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Spiele und Perversion

R

Robin

Guest
Der Mensch ist "nur da ganz Mensch, wo er spielt", sagte Friedrich Schiller. Das Spiel erschien im reizvoll als Verbindungsglied zwischen Sinnlichkeit und Vernunft und gerade auch als potenzielle (Selbst-)Befreiung eines Menschen, der noch in der Unfreiheit des Ständesystems steckte.
Norbert Schneider, Autor einer Geschichte der Ästhetik, verliert ob des Themas alle Neutralität: "Jetzt ... erkennen wir auch, wie Schillers hehres Ideal des Humanität ermöglichenden Spieltriebs unter den Bedingungen einer grnezenlos expandierenden Elektronik- und Computerindustrie pervertiert worden ist in ein nicht zu sättigendes Bedürfnis nach 'Spielotheken' nach Mega Drives, Game und Bosster Boys und anderen Videospielen. Schillers "Welt des Scheins" hat in den Simulakren von Werbung und Television ihre nicht erwartete Erfüllung gefunden."
Hat Norbert Schneider Recht, oder ist dies ein Fall eines Intellektuellen, der darüber verbittert ist, dass sich die Welt nicht in solche erhabener Weise entwickelt, wie er es gerne sähe?

Wen's interessiert:

http://www.computerspielemuseum.de/
 
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Ganz kurz und unreflektiert:


Dieser Mann hat sich noch nie mit Sinn und Zweck der Tätigkeit beschäftigt,die wir spielen nennen.

"Homo Ludens" von Huizinger ( oder so ähnlich geschrieben) war mir ein AHA- Erlebnis in dieser Richtung.Unsere Kultur beruht auf dem spielerischen Element der Zeremonie und des Rollenspieles, des So - Tun - als - ob. Das wird in diesem Werk bewiesen.

Arg volksbildnerisch möchte ich erinnern, dass schon Tiere " spielen": sie üben ihr Artverhalten, ohne dessen Beherrschung sie im "Ernstfall" nicht überlebten.

Dieses "tierische Spielen" können wir auch in unserer Art bei den Kinderspielen beobachten: was als Rauflust erscheint, ist instinktive, einst lebenserhaltende nötige Aggression.
Ebenso üben und übten Kinder aller Zeiten und Epochen Verhalten ein, das sie in der formellen Gruppe ( Elternhaus, Großfamilie usw ), der sie angehörten/ angehören, als normierend und rollenkonform beobachten.

Selbstverständlich übernahm die neuzeitliche Pädagogik - mitunter sogar kritisch - diese Ansätze.


Es ist doch primitiv zu glauben, dass Kinder der Jetztzeit, die sehen:" am computer hängt, zum computer drängt doch alles", dieses nicht auch tun.

Die Digitalisierung wird sicher mal als Kennzeichnung unserer Zeit herangenommen werden - Kinder sind immer Kinder ihrer Zeit.

Das Gelabbere über die böse Gewalt, die sich durch böse Compispiele überträgt, ist nur teilweise treffend.

Schließlich haben es Eltern immer noch in der Hand, ihre Kinder so zu beeinflussen, dass diese sinnvoll mit dem neuen Werk - Spielzeug umgehen lernen.
Es zu verbieten wäre anachronistisch -
Und in Elternhäusern, in denen verbale oder gar körperliche Gewalt zum Rollenverständnis gehören, werden die "lieben" Kleinen eben nach dieser Fokussierung auch ihre Spiel aussuchen.

Was der Mann schreibt, ist ,"das Kind mit dem Bade ausschütten".

intellektuell erbost

Marianne
 
den Unterschied zwischen Spiel und Perversion hört man ganz gut in der Musik

die ganzen Wunderkinder,
die ihr Instrument anscheinend so gut beherrschen,
bloß spielen können sie nicht damit

da sind mir die Musikgruppen lieber,
die ständig neue Klänge, Rhythmen etc für sich und uns erfinden
 
