• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Liebe zu Sachen - das ultimative Weihnachtsfestthema

Philosophie als Boxkampf

Hallo Florentin

Luhmann war Soziologe. Nietzsche war Philosoph. Die beiden haben unterschiedliche Ziele.
Mancher Beobachter von Philosophie scheint diese als eine Art kognitiven Boxkampf anzusehen und ruft daher Vokabeln wie „lasch“ und „unehrlich“ in den Ring.

Traditionell ging es bei der Philosophie um Beweise und letzte Wahrheiten. Die Ziele seiner Soziologie formuliert Luhmann wie folgt:
„Von der kontruktivistischen Position aus gesehen, kann die Funktion der Methodik nicht allein darin liegen, sicherzustellen, daß man die Realität richtig (und nicht irrig) beschreibt. Eher dürfte es um raffinierte Formen der systeminternen Erzeugung und Bearbeitung von Information gehen. Das heißt: Methoden ermöglichen es der wissenschaftlichen Forschung, sich selbst zu überraschen.“

Ehrlicherweise gibt Luhmann in der Folge die Position des „objektiven“ Beobachters auf und sieht den Wissenschaftler als Beobachter von Beobachtern, der genau wie diese von der seiner systeminternen Verarbeitung von Wahrnehmung abhängig ist.
Ebenfalls sehr ehrlich sieht Luhmann seine Forschung nicht als abgeschlossenes „geniales“ Werk, sondern als ein work in progress, eine Ideenvernetzung, die immer neu aktualisiert werden muss, je nach Stand von Gesellschaft und Wissenschaftssystem.

Das Schönste an Luhmanns Soziologie ist wohl nicht der blinde Fleck. Das wäre doch etwas vermessen zu behaupten angesichts eines Gesamtwerks von ca. 70 Büchern, die sich mit praktisch allen Bereichen der Gesellschaft auseinandersetzen...

Ich sehe an dem Begriff nichts unehrliches (wenn ich überhaupt wüsste, was das Wort hier soll). Ein Satz von Luhmann lautet: Die Welt ist unsichtbar. Denn die Welt besteht genau in diesem blinden Fleck, der Beobachtung erster Ordnung. Das Paradox, dass sie nicht beobachtbar ist, wird aufgelöst durch die temporale Verschiebung der Beobachtung der Beobachtung. Und dann stellt sich ganz automatisch eine unendliche Kette von Operationen ein, die das System schließt. Dieses dann autopoietische System ist etwas ganz anderes als ein Subjekt. Man kann diese Begriffe nicht austauschen, ohne dann auch von Operationen und System/Umwelt Unterscheidungen zu reden. Dieses Beobachten ist dann auch nicht „an sich seiend“. Das wird nicht behauptet, bzw. ist in diesem Fall wohl nicht begriffskompatibel.
Das Beobachten ist dann natürlich auch etwas anderes als das cogitare.
DASS Beobachtungen stattfinden wird doch wohl nicht bestritten werden? Sonst könnte sich weder Nietzsche noch ein Alligator in der Umwelt zurechtfinden.

Was die andere Seite der Beobachtung betrifft. In der Beobachtung zweiter Ordnung kann man, dank des Spielraums der Zeit, die Seite auch wechseln und das beleuchten, was vorher die andere Seite war. Aber natürlich nur unter Erzeugung neuer Unsichtbarkeiten. Das ist nicht unehrlich sondern einfach das Eingeständnis der Begrenztheit von Wahrnehmung.

Wo steht das, dass Luhmann die Umwelt eines Systems für „offen“ hält? Hier liegt wohl ein semantisches Missverständnis vor.
Tatsache ist einfach, dass alles, was nicht zum System gehört (also alles außer den systeminternen Operationen) nicht erreicht werden kann. Die Umwelt wirkt nur als Irritation auf das System ein (oder strukturelle Kopplung). Aus Sicht des Systems kann die Umwelt nur kontingent sein, weil es dort keine Grenzen oder Unterscheidungen setzen kann. Das ändert aber nichts daran, dass man in der Theorie davon ausgeht, dass auch in der Umwelt eines Systems geschlossene Systeme existieren. So gehört das Individuum für die Gesellschaft zur Umwelt und vice versa.


„Zur Liebe zu den Sachen fällt mir ein: Liebt man denn jemals anderes, als eine Sache?“

Hier müsste erst mal wieder geklärt werden: Welche Liebe meinst du nun: Liebe als Gefühl oder als Code?
Wer liebt, der kann bei einer Person Herzklopfen bekommen, aber seine Hormone können auch in Wallung geraten, wenn er einen Laternenpfahl sieht und er seine Brille vergessen hat. Man kann sich per Internet verlieben, aber auch auf ein Programm hereinfallen, dass romantische Mails generiert. Die affektive Liebe kann die von dir verlangten Unterscheidungen nicht treffen. Man liebt einfach.

Die Liebe in der Kommunikation kann natürlich unterscheiden zwischen Personen und Dingen. Allerdings ist sie überfordert damit, ständig zu beweisen, ob sie einer Person oder einer Funktion oder einem Bündel von Funktionen gilt.
Das Problem löst sich, wenn man der Systemtheorie folgt:
Demnach kommunizieren nämlich nicht Personen miteinander sondern Kommunikation kommuniziert mit Kommunikation. Die Liebe muss dann immer zweifach kontruiert werden: Als Kommunikation (für die daran teilnehmenden Personen) und als Gefühl (für das liebende Individuum). In jedem Fall ist das Geliebte dadurch immer eine Konstruktion...aber das stört den Liebenden nicht...solange er dennoch differenzieren kann.

