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Die Karma Kommission

xcrypto

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28. März 2008
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Die Geschichte ist nicht von mir, sondern von addblue, aber faszinierend ist sie trotzdem, daher poste ich sie mal:

"Und, was haben Sie aus Ihrem Leben diesmal gemacht?"

Mit gesenktem Kopf stand A. vor den Hohen Mächten. Während ihres Lebens hatte sie natürlich nicht gewusst, dass sie reinkarniert würde, dass sie diesen ganzen verdammten Quatsch schon x-Mal mitgemacht hatte. Aber kaum war sie dem Irdendasein entglitten, traf es sie wie ein Hammerschlag. Die Kommission!

Sie hatte es lange aufgegeben, die Regeln verstehen zu wollen, nach denen ausgewählt, reinkarniert, Lebensaufgaben zugeteilt wurden. Tatsächlich war das ganze eine Art intergalaktischer Lotterie und wenn man Pech hatte, erwischte man die falsche Zuteilung. Musste wohl Karma sein, dachte sie zynisch bei sich, während der Protokollführer, ein gleichmässig pulsierendes Leuchten in allen Chakrenfarben, ihre Akte durchging.

Wie aus der Ferne bekam sie Fetzen mit.

"... in Summe 6 Jahre krank... hat sich feige vor ihren Aufgaben gedrückt..." Von der anderen Seite den Einwurf: "Aber sie hat auch einigen Leuten durch ihren Lebensweg geholfen, dabei Lebensenergie abgegeben und sich selbstlos gezeigt." - "... Vergeudung kreativen Talents... nicht genutztes Potenzial und Intelligenz..." - "...zerbrochene Lebenspartnerschaft ... antifamilär, keine Kinder..."

Deutlich spürte sie, wie die Kommissionsmitglieder ihren Fokus auf sie richteten, und sie hob den Blick, der in eine graue Unendlichkeit geschaut hatte.

"Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzugeben?" herrschte das Chakren-Pulsieren A. an.
"Nichts." sagte A. schlicht. Es stimmte doch alles, Jahre ihres Lebens hatte sie damit zugebracht zu lesen. Nutzloses Wissen anzuhäufen. An die Wand zu starren. Dem Leben aus dem Weg zu gehen. Ihren Körper zu vernachlässigen. Entscheidungen zu meiden. Alles in Frage zu stellen. Und sie war nicht so töricht, dafür irgend etwas als Entschuldigung gelten zu lassen. Es war ihre Schuld. Ganz allein ihre. Sollte sie anfügen, dass sie gute Freunde hatte, dass diese Freunde sie als wichtigen Bestandteil ihres Daseins betrachteten? Das stand sicher in der Akte; direkt unter "sozialphobisch, geht Menschen aus dem Weg, verweigert Aussöhnung, stur".

"Nichts?" Entsetzen schwang in der Emanation mit. "Es könnte Ihnen wenigstens peinlich sein."

"Es war mir ein ganzes verdammtes Leben lang peinlich." erwiderte sie fast trotzig. "Ich hab mir weder dieses Leben noch diesen Körper noch disen Geist ausgesucht. Ich bin wie ich bin, aber das werdet Ihr wohl nie kapieren."

Belustigung wehte ihr von irgendwoher entgegen. Eine weitere Stimme, die sie irgendwie als weiblich empfand, obwohl sich hinter dem tiefdunkelroten Wabern sicher ein Etwas verbarg, das weit über jegliche Geschlechtlichkeit hinaus war, bemerkte: "Aber sie weiss wer sie ist. Sie steht zu sich selbst. Sie lässt sich nicht mal von uns klein kriegen, das sollten wir schon honorieren."

"Dass sie sich weigert sich weiterzuentwickeln?"

"Und mit welchem Recht meint Ihr mir vorschreiben zu können, wie wann und wo ich mich zu entwickeln oder wie ich mein Leben zu führen hätte?" begehrte A. nun auf.

"Mit dem Recht derer, die angekommen sind." sagte das rote Wabern sanft, aber unnachgiebig.

"Ihr mich auch." gab A. zurück. Langsam war es ihr egal. Wie auch schon das letzte Mal.

"Schon wieder dieses Aufbegehren..." bemerkte das Chakrenwesen tadelnd.

"Ja was denn nun? Soll ich mich einfach allem anpassen und zu allem Ja und Amen sagen? Brav einfach Eure Werte fressen und die angepaste Schülerin geben? Und das soll dann Selbst entwickeln sein? Sag's nicht... jetzt kommt der Sermon von der großen allem innewohnenden Wahrheit und dass ich sie nur erkennen müsse... jaja das haben sie auf der Erde auch dauernd erzählt. Ihr seid anscheinend etwas realer, aber das ist auch schon alles. Na los, schickt mich wieder zurück."

A. war es so müde. Sie hatte diese Diskussion schon so oft geführt. Und sie hatte sie so satt.
"Und das nächste Mal möchte ich mit einer Norne oder einer Muttergöttin sprechen, könntet Ihr das bitte in Eure verdammten Akten aufnehmen?" Scheiss Bürokratie.

Ein elektrisches Knistern ging durch die Luft, während sich die Entitäten beratschlagten. A. zuckte die Achseln. Das Ergebnis war immer das Gleiche ... ein weiteres Leben. Eine weitere Chance sich zu bewähren und sich den Zugang in die höhere Existenzebene zu erwerben. Zu erkaufen. Es war ihr egal - wenn nur das Leben nicht immer so anstrengend, ermüdend, und deprimierend gewesen wäre. Wie sollte sie angesichts dieser äonenalten Müdigkeit je aus dem Teufelskreis rauskommen? Natürlich... sie musste sich nur mehr bemühen, sich härter anstrengen...

"Antrag abgewiesen." Mit einem Knallen schlug ein Blitz vor A. ein. "Das Urteil lautet Reinkarnation als Mensch."

A. ergab sich in ihr Schicksal, Tief in sich drin wusste sie, dass es nie funktionieren würde. Sie war unfähig, zu leben was von ihr erwartet wurde. Sie war nicht gut genug. Nicht lebendig genug. Nicht tot genug. Nicht schön genug, erfolgreich genug, motiviert genug, angepasst genug, Mann genug, Frau genug, Mutter genug, Kind genug. Schüler genug, Lehrer genug, Künstler genug, Denker genug, Arbeiter genug. Nicht überragend genug, aussergewöhnlich genug, energiegeladen genug. Nie genug.
Try harder. And fail again.

Pull the cosmic trigger.
 
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