Hallo Marianne,

indem ich so langsam einen Überblick über die Philosophiegeschichte bekommen, scheint es so, als ob fast alle Philsophie idealistische Philosophie ist, auch wenn sie sich nicht so nennt; sie also davon handelt, wie Dinge sein sollten, nicht wie sie sind.
In noch stratifizierten Gesellschaften, war der Philosoph in der Regel Oberschicht, er konnte das einfache Volk beobachten, es eventuell idealisieren, aber er konnte vor allen Dingen darüber fantasieren, wie sehr jeder aufblühte, wenn man nur die richtigen Mittel ergriffe. Die schlimmsten in der Hinsicht scheinen mir in der Tat die deutschen Idealisten zu sein Schelling und Schlegel zum Beispiel. Gerade in Hinsicht Kunst und Ästethik drücken sie sich vor jeder Konkretisierung, schwafeln und schweben im Absoluten, reden vom idealen Menschen und Künstler und meinen doch nur sich selbst.
Der erste, der den Mut zur ehrlichen Betrachtung wohl hatte, scheint mir Schopenhauer zu sein, weswegen ich seine Theorien nicht vor allem pessimistisch, sondern vor allem ehrlich, bzw. ungeschönt finde.
Inzwischen hat sich das alte Schichtensystem aufgelöst und wird von einer Hierarchie der Bildung und des Geldes abglöst. Das ist nicht weiter schlimm, doch es scheint unausrottbar zu sein, dass Volk von höherer Warte betrachten zu wollen und daran zu messen, wie es sein sollte, also wie man selber gerne sein wollte. Das ist ja alles nichts Neues, auch die angewandten Marxisten machten diesen Fehler, selbst der Existentialismus beeilte sich, als er in Verruf geriet, zu betonen, er sei ein Humanismus, also ein Idealismus. Und selbst bis heute zieht es sich hin, Frankfurter Schule bis hin zu Habermas und die Folge sind leere Appelle, elitäres Eingeschnapptsein, wirkungslos-wolkiges Geschwafel.
Neben dem angesprochenen Problem des Gegensatzes WIssenschaft-Philosophie in "Schopenhauer..." scheint mir dies das zweite Hauptproblem der Philsophie zu sein; mein will große Schritte für die Menschheit tun und kommt doch keine zwei-Fuß-Breit weg von sich selbst...
 
indem ich so langsam einen Überblick über die Philosophiegeschichte bekommen, scheint es so, als ob fast alle Philsophie idealistische Philosophie ist, auch wenn sie sich nicht so nennt; sie also davon handelt, wie Dinge sein sollten, nicht wie sie sind.

gut erkannt
ohne Dich beleidigen zu wollen,
fehlt jetzt allerdings noch der Schritt
selbständig zu denken

ZUNÄCHST
Du erklärst Dir selbst ein philosophisches Themengebiet,
welches Du zwischenzeitlich überschaust
wie Du es Deinem Kind erklären würdest,
also ganz einfach,
möglichst ohne Fremdworte.
schreib einen kurzen Text, der das Wesentliche beinhaltet
DANACH
schau einfach nochmal nach, was Philosophen zu diesem Themen geschrieben haben
und siehe da,
da gibt es doch tatsächlich Autoren ...
ZULETZT
Du hast Dein Text verbessert
nicht nur rumgeflickt
sondern die Worte treffen tatsächlich den Sachverhalt
EIGENTLICH
müsstest Du jetzt bekannt werden
Deine Texte sind so gut, wie die der bekannten Philosophen
und haben deren Philosophie sogar weiterentwickelt
DOCH LEIDER
wollen die Doktoren und Professoren am Institut nix davon hören
schließlich haben sie weniger geleistet als Du
und dann würde ja auffliegen,
wie sie zu dem Job gekommen sind
 
