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Die Vermondung der Erde als Ziel der Menschheitsgeschichte?

Chris M

Well-Known Member
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2. November 2014
Beiträge
3.728
Angesichts der derzeit aktueller denn je erscheinenden Gefahr eines atomaren Weltkrieges ist mir das legendäre Buch Das Untier von Ulrich Horstmann wieder einmal in den Sinn gekommen.

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Ulrich Horstmann, der seit 1976 neben wissenschaftlichen Arbeiten auch Essays, Romane, Theaterstücke und Übersetzungen aus dem Englischen veröffentlicht, wurde im Jahr 1983 bekannt durch seine Abhandlung "Das Untier", in der er eine dem friedensbewegten Zeitgeist jener Jahre diametral entgegengesetzte philosophische Position vertrat: Er propagierte eine Perspektive der „Menschenflucht“, aus der die Selbstauslöschung der Menschheit mit Hilfe des angehäuften Atomwaffenarsenals als Zielpunkt der (Kultur-)Geschichte erschien. Die Veröffentlichung veranlasste das „Neue Deutschland“ zu der besorgten Anfrage, „wann Professor Horstmann seinen Nervenarzt zuletzt konsultiert hat“.

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In diesem Werk, welches durchaus auch als Satire gelesen werden kann, wird die "Vermondung der Erde" als Ziel der Geschichte ausgerufen. Hier ein direktes Zitat aus dem Buch:

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"Die Geschichte des Untiers ist erfüllt, und in Demut harrt es des doppelten Todes - der physischen Vernichtung und des Auslöschens der Erinnerung an sich selbst. Kein Überlebender wird sein Gedächtnis bewahren, keine Sage wird von den Prüfungen berichten, die es heimsuchten, die Qualen benennen, die es litt, um der großen, der universalen Erlösung willen.

Über dem nackten Fels seiner Heimat aber wird Frieden sein, und auf den Steinen liegt der weißen Staub des Organischen wie Reif. Das Reißen und Schlingen, das Zermahlen und Ausbluten, das Stechen und Kröpfen, dieser ohne Unterlass wütende Bürgerkrieg alles Lebendigen ist nie gewesen; und der Geist, der sich endlich aufgesetzt hat über den Hinterläufen und bei sich beschloss, dass es genug sei, ist zu seinem eigenen Hirngespinst geworden. In einem Feuerwerk ohnegleichen ist er untergegangen, und mit dem Aufsteigen der letzten Rakete sind die Spuren getilgt, die ein Einzeller in Äonen hinterließ und die das Antlitz der Erde furchten wie sonst nur Gletscher und Glaziale.

Den Nachruf setzt die anthropofugale Vernunft zu Lebzeiten auf, und billigerweise wird er seine Urheberin nicht überdauern. Doch die Materie ist großmütig und hat uns von Urbeginn ein Mahnmal an den Himmel gerückt, das uns fürderhin zugleich zum kosmischen Grabstein und Triumphbogen taugen soll: Nacht für Nacht steigt der Mond über den Horizont und stellt uns in schroffer und makelloser Schönheit die irdische Nachgeschichte paradiesisch vor Augen. Ermannen wir uns! Überführen wir sein transzendentales Ideal in die sublunare Wirklichkeit! Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten! Denn nicht bevor die Sichel des Trabanten sich hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden."
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Horstmann präsentiert sich in seinem Buch als der "Vollstrecker Schopenhauers", aber ich persönlich glaube nicht, dass das Buch ernst gemeint war. Ich denke, dass es sich dabei um eine Satire handelt, aber eine sehr, sehr schwarzhumorige und ausgeklügelte Satire. Das Grundargument des Buches ist durchaus nachvollziehbar. Leben ist Leiden und die Natur befindet sich schon immer in einem ewigen Kampf mit sich selbst, das hat Schopenhauer ja wie kein Zweiter beschrieben. Horstmann argumentiert nun, dass der Mensch und somit die menschliche Geschichte, einen ganz bestimmten Sinn hat, nämlich dem Leiden auf der Erde ein Ende zu machen. Und zu diesem Zweck hat der Mensch angefangen Kriege zu führen, was ja nur eine Fortsetzung des Kampfes in der Natur ist, eben das oben zitierte:

