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Das Böse - moderne Dämonen

Hallo Claus,

ich versuche über deinen Beitrag nachzudenken - und stelle nochmals fest, wie schwer dieses Thema ist.
Dass die Videohersteller aber auch das Fernsehen sich oft sehr gefährliche "Freiheiten" erlauben (wenn möglich unter Berufung auf Gedankenfreiheit), ist gewiss. Dass da eine viel strengere Selbstkontrolle und auch Kontrolle stattfinden muss, ist zweifelsohne. Dies würde ich gar nicht Zensur nennen. Aber ich bin sehr skeptisch, dass uns dies sehr viel weiter bringen würde.

Ich denke da an all die Grausamkeiten, die in Ruanda geschehen sind, oder an den Sudan (Darfour), natürlich in erster Linie an den zweiten Weltkrieg und die Greueltaten der Nazis. Auch die Grausamkeiten die unter Stalin, oder unter Mao Tse-Tunk geschehen sind, sollten hier erwähnt werden.
Ich habe dir Beispiele genannt, bei denen Videofilme oder Fernsehen sicherlich keine Rolle spielen konnten. Leider könnte man da fortfahren - und weitere Beispiele aufzählen.

Hier möchte ich die Feststellung von Harald Welzer - Sozialpsychologe - einbringen:

"Vergleichbar bei Massenmorden ist, dass die Täter keine richtige Vorstellung davon haben, wie das Ganze vor sich gehen soll, aber sehr schnell beginnen Probleme zu lösen. Es beginnt ein Prozess des Professionalisierens, der sehr schnell in Arbeit übergeht und dadurch gar nicht den Charakter des ganz grauenhaften Bösen, des Außerirdischen bekommt, so wie es uns aus der Außenperspektive erscheint. Stattdessen ist es eine Arbeit, an die man sich gewöhnt, und wo man mit denselben Problemen konfrontiert wird, wie an anderen Arbeitsplätzen auch."

Ist das nicht auch bei Eichmann so gewesen? Dass dabei Hannah Arendt über "Die Banalität des Bösen" sprach, eine grosse Kontroverse damit auslöste, darüber möchte ich ein anderes mal noch schreiben. Aber dass das Böse eben durch seine Banalität, seiner Alltäglichkeit erschreckend ist, das bleibt eine gültige Feststellung.
 
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Miriam schrieb:
"Vergleichbar bei Massenmorden ist, dass die Täter keine richtige Vorstellung davon haben, wie das Ganze vor sich gehen soll, ...
Ist das nicht auch bei Eichmann so gewesen? ...
Aber dass das Böse eben durch seine Banalität, seiner Alltäglichkeit erschreckend ist, das bleibt eine gültige Feststellung.

es ist sicherlich bei eichmann und seinen helfern so gewesen, bei den mordbanden stalins und den henkern maos. diese liste liese sich nahezu unendlich fortsetzen - von beginn der geschichtsschreibung bis hin zu dem us-bomberpilot der irakische städte und zivilisten "vernichtet" hat.
aber: wir sollten dabei die unterschiedlichen historischen und kulturellen aspekte nicht vernachlässigen. wir haben hier zum einen den gebildeten "beamtentyp", den technokraten vom typ eichmann, der leidenschaftslos versucht eine ihm übertragene aufgabe "perfekt" zu lösen - aufgewachsen in einem in der mitteleuropäischen kultur verwurzelten land. zum anderen den taliban-stammeskrieger in afghanistan, tief verwurzelt in einem kulturellen und religiösen umfeld vollkommen anderer prägung. nur um zwei von nahezu unendlichen konstellationen zu nennen. beide töten, morden aus tiefer überzeugung ihre pflicht (sei es gegenüber einem "führer", volk oder gott) erfüllen zu müssen. beide sind guten glaubens.

jetzt die ketzerischen fragen:
tun diese menschen böses? - sie sind doch gutgläubig!

nach welcher norm wird denn gut und böse definiert?

"es gibt nichts gutes - außer man tut es" - kann man daraus schließen, daß das böse schon da beginnt, wo man vernachlässigt "gutes" zu tun und nicht erst bei aktiven handeln?
 
Das Böse akzeptieren!

Das Böse ist das, wovor wir uns fürchten. Das Böse ist die Verunsicherung und die Zerstörung, das Chaos und der Tod.
Woran denken wir, wenn wir aufzählen, was alles böse ist? Gewalt, Mord und Totschlag, Gesetzesbrecher, Lüge und Betrug, alles was gegen unsere Spielregeln verstößt.

Das „Gute“ ordnet, gleicht aus, macht überschaubar und kontrollierbar. Nächstenliebe, Unterstützung der Armen, soziales Netz, Freundlichkeit und Höflichkeit, das alles erleichtert unser Leben.

Wir ordnen alles, was unser Sicherheitsgefühl und unser gegenseitiges Vertrauen stärkt, dem „Guten“ zu, alles was uns Angst macht und uns bedroht, ist für uns das „Böse“.

