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Neuer Patriotismus

R

Robin

Guest
Im Zuge der deutschen Reformkrise wird verstärkt auf patriotische Rhetorik gesetzt. "Patriotische Anstrengungen" werden gefordert, "Bündnisse für Deutschland" avisiert, nationale Aufbrüche angegangen, patriotische Gesinnung wird von Arbeitnehmern wie Arbeitgebern eingefordert.
Was ist von der Ausgrabung dieser alten semantischen Keule zu halten?
Ist sie wirklich geeignet, Motivationsreserven in der Bevölkerung zu mobilisieren? Und ist das überhaupt das Problem?
 
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Robin schrieb:
Im Zuge der deutschen Reformkrise wird verstärkt auf patriotische Rhetorik gesetzt. "Patriotische Anstrengungen" werden gefordert, "Bündnisse für Deutschland" avisiert, nationale Aufbrüche angegangen, patriotische Gesinnung wird von Arbeitnehmern wie Arbeitgebern eingefordert.
Was ist von der Ausgrabung dieser alten semantischen Keule zu halten?
Ist sie wirklich geeignet, Motivationsreserven in der Bevölkerung zu mobilisieren? Und ist das überhaupt das Problem?

uff. mit "patriotismus" hab ich das letzte mal zu tun gehabt, als in österreich wegen der schwarz/blauen koalition die eu-sanktionen ausgerufen worden sind. da gabs reaktionen...--- :spei1: --- da wurde mir echt speiübel.
von den USA brauch ich da noch gar nicht zu reden.

das ist nichts anderes als ein massenpsychologischer manipulationsversuch. jeder der in irgendeinem ferienlager war, kennt wahrscheinlich solche spiele, wo zwei gruppen gegeneinander wetteifern sollten. die "grünen" gegen die "blauen". gruppendynamisch eine super idee. da wird ein wir-gefühl geschaffen - WIR müssen zusammenhalten.

klar ist das auf der einen seite eine möglichkeit, verbundenheit zu erzeugen. aber auf der anderen seite werden diejenigen, die sich mit den attributen des verordneten patriotismus vielleicht nicht identifizieren können, als störenfriede ausgegrenzt. das schafft neues potential zur inneren unruhe. (kennt man vielleicht auch schon aus jugendferienlagern).

so ähnlich kommt mir das auch jetzt bei der ausrufung des deutschen patriotismus vor. da soll einfach ruhe verordnet werden, ruhe statt sachlicher auseinandersetzung.

:nein: vertragt euch doch, ihr wollt doch alle richtig gute deutsche sein. tsts....

herzlich
lilith51
 
Hi Robin,

Ich bin überrascht, daß die Patriotismus-Rhetorik so neu sein soll - ich hab den Herrn Schröder im Dezember 2003 persönlich dröhnen hören, "Sozialdemokraten sind immer Patrioten gewesen" - und schon damals grad nicht verstanden, wie er damit einen "rechten Rand" an Wählerstimmen "abschöpfen" will, wie es ja Programm der sog. bürgerlichen Parteien war.

Vielleicht ging das unter, weil's in Hamburg war, daß der Kanzler so gesprochen hat, hier hat man kein Problem mit "Patriotismus", man lebt gern hier, ist stolz drauf, hier geboren zu sein, macht aber daraus auch kein weiteres Aufhebens. "Patriotismus" meint hier aber nur unsere Stadt - mit deutschem "Nationalismus" hat das nun gar nichts zu tun, ganz im Gegenteil!

Anders gesagt: Wer außer dem Kanzler spricht denn von einem - möglicherweise gesamtdeutschen - Patriotismus?

Und der Kanzler hat sich doch nur Mühe gegeben, ein hübscheres Wort für "Nationalgefühl" zu benützen... ja, wenn's ihm denn gelungen wäre!

