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Nacht- /Nachgedanken

AW: Nacht- /Nachgedanken

Zitath922

Sehr schön ist es zu dichten
und nach langer Zeit einmal zu sichten,
was man einst geschrieben hat.
Steht es auch auf einem anderen Blatt,
vieles ist noch heute wahr,
wenn es auch damals schon ungenießbar war.


:katze:

Genießbar sind auch faule Früchte,
wenn DUSIE oder ich sie züchte ... :nudelwalk
 
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AW: Nacht- /Nachgedanken

Memorandum - Reisebericht von West nach Ost über eine Republikflucht


Dstdt., 16.10.63​


Meine Lieben !

Ja, ja, ich weiß es wird höchste Zeit. Ihr müßt schon entschuldigen,
daß ich Euch so lange warten ließ. Hatte aber in der letzten Zeit
auch so meinen Fitz. Rosi hatte ihren Willen durchgesetzt und
war noch mit an die See gefahren. Es war für dies Jahr die
letzte Fahrt. Ich habe sie schon ausgelacht, als sie mir erzählt,
daß sie zwei Schlüpfer und drei Hemden angezogen hätte. Jetzt
ist sie froh, daß sie wieder bei mir ist. Jetzt schläft sie bei
Gretchen. Ich hoffe aber, daß sie bald bei mir schlafen kann.
Offen gesagt, etwas Ärger ich doch immer mal mit ihr.
Erzählt sie mir doch in aller Seelenruhe, daß sie ihren
schönen Rollkragenpullover hat hängen lassen und tröstet
mich, daß er sowieso zerrissen wäre. Was blieb mir
übrig. Ich kaufte ihr einen neuen. Sie meinte sie
wäre gestraft genug, sie hätte die letztem zwei Tage
und Nächte ganz schön gefroren. Dann war sie auch sooo
dumm und legt sich stundenlang an den Strand
und sieht fünf Fischern zu. Sie meint es wären
nicht mehr als zwanzig Meter gewesen. Daß sie dabei
völlig durchnäßt gewesen wäre, hätte sie gar nicht gemerkt.
Ich bin nur froh, daß sie sich nicht erkältet hat. Auf
dem Heimwege, sie ist mit dem Auto ins Heim gefahren,
haben ihr die Heimleiter einen Trainingsanzug mitgebracht.
Soll einer sich da nicht noch aufregen und da lacht sie
Seite 2
sie obendrein noch so verschmitzt. Und eben spielt man im Radio
"Das gibst nur einmal, das kommt nicht wieder". Ja, ja die Jugend.
Eine Beruhigung habe ich. Wie ich sie fragte, ob noch einmal so einen
dumen Streich machen wollte, wurde sie doch nachdenklich
und meinte, daß sie es sich überlegen würde. Aber der schöne
Hund und die großen Netze hatten es ihr angetan. Wißt
Ihr noch, wie der Blitz den Spitzbub im Fang hatte.
Und da wäre ich mit meinem Ärger fertig. Ihren Aufsatz
über ihr schönstes Ferienerlebnis möchte ich kaum glauben.
Doch auch muß ich noch schreiben, wie ärgerlich sie sein kann.
Bekommt sie so eine schöne Nagelschere geschenkt und nur
weil sie angeblich nicht schneidet, wirft sie diese ein-
fach fort. Und da soll mein erbsengroßes Magen-
geschwür heilen. Dies Mal brauche ich wenigstens
nicht im Bett liegen. Bekomme sehr gute Tabletten
und habe fünf Spritzen in die Blutbahn bekommen
und das alles mit 85 Jahren. Es geht aber schon
viel besser. Schmerzen habe ich nicht mehr. Nach-
mittags machen wir immer mal einen Spaziergang
in den Wald. Ihre Mutti geht ja noch ins Büro.
Am Freitag hatte man Rolf eine neue Stelle an-
geboten. Wenn der Prokurist nicht bei mir in die
Wohnung gekommen wäre, ich würde es nicht glauben.
Er bot ihm vier Mark, wenn das seine Schwäger
erfahren. Er hätte auch am Montag (auch) gleich
anfangen können, fängt aber erst am kommenden
Montag an. Nun ich gönne es ihm. Da können
sich sein Eltern auch bald eine Wohnung leisten.
Und nun zu Euch, wie geht es? Hoffentlich
seid Ihr wohlauf. Wenn man so jung ist,
geht doch alles leichter. Bei uns wird es so langsam
Herbst und kühl. Schreibt mir nur auch wieder
einmal. Ich lasse Euch nicht wieder so lange warten.
Bleibt schön gesund und seid recht herzlichst gegrüßt von
Eurer Tante Olga

Wortwörtlich wiedergegeben
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Memorandum
~ Sinngemäß der Brief eines Vaters an seine Kinder in der DDR. ~

