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Nationalitätenzugehörigkeit als beliebiges Vorstellungskonstrukt?

PhilippP

Well-Known Member
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8. April 2003
Beiträge
930
Hallo miteinander,

stellt man sich einmal ganz nebenbei die Frage, was es wohl ist, das die eigene Nationalitätenzugehörigkeit ausbildet, dann könnte man hierauf nun schlicht antworten, es sei die Geburt innerhalb der Grenzen einer bestimmten Nation, die einen als Menschen zu dem macht, was man ist.

Fragt man nun forschend nach, was denn diese besagten nationalen Grenzen im eigentlichen ausmachen und vor allem, durch wen diese bestimmt und gesetzt werden, dann kann es nicht allein die Geburt sein, sondern dann sind es die mündigen Menschen, welche jene Grenzen bestimmen und bestätigen und zwar fortwährend aufs neue.

Somit ist also keineswegs die Geburt als eigentliche Ursache für Nationalität zu bezeichnen, sondern vielmehr die Weltvorstellung der schon lebenden Menschen, unserer Vorfahren.

Da ich mich nach meiner Geburt als eigentlich beliebiger Mensch mit den ich-bestimmenden Vorstellungen meiner Vorfahren konfrontiert sehe, halte ich mich in meiner kindlichen Hilflosigkeit an nur irgend erfahrbaren Merkmalen fest (z.B. Sprache, Bräuche, Gesetze, Bauten) und identifiziere mich dann darüber, was meine Umwelt an solch greifbaren Gemeinsamkeiten zu bieten scheint und mir zur Konstruktion meiner mehr oder minder aufgenötigten Welt- und Nationalitätenvorstellung dienen kann.

Dem sich in dieser Weise fremdidentifizierenden Menschen ist jedoch meist nicht bewusst, dass das, worüber er sich letztlich bestimmt, schlicht das Denken und die Vorstellung und hieraus resultierend das Ergebnis des Handelns anderer ist. So versäumt er oftmals die selbstgefällige Kompetenz, in sich die Fähigkeit zu entdecken, ein eigenes, individuelles Selbst- und Lebensgefühl heranzubilden, das sich nicht länger einer allgemeinen Wir-Vorstellung unterordnet, die in ihrem hohl wirkenden Drang nach Selbstbestätigung eine solch reißende Wirkung zu entfachen vermag, welche sich erst durch die Bejahung der Vielen zum Konkreten ausbilden kann und dann mit triumphalem Getöse und rücksichtsloser Hast ihre Daseinsberechtigung verkünden möchte, in ständig panischer Angst, dass der eigentliche Wahn, der die stahlharte Fassade nur als solche erscheinen lässt, von nur wenigen klaren Gedanken enttarnt werden könnte.

Wenn ich mir aber die bloße Fähigkeit zugestehe und von allgemein scheinenden Vorstellungskonstrukten abweiche, jene gar bewusst selbständig verändere, dann ergibt sich schon bald ein neues, ungleich selbstgerechter wirkendes Ich- und Identitätsgefühl, das sich allein in meinem Handeln spiegelt und meine eigene Weltsicht durch mich erkennbar und veränderbar werden lässt. Ich fühle mich dann als ganz eigener Menschen auf dem Planeten Erde, der zufällig an einem bestimmten Ort auf die Welt geworfen wurde, aber deshalb sich in kaum einer Weise von den anderen unterscheidet, allerhöchstens im Denken.

Was aber kann noch beliebiger sein als das Denken, wenn man dieses nur erst selbst beherrscht?

Viele Grüße,

Philipp
 
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Philipp, selbständiges Denken halte auch ich für unverzichtbar. Darin fühle ich mich keineswegs beeinträchtigt durch die Art meiner Nationalität. Diese fügt einer selbständigen Identität zwar noch weitere Eigenschaften hinzu, hat aber meines Wissens keine Auswirkungen auf selbständiges Denken per se.
Dass dieses Denken beliebig sei, kann ich nicht feststellen. Zwar kann ich Beliebiges denken, aber macht Beliebigkeit Sinn?


gruß manni
 
Hallo Mwirthgen,

mit der Beliebigkeit wollte ich nicht Sinnlosigkeit verdeutlichen, sondern viel mehr aufzeigen, dass wir fixe Schranken oft nicht bewusst durch unser Denken begreifen, obwohl sie - so vermute ich - allein darin verankert sind. Wenn wir z.B. umdenken, dann gestaltet sich auch das vorher gedachte, in seiner Auswirkung auf das, was wir als Realität empfinden, anders.

Das Nationalitätsempfinden wäre ein Teil des Denkens, also nicht davon abzuspalten. Das Nationalitätsempfinden wäre aber veränderbar. Dies hätte nun erstmal nichts mit den gegebenen Tatsächlichkeiten zu tun, sondern allein mit der Möglichkeit des eigenen Denkens. Die eigene Identität wäre also z.B. durch bewusstes Hinterfragen und ein daraus resultierendes Umdenken veränderbar, was längerfristig auch Konsequenzen auf unser Handeln hätte.

Grüße,

Philipp
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo, Phil

Aus dem nichtsnutzigen Nichtstun ( dolce far niente) mich selbst in die raue Luft des Denkens im geordneten Sein des gleichnamigen Forums werfend, finde ich alsogleich von Dir Interessantes vor.

Du fragst, was bewirkt, dass wir uns zu einer bestimmten Nation zugehörig fühlen, ob dieses Zugehörigkeitsgefühl uns nicht möglicherweise im Denken einengt. Habe ich Dich richtig verstanden?
Zu1)Ich könnte es uns ganz leicht machen, wie Du auch schon angedeutet hast, und schnöde sagen, das Geborenwerden in eine bestimmte Gemeinschaft mit bestimmter Sprache, bestimmter Kultur an bestimmten Orten (in Ländern) macht unsere Nationalität aus. Und diese Antwort stimmt rein formal auch.
Wesentlicher scheint doch zu sein, dass ich ein großes Naheverhältnis zu allem, was deutsch ist, habe. Ich bin gerne deutsch, identifiziere mich gerne mit den überlieferten kulturellen Traditionen, bin froh, mich in meiner Muttersprache richtig ausdrücken zu können. Damit Hand in Hand geht eine große Trauer und Scham wegen der unzähligen Verbrechen in der neueren deutschen Geschichte.
Und nun wage ich ganz provokant eine psychologische Erklärung. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen Nähe und Zusammengehörigkeit brauchen. Und dieses Bedürfnis bewirkt das eine, die meist freiwillige Identifizierung mit der eigenen Nation. Und wie schauerlich dieses Grundbedürfnis im vorigen Jahrhundert im Zeitalter des eskalierenden Nationalismus ausgenutzt wurde sagen schon die vergleichsweise „harmlosen“ Slogans des 1. Weltkrieges: Jeder Schuss, ein Russ, jeder Stoß, ein Franzos` usw ( Ähnliches gibt es in allen der damals Krieg führenden Länder). Auf den Nationalsozialismus (Chauvinismus) will ich gar nicht kommen, zu schamlos wurde damals das psychologische Bedürfnis des Menschen nach Gemeinschaft ausgenutzt.

Und so will ich auch ganz schnell zu Punkt 2 kommen. Wenn die Identifikation mit jeweils
„meiner“ Nation keinerlei Kritik ( von innen, der Einzelperson selbst/ von außen: z.B. Medien ) mehr zulässt, dann besteht die Gefahr der gedanklichen Unfreiheit, dann könnte ich auch nicht so in den Alltag leben, dann müsste ich was tun: was tun gegen Diktaturen.

Wer aber nicht merkt, dass er im nationalistischen Sinne manipuliert wird, denkt in der Regel so wie so nicht selbstständig.
Und hier schließe ich mich Manni an: die Liebe zur eigenen Nation schließt keineswegs kritisches oder selbstständiges Denken aus: im Gegenteil sie fordert dazu auf.

Am Rande: Was meinst Du, wie mir jetzt in Griechenland so manche „typische“ Deutsche auf den Keks gegangen sind: laut, selbstbewusst bis zur Arroganz, überall die Ersten in der Schlange usw usw .Es gibt auch Ausnahmen, mich ( bitte grinsen).


Liebe Grüße. Majanna
 
Hallo Majanna,

erstmal willkommen zurück aus den griechischen Gefilden, ich selbst habe mich derweil in Südkorea aufgehalten, dort gab es absolut keine Deutschen (mal von uns abgesehen), es war eine angenehme und auch einmalige Urlaubserfahrung.

Das mit dem nichtsnutzigen Nichtstun, das möchte ich mal überhört haben, denn wer erfährt schon gerne, dass er zu nichts nütze ist ;)

Doch Spaß beiseite, genug gescherzt, kehren wir nun also zurück, zur bierernsten und obendrein staubtrockenen Arbeit, welches uns das reflektierte Sein als Bedingung stellt, dem Denken. *würg*

Nein, nein, so wird das heute Abend nichts mehr, ich versuche es einmal ohne Ernst, vielleicht verlässt mich dann dieser kleine, fiese Gedankenkobold, welcher mir gerade im Kopf herumhampelt und mich meiner klaren Gedanken auf hinterhältigste Weise zu berauben sucht.

Gut, jetzt sollte es gehen, ich muss mich für die obigen Ausfälle höchst feierlich entschuldigen, jetzt, wo ich wieder vernünftig zu sein scheine ;)

Also zum Thema. Stichwort: Frauenfußball. Gestern (oder war es vorgestern?) gewann, wie Du sicher weißt, die Deutsche Frauenfußballnationalmannschaft den WM-Titel. Ich habe nur die letzten paar Minuten der Verlängerung zufällig verfolgt und war, als das finale Tor fiel, plötzlich emotional sehr aufgewühlt und innerlich stolz, ja, ich jubelte innerlich.

Warum nun dies? Ich bin weder fußballinteressiert, noch eine Frau, noch jemand, der sich mit einer handvoll Fußballerinnen identifizeren und diese obendrein als Stellvertreterinnen einer ganzen Nation erklären würde ... Dennoch, ich habe so empfunden, obwohl ich es mir, im Nachhinein, selbst nicht gerne eingestehen möchte.

Wenn also nun selbst ein Mensch, der bewusst hierüber reflektiert und sich, würde man ihn danach fragen, selbst - wenn überhaupt - als offener Weltbürger bezeichnen würde, wenn nun sogar dieser nicht anders kann und in gewissen Momenten einen nicht greifbaren Nationalstolz empfindet, dann gibt mir dies in der Tat zu denken.

Da muss also eine "Eichung" erfolgt sein, die sehr schwer wiegt und tief in uns verankert ist. Ich denke, Du kommst mit Deinen Betrachtungen dem sehr nahe. Es mag ein Bedürfnis nach Gemeinschaft sein, entsprungen aus der Tatsache, das kein Mensch alleine dauerhaft überlebensfähig ist, dass wir, trotz unseres Selbstseins, zu einem gemeinsamen Lebensbaum gehören und sei dies auch hauptsächlich in der eigenen Empfindungswelt gegeben.

Als sehr wichtig sehe ich es daher an, diese - wenn man so will - beiden Welten, das Ich-Sein und das Wir-Sein, in ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zu bringen, so dass ich mich selbst umfassend spüre und als selbstwertes Lebewesen empfinde, aber auch die Anderen, die sich letztlich in der gleichen Situation befinden, annehme und ihnen einfühlend begegnen kann. Ich glaube, dass letzteres kein allzu großes Problem darstellt, wenn ersteres gegeben ist. Daher sehe ich ein ausgeprägtes und selbstbewusstes Indiviualgefühl auch nicht als Nachteil an, viel eher als Voraussetzung, um sich - ausgehend von einem stabilen Selbstgefühl - in andere Menschen angemessen hineinfühlen zu können, Empathie.

So ergänze ich Deine Ausführungen nur in einem Punkt, nicht nur die Liebe zur eigenen Nation (Nationalitätengefühl) fordert zum kritischen und selbstreflektierten Denken auf, sondern auch vor allem die ausgewogene Liebe zu sich selbst.

ps. vielen Dank für Deine Antwort, ich befürchtete nämlich schon, dass meine Überlegungen in den weiten der Forenräume ungelesen verloren gehen. :rolleyes:

Viele Grüße,

Philipp
 
Original geschrieben von PhilippP
mit der Beliebigkeit wollte ich nicht Sinnlosigkeit verdeutlichen, sondern viel mehr aufzeigen, dass wir fixe Schranken oft nicht bewusst durch unser Denken begreifen, obwohl sie - so vermute ich - allein darin verankert sind. Wenn wir z.B. umdenken, dann gestaltet sich auch das vorher gedachte, in seiner Auswirkung auf das, was wir als Realität empfinden, anders.

Philipp, das sehe ich auch so: Durch Umdenken können wir viel bewirken. Dennoch ist dies Umdenken im Zusammenhang mit dem Dasein nicht immer leicht zu bewerkstelligen, da das Denken nach meiner Erfahrung - im Gegensatz zu deiner Ahnung - nicht allein in sich selbst, sondern auch im Dasein verankert ist. Der Mensch denkt, was er ist.

gruß manni
 
Original geschrieben von mwirthgen
Philipp, das sehe ich auch so: Durch Umdenken können wir viel bewirken. Dennoch ist dies Umdenken im Zusammenhang mit dem Dasein nicht immer leicht zu bewerkstelligen, da das Denken nach meiner Erfahrung - im Gegensatz zu deiner Ahnung - nicht allein in sich selbst, sondern auch im Dasein verankert ist. Der Mensch denkt, was er ist.

gruß manni



Du, Manni, meinst Du im Konkreten, dass ich nur deutsch/ spanisch usw bin, weil ich es denke?
Meinst Du, dass ich durch bloßes Umdenken plötzlich statt deutsch spanisch bin und umgekehrt?


Psychologisch stimmt es schon, dass der Mensch denkt, was er ist: aber eben nur in der Erzeugung eines Selbstbildnisses.


Ich bin deutsch, weil meine Eltern deutsch waren.
Ich habe auch die österreichische Staatsbürgerschaft, weil ich es wollte.

Ich denke eher wie Phil: Das Problem beginnt bei der Identifikation. Diese muss/ wird/ kann das denkende Ich selbst leisten. Sich seine Staatsbürgerschaft wegzudenken, ist im Praktischen eher unpraktisch: der Staat, dess Bürgerschaft besitzt, beschützt ja schließlich seine Staatsbürger . rechtlich z B .
 
Hallo majanna ...

ich glaube nicht, dass Du durch umdenken plötzlich spanisch wirst, sondern Mensch ...

lg mara
 
Du wirst es nicht glauben, aber ich glaube, das bin ich bereits.


Da Du ja offensichtlich nur scherzen wolltest, antworte ich Dir lieber nicht, dass ich es merkwürdig finde, aus einer Gedankenführung einen Satz herauszupicken und ihn zum Anlass zu einer neuen Behauptung zu nehmen.


Aber zu Deiner Beruhigung: Ein moderner Mensch ist deutsch, österreichisch , spanisch - welche Nationalität Du immer willst - . Das ist Fakt.Und ist er staatenlos, ist das eher ein Unglück für ihn.

Mein Argument an Manni war nur, dass diese Tatsache nicht durch bloßes Umdenken änderbar ist.

Meinst Du, dass Humanität dadurch entsteht, sich in andere Nationalitäten hineinzudenken?

Wenn Du das so abstrakt meinst, magst Du nicht Unrecht haben. aber es bleibt ein reiner Denkakt und mag Toleranz fördern sein.
 
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Stell Dir mal vor, Du Giftspritze ... :D

Ich habe keinen Scherz gemacht ... ich kann auch ernst ... ja :)


Erst wenn wir nicht mehr in Nationalitäten unterscheiden, werden wir Gemeinsamkeiten sehen ...

Wir sind alle Menschen und ob Deutscher, Türke, Engländer oder Spanier ... in unseren menschlichen Verhaltensweisen unterscheiden wir uns kaum ...
Alle reagieren gleich, auf Zuwendung, Abwertung etc. ...


Das war alles was ich ausdrücken wollte, meine liebe Janna !

Es liegt wohl daran, dass ich gar nicht weiß, wie sich "deutsch" anfühlt ... Ich bin ein eher internationaler Mensch :) , der nunmal hier in Deutschland geboren wurde ...

Mir kommen nicht die Tränen, wenn die deutsche Nationalmannschaft Weltmeister wird. Und es juckt mich auch nicht die Bohne, wenn "die Deutschen" die meisten Medaillen abstauben. Ich verstehe dieses Gefühl nicht ... ich finde es eher erschreckend, wenn ich diese Bierbäuche sehe, die selbst noch nie auch nur eine Spur Sport gemacht haben und dann vor dem Fernseher sitzen und fachmännisch Anleitungen erteilen, wer wie wo was besser machen müßte/könnte/sollte ...

ich finde das lächerlich !

Nein - ich denke nicht, dass Humanität entsteht, indem man sich in andere Nationalitäten hineindenkt ...

Ich denke, Humanität entsteht, indem man sich die Nationalität wegdenkt ! Einfach nur durch hinschauen, einfach durch akzeptieren des Anderssein und durch Bereitschaft, sich aus diesem Anderssein etwas für sich selbst zu ziehen, verstehst Du?

lg mara
 
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