Davon ist - um Deine Frage zu beantworten - als Motivationsmotor nicht viel zu halten; aber das Problem liegt genau - Wo? Darin, daß Deutsche von Deutschland enttäuscht sind? Und warum sind sie das?

fragt sich
Gaius
 
Gaius schrieb:
Hi Robin,

Ich bin überrascht, daß die Patriotismus-Rhetorik so neu sein soll - ich hab den Herrn Schröder im Dezember 2003 persönlich dröhnen hören,

Davon ist - um Deine Frage zu beantworten - als Motivationsmotor nicht viel zu halten; aber das Problem liegt genau - Wo? Darin, daß Deutsche von Deutschland enttäuscht sind? Und warum sind sie das?

fragt sich
Gaius

Hallo,

es stimmt, dass die Patriotismus-Rhetorik nicht ganz neu ist, aber sie scheint sich zu verstärken. Das Ganze stößt mir auch im Zusammenhang mit der EU-verfassungsdiskussion auf; da war ich nämlich vorgestern auf einer Diskussionsveranstaltung. Und das Merkwürdige ist eben, dass alle die europäische Idee beschwören und den Verfassungsvertrag wollen, der ja vor allem auch wirtschaftliche Zielsetzungen definiert - aber wenn es ans Eingemachte geht, wird nur auf die nationale Pauke gehauen. Schröder könnte ja auch ans europäische Gefühl appellieren oder zumindest Hoffnung auf die EU setzen.
Wie dem auch sei, von Nichts kommt Nichts und irgendetwas werden sich die Politiker oder deren Redenschreiber ja denken, wenn sie den Patriotismus verstärkt das Wort reden.
Ich vermute, dass dies in der Tat nur ein rhetorischer Trick ist - er diffamiert vorsorglich schon Defäetisten und Nörgler als unpatriotisch, nur weil sie in den Reform"bemühungen" wenig Lösungsansätze für die Probleme sehen. Man bastelt sich also eine Keule zurecht, mit der man dann bei Bedarf loskloppen kann - eine erbärmliche Methode.
Wir Deutschen sind ja kein unmotiviertes Pack, das man laufend mit "Ruck"-Reden und Heimatrhetorik anstacheln musste Der Bundespräsident hat schon Recht, wenn er ein "strukturelles" Problem sieht - würde mir aber wahrscheinlich nicht zustimmen, wenn ich eine mangelhafte Struktur in der steten Kopplung von Wachstum und Arbeit sehe. Solange die beiden auftauchen wie virtuelle siamesische Zwillinge, helfen auch kein patriotischen Rucks.
Auch in der EU-Verfassung ist das stete Wachstum das Allheilmittel für ein prosperierendes Europa - nur wo funktioniert das denn und wenn mit welchen Opfern?
Der Kanzler hat nur eine Perspektive: Zu hoffen, dass die Arbeitnehmerschaft durch Gebrurtenrückgang schrumpft und bis dahin vermeintlich Unwillige als schlechte Patrioten verunglimpfen.

Meint polemisch: Robin
 
Zum Thema "Patriotismus" meine unqualifizierte Meinung:

Ich war zweimal in USA und sah, dass es dort Usus ist, in den Vorgärten die US-Flagge aufgezogen zu haben. Ich war 4 Wochen mit der Schule dort und musste erleben, dass es zum Ritual der US-Schüler gehört, allmorgendlich die Fahne zu grüssen, indem man die rechte Hand aufs Herz legt und den Eid auf die Fahne und die Verfassung runterleiert.
Uns, als Austauschschülern, wurde nahegelegt, während des Fahneneides zumindest aufzustehen und damit unseren Respekt gegenüber des Ami-Patriotismus zu zollen.
Stellt euch das mal umgekehrt vor!!!
Uns, als Deutsche, wird jede Form von Patriotismus untersagt, bzw. wenn wir ihn pflegen, dann geraten wir in den Verdacht Neos zu sein.
Inzwischen ist es so, dass die, die sich als Patrioten outen und die deutsche Fahne im Vorgarten flattern lassen, als Faschisten und Neos abgestempelt werden. Leider, oder meistens, ist es auch so!!!!
Aufgrund unserer wenig ruhmreichen Vergangenheit wird uns jeder nationale Stolz versagt. Sag ich heute, ich bin stolz eine Deutsche zu sein, dann hat das für Nichtdeutsche einen unangenehmen Beigeschmack.
Warum erkennt niemand an, dass es Deutsche auch schon vor dem 3. Reich gab, und dass wir auf eine große Geschichte - ohne Faschismus - zurückblicken können, die hervorragende Philosophen, Naturwissenschaftler, Musiker und Humanisten hervorbrachte???

Nur mal so,
Rhona
 
"Gemeinsinn" etc.

