• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Joachim Ringelnatz

Miriam schrieb:
Der Poet und die Kachel
Doch ist dies nur die halbe Wahrheit,
Bevor er schreibt, um zu gewinnen Klarheit
Stets zu ner Kachel an der Wand er schaut,
Die zwinkert ihm dann zu, so ganz vertraut​

Kachel, Kachel an der Wand,
so frag ich nach Wohl und Wehe,
wenn ich in das Forum gehe.
„Ist der Vers auch int´ressant?“​

Ringelnatz 1910:

Wenn dir Melodien
liebe Stunden wiederbringen,
laß mit freien Schwingen
deine Sehnsucht ziehn.

Nimm das Glück wie einst,
das dir Träume gütig spinnen,
laß die Tränen rinnen,
wenn du weinst.

Birg nicht Lust noch Gram,
nur der Reine fühlt aufs Neue.
Steht doch Herzenstreue
über aller Scham.
 
Werbung:
Erstmal dichten lassen:

Der Unfall

Es sprach das Gehirn erschüttert
zur Nase: "Du blutest stark!"
Es sagte der Hut verbittert:
"Ich bin total zerknittert
und war auf Seide gefüttert
und kostete dreißig Mark!"
Es sagte das Auge verschwommen:
"Ich fühle mich wieder frei.
Das Ganze wird uns gut bekommen;
das Herz ist nicht entzwei!"

Das Herz sagte: "So was kommt vor.
Vor allem aber lebt unser Humor,
und deshalb werde ich nun
in eurem Namen Gott inig danken,
wie das die Erschreckten und Kranken -
leider fast nur die - tun!"​
 
Auf dem Kirchhof

Dort ruhen sie unter den bunten Hügeln.
Unsere Augen sehen sie nimmer erwachen.
Auf den Mauern hockt mit gebrochenen Flügeln
das Lachen.​
 
Mal auch ein Prosastück von Ringelnatz:

Schlangenbändiger

Alle Mann an Bord, ihr Mühseligen und Geladenen, in meine himmlisch verschwimmende Hafenkneipe, komme, wer ein Gelüst hat auf Lust, in See zu stechen und anderswo. Verlasst den schwankenden Boden der Nüchternen, und kommt in das undichte Boot meiner Dichtung .... Kommt, ihr Sehleute (ein Blick ins Glas gibt mehr Sehschärfe als das beste Scherenfernrohr), und dann zwei Blicke ins Leben: einer von oben herab, vom Mastkorb, und einer von unten, auf die Planken hingestreckt, kühn der Zeit unter die Röcke geblinzelt. Lasst uns eins zwitschern wie die Nachti-Galle, dass es an Herz und Nieren geht, ins Auge, und meistens ans Zwerchfell .... Dies sagt euch der Ringelnatz, erfahren in allen Untiefen und in mehr als dreißig Berufen, darunter: Schlangenbändiger ...

Ringelnatz

 
Ringelnatz hat an seinem 37.Geburtstag Muschelkalk geheiratet.
An diesem Tag las er seiner Frau das Gedicht " Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument" vor.
In diesem Gedicht beschreibt er sehr gut sein Wesen:

Ich bin eine alte Kommode.
Oft mit Tinte oder Rotwein begossen;
Manchmal mit Fußtritten geschlossen.
Der wird kichern, der nach meinem Tode
Mein Geheimfach entdeckt. -
Ach, Kind, wenn du ahntest, wie Kunitzburger
Eierkuchen schmeckt!

Das ist nun kein richtiger Scherz.
Ich bin auch nicht richtig froh.
Ich habe auch kein richtiges Herz.
ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk.
Mein richtiges Herz. Das ist anderswärts, irgendwo
Im Muschelkalk.
 
Freude

Freude soll nimmer schweigen.
Freude soll offen sich zeigen.
Freude soll lachen, glänzen und singen.
Freude soll danken ein Leben lang.
Freude soll dir die Seele durchschauern.
Freude soll weiterschwingen.
Freude soll dauern.
Ein Leben lang.
 
Ach Ringelnatz, verzeih, dass ich dir ins Wort falle...

Die Freude kann nicht immer bei uns weilen,
Wär' es denn so, wir würden sie ja nicht erkennen...
Und kommt die Freude doch zu uns bisweilen,
Dann scheuen wir uns fast, sie zu benennen.

Wir haben Angst, wir könnten sie verjagen,
Wenn dieses Wort wir offen würden sagen ...
Doch ist die Freude treu und kommt zurück -
Und kommt sie sogar öfter, dann ist' s Glück...
 
und noch einmal für Muschelkalk

Heimliche Stunde

Ein kleiner Spuk durch die Dampfheizung ging.
Keine Uhr war aufgezogen.
Ein zu früh geborener Schmetterling
kam auf das Schachbrett geflogen.

Es ging ein Blumenvasenblau
mit der Sonne wie eine Schnecke.
Ich liebe Gott und meine Frau,
meine Wohnung und meine Decke.​
:cool:
 
Aus:Turngedichte

Freiübungen
(Grundstellung)
Wenn eine Frau in uns Begierden weckt
Und diese Frau hat schon ihr Herz vergeben,
Dann (Arme vorwärts streckt!)
Dann ist es ratsam, daß man sich versteckt.
Denn später (langsam auf den Fersen heben!)
Denn später wird uns ein Gefühl umschweben,
Das von Familiensinn und guten Eltern zeugt.
(Arme – beugt!)
Denn was die Frau an einem Manne reizt,
(Hüften fest – Beine spreizt! – Grundstellung)
Ist Ehrbarkeit. Nur die hat wahren Wert,
Auch auf die Dauer (Ganze Abteilung, kehrt!).
Das ist von beiden Teilen der begehrtste,
Von dem man sagt: (Rumpfbeuge) Das ist der allerwertste.



 
Werbung:
Aus: Turngedichte

Zum Bockspringen
(Nach einer Fabel Ae-sops)​
Wie war die Geschichte mit Bobs Wauwau?
Ich erinnere mich nicht ganz genau,
Ob dieser Hund Bobs
– Eins, zwei, drei – hops! –
Ob dieser Hund ein Rebhuhn gebar?
Auf welcher Seite er schwanger war,
Und inwiefern und ob's
– Eins, zwei, drei – hops! –
Ein Dackel war, der das Rebhuhn erzeugte,
Und ob er das arme Geflügel dann säugte. –
Ich glaube, der Dackel war ein Mops. –
– Eins, zwei, drei – hops! –
Jedenfalls fraß er zu jedermanns Ärger
Nur Wickelgamaschen und Königsberger,
Auch Danziger Klops.
- Eins, zwei, drei – hops! –
Ein seltsamer Mops war Bobs Wauwau. –
Eins, zwei, drei – hops! – au! au!



 
Zurück
Oben