• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Raphael

Active Member
Registriert
17. November 2007
Beiträge
1.795
Hallo Leute!

Wenn ich mein Leben mit einem Fluss vergleiche, den ich zum ersten (und einzigen) Mal befahre, dann weiß ich nicht, was mich hinter der nächsten Biegung erwartet --- eine Untiefe, ein Strudel oder gar Stromschnellen.

Falls ich die Fahrt meines Lebens durch ruhigere Gewässer als Strang ansehe, bestehend aus vielen Einzelfasern, die ähnlich wie Notenlinien parallel zueinander verlaufen, so erfolgt während einer Verdichtung im Erlebensstrang eine Intensivierung des Lebens mit argen Verknotungen, die einem scheinbar unlösbar vorkommen. Man wird da irgendwie durchgepresst und es fehlt einem ein ausreichender Handlungsspielraum, man ist Getriebener und nicht Gestaltender.

Um konkreter zu werden:
Die drei Wochen vom 10 1. an hatten es in sich.

Zunächst musste ich am 11. 1. meine elfte TURV über mich ergehen lassen,
Ohren an und durch, schließlich kenn´ ich mich ja schon aus damit.
Die Hoffnung, dass ich mich nach dem Eingriff erholen könnte, war trügerisch, denn kaum war ich daheim, streikte die Therme und wollte kein Warmwasser mehr spenden.
Ärger mit einer Installationsfirma folgte. Für Tage war nur mehr das Warmwasser ein Thema, Arbeiter kamen und gingen und schafften es dennoch, die Lage zu verschlimmbessern: zeitweilig fiel auch die Heizung aus, oder sie ließ sich nicht mehr regulieren und das, obwohl ein teures Teil eingebaut wurde.
Schließlich platzte uns der Kragen, wir stornierten wegen Erfolgslosigkeit den Auftrag und beauftragten eine Wiener Firma mit der Reparatur.
Der Techniker erwies sich als kompetent, doch nach einem Tag, als alles zu unserer Befriedigung funktionierte, begann die Therme zu ächzen, zu stöhnen und zu klagen, dass man ihr Wehgeschrei über das Entlüftungsrohr 30 m weit nach außen hören konnte.
Der Techniker kam erneut, unabhängig vom ersten Schaden war der Lüfter
defekt geworden. Tja ...

Als auch dieser Schaden behoben war, kam die nächste Verknotung.
Bei einer routinemäßigen Augenkontrolle (meine Gattin ist Glaukom-Patientin)
war der Druck im linken Auge viel zu hoch.
Eine erneute Operation (einer Woche nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus) war notwendig, es musste in ihr linkes, das bessere Auge, ein zweites Filterkissen hineingeschnitten werden.
Endlos langweilige und vor allem lang andauernde Wartereien nach dem Eingriff in einem Wr. Spital folgen.
Reinfahren, Stunden lang warten, hoffen, dass der Druck passt (sonst Nachoperation) und wieder nach Wien und wieder warten.
Da meine Frau unmittelbar nach dem Eingriff kaum sieht (ihr rechtes Auge ist schon ziemlich geschädigt) konnte sie weder lesen noch fernsehen, Auto fahren schon gar nicht.

Jetzt scheint das Ärgste vorbei zu sein, die Knoten des Erlebnisstranges lösen sich langsam und es kehrt der Alltag wieder ein.

Ich habe mir das jetzt von der Seele geschrieben und so auf eine gewisse Weise verarbeitet. Doch erheben sich für mich einige Fragen:

Kennt ihr Zustände in eurem Leben, die ohne euer eigenes Zutun leicht und locker verlaufen?
Natürlich kennt ihr sie, genauso wie Phasen der Verstrickung und des Leids,
in denen man meinen könnte, man hätte jede Möglichkeit der Steuerung verloren und wäre bloß ein fremdbestimmtes Stück schwimmenden Holzes in einem rasenden Flusse.