Wenn ich mich in diesen Diskurs einmischen darf: auf der einen Seite wird Verfall proklamiert (Schneider), auf der anderen Stillstand.
Auf der einen Seite haben wir die Kultur und ihr ständiger Untergang, da sie sich wohl von ihrem 'reinen Ursprung' entfernt (und technisiert wird), auf der anderen Seite haben wir eine Ontologisierung oder Anthropologisierung gewisser Eigenschaften. Dieses Verhältnis ist uralt. Etwa so alt wie der Gegensatz vom noeton zum aistheton, oder der von der Intelligibilität und der Sensibilität; oder der "Vernunft" und der "Sinnlichkeit", wie Robin in Bezug auf Schiller schreibt.
Klar, Schiller geht es um das commercium-Problem, denn der Geist und der Körper (was beides auch immer ist), wollen vermittelt werden. Ich wage - nicht ohne Ironie - zu behaupten, dass das eines der Grundprobleme der Philosophie ist. Genauso ein Problem ist aber auch die Dialektik von Konstatierung und Performanz, von Stillstand und Verfall. Dieses Problem wird im Thread bislang ein wenig ignoriert.

Wenn man über Herrschaftsverhältnisse schreibt, darf man genau diese Fragen nicht ausser acht lassen, da bekanntlich jede Herrschaft auf einem Beherrschten aufbaut. Immer wieder stellt sich aber die Frage der Vermittlung, des commerciums, von neuem (und von dem Jenseitigen, von der Absolutheit der Herrschaft). Es ist deswegen kein leichtes, die von Robin aufgezählten philosophischen Strömungen, die metonymisch hier wohl für eine bestimmte Theorie stehen sollen (die hier allenfalls nur rudimentär reflektiert wurden), beiseite zu schieben. Denn es drängt sich die Frage der Tradition auf, die Frage der historischen Überlieferung. Und ein wenig ironisch scheint mir, dass hier eine Art monumentalistische Historie zwar abgelehnt wird, sie aber ihre 'Kraft' und 'Lebendigkeit' dauernd erfährt (sie wird in diesem Thread fortgeschrieben). Es ist nicht so einfach, um dieses Problem zu kommen und es ist auch kaum befriedigend, wenn man sich an den Monumenten (den aufgezählten Namen) misst, ohne die Textur und den Grund für die Unumgänglichkeit einer Beschäftigung mit ihnen blossgelegt zu haben. Und noch weniger befriedigend ist es, wenn man sich eingestehen muss, man sei eben so "gut" und hätte etwas (das kein 'etwas' sein kann, sondern für die 'grossen' Namen und die Beschäftigung mit ihnen steht) weiterentwickelt, habe aber z.Z. die Aufnahme in den Kanon dieser Namen (ganz im Sinne einer monumentalistischen Historie) unter ungünstigen Bedingungen aus Gründen verspielt, die mit bornierten Professoren zu tun hätten.

Das ist ein denkbar ungünstiger Boden, um z.B. über den 'Idealismus' 'der' Romantiker zu sprechen und einem auf sie folgenden 'Materialismus' als Antithese. Alles in allem ist das zu Beginn angesprochene commercium-Problem noch immer nicht gelöst, und v.a. nicht hinsichtlich möglicher Herrschaftsverhältnisse. Ich erachte es als sehr gefährlich, das angeführte "Geschwätz" als "wirkungslos" zu bezeichnen. Das trifft ganz und gar nicht zu, werden wir doch damit wieder auf die Thematik der 'Kraft' und der 'Lebendigkeit' verwiesen. Diese 'Kraft' ist aber nur eine angenommene, die in kraftvollem Gegensatz zur konstatierten Aussage "(...)[man] kommt doch keine zwei-Fuss-breit weg von sich selbst..." steht. Was ist aber dieses hier angesprochen "sich", was das "selbst"? Impliziert der Satz eine Zeitlichkeit? Eine Räumlichkeit? Wie lässt sich beides vermitteln? Wie erkennen? Wer oder was erkennt?

Spielen wir also weiter dieses Spielchen. Berücksichtigen wir aber das Problem der Verantwortung, das sich daraus ergibt, müssen wir in Erwägung ziehen, es zu pervertieren.
 
Danke, Jacques, für diese kompetenten Einwände.
Ich kann nur für mich mich sprechen: Ich habe mich nicht für ebenso gut bezeichnet, als die aufgeführten Heroen der Philosophie. Ich bin mir nicht sicher, ob scilla mich loben wollte, provozieren, nur eine These aufstellen oder vielleicht Äußerungen von mir, wesentlich differenziertere als in diesem kleinen Thread, mit einbezog?!
Wenn wir jetzt wirklich das Thema Vermittlung hier angehen wollten, wird mir schon ganz schwindelig von den tausenden Konnotationen, die man anbringen könnte, von den x Wegen, um an den Kern des Themas zu kommen.