Im September 1963:
Der junge Mann, er ist gerade 20 Jahre alt geworden, fährt an
die Mauer nach Berlin. Dort erkennt er die Aussichtslosigkeit seines
Vorhabens. Darum fährt er über Wittenberg, Salzwedel, an den
Arendsee.
Dort packt er alle seine Sachen in den Koffer und schickt sie an die
Geschwister.
Er selbst will an die Grenze und läuft erst einmal im Kreis, weil
schmutzig und nass doch ein neuer Versuch.
Dann an der Grenze beobachtet er den Patrouillenlauf (Zeitabstände)
der Grenzposten (Fischer) mit Hund ! Sein Glück ist das Regenwetter.
Beim Versuch den Draht zu zerschneiden scheitert die Drahtschere.
Beim durchkriechen des Stacheldrahtzaunes bleibt er mit dem Pullover
hängen und zieht ihn kurzerhand aus. Er schafft es beide Zäune zu
überwinden.
Die Grenzbeamten (Heimleiter) im "freien" Land erklären ihm, dass er
durch vermintes Land gegangen sei. Die Leuchtkugeln lassen auch
nicht auf sich warten.
Nach Befragung durch verschiedene Behörden erreicht er endlich
seine Eltern.
Die Arbeit wird ihm tatsächlich zu Hause angeboten (Arbeitskräftemangel).
4,oo Westmark damals (1963) viel Geld, mit der DDR überhaupt nicht
vergleichbar.
Herzlichst gegrüßt vom Vater (Olga)​


~ Unwichtiges habe ich weggelassen, Erklärendes hinzugefügt. ~

~
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Wer wohl hätte hier gewußt, daß Fischer mit Grenzsoldaten
oder Netze mit Drahtzäunen gemeint sind?
Ohne den Hinweis Reisebericht - Republikflucht wohl schwer.
Oder wenn 2x Oma, 2x Opa, Onkel oder Tante etwas dazu
geschrieben hätten. Wer hat was geschrieben?
Die diesen Brief erhalten haben wußten, daß da von anderer
Seite nichts kommen kann.
Die Zeit war aufregend genug.
Die einen waren in Sicherheit, durften aber nichts unternehmen,
was die anderen in Gefahr gebracht hätte.

:katze:
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Drei jahre lang im Steueramt
viele Testamente man zum lesen fand.
Da war manch Handschrift dabei
die, man sagt, Hieroglyphen ähnlich sei.
auch zu lesen schnell man verstand.
Oft der Erbe sich überwand,
hat das Schreiben nicht gleich anerkannt.
So wurde manche Frist gewährt,
wie man am Telefon gehört.
Eine Erbe, daß will gut bedacht,
schnell hat man miese dabei gemacht.

:katze:
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Ab wieviel zählt man schon als Greis (in)?
Nicht schon ab sechzig, wie ich weiß.
Auch nicht mit siebzig fühlt man so.
Doch jeder neue Tag macht froh.
Ein jeder Tag donn zählt, das weiß auch ich.
Und ist's der Tag vor Ultimo, vergißt man andre Tage nich'.

:katze3:
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Joachim Ringelnatz

Schläge

Es schlägt im Busch eine Nachtigall.
Es schlägt ein Knecht auf dem Sommerball
einen andern den Schädel entzwei.
Es schlägt eine Turmuhr Drei.

Es sagt die Nacht, wenn sie vorbei
ist:" Guten Tag!"
Es schlägt ein frischer Trommelschlag
die Schläfrigkeit zu Brei.

Es sagt der Tag, wenn er vergeht:
"Gut Nacht!" Will nichts besagen.
Schlägt alles - auch letzte Stunde - vorbei.
Doch wer sich drauf und dran versteht,
der hört in jeder Schlägerei
Herzen schlagen.

:katze:
 
AW: Nacht- /Nachgedanken

Als Wasserratte fürchte ich das Feuer.
So passiert es mir, daß ich an meiner Wärmequelle vorübergehe.

Meinen Mut habe ich schon überstrapaziert.
Für mich kein Wunder, daß man verliert.

So geht es dann auch zu, wenn es darauf ankommt,
die Hand zittert. Nicht normal!

He, so bin ich eben, ja.
Das ist normal.

Mein Wunsch ist es, mein Bestreben:
Ich möchte so gern noch leben.


:katze3:
 
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AW: Nacht- /Nachgedanken

"Bunt sind schon die Wälder",
so heißt es in einem Lied.
Ja es wird im Freien kälter,
denn der Winter erste Kreise zieht.
Schnee gab's schon auf hohen Spitzen.

Gut ist es dann schön warm zu sitzen,
in der Stube auf dem Canapee.
Auf dem Tisch Kaffee oder Tee,
wer es mag mit einem Schuß.
Leise Musik und.... :tuscheln: - pst ! - hier ist Schluß.


:katze3:
 
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