Das Zauberwort heisst: "Gemeinsinn".
Denjenigen, die sich einmal mit der Rhetorik der "Neuen Mitte" oder auch dem "Dritten Weg" beschäftigt haben, sollten Worte in diesem Stil vertraut vorkommen.
"Gemeinsinn" wird vom deutschen Kanzler wie auch von anderen neoliberalen PolitikerInnen (in den umliegenden Ländern) immer dann beschworen, wenn es um den Abbau der öffentlichen Dienste und die Beschränkung der Rechte der ArbeitnehmerInnen geht. Die Leute sollen Eigenverantwortung übernehmen und sich mit ihren Regierungen - die soziale Einrichtungen abbauen - und den Spitzen der Grosskonzerne - die Arbeitsplätze abbauen oder zumindest daran sind, die Rechte der ArbeitnehmerInnen zu beschränken (natürlich nicht in China) - "gemeinsinnig" solidarisieren. Denn es bringt ja nichts zu jammern! Wenn die Verwaltungsratsmandatsträger ihre Prämien erhöhen, weil ihr Unternehmen wieder einmal ein Rekordgewinn eingefahren hat (das jüngste Beispiel in der Schweiz: UBS; in der Schweiz erschienen die Meldungen über Rekordgewinne bei Grosskonzernen in den letzten Monaten aber im Wochentakt), sollen die einstmaligen Angestellten sich nicht zieren und endlich auch in Segmenten arbeiten, in denen sie ihre Zukunft als "working poor" fristen können (= meist Vollzeit erwerbstätig, aber unter dem Existenzminimum lebend: in unserer kleinen und reichen Schweiz sind bereits 553'000 Menschen von dieser Situation betroffen).

"Patriotische Anstrengungen"? Heisst das Erhöhung der Arbeitszeit, Flexibilisierung des Rentenalters oder einfach die Legitimation irgendeiner anderen Form der flexiblen Arbeit? Häufig ist es so, dass die "Neue Mitte" oder der "Dritte Weg" von Unternehmerkreisen nicht schlecht geschätzt wird. Denn mit neoliberalen Schlagworten ("Eigenverantwortung", "Gemeinsinn" etc.) liess sich in den letzten Jahren gut eine Politik des Sozialabbaus und des Abbaus anderer Errungenschaften im Bereich der Arbeitsverhältnisse betreiben. Zum guten Glück hat die Gegenseite, die einstige "Mitte" oder die "Rechte" auch nicht viele andere Rezepte parat, um die Situation zu ändern, weswegen eine Wiederwahl durchaus denkbar ist. Denn der neoliberale Diskurs fruchtet (viele Ökonomen beten brav dieselbe Leier): Die Menschen beginnen, sich ganz im Sinne der proklamierten "Eigenverantwortung", häufig selber zu regieren, geben sich selbst Schuld für ihre Misere und vergessen dabei, dass gewisse "Tatsachen" eben nicht naturgegeben sind...
 
Die deutsche Patriotismus-Debatte soll von irgendetwas ablenken. Wovon?

Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, daß Schwarz-Rot-Gold für eine allgemeine freie und gleiche Bürgerdemokratie steht, die in den Nach-1949er Republiken unter nämlicher Flagge eben nicht verwirklicht wurde; es könnte ja jemand die grunddemokratische, selbstbestimmte und damit im Ziel herrschaftslose Idee jenes Schwarz-Rot-Gold wieder ernst nehmen.

1848 ist die schwarz-rot-goldene Revolution gescheitert; 1949 haben zwei postfaschistische Staaten sich Schwarz-Rot-Gold vor die Nase gehängt.

Wer heute in D von Patriotismus redet, meint seine engste Region/Kommune - oder verschätzt sich: er/sie müßte denn die EU-Flagge raushängen. Was genau bedeutet jenes Schwarz-Rot-Gold, das in der Patriotismus-Debatte ja nicht wirklich gemeint ist, überhaupt? In der Konsequenz etwa den "Neoliberalismus", den Jacques befragt? Oder lebte jenes Schwarz-Rot-Gold sogar noch von der germanisch-antiken Idee der Allmende, die dann im Aktienbesitz und in den LandwirtschaftlichenProduktionsGenossenschaften unfrohe Urständ gefeiert hat?

Heißt "Patriotismus" heute also: das Rad der Geschichte 2000 Jahre zurück zu drehen?

Oder stolz Schwarz-Rot-Gold zu tragen, ohne zu wissen, wie jung und ephemer diese Farbkonstellation ist?