Um bei Norbert Schneider zu bleiben, dessen Geschichte der Ästhetik ich gerade lese, hat es mich einfach verwundert, wie ein so banales Urteil in einen sonst sehr anspruchsvollen, fremdwortgespickten Text einbricht; übrigens sind seine gewählten Worte ganz unsinnig; es gibt, glaube ich keine booster boys und mega drives haben nur am Rande etwas mit Spielen zu tun, wenn ich mich nicht irre, wie dem auch sei: Warum gebietet im seine Bildung nicht, vorsichtig bei solchen Urteilen zu sein. Wo vermutet der Historiker seinen über der Historie stehenden Beobachtungspunkt? Und warum bricht es überhaupt so aus ihm heraus, gerade an dieser Stelle? Hat er einen Sohn, den er nicht vom Computer weg bekommt?

Ich sollte natürlich auch vorsichtig sein, mein Urteil pauschal über die meisten Theorien der Ästhetik zu brechen; ich erlaube es mir auch nur hier - hier kann ich kommunizieren und Worte ausprobieren, die ich vielleicht irgendwann bleibender aufschreiben will.
Wenn ich an den Theorien der Kunst zweifle, dann zweifle ich vor allem im Moment an der Kunst selbst - auch nichts Neues. Um in der Sprache der Systemtheorie zu sprechen, gibt es die Kunst in zwei Beobachtungssystemen, dem erster und dem zweiter Ordnung. Und sie kann anscheinend, durchaus im Gegensatz zu anderen Kommunikationssystemen, ohne das Beobachten in zweiter Ordnung (den Medien, den Kritikern, den Kunsttheoretikern, den Kennern, den Künstlern, die über sich selbst reden) überhaupt nicht existieren.
Denn wie keinem anderen Kommunikator scheint dem Künstler sein eigenes Tun im Grunde rätselhaft zu sein. Wie soll er's vermitteln? Er traut sich selbst nicht, ruft Gott an, Geniegabe, Absolutum, Ideal. Dann schwenkt er um, will erziehen, vermitteln, provozieren. In letzterem Akt löst er sich, da er umso mehr fürs Volk agieren will, eben von diesem Volk. Das Volk, dass ihn als Kunsthandwerker in Lohn und Brot respektiert hat, als Genie glorifiziert und bewundert, verlacht in ihm Grunde, wenn er es belehren und verfeinern will.
So ist das im Groben. Die Ahnung des Warum wird langsam deutlicher, ich bin aber für Vorschläge dankbar.
Jetzt bin ich völlig abgeschwiffen, hat mir aber Spaß gemacht ;)

Die Denker, die über Kunst dachten, liebten sie im Grunde viel zu sehr. Wie weit das ging! Einige einigen meinten, man könne das Leben nur meistern, wenn man es literarisch verarbeite! Stimmte für sie bestimmt, aber eine Theorie daraus machen....andere idealisierten die Musik, weil sie in sie flüchteten...und einige liebten weniger die Kunst, als das Bild des Künstlers, mit dem sie sich (deren Hände nicht zum Klavierspiel taugten) dann als Philosophen verwandt fühlten.

Das Spiel aber ist mit der Kunst nicht weiter verwandt, als das es ums ausprobieren geht. An dieser Stelle höre ich jetzt auf wie Helge Schneider, dessen Improvisationen ins Nrigendwo führen...
 
Lieber Robin,
Mir ist durchaus bewusst, dass es scilla war, der dich bzw. sich auf gleiche Ebene mit den 'grossen' Namen stellte, die im Thread auftauchten. Wer kann's ihm verwehren? Jedoch wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass einem da etwas gefährliches unterläuft, das es einem eben nicht einfach so ermöglicht, die eigene Person unbedingt zu apotheotisieren.