Nun haben wir zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Wir wollen uns nicht mehr fürchten müssen, daher wünschen wir uns (entweder im stillen Kämmerlein, oder wir kämpfen dafür), dass das Böse verschwinden soll. Oder wir stellen fest, dass es unsere eigene Angst ist, die wir erforschen und beobachten, und mit der wir uns so lange auseinandersetzen, bis sie durchschaut worden ist.

Alles im Leben ist ein Werden und Vergehen. Das sogenannte Böse, das doch nur das „Vergehen“ ist, ist auch ein notwendiger Anteil am Gesamtgeschehen. Diese dunkle Seite, die mit noch so viel Drohung und Zensur nicht aus der Welt zu schaffen ist, sollten wir genau betrachten, herausfinden, welche Funktion sie hat, wie sehr sie mit dem „Hellen“ verbunden ist. Die beiden Seiten können ohne einander nicht existieren. Je mehr der Druck des Gut-Sein-Müssens ausgeübt wird, umso stärker entlädt sich das Böse.

Deswegen glaube ich auch nicht, dass schon jede Regung von Aggression, die ja vielleicht irgendwann in Gewalt umschlagen könnte, unterdrückt werden soll. Denn die Gewalt wird erst durch die Unterdrückung erzeugt.

Unsere Spielregeln sind gut und notwendig, aber das Böse wird dadurch nicht aus der Welt geschafft werden können. Ohne Böses kein Gutes. Da gibt’s nichts zu bekämpfen, denn damit mache ich ja nur genau dasselbe, wovor ich mich fürchte. (Siehe Krieg gegen den Terrorismus, gegen die sog. Achse des Bösen, der ja doch nur diese dunkle Seite in den Kämpfern gegen das Böse hervorbringt!)

Erst wenn wir das akzeptieren und wenn wir akzeptieren können, dass auch das Dunkle (der Tod, die Gewalt, das Chaos) eine wichtige Funktion in unserem Dasein hat, dann hören wir auf, selbst zum „Bösen“ beizutragen und lassen das Helle und das Dunkle einfach sein.
:schaukel:

herzlich
lilith
 
Die Definition:" das Böse" entzieht sich deshalb jeder allgemein gültigen Aussage, weil wir diesen Begriff sowohl psychologisch als auch philosophisch füllen können: beim ersteren Versuch ist der Mensch mit seinen Taten allein gefordert.
Das versucht ihr hier alle - und das wird kein Ergebnis erzielen, denn - wie Ihr schon merkt, wie ich auch schon weiter oben anmerkte, hier gilt allein der Kantsche Imperativ. Nur das Wollen kann gut oder böse sein. Die Tat, die aus diesem Willen entspringt, kann " gut" oder " böse" sein. Und da erhebt sich flugs die zweite Frage: Ist das Wollen auf das handelnde Subjekt oder auf das " behandelte" Objekt gerichtet.

Sie kann von der Gemeinschaft sanktioniert werden ( Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen ) - und so eine gewisse Allgemeingültigkeit ausdrücken. Wobei: - ein wenig hinterfotzig - ein Lustmörder ja seine Tat als für sich sehr sehr gut empfindet. Für seine Opfer ( Handlungsobjekte) ist sie auf jeden Fall " böse".


Mir tut es leid, dass in dieser Diskussion keiner auf den von mir weiter oben anskizzierten Definitionversuch des philosophisch Bösen eingegangen ist.


Hier ist allerdings weiter auszuholen - und das Ergebnis ist ein reines Denkergebnis, das zunächst nur auf die Ideengeschichte Auswirkungen gezeitigt hat.


Liebe Grüße

Marianne
 
Hallo Miriam,

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Dass die Videohersteller aber auch das Fernsehen sich oft sehr gefährliche "Freiheiten" erlauben (wenn möglich unter Berufung auf Gedankenfreiheit), ist gewiss. Dass da eine viel strengere Selbstkontrolle und auch Kontrolle stattfinden muss
sie berufen sich auf Gedankenfreiheit und machen ihren Profit mit den niederen Instinkten der Menschen und erziehen sie dazu diese auszuleben.

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Ich habe dir Beispiele genannt, bei denen Videofilme oder Fernsehen sicherlich keine Rolle spielen konnten
Ob ruanda oder auschwitz, in allen diesen Fällen sind die menschen durch faschistische Ideologien zusolchen Greueltaten aufgehetzt worden, auch im tiefsten Busch in Afrika waren Faschisten am werk, Leute, die andere Stämme oder Völker als minderwertiges Freiwild für die eigenen bösen Triebe dargestellt haben.

Unter Tito lebten alle Völker in Jugoslawien einträchtig nebeneinander, dann kam die „Gedankenfreiheit“ für die Nationalisten, das Ergebnis ist uns allen noch in Erinnerun

Gruß von claus
 
Claus schrieb:
Unter Tito lebten alle Völker in Jugoslawien einträchtig nebeneinander, dann kam die „Gedankenfreiheit“ für die Nationalisten, das Ergebnis ist uns allen noch in Erinnerun

Wenn also ein Mensch gefesselt und geknebelt eingesperrt ist, man deswegen auch von ihm weder Protest noch Gegenwehr wahrnehmen kann, kann man dann daraus schließen, dass er mit seiner Lage zufrieden ist?
 
