ein Verbot allein vermöge die Situation der Millionen muslimischer EinwandererInnen nicht zu regeln. Zudem wären konsequenterweise weitere Gesetze notwendig - etwa zur Regelung des Spitalbetriebs: Ehegatten muslimischer Patientinnen verweigern bisweilen eine Untersuchung ihrer Ehefrau durch einen männlichen Arzt

Was haltet ihr davon?
 
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Das Kopftuchverbot gefällt mir sehr gut!
Die Musliminnen die nicht untersucht werden sollen, könnten sich dann ja in ihrer Heimat untersuchen und behandeln lassen. Oder sie suchen sich eine Klinik in der muslimische Ärzte praktizieren, das gibt es ja auch.
 
Klar finde ich das Kopftuchverbot gut! Da führen die Franzosen ihre Tradition der Trennung zwischen Religion und Staat im besten Sinne der Menschenrechte fort. Können die Deutschen was von lernen.
Wenn unser muslimischen Mitbürger besondere Anpassungen an ihre Religionspraktiken fordern, muss man denen sagen, dass wir erst mal die allgemeine Anpassung an unsere gesellschaftlichen freiheitlichen Grundprinzipien fordern, um besonders unsere Kinder vor angstreligiöser Suggestion und Unterdrückung zu schützen. Die Entwicklung geht mit KEINEM SCHRITT in Richtung Gottesstaat.

Und was das Argument betrifft, das könnte die terroristischen Islamisten böse machen... Als Helmut Schmidt damals der RAF um keinen Schritt gewichen war, hatte er richtig gehandelt. Und auch heute ist es richtig, den Terroristen zu zeigen, dass die Gesetze eines souveränen Volkes gerade von Terroristen NICHT ZU BRECHEN sind! Wenn du denen zeigst, dass die was erreichen können, dann legen die doch erst richtig los!

Gysi
 
Salut!