Zu 'Norbert Schneider': Die Paraphrase von Schneiders Sätzen und Theoremen lassen schnell den Impetus einer pessimistischen Verfallsgeschichte diagnostizieren. Aber diese Bewegung ist nicht selten anzutreffen. Für mich ist sie strukturell bedingt. Denn die Sprache ur-teilt, so steht die Möglichkeit zur Verfügung, etwas als 'gut' zu behandeln oder aber als 'schlecht'. Entweder man orientiert sich an einem reinen Ursprung oder man verspricht sich Heil nächster Zukunft. Für beide Bewegungen gibt es zahlreiche Beispiele. An dieser Stelle aber möchte ich sagen, dass ich diese Trennung sofort wieder aufheben möchte, denn die Bewegungen lassen sich nicht voneinander trennen (und werden getrennt, bzw. müssen getrennt werden): wir sind wieder beim Problem der Vermittlung. Du sprichst etwas sehr interessantes an: Wie kann Schneider einen Metadiskurs aufbauen, sich über den eigenen Standpunkt abstrahieren? Eigentlich kann er es logischerweise nicht, aber man muss ihm zugute halten: er kann gar nicht anders (wir haben es mit einem Paradox zu tun).

Wir stehen vor einer Aporie. Es ist die Aporie der Heimsuchung durch das Unentscheidbare. Ohne Entscheidung, ohne Urteil, kann einer Sache nicht angemessen begegnet werden, d.h. man kann einer Sache nicht gerecht werden und Recht kann keine praktische Anwendung erfahren, wenn wir uns nicht entscheiden (wenn wir nicht urteilen). Die Misere wurzelt in der Tat schon dort, wo die Initiative des Deutens, des Verstehens, des Berechnens (des Urteilens) ergriffen wird. Das dem Berechnen vorgängige (die Entscheidung etwas zu Berechnen, etwas so und so zu beurteilen) darf sich nicht dem Berechenbaren selbst zuordnen lassen, diese Entscheidung darf nicht berechenbar sein. Ansonsten wäre diese Berechnung nicht frei, das Urteil also gebunden und ungerecht. So muss sich jede Entscheidung einer Prüfung des Unentscheidbaren unterziehen. Wenn sie dies getan hat, hat sie aber erneut eine Regel befolgt und eine vorgegeben und ist gegenwärtig nicht mehr gerecht. Jede Entscheidung wird so vom Unentscheidbaren wie von einem (ihm wesentlichen) Gespenst heimgesucht.