...Reißen und Schlingen, das Zermahlen und Ausbluten, das Stechen und Kröpfen, dieser ohne Unterlass wütende Bürgerkrieg alles Lebendigen...

wird vom Menschen auf die Spitze getrieben, indem er sich selbst bekriegt und bekämpft. Und hier haben wir schon das Symbol für die Selbstauslöschung. Anfangs prügelte man sich mit Steinen und Knochen zu Tode, dann wurden Speere, Pfeil und Bogen und Schwerter erfunden, dann Pistolen und Gewehre, dann Bomben und Raketen und schließlich wurde "das ABC der Massenvernichtung durchbuchstabiert" in dem man atomare, biologische und chemische Kampfstoffe entwickelte. Das alles zu einem Zweck: Die Erde in einem gigantischen Inferno zu vermonden.

Ich denke, das Buch hat, obwohl es eine Satire ist, einen tiefen Zweck: Nämlich uns die Frage zu stellen, was denn an einer vermondeten Erde so schlimm wäre. Die Antwort lautet nämlich: Gar nichts. Wo nur noch "Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht" gibt es kein Leiden mehr, keinen Kampf mehr, keine Kriege mehr. Genau so wenig wie das Universum jetzt die nicht existenten Marsianer bräuchte, genau so wenig braucht es uns Erdenbewohner. Und wenn man sich die menschliche Geschichte anschaut, dann ist auch der Gedanke, dass die unzähligen Kriege, die geführt wurden und werden, eine Vorbereitung auf den letzten großen Krieg waren und sind, durchaus nachvollziehbar. Zum Abschluss noch ein weiteres Zitat aus dem Buch:

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"Die bitterste aller Wahrheiten - dass wir im Grunde etwas sind, das nicht sein sollte - ist immer noch verfemt. Daran haben die Massengräber nichts zu ändern vermocht, nicht die Hekatomben von erschlagenen, aufgespießten, zerhackten, erschossenen, von Bomben zerfetzten, vergasten, zerstrahlten oder sonstwie mit patriotischem Elan vom Leben zum Tode beförderten Gattungsgenossen, die endlosen Feldzüge, Gemetzel, Völkerschlachten und Ausrottungskampagnen nicht, die Vernichtungslager nicht und auch nicht die Feuerstürme in den Städten. O nein, dieses Wesen, das das Tierreich in einen Schlachthof verwandelt hat und die Flora entweder ausmerzt oder unter seine chemische Knute zwingt, das in Strömen eigenen und fremden Blutes zu waten gewohnt ist und sein Heimatrecht auf diesem Planeten längst verwirkt hat, dieses Wesen denkt gar nicht daran, sich in Frage stellen zu lassen, sondern wippt auf den Hinterläufen und bestätigt sich, von Symposion zu Symposion eilend, seine Unverzichtbarkeit und eine unverwüstliche Humanität, die zu den schönsten Erwartungen Anlass gebe.
Die anthropofugale Vernunft weiß es besser. Und allein die Tatsache, daß keine Hoffnung mehr ist, vermag sie hoffnungsfroh zu stimmen."
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Dazu, womöglich zur noch besseren Einordnung (?), aus meinem Fundus: „Horstmann schrieb neben seinen zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen Hörspiele, Essays, Prosa, Lyrik und Theaterstücke. Er selbst sieht sich als halber Literat, [ein] halber Philosoph, [ein] halber Philologe. - In der Sekundärliteratur wird betont, Horstmanns Werke inszenieren apokalyptische Situationen. Die Menschheit steuere zielstrebig auf ihr eigenes Ende hin und statt zu versuchen es abzuwenden - was uns nicht gelingen kann - sollten wir lernen, es als sinnvoll zu interpretieren. Hoffnung zeigt Horstmann in seinen Werken nicht im Geringsten. Lessing und Schopenhauer bilden dabei die philosophische Basis für seine Katastrophenthematik, und die Menschheit hat inzwischen die technischen Möglichkeiten, dem eigenen irdischen Elend ein Ende zu bereiten. - Horstmanns Fazit: Lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende.“
 
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