Leider schafft das Gesetz unsere Probleme nicht ab. Sie sind in der Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Armut und Ausichtslosigkeit vieler Einwanderer zu suchen. Der neu manifestierte Islamismus ist nur die Antwort auf diese Situation. Die fundamentalistische Bewegung hat politische Ziele und wurde grösstenteils importiert.
Wir hatten 10 Jahre Ruhe. Die Einwanderer, ihre Kinder und Enkel, meist nordafrikanischer Herkunft, sind zum grössten Teil Franzosen. Mit dem französischen Pass akzeptierten sie auch unsere Verfassung. Nicht nur die 200 Jahre alte Glaubensfreiheit, sondern auch das 100 Jahre alte Prinzip des Laizismus. Es funktionierte. Nicht perfekt, aber annehmbar. Es gab zwar hin und wieder eine Kopftuch-Klage, diese Einzelfälle beunruhigten aber nicht gross. Den Schülerinnen, die ein Kopftuch tragen wollten, erlaubte man meist ein Haarband, das weniger religiös gewichtet schien.
Doch 'auf einmal' veränderte sich das Bild auf unseren Strassen, häuften sich die Kopftuch-Klagen. Beizeichnenderweise wurden die Prozesskosten jeweils - oder besser meist - von fundamentalistischen Kreisen ausserhalb finanziert. Dass der Staat - als einzig zuständiger - jetzt dafür sorgt, dass französische Werte und Normen den Schulkindern vermittelt werden und nicht fremde, ist eine etatistische Tradition. Der Zusammenhalt der Gesellschaft zu bewahren, die Aufsplitterung in religiöse und ethnische Gruppierungen zu verhindern, heisst es. Das Kopftuch ist zum Symbol in einem Konflikt um eine 'französische' oder eben 'unfranzösische' Haltung und Gesinnung geworden. Schlimm genug, wird es auf den Köpfen der minderjährigen Mädchen ausgetragen. Aber m.E. gut, wenn einmal deutlich gemacht wird, dass die 'republikanischen Werte' Vorrang haben vor Sonderansprüchen Einzelner oder Gruppen. Die alteingesessene Mehrheit, die nach ihrer Verfassung lebt, muss Vorrang haben vor den Sitten der zugewanderten Minderheiten, aber vor allem geschützt werden vor fremder Einflussnahme. Jeder soll religiöse Freiheit geniessen, aber nicht im öffentlich-neutralen Raum!
Ich möchte nämlich auch nicht, dass meine Kinder in der Schule unter - egal welchem! - religiösem Einfluss stehen. Sie sollen gerade auch im Namen der Glaubensfreiheit vor jeglichem Missionierungsdruck und vor fundamentalistischer Indoktrination geschützt werden.
Dass in unserer Gesellschaft eine sehr akute Angst vor Überfremdung besteht, wurde zwar in den z.T. sehr heftigen Diskussionen nie laut zugegeben, wird sich aber m.E. bestimmt in den Regionalswahlen mit deutlicher Zunahme des Erfolgs der extremen Rechten wiederspiegeln. Das Gesetz soll sicher auch als Politikum dieser Tendenz entgegenwirken.
Der grösste Teil der 5 Mio. Muslime in Frankreich äusserte keinen scharfen Widerspruch. Viele haben sogar die Gesetzesverabschiedung aktiv unterstützt. Die prominenteste Befürworterin und Muslimin - Isabelle Adjani.
Die Demonstrationen gegen das Gesetz wurden immer weniger. Laut Pariser Polizei nahmen an der letzten nur noch 900 Personen teil. Die Veranstalter sprechen dagegen von zehntausend. Ich finde es nur grotesk.
Die Gefahr eines Religionskrieges sehe ich nicht, aber leider auch nicht, dass das Gesetz schnell zur Emanzipation der Musliminnen beiträgt, obwohl die Frauenbewegung doch langsam etwas an Kraft gewinnt. Ich fürchte eher, weil sich der Islamismus gerne als eine politische Bewegung des Widerstandes gegen autoritäre Regierungen (...) sieht und nun eine politische Niederlage erlitt, wird er mit einer Welle Gewalt reagieren. Die ersten Leidtragenden werden wieder die Frauen sein. Zuerst - wie schon so oft - die unverschleierten in den Ghettos.
Die Frage, was im Spitalwesen geschehen soll, ist noch offen. Auch da sind es meist die Männer, die ihren Frauen und Töchtern verbieten, sich von einem männlichen Arzt untersuchen lassen. Offen ist ebenfalls noch die Frage der Sikhs, denen das Ablegen des Turbans tats. durch strenge rel. Vorschriften untersagt ist.
Erfreut kann man vielleicht noch konstatieren, dass die Debatte nicht nach dem üblichen Schema Links-Rechts verlief. Die Meinungsdifferenzen gingen quer durch alle Parteien und bis auf das Zugeständnis der Überprüfung in einem Jahr, gaben im Parlament nicht die Gesichtspunkte der Opportunität den Ausschlag.
 
Original geschrieben von Jérôme
Wir hatten 10 Jahre Ruhe. Die Einwanderer, ihre Kinder und Enkel, meist nordafrikanischer Herkunft,
Oh Shit! glaubst du, dass die christliche Religion, die die Mutter des Islam ist, ein besseres Lebenskonzept für die Menschheit hat? Rede doch nicht GEGEN die Menschen, GEGEN andere Ethnien, rede FÜR sie! Ein lügenvergifteter Kulturboden tut generell nicht gut! Und schon gar nicht einer, der die Menschheit in die guten Gläubigen und die schlechten Nichtgläubigen trennt! Daher kommt doch das GIFT DES MISSTRAUENS GEGEN ALLES FREMDE! Die Franzosen trennen nicht nur den Islam vom Staat, sondern die RELIGION vom Staat! Weil die französische Verfassung ein Kind der Aufklärung ist. "Gott" sei dank! :D

Gysi
 
Salut Gisbert!

In diesem Thread dreht sich alles um 'le voile' - den Schleier - auch das islamische Kopftuch genannt. Soll mir also schleierhaft bleiben, weshalb Du aus zwei unumstrittenen Fakten bereits auf meine vermeintliche Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Unkenntnis der Begriffe schliessen darfst?

1. Dass die meisten franz. Muslime nordafrikanischer Herkunft sind, ist eine Folge der Kolonialpolitik und Geschichte Frankreichs. Ein Fakt. Ich blicke nicht mit Stolz darauf zurück, meine Haltung in dieser Frage war aber nicht gefragt, sie zu erörtern, hielt ich für überflüssig.