Dieses aporetische Problem eröffnet sich einem, wenn man etwas deutet. Und ich denke, dass wir immer bestrebt sind, gerecht, angemessen, zu deuten. Von oben genannten Gespenstern werden wir heimgesucht, ihnen gegenüber haben wir aber auch eine Verantwortung inne. Wir haben eine Verantwortung gegenüber dem Unentscheidbaren, dem Undeutbaren in allem, das wir zu deuten uns gezwungen sehen.
Wie deuten wir das Tun des Künstlers (und der Künstlerin, sie wollen wir nicht vergessen)? Was für eine Verantwortung haben wir gegenüber dem Unermesslichen der Kunst?
'Kunst' würde ich ins Altgriechische rückübersetzen, und das Wort techné gebrauchen. So wird einem eher klar, dass der 'Kunst' eine kausale traditionell Struktur anhaftet (sie ist Mittel zu einem bestimmten Zweck; ich erinnere an die vier Kausalitäten: 1. causa materialis (z.B. Ton) 2. causa formalis (z.B. Gefäss) 3. causa finalis (z.B. Zweck des Gefässes) 4. causa efficiens (z.B. der Töpfer)). Das Problem ist, dass uns das Wesen selbst der Kunst, die Kunst als Kunst damit längst nicht erklärt wird. Somit gebe ich dir, Robin, völlig recht, wenn du bemerkst, dass des Künstlers (der Künstlerin) "eigenes Tun [ihm/(ihr)] im Grunde rätselhaft" ist. Denn das dialektische Verhältnis desjenigen, das uns scheinbar so leicht als Mittel zu Zwecken zur Verfügung steht, herrscht über uns (uns KünstlerInnen - ich universalisiere den Begriff hiermit). Wir haben ein analoges Verhältnis in der Sprache. Die Sprache, die wir als Mittel zu Zwecken zu benutzen scheinen, die wir zu instrumentalisieren vermeinen, beherrscht in Wirklichkeit uns. Wir sind angehalten, immerfort zu sprechen, wir sind angehalten, die Sprache als Sprache auszusprechen, die Sprache in ihrer Sprachlichkeit so auszusprechen, dass wir ihr Wesen erfasst haben und sie tatsächlich beherrschen. Da wir aber immer wieder an ihr selbst scheitern und immerfort sprechen, bestätigen wir nichts anderes als ihre Herrschaft über uns. Der Künstler (die Künstlerin) möchte nur eines: Souveränität. Er (sie) geht manchmal sogar so weit, auf einem glitschigen Tau über dem Abgrund des Wahnsinns herumzutänzeln. Doch schafft er (sie) so Souveränität? Ist der wahnsinnige Lacher des Künstlers (der Künstlerin) über die vermeintliche Souveränität seiner Bewunderer (die meinen, die vermeintlich eigene aussichtslose Lage, die Lage der Beherrschten einer Ökonomie, über das Exempel des Wahnsinnigen aufgehoben zu wissen) ein souveränes Lachen jenseits einer Ökonomie von Herrschaft und Knechtschaft? Das ist eine der schwierigsten Fragen. Denn wir wissen genau, dass die Kultur, der die Kunst zugerechnet wird, im Gegensatz zur Natur steht und dass dieses Verhältnis wiederum vermittelt werden muss und auch beständig vermittelt wird. Durch was? Durch eine Ökonomie, durch ein Spiel.

Und so wären wir wieder beim Thema. Meinem Lieblingsthema auch: der Sprache und ihrem Spiel. Mit einem rhetorischen Schlenker möchte ich somit auch diesen Beitrag beenden und die Diskussion gerne ein anderes Mal fortsetzen (der Beitrag wird schon viel zu lange): Die Bewegung des Spiels ist eine, die durch die Abwesenheit eines Ursprungs möglich wird, sie ist eine Bewegung der Supplementarität (unendliche Substitutionen werden in der Abgeschlossenheit eines begrenzten Ganzen vollzogen). Das Spiel ist also eine Bewegung von Abwesenheit und Präsenz. Die einen betrauern die Abwesenheit der Ursprungs, der Präsenz, die anderen bejahen das Spiel. Dazwischen schiebt sich etwas: eine unreduzierbare Differenz. Und genau diese Differenz ist nur als Vermittelndes denkbar. :autsch:
 
Zuletzt bearbeitet:
Da ich faul bin, zitiere ich mich mal eben selbst:

Überhaupt ist Freiheit ein paradoxer Begriff; denn ich nehme dem Bezeichneten schon die Freiheit, indem ich es als frei bezeichne.
Die menschliche Freiheit überhaupt ist dann sowieso ein Missverständnis: Gemeint kann niemals eine absolute Freiheit sein, sondern nur die Freiheit VON etwas, also Freiheit als Differenz; in jedem Fall relative Freiheit; der Mensch an sich ist nie frei (wie dann auch schon Schopenhauer sagt) und das Unendliche an sich eben nur: nicht definiert, nicht wahrgenommen, nicht verstanden.