Wie begegnet ihr den Verdichtungen in euren Erlebnissträngen?
Was leitet ihr für euch ab?

In der Hoffnung auf eure geschätzten Beiträge verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen Raphael.
 
Zuletzt bearbeitet:
Werbung:
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Danke dir Raphael für deinen Beitrag, für deine Offenheit und dafür, dass du auch mir Anlass gibt’s über meine eigenen Verknotungen nachzudenken.

Ja, natürlich kenne ich solche Lebensphasen in denen es scheint, dass alles den Bach runtergeht…Und man schon die nächste Verstrickung befürchtet.

Von Natur aus eigentlich kein misstrauischer Mensch, bin ich dadurch so vorsichtig geworden in den Angelegenheiten die ich selbst bestimmen kann – und das hat mir eigentlich zum Teil geholfen.

Da ich in den letzten 25 Jahren mehr als mir lieb ist auf Ärzte angewiesen war und bin, hab ich zum Beispiel ein großes Gespür entwickelt für kompetente oder auch unfähige Ärzte. Und schon das hilft zum Teil.

Bleibt aber das andere große Kapitel, der Ereignisse die einen überfallen. Und da stelle ich fest, dass ich eher Angst habe vor der Serienmäßigkeit mit der diese auftreten. Ich bin ja ein Mensch ohne jedem Hang zum Aberglaube, zum Übernatürlichen, etc…Und doch ist das eine rätselhafte Sache, wieso sich zu einem negativen Ereignis noch andere dazu gesellen.

Nun, der einzige Trost und die Hoffnung bleiben: auch so eine Serie geht einmal zu Ende.

Liebe Grüße

Miriam
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Grüß Euch, Raphael, Miriam ..



Es ist mir nicht so gegeben, persönliche " Verstrickungen" ( samt Entknotungen) auf der Berichtsebene wiederzugeben.

Aber. Raphael, Dein Thema ist wichtig für mich --- als Hilfe --- zum Besinnen auf das, was die Alten fatum nannten....


Hier ist ein Text von mir, der aus so einer Verknotung heraus entstand.

Unort

Punkte glühen
kreisen
mich ein
umschlossen
keuche
und verglühe ...... ich




Ihr ahnt schon ... jetzt müsste die story mit dem Phönix aus der Asche kommen ..


miri, blimele, das war übrigens der Titel eines Deiner Gedichte, das mir sehr gefiel
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Richtig Marianderl Blimchen, ich denke, dass der Phönix auch sehr gut und sogar etwas Trost spendend zu Raphaels Thema passt. Werde es gleich hier widergeben.

Dein Gedicht Marianne - Unort - gefällt mir auch sehr gut. Auch wegen seiner Dichte.

Phönix

Als Phönix
Aus Asche wiedergeboren
Durchwandere ich mein Leben.
Befürchte
Bei jeder neuen Verbrennung
Die Glut des Feuers -
Und weiss:
Um in das Blau des Himmels
Fliegen zu können,
Muss ich
Erst durch das lodernde Rot der Flammen.


Ja, und wer sagt denn, dass die lodernden Flammen die uns zwingen hindurch zu gehen sich nicht auch, unromantisch, in der Form einer unfähigen Installationsfirma mal präsentieren?

Nun Spaß beiseite: es ist dieses ewige Ab und Auf des Lebens, das eigentlich die wahre Schule des Lebens ist.
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Lieber Raphael,

ja, das kenne ich auch, solche Häufungen von Ereignissen, von denen jedes allein eigentlich schon genügen würde. Und zwar kenn ich's auf der Seite des Glücks genauso wie auf der Seite des Unglücks. Letzteres zum Glück *grins* seltener.

Ich arbeite ein paar Stunden pro Woche als Schwimmlehrerin, deshalb sei mit der folgende Vergleich gestattet, der mir heute Morgen beim Nachsinnen über deine Frage eingefallen ist.