Grüße mit vielen Fragen, Gaius
 
Rhona, zum Thema Patriotismus gibt es vielleicht keine qualifizierte Meinung. Selbst meine allem Anschein nach als sehr qualifiziert einzuschätzenden Vorschreiber wissen nicht recht, auf was sie stolz sein sollen oder was sie zu patriotischen Anstrenungen verführen soll.
Dass andere Länder es anders handhaben, ist erklärlich, gibt aber keinen objektiven Fürhalt für Partriotismus ab. Patriotismus ist - ähnlich wie Glaube - paradox. Er stiftet eine scheinbare Einheit in einer Sache, die inWahrheit jeder verschieden empfindet. Ich kann aber in dieser Einheit keinen Nutzen sehen, zumal in Zeiten, wo man mit "alle mal anpacken"-Parolen m.E. nichts ereicht.
Ich habe in den letzten 25 Jahren schon eine Veränderung patriotischen Verhaltens in Deutschland bemerkt. In meiner frühesten Jugend waren jegliche Deutschlandfahnen nahazu tabu (es sei denn für die ganz offiziellen Anlässe). Selbst bei Sportveranstaltungen kamen sie selten zum Einsatz. Das änderte sich vor allem nach der deutschen Einheit spürbar. Heute sind man schon deutlich mehr deutsche Fahnen und patriotische Bezeugungen als in den 70/80ern. Aber die, die deutsche Fahnen schwenken, sind ja nicht die, die auf Goethe besonders stolz sind, die sich im Bewusstsein einer besonders glorreichen philosophisch/künstlerischen Vergangenheit sehen.
Wie dem auch sei, in ihren besten Jahren kam die Bundesrepublik auch ohne großen Patriotismus aus, wir haben uns in der Tat eine Zurückhaltung anerzogen, auf die wir sogar paradoxerweise stolz sein könnten ;) Wenn mir jemand erklärt, was wir mit Patriotismus gewinnen, denke ich gerne noch mal drüber nach. Ich war oft in den USA und dieses Beispiel hat mich sehr erschreckt, denn dort ist der Patriotismus wirklich total hirnlos. Und der Nachbar, der im Garten nebenan Deutschlandfahne und Michael-Schuhmacher-Flagge hisste, war nun mal der bescheuertste von allen.
Bis dahin sehe ich den Patriotismus so, wie in meine Vorredner beschrieben: Als eine unlautere Instrumentalisierung mit zweifelhaften Zielen.
 
Also bei dem Thema hörts echt auf.
Wir deutschen dürfen nicht stolz auf unser Land sein weil es ein Knick in der Geschichte unseres Landes gibt der bestimmt sehr schlimm ist, aber es ist ja auch nicht so als wüssten wir das nicht.
Der großteil unseres Landes ist alles andere als stolz auf das was damals war. (Die dies doch sind haben meiner Meinung nach nicht verstanden was eigentlich passiert ist)

Aber Amerika hat in seiner Geschichte auch Knicke auf die kein Amerikaner stolz seien sollte.
Aber stolz auf sein Land zu sein bedeutet nicht stolz auf das zu sein was in der Geschichte negativ ist.

Vergleich:
Dürfen Eltern auch nicht mehr stolz auf ihre Kinder sein, weil diese fehler in ihrer Laufbahn machen?
Dann wären bestimmt 85% der Eltern nicht mehr stolz ihre Kinder...
(Vergleich bitte in Relation sehen ich will mir nicht anmaßen Massenvernichtung von Menschen mit Fehlern einzelner Kinder auf eine Ebene zu stellen)

Denkon
 
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Denkon - Dieselben Deutschen, die aufgrund ihrer üblen Geschichte keine deutsche Fahne zeigen dürfen sollen, haben kein Problem damit, auf Demonstrationen die Nationalflaggen ihrer jeweils als "revolutionär" favorisierten Länder herzuzeigen - auch wenn diese von den schlimmsten Despoten regiert werden.

Da würde ich am 3. Oktober lieber im besten Gewissen die schwarz-rot-goldene Fahne hinaushängen.

Soviel, Robin, wäre gewonnen: wenn alle Deutschen sich klar würden, wofür Schwarz-Rot-Gold steht, anstatt diese Fahne der freiheitlichen Republik mit dem Versuch des Imperialismus des 1.Reiches (unter schwarz-weiß-roter Fahne) und dem Destruktivismus des 3. Reiches (unter der Hakenkreuzfahne) zu verwechseln.
 
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