Dennoch, sage ich jetzt spitzfindig, kann die Sprache keine Herrschaft über uns besitzen; denn die könnte sie erst haben, wenn wir dieses Faktum benennen, es also aussprechen. Das Wort "Herrschaft" ist nicht nur Sprache, sondern auch schon viel zu normativ besetzt. Viel mehr ist die Sprache wie ein Kugel uns ans Bein gekettet und ob sie uns einschränkt, hängt davon ab, wo wir hinwollen und in welchem Medium (in der Schwerelosigkeit wird sie uns nicht stören). Die Sprache setzt uns Widerstand entgegen, wie Luft, die man erst spürt, wenn man beschleunigt. Und wohin beschleunigen wir? Falls wir in Richtung Vernunft und Erkenntnis beschleunigen, stellt sie sich uns entgegen, unüberwindlich; im Scheitern darin hat sie Macht über uns, in der Tat.
Aber weniger normativ besetzt sagt die Systemtheorie: Kommunikation und Kognition sind strukturell gekoppelt. Ein Versuch der Dekonstruktion dieser Kopplung, bzw. der Schemata, die sie konstituieren, ist paradox und wird nicht gelingen, auch wenn er als Überschuss Erkenntnis produziert...
Wenn du, Jacques, nun sagst:
Das dem Berechnen vorgängige (die Entscheidung etwas zu Berechnen, etwas so und so zu beurteilen) darf sich nicht dem Berechenbaren selbst zuordnen lassen, diese Entscheidung darf nicht berechenbar sein. Ansonsten wäre diese Berechnung nicht frei, das Urteil also gebunden und ungerecht.
meinst du dann damit z.B., dass Schneiders Entscheidung, über Kunst Entscheidungen zu treffen, sich fatal mit diesen Entscheidungen (Urteilen) verquickt, gebe ich dir recht. Und dann gebe ich auch scilla (die übrigens eine Frau ist) insofern Recht, als ein System, für das man sich entscheidet (ein akademisches System) Strukturen schafft in einem selbst, die dann die Freiheit der eigenen Urteile stark einschränken. Aber in diese Falle tappt man sowieso, auch ohne akademisches System - zum Beispiel, indem man das zu sehr liebt, was man beurteilt...
Was du nun KünstlerInnen zuordnest (und was wohl auch viele KünstlerInnen sich selbst zuordnen würden), ist für mich schon alles Teil der Beobachtung zweiter Ordnung (Urteile!), aber nicht Teil der Kunst selbst. Dass der Künstler sich von Zwängen befreien will, womöglich ökonomisch unabhängig (aber warum denn?), gehört nicht zur Kunst - wohl aber zur Ästhetik...
In dem Thread "Deconstructing Helge" habe ich etwas, was viele als Blödelei, Comedy, Spielerei mit musikalischen Fragmenten bezeichnen würden, mit ästhetischen Kategorien zu beschreiben versucht. Wenn ich damit erfolgreich war, habe ich die Ästhetik in Frage gestellt, weil sie etwas zu Kunst macht, es als Kunst funkionalisiert, was aber auch funktioniert, wenn man es nicht als Kunst betrachtet. Die Ästhetik schafft mit unfreien Urteilen eine Parralelwelt, die die Kunst selbst ausschließt. Dennoch kann sie Personen helfen, Dinge als Kunst zu betrachten und in ihnen etwas aufzuspüren, das sie sonst übersehen würden.

Wenn ich jetzt noch die Differenz zum Spiel ausführen würde: Kunst ist ein Spiel, das seine eigenen Regeln mit jeder Operation mitkonstituiert. Kunst ist also hinsichtlich seiner Regeln kontingent und hinsichtlich seiner Operationen. Und Regelbildung und Operation verschmelzen dabei.
Tja, diese Definition könnte angreifbar sein...und wann wird Sprachspiel zur Kunst?
 
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Da ich z.Z. nicht viel Zeit habe, möchte ich nur kurz auf deinen sehr interessanten Beitrag eingehen, Robin, und dich bitten, mir einige Dinge näher zu erläutern, damit ich zu einem anderen Zeitpunkt exakter darauf eingehen kann.

Dennoch, sage ich jetzt spitzfindig, kann die Sprache keine Herrschaft über uns besitzen; denn die könnte sie erst haben, wenn wir dieses Faktum benennen, es also aussprechen.

Das machst du doch jetzt gerade, oder? Oder wie meinst du, "erst haben, wenn wir dieses Faktum benennen"? Dieses Faktum haben wir doch immer schon benannt, denn das Faktum heisst Sprache und in jeder sprachlichen Mitteilung wird uns Sprache mitgeteilt. Die Sprache ist Medium, nicht Mittel. Die Sprache teilt nichts mit, ausser Sprache. Ich habe es bislang so gehalten: Jede Äusserung menschlichen Geisteslebens ist sprachlich.