Manchmal erlebe ich Kinder, die werden stocksteif, sobald sie im Schwimmbecken den Boden unter den Füssen verlieren. Sie bewegen sich nicht, versinken einfach wie Steine.

Dann gibt es die Mehrheit der Kinder, die sich wild und ziemlich unkoordiniert zu bewegen beginnen. Sie können sich meistens irgendwie über Wasser halten, bis sie wieder Boden unter den Füssen spüren oder den Beckenrand erreichen. Sie schlucken zwar ziemlich viel Wasser und sind am Ende erschöpft, aber sie können sich selbst aus der schwierigen Situation retten.

Und dann gibts die, welche begriffen haben, dass das Wasser sie trägt, sobald sie die richtige Haltung einnehmen. Sie haben dieses Ding namens Auftrieb erfahren und vertrauen darauf. Und für sie ist es fast nicht mehr vorstellbar unterzugehen, selbst wenn es hohe Wellen hat und der Beckenrand sehr weit entfernt ist.

So, und jetzt denk bitte nicht, ich würde die Kinder einfach halb ertrinken lassen, ohne einzugreifen, ja? Natürlich helfe ich ihnen und hab sie im Auge, ist ja klar. Aber dennoch habe ich die oben genannten Verhaltensweisen immer wieder im Ansatz beobachten können und ich finde es immer wieder unglaublich, welche Lern- und Erfahrungsprozesse die Kinder zwischen diesen drei Phasen machen.

Und wenn ich das jetzt auf die Geschichte der Ereignisknoten übertrage (was mir gar nicht schlecht zu passen scheint), dann bin ich wohl gerade dabei, von Phase zwei (wildes Strampeln) zu Phase drei zu wechseln.

Ich habe Vertrauen in den Auftrieb gewonnen. Ich habe gelernt, welche Haltung mir den bestmöglichen Auftrieb gibt. Ich habe nicht mehr so viel Angst. Das hilft.

Manchmal gibt es einfach solche Häufungen von Glück oder Unglück. Ich seh da nichts weiteres als Zufall darin. Und, wie Miriam oben ja auch schreibt, das geht auch wieder vorbei.

Dir und deiner Frau alles Gute!
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Hallo, ihr Lieben!

Zuerst mal ein Dankeschön für eure Beiträge und den herzlichen Zuspruch!

Liebe Miriam: Du warst ein paar Tage von der Forums-Bildfläche verschwunden, hattest du vielleicht auch wieder eine Verdichtung im Erlebnisstrang?!
Abergläubisch bin ich zwar nicht, doch gläubig schon, nur enträtselt sich mir der Sinn des Lebens nicht und so soll es wohl auch sein.
Es sind Kräfte im Spiel, die ich nicht benennen kann, doch die sehr wohl in mein Leben hineinwirken.
Fatum, Bestimmung, was auch immer sein mag, es gehört auf jeden Fall zu mir und ich lebe leichter, wenn ich es ohne Zögern annehme.
Und ja, im Krankheitsfalle braucht jeder Ärzte seines Vertrauens.
Danke für das Phönix -Gedicht, durchs Feuer ins Blau des Himmels, das Bild gefällt mir außerordentlich!

Liebe Marianne: Danke für dein Gedicht "Unort"!
Ich mag deine Art zu schreiben, das Wort "Gedicht" enthält das Morphem "dicht" und so sind sie, deine Verse, konzentriert, ohne lästiges Beiwerk;
verdichtetes Erleben = Erlebnisstrang, da sind wir wieder beim Ausgangspunkt.
Dass du nicht über persönliche Verstrickungen schreiben magst oder kannst, ist nachvollziehbar.
Meine Wenigkeit ist halt etwas extrovertiert (manchmal auch extra vertiert, aber das ist eine andere Geschichte...).