Wenn also ein Mensch gefesselt und geknebelt eingesperrt ist, man deswegen auch von ihm weder Protest noch Gegenwehr wahrnehmen kann, kann man dann daraus schließen, dass er mit seiner Lage zufrieden ist?
Hallo lilith,
Du spielst mit diesem Satz auf die Zustände im Jugoslawien vor der Wende an?
Dann bist du falsch informiert.
Dort war niemand gefesselt und geknebelt.
dort gab es (im Gegensatz zur DDR) Reisefreiheit, jeder konnte gehen wohin es ihm beliebt.
Geknebelt waren die, die dann später mit ihren nationalistischen Parolen zum völkermord aufgerufen haben, mit Erfolg, wie wir wissen.
Und nebenbei das Land wirtschaftlich ins Chaos gestürzt haben.

gruß von Claus
 
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Als ich zuvor nachhause kam und Eure Beiträge las, fiel mir als erstes wieder auf, wie unterschiedlich nicht nur die Standpunkte sind, sondern auch die Art sich dem Thema anzunehmen. Politisch-soziale Aspekte und auch nach Lösungen suchen - dies ist deine Art, Claus, dich mit dem Thema zu befassen. Und ich sage schon hier, auch wenn meine Art über das Böse zu reflektieren sich wiede unterscheidet von deinen Ansatz, kann ich mich am besten damit identifizieren.

Von Anfang an, und für mich sehr wichtig: dies ist keine Wertung - wie käme ich auch dazu, bei einem Thema, welches mich manchmal überfordert, in jeden Fall oft ratlos macht, auch weil es mich sehr belastet.
Ein philosophischer Ansatz bei dem Thema, so wie ich es jetzt betrachte, wie es sich für mich anfühlt, das wäre mir etwas fremd, liebe Marianne, denn ich käme mir vor, als würde ich mich in eine Ideenwelt begeben (ja, fast schon ein Luxus), dort wo ich konkrete, ja eigentlich schon pragmatische Antworten suche. Nicht Lösungen, aber Antworten.

Und deinen Standpunkt, Lilith, den akzeptiere ich als für dich oder auch für andere gültig, aber ich könnte nie diese dunkle Seite so annehmen, sie so integrieren - auch wenn ich weiss, dass sie in jeden von uns besteht.
Du sagst:
"Alles im Leben ist ein Werden und Vergehen. Das sogenannte Böse, das doch nur das „Vergehen“ ist, ist auch ein notwendiger Anteil am Gesamtgeschehen."
Für mich ist es nicht das sogenannte, sondern das Böse. Und es ist kein notwendiger Anteil, all die Greueltaten des vergangenen und des jetzigen Jahrhunderts. Wir können nicht von aussen einer Lynndie England zusehn, und sagen, dass sie ein notwendiger Anteil ist. Ich habe die junge Frau, zu unrecht, stellvertretend genannt. Und Greueltaten sind m.E. nicht mit dem "Hellen" verbunden. Nochmals: bei so einem schwierigen Thema, haben alle diese Standpunkte die gleiche Wertigkeit, man könnte auch sagen: keine allgemeine Gültigkeit.

Dextra, du sagst, "wir sollten dabei die unterschiedlichen historischen und kulturellen aspekte nicht vernachlässigen. wir haben hier zum einen den gebildeten "beamtentyp", den technokraten vom typ eichmann, der leidenschaftslos versucht eine ihm übertragene aufgabe "perfekt" zu lösen - aufgewachsen in einem in der mitteleuropäischen kultur verwurzelten land. zum anderen den taliban-stammeskrieger in afghanistan, tief verwurzelt in einem kulturellen und religiösen umfeld vollkommen anderer prägung. nur um zwei von nahezu unendlichen konstellationen zu nennen. beide töten, morden aus tiefer überzeugung ihre pflicht (sei es gegenüber einem "führer", volk oder gott) erfüllen zu müssen. beide sind guten glaubens." Und damit sprichst du diesen wichtigen Aspekt an, wie unterschiedlich Moral ist.
Deswegen hatte ich die kurze Geschichte von Kolakowski hier übernommen.

Und Bernd spricht "den Schatten" an, ein sehr beliebtes Thema bei mir:
"Unter dem Bösen würde ich den Schatten verstehen, der in jedem wohnt, der durch Moral gezügelt aber nicht geheilt, der durch Bewusstwerden aber verändert werden kann. Das Böse in uns ist m.E. ein wichtiger Teil, den es nicht zu bekämpfen, sondern zu erforschen gilt..."

Ich habe hier Standpunkte zusammengefasst, mehr oder weniger gut ist mir das gelungen, denn ich wollte uns dadurch ermöglichen, besser auf unterschiedliche Auffassungen einzugehen.

Und bin sicher, dass wir alle heute Abend um 21:00 bei delta (3sat) in der ersten Reihe sitzen.

Gruß in die Runde

Miriam
 
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