Aber weniger normativ besetzt sagt die Systemtheorie: Kommunikation und Kognition sind strukturell gekoppelt. Ein Versuch der Dekonstruktion dieser Kopplung, bzw. der Schemata, die sie konstituieren, ist paradox und wird nicht gelingen, auch wenn er als Überschuss Erkenntnis produziert...

Ich bezweifle übrigens stark, dass die Systemtheorie weniger normativ sein soll. Ich würde sogar sagen, dass die Systemtheorie zum normativsten gehört, was sich an wissenschaftlicher Theorie im letzten Jahrhundert entwickelt hat (diese Feststellung ist ebenso unhaltbar wie die Annahme, die Systemtheorie wäre weniger normativ - das ist nämlich eine ziemlich normative Aussage).
Was verstehst du unter "Kommunikation" und unter "Kognition"? Ich möchte diesbezüglich v.a. festhalten, dass eine 'Dekonstruktion' dieser Schemata dringend notwendig ist, und dass deren Gelingen (die Bestätigung der 'Dekonstruktion' als solche) aus den von mir im letzten Beitrag ausgeführten Gründen (siehe v.a. die geschilderte Aporie) vorab nicht beurteilbar ist. Ich würde sagen: Diese Gewissheit [die Gewissheit, eine Dekonstruktion dieser Schemata würde nicht gelingen] ist eine trügerische, denn sie ist Gewissheit im Bereich des Unentscheidbaren.

Was du nun KünstlerInnen zuordnest (und was wohl auch viele KünstlerInnen sich selbst zuordnen würden), ist für mich schon alles Teil der Beobachtung zweiter Ordnung (Urteile!), aber nicht Teil der Kunst selbst. Dass der Künstler sich von Zwängen befreien will, womöglich ökonomisch unabhängig (aber warum denn?), gehört nicht zur Kunst - wohl aber zur Ästhetik...

Für mich ist der Künstler/ die Künstlerin natürlich der Kunst immer verhaftet, es besteht für mich durchaus ein Verhältnis. Die techné lebt von der Performanz. Meine Frage: Was ist für dich "Beobachtung erster Ordnung"? Gibt es so etwas? Was ist die "Kunst selbst" für dich?
Wenn sich der zweite Satz auf meine Ausführungen beziehen soll, ist es vielleicht hilfreich, etwas zum Begriff der 'Ökonomie' zu sagen, den ich verwende. Er bezeichnet etwas völlig metaphysisches, nämlich dasselbe wie das von mir bezeichnete 'Spiel' (und darin liegt die Problematik des Begriffs: Er ist - wie alle Begriffe - ein Zeichen, sprachlich; die dynamis, die Kraft macht dieses scheinbar Transzendente aber wirklich - es wirkt).

Wenn ich jetzt noch die Differenz zum Spiel ausführen würde: Kunst ist ein Spiel, das seine eigenen Regeln mit jeder Operation mitkonstituiert. Kunst ist also hinsichtlich seiner Regeln kontingent und hinsichtlich seiner Operationen. Und Regelbildung und Operation verschmelzen dabei.

Die Setzung und Ausführung bedingt natürlich immer schon die Erhaltung. Die Erhaltung ist in die Setzung, in ihren 'Ursprung', eingeschrieben. 'Regeln' werden so bei jeder Ausführung nicht nur mitkonstituiert, sondern sind dieser vorgängig. Denn jede Ausführung (ähnlich dem Problem der Entscheidung) muss sich an einer Regel orientieren, um als solche überhaupt existieren zu können. Dennoch aber ist es die Bedingungen für ihre Existenz und Berechtigung schlechthin, dass keine Regel der Setzung vorgängig ist, denn eine Setzung, die den Zweck der Erhaltung hat, ist keine absolute Setzung mehr. Was heisst also, "Kunst ist also hinsichtlich seiner Regeln kontingent und hinsichtlich seiner Operationen"? Das Adjektiv "kontingent" ist mir aus semantischen Gründen in diesem Kontext ein wenig unklar.

Liebe Grüsse, Jacques
 
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