Liebes Forum,
meiner Meinung nach herrscht unter den Menschen eine Art Konsens, dass man Kinder nicht beim Sex der Eltern zuschauen lässt. Man sollte sie auch vor dem versehentlichen hereintapsen ins elterliche Schlafzimmer schützen. Ich war ebenfalls dieser Meinung, weil ich das für selbstverständlich hielt. Dann begann ich zu denken.
Nun bin ich seit Jahren mit mir im Unreinen, weil ich nicht verstehe, wie die Natur nicht wollen sollte, dass die Kinder dabei zuschauen oder wie die Natur ausschließen will, dass die Kleinen nicht mal zufällig in die Holzhütte oder Felsgrotte der Eltern tapsen. Das kann doch mal passieren...ich verstehe nicht, wie sich die Natur das ohne Trauma und Psychiater vorgestellt hat.
Inzwischen bin ich der Meinung, dass es daran liegen könnte, dass die meisten Menschen einfach wie Tiere über sich herfallen. Sie leben Sex mit einer unglaublichen Brutalität. Wenn das Kind den Papa da auf der Mama sieht, erweckt das beim Kind den Anschein, alsob der Papa die Mama verprügelt oder gar umbringt. Genau das sind Schilderungen, die ich hin und wieder mal von Betroffenen, inzwischen Erwachsenen, höre. Das Kind versteht die Situation nicht und deutet die Regungen beider Partner so,
alsob sie mit einander kämpfen. Kämpfen! Kann das im Sinne der Natur sein? Ich möchte daran erinnern, dass wir Menschen sind...wir sind keine Tiere, die mit Sex auch Hierarchien festigen. Im Übrigen fand ich im Zusammenhang mit der Entstehung des Wortes Missionarsstellung (Mann oben), dass die Afrikaner, die dieser Stellung ihren Namen gaben, sagten, dass die Missionare (wer sonst soll das gewesen sein), den Frauen Gewalt antaten. Es soll in ihren Augen gewalttätig ausgesehen haben. Auch möglich, dass sie erstmals mit dem Sex „zivilisierter“ zutun hatten. Vielleicht ist der einfach nur brutal.
Nun frage ich mich, ob nicht unser genereller leistungsorientierter Sex in unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft, nicht eher ein schneller Konsum und ein schnelles energetisches Ventil geworden ist. Ganz und gar keine gefühlvolle, respektvolle, leise und endlose Hingabe an die Sinne und Regungen des anderen und die eigenen. Ein Tanz, bei dem man seinen Verstand verliert und miteinander verschmilzt in endloser Verbundenheit. "...Das wäre doch Kinderkram!..."
Kinderkram? Vielleicht bräuchten wir die Kinder vor diesem Kinderkram dann auch nicht explizit zu schützen?
Kann es sein, dass wir unsere Kinder nur deshalb vor dem Anblick unserer Liebesspiele schützen müssen, weil die meisten von uns Sex so gewalttätig praktizieren, dass beim Kind eine Abneigung oder ein Erschrecken entstehen MUSS? Kann es sein, dass deren Erschrecken gar nicht so groß wäre, wenn wir einfach liebevoller, sinnlicher und angst- und leistungsbefreiter mit Sex umgehen könnten? Wenn wir die Stimmen der Prister in uns vergessen könnten? (Ich muss ganz ehrlich auch sagen, dass ich das, was meine Altersgenossen als normalen Sex empfinden...als eine Schlägerei mit anschließender Siegerehrung empfinde. Krank.)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Natur es ausgeschlossen hat, dass die Kinder doch mal heimlich oder zufällig zusehn...zumal früher die Wohnkästchen noch nicht so hermetisch abgeriegelt waren wie heute. Und...weil es heute ja modern geworden ist, den Kindern Aufmerksamkeit und Schutz zu heucheln, möchte ich hier aber ernsthaft betonen, dass es mir trotzdem (!) um deren Wohl geht...nicht zuletzt, weil ich mit Opfern (von diesen verklemmten Heuchlern) zutun habe. Trotzdem möchte ich hier diese provokante Frage einstellen.
Viele Grüße
Bernd (der leider im Moment einen etwas derben Ton mit ich herumschleppt, entschuldigt bitte)