2. Dass wir 10 Jahre lang weitgehend Ruhe, bzw. Pause im Streit um jegliche religiöse Symbole hatten, ist eine Tatsache. Die Gründe, weshalb sich die Situation veränderte, riss ich an - es gibt noch mehr davon, war aber an dieser Stelle ebenfalls nicht sehr relevant.

Dass ich hier auf das Kreuz der Katholiken nicht spezifisch eingegangen bin, mag daran liegen, dass alle katholischen Schulen Privatschulen sind, und somit kaum als öffentlicher Raum bezeichnet werden können.
Das Verbot richtet sich gegen alle ostensiblen Zeichen der Religionszugehörigkeit. Ursprünglich wollte man sogar alle visiblen Symbole entfernt wissen.
Die Laizität gehört zum Grundbestand des franz. Staats- und Gesellschaftsverständisses. Du brauchst mir also nicht zu erklären, dass wir die Religion vom Staat trennen und nicht nur den Islam. Doch das wichtigste Argument für das Verbot war die 'cohésion' - Zusammengehörigkeit und nicht an erster Stelle die Laizität. Das Kopftuch wurde zum Symbol in einem gesellschaftlichen und ideologischen Konflikt um Haltung und Gesinnung. Es wurde zur Staatssache. Auch das ist eine Tatsache. Weshalb Du darin meine Sympathie für den Klerus zu erkennen glaubst, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Immerhin stelle ich befriedigt fest, der Vorwurf auch noch frauenfeindlich zu sein, blieb mir erspart oder zumindest wurde nicht attestiert.

Übrigens: Eine hübsche Fussnote hast Du Dir ausgesucht ;)
 
Hallo,

Jerome hat uns sowohl historisch als auch subjektiv die Gründe dargelegt, die für das Kopftuchverbot – übrigens nur auf ein Jahr begrenzt- sprechen. Ich schließe mich Deiner Beweisführung an: als Historikern und als das aktuelle politische Geschehen Verfolgende.


Aber, aber .....

In dieser Frage kann man sowohl so oder so entscheiden: für das legale Recht, für die Ausübung legaler Ideologien.

Ich denke nicht, dass der Aufschrei, der durch Europa quer durch alle Parteien geht, etwas mit der zweifelsfrei rechtlich unantastbaren Entscheidung der französischen Regierung zu tun hat, sondern mit etwas emotional viel tiefer Verankertem: Xenophobie und Verlustangst.
Die sind ebenso real wie das Verlangen junger Muslima nach „ihrem Kopftuch ( voile)“.

Und man kann eben zwei Wege wählen, das Problem zu lösen: das rein auf demokratisch gestützte Beharren auf Verfassungsmäßiges oder Verfahren, die auf Integration zielen.
Beides geschieht- beides wird erst in der näheren oder weiteren Zukunft als realisiert erscheinen.
Hier stoßen zwei Annahmen aufeinander. Europa als islamische Fundamentalistenvereinigung ( worse case) oder das Europa aller Völker in der Mannigfaltigkeit ihrer Ideologie( best case).

Kulturelle ( ideologische) Veränderungen , wenn sie „echt“ evolutionär, also nicht durch Diktaturen durchgedrückt werden (Nationalsozialismus, Stalinismus), sind äußerst lang andauernde Prozesse. Das heißt bei unserem Problem, dass keiner wirkliche Prognosen für die Zukunft stellen kann: also regieren Vorannahmen auch das politische Handeln.

Ich bin äußerst zwiespältig in der Realität. Als altes Lehrerhaus weiß ich um die organisatorischen Schwierigkeiten, die Kopftuchmädchen im Praktischen, pädagogisch durchaus Bewährten machen: Im koedukativ geführten Unterricht die Landschulwochen, Sportwochen, der Turnunterricht usw.
Es gäbe da einen Ausweg: so wie es katholische, evangelische, Rudolf Steiner und sonst welche Privatschulen gibt, könnte es auch islamische Schulen geben. Der Staat zahlt ( hier in Ö) den lehrplanmäßig vorgesehenen Unterricht, das andere muss/ müsste der Schulerhalter zahlen. Vielleicht gibt es das ja schon – ich weiß von einer deutschen Mullaschule, an der junge Muslime „ausgerichtet“ werden. Und das zeigt eben das Problem: die einen – auch ich – fürchten, dass solche Schulen immer mehr in Richtung Islamisierung gehen, dass sie vom fundamentalistischen Ausland gesteuert werden, die anderen sehen – ebenfalls zu Recht, wie mir scheint, in ihnen integrationsverhindernde Maßnahmen: ich auch!


Also lassen wir es zu, zwar nicht tatenlos – zuzusehen, was die Zukunft bringt und vertrauen wir auf die Toleranz, auf die wir Mitteleuropäer stolz sind.
Dir, Jerome, möchte ich sagen, dass die Mehrheit der Österreicher zustimmend Euer Gesetz zur Kenntnis nimmt.

Marianne
 
Original geschrieben von Jérôme
2. Dass wir 10 Jahre lang weitgehend Ruhe, bzw. Pause im Streit um jegliche religiöse Symbole hatten, ist eine Tatsache. Die Gründe, weshalb sich die Situation veränderte, riss ich an - es gibt noch mehr davon, war aber an dieser Stelle ebenfalls nicht sehr relevant.
1979 ist das einschneidendste Datum jüngerer Zeit für das, was wir heute an Religionskonflikten vom Koptuchstreit bis Al Kaida zu erleiden haben. Da kam der Ayatollah Khomeini auf Paris nach Teheran zurück. Um den Schah abzulösen. Wir (auch hier in Bremen) hatten damals FÜR den Ayatollah und GEGEN den Schah demonstriert. Eine schlimme Entgleisung, ein Irrtum erster Güte. Muss ich schon sagen... :wut3:

Gysi
 
Original geschrieben von majanna
Also lassen wir es zu, zwar nicht tatenlos – zuzusehen, was die Zukunft bringt und vertrauen wir auf die Toleranz, auf die wir Mitteleuropäer stolz sind.
Dir, Jerome, möchte ich sagen, dass die Mehrheit der Österreicher zustimmend Euer Gesetz zur Kenntnis nimmt.
Toleranz darf nicht einen Leichtsinn beinhalten, der durch die Zersplitterung der Grundwerte die Sollbruchstellen auch der minimalen Homogenität schafft, die eine Gesellschaft braucht, um sich EINE Gesellschaft zu nennen. Religionen, die ihr eigenes Wertesystem über das säkularisierte stellen, weil es gottgegeben ja mehr Wert als das menschliche ist, haben keine Förderung und auch keine Toleranz verdient! Wir haben hier schon genug Probleme mit dem Christentum. Und wenn sich hier alle Religionsvertreter mit moralischem Universalanspruch herumtummeln dürfen, dann gnade uns "Gott". :D Wer hier in Deutschland, in Europa, leben und arbeiten möchte, der sei herzlich willkommen! Aber ich erwarte von jeden Zugewanderten, dass er unser Grundwerte akzeptiert, und nicht auch noch aus seiner religiösen Eitelkeit heraus an ihnen herum rüttelt. Wer das tut, kennt ihre Geschichte und kennt und respektiert ihre Stärken nicht.

Gysi
 
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Gisbert, du scheinst überhaupt nicht zu merken, dass du uns hier Sachen erzählst, die du uns nicht erzählen brauchst.
Es geht hier nicht um Religion an sich und es geht nicht um den Schah und es geht nicht darum, andere Leute in ihrem Recht auf Religionsfreiheit zu beschneiden.
Es geht um das Tragen von AUFFÄLLIGEN Religionszeichen an Schulen.
Jérômes Beitrag und Mariannes waren weiß Gott differenziert und intelligent genug.
Dir scheint es beim Thema Religion wie dem Stier zu gehen, der darob, obwohl farbenblind, nur noch rot sieht und schnaubend in Kopftücher rennt.

Ich gebe zu bedenken: Wer ein Phänomen fanatisch bekämpft, ist genauso in dessen Banne wie der, der ein fanatischer Anhänger ist.

Einen klaren Schädel wünschend: Robin
 
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