Liebe Ela: Dein Beispiel mit den Kinder, die das Schwimmen lernen, ist wunderbar anschaulich. So ist es, wir dürfen ruhig Vertrauen entwickeln, dass uns das Leben trägt. Wenn wir die richtige Haltung einnehmen, ist das möglich.
Übrigens: Ich hätte dich nie für eine Schwimm-Lehrerin gehalten, wenn ich dich nur nach dem Photo in deinem Profil einschätzen hätte sollen.
Danke auch für deine lieben Wünsche an mich und meine Gattin!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
temporärer Thermen-Traumatiker
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

ich finde das auch einen schön zu lesenden thread. auch weil schön zu sehen ist, wie unterschiedlich ganz ähnliche erfahrungen bewortet und be-metaphert werden.

bei meinem mann und mir heißt sowas: "eine schiefe ebene" - und ja: manchmal scheint es so zu sein, dass alles, das ins leben tritt, wie auf einer schiefen ebene hinunterkippt. von allen möglichkeiten, die die rollende kugel wählen könnte, wird immer die negativste gefunden. schiefe eben eben.

mit den jahren lernt man, dass man ja selbst nich hundertprozentig mitkippen MUSS. ;)

und irgendwann kippelt die schiefe ebene ja auch wieder in die gerade.

dass der heurige jahresanfang eher "schief" war, raphael, diese erfahrung teile ich mit dir, wenn auch in tlwse anderen gebieten.

auf dass sich entwirre, erde, ebene, ..., was da unsere unzufriedenheiten erregt!

:zauberer2

grüße
katharina
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

OT aber trotzdem:

Lieber Raphael,
wie sieht denn eine Schwimmlehrerin aus, die du gleich als solche identifizierst? (zum Glück sind auf dem Foto meine Füsse nicht zu sehen :zunge3:)

neugierige Grüsse
Ela
 
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Hallo Katharina!

Meisterin der schiefen Ebene, glaubst du an Zufälle?
Mir kommt es doch so vor, dass Kräfte am Werk sind, die mich beeinflussen und denen ich (fast) wehrlos ausgeliefert bin.
Zufall, wenn ich an dem einen Tag aufstehe und es gelingt alles?!
Schicksal, wenn alles den Bach runter zu gehen scheint?

Ich weiß es nicht.

Liebe Ela!

Eine Schwimmlehrerin sieht in meiner Vorstellung aus, als könne sie sofort den Ärmel-Kanal durchschwimmen, wenn sie sich vor ihrem Kampf gegen die Fluten nur fleißig mit Fett gegen die Kälte einschmiert.
Ja, Muskeln wie eine Bärin und breite Schultern wie ein weibliches DDR-Schwimmmonster unbestimmbaren Geschlechts aus den 80ern gehören ebenfalls zu meinem imaginären Bild einer Schwimm-Trainerin.
Du wirkst zart und fragil auf dem Photo (allerdings hat es nur Passbild -Größe), so dass ich annahm, du wärest Bibliothekarin oder hättest in der Kunstszene zu tun, feinsinnig, wie du rüberkommst.
So kann man sich täuschen!

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
Zuletzt bearbeitet:
Werbung:
AW: Über Verdichtungen im Erlebnisstrang

Raphael schrieb:
Du wirkst zart und fragil auf dem Photo (allerdings hat es nur Passbild -Größe), so dass ich annahm, du wärest Bibliothekarin oder hättest in der Kunstszene zu tun, feinsinnig, wie du rüberkommst.

Lieber Raphael,

meine Freundin Ela möge es mir verzeihen, dass ich mich hier einmische. Ela ist eine wunderbare Bildhauerin - wahrscheinlich hast du ihre Werke im Forum noch nicht entdeckt.

Du kannst ein Teil davon in der Galerie bewundern (dafür ganz oben in der blauen Leiste auf Fotos klicken) - ein Teil ist im Unterforum "Eigenen Werke" zu sehen - im Thread "Elas Keramik".

Ela, sei mir nicht böse. Aber ich weiß, dass du nie auf deine Werke hinweisen würdest.

Liebe Grüße

Miriam
 
Zurück
Oben