Liebe Majanna.

Es freut mich, wenn du dich für Luhmann interessierst. Als Einsteigerwerke empfehle ich. „Die Realität der Massenmedien und „Liebe als Passion“.
Wenn du „Liebe als Passion“ bei Amazon aufrufst, müsste da immer noch eine Kundenrezension von mir stehen (die dann später, das sage ich nicht ohne Stolz, von irgendeinem Internetlexikon der philosophischen Werke als Beschreibung übernommen wurde).

Einen schönen Advent
 
Werbung:
Re: Philosophie als Boxkampf

Original geschrieben von Robin

Luhmann war Soziologe. Nietzsche war Philosoph. Die beiden haben unterschiedliche Ziele.
Mancher Beobachter von Philosophie scheint diese als eine Art kognitiven Boxkampf anzusehen und ruft daher Vokabeln wie „lasch“ und „unehrlich“ in den Ring.

Traditionell ging es bei der Philosophie um Beweise und letzte Wahrheiten. Die Ziele seiner Soziologie formuliert Luhmann wie folgt:
„Von der kontruktivistischen Position aus gesehen, kann die Funktion der Methodik nicht allein darin liegen, sicherzustellen, daß man die Realität richtig (und nicht irrig) beschreibt. Eher dürfte es um raffinierte Formen der systeminternen Erzeugung und Bearbeitung von Information gehen. Das heißt: Methoden ermöglichen es der wissenschaftlichen Forschung, sich selbst zu überraschen.“

Ehrlicherweise gibt Luhmann in der Folge die Position des „objektiven“ Beobachters auf und sieht den Wissenschaftler als Beobachter von Beobachtern, der genau wie diese von der seiner systeminternen Verarbeitung von Wahrnehmung abhängig ist.
Ebenfalls sehr ehrlich sieht Luhmann seine Forschung nicht als abgeschlossenes „geniales“ Werk, sondern als ein work in progress, eine Ideenvernetzung, die immer neu aktualisiert werden muss, je nach Stand von Gesellschaft und Wissenschaftssystem.

Lieber Robin

Tja, mit den Begriffen "unehrlich" und "lasch" wollte ich wohl provozieren und schäme mich nun beinahe dafür. Entschuldige bitte.

Doch du bestätigst meine Argumentation ja eigentlich selber. Eine Forschung nicht als "abgeschlossenes Werk" zu betrachten, "eine Ideenvernetzung, die immer neu aktualisiert werden muss", das ist bereits ein Schnitt, eine Zäsur, eine Isolation eines Moments und somit eine hohe Wahrheit. Luhmann formuliert seine Ziele, bestimmt Zwecke und setzt somit ein Axiom voraus, welches ich zu bezeichnen versucht habe. Ich denke nicht, dass der Verweis auf die Subjektphilosophie unangebracht war. Es mögen sich die Begriffe verschieben, aber die Logik, die Logik des Logos, bleibt dieselbe. Mein Einwand: So "hochmodern" kann diese Philosophie (!) nicht sein, man müsste sich da eines sehr problematischen Geschichtsbegriffes bedienen, um diesen Satz unantastbar für sich stehen lassen zu können.

Eben die Position des "objektiven" Boebachters gibt Luhmann aber deswegen nicht auf! Wenn er sie aufgegeben hätte, wäre er zum Schweigen verdammt gewesen. Luhmann kann das Paradox, die Unmöglichkeit der Beobachtung der Beobachtung gar nicht denken. Er kann auch nicht denken, dass sein Werk bis in alle Unendlichkeit weiterkonstruiert wird, da ihm dazu wohl die Zeit gefehlt haben wird. Deswegen lohnt es sich nach wie vor, sich mit Nietzsche zu beschäftigen...

Ich habe übrigens nie bestritten, dass sich in der "Umwelt" nicht auch andere Konstrukte namens "Systeme" befinden könnten. Das Problem dieser "Systeme" ist nur: Auch sie definieren ihre "Systemhaftigkeit" über eine Umwelt. Wir haben es also wiederum mit einer "unabgeschlossenen" Kette von binären Codes zu tun, die zum Zweck der Verwissenschaftlichung abgeschlossen werden.
Ich empfehle die Lektüre des Vorworts zu Hegels "Phänomenologie des Geistes". Hegel behandelt dort dieses Problem, - ohne es wirklich überwinden zu können, auch wenn er es "aufgehoben" wissen möchte.

Zur Liebe: Kann man denn wirklich Qualitäten von Liebe so leichtfertig unterscheiden? Mittels "sinnlicher" oder "intelligibler"-empirischer Merkmale trifft man zwar gemeinhin Unterscheidungen, jedoch schleicht sich auch hier (sogar v.a. hier) die Problematik des "Satzes vom Grund" ein. Qualitäten lassen sich mit Sicherheit unterscheiden, wenn sich ein Ursprung und ein Ende finden lassen, die die Skala der Differenzen überhaupt erst ermöglichen. Da sich der Satz aber de-konstruiert, können wir nicht von einer sicheren Basis sprechen, um Qualitäten der Liebe mittels der von dir aufgeführten Merkmalen zu unterscheiden.

Deshalb stellt sich immer noch die Frage: Ist Eine/r zur Liebe zu einer/einem Anderen fähig, ohne das Ideal der Liebe, die absolute Liebe zu einer/einem Anderen als absolut Fremdes, immer schon verunmöglicht zu haben? Oder wird deswegen immer nur ein Ding geliebt, eines, das vom Einen her- und vorgestellt wurde und deswegen nie als Ding (als Ding) erfahren werden kann?

Wünsche einen schönen Adventssonntag!
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben