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Gedanken zur menschlichen Würde

Roberto

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30. Juni 2007
Beiträge
31
Eine eindeutige Definition des Würdebegriffes erscheint selbst heute, in Zeiten verbürgter - aber nicht immer eingehaltener – Menschenrechte, nicht machbar. Der erste Artikel des deutschen Grundgesetzes winkt uns in schwammiger Form entgegen. Die Würde sei unantastbar. Damit wissen wir, was sie ist, aber nicht wer. Viele Denkschulen, viele Gerichtsurteile, viele Glaubenslehren aber haben Darlegungen geliefert. Dennoch zeigt sich ein Bild großer Individualität, wenn man einzelne Zeitgenossen danach fragt, was denn nun menschliche Würde sei.

Grob läßt sich in verschiedene Auffassungen einteilen. Einerseits wird Würde als Gestaltungsauftrag gesehen, andererseits als Wesensmerkmal. Der ersteren Ansicht reicht das Menschsein alleine nicht aus, während Zweiteres genau dies zum Maßstab erhebt. Dennoch fließen beide Auffassungen in vielen Einzelfällen ineinander, so daß das Wesensmerkmal einen Gestaltungsauftrag zur Folge hat. Jener also, der sich Mensch nennen darf, hat sich in ebendieser Form – menschlich, human also – in der Welt zu bewegen.

Wollen wir uns denen zuwenden, die das Wesensmerkmal als Imperativ leugnen. Derlei Zeitgenossen finden sich nicht alleine unter den extremistisch Gesinnten, sondern quer durch alle Gesellschaftsschichten. Es sei eben nicht ausreichend Mensch zu sein, urteilen sie und spalten damit direkt die Gesamtheit aller Menschen und kategorisieren diese. Die mangelnde Vorab-Würde ist Wurzel der Ressentiments, mit denen Menschen sich begegnen.

„Das Bewußtsein meiner im Bewußtsein des Anderen, und umgekehrt, ist das Bewußtsein der Gattung. Der Andere macht mir erst mein eigenes Wesen gegenständlich. Er ist mir daher kein gleichgültig Anderer, er ist mein Du, wie umgekehrt ich sein Du bin." – Die Gleichheit von Mensch zu Mensch, das Ichwerden am Du, ist es, was uns in diesem Feuerbach-Zitat entgegenschlägt. Verweigere ich dem Menschen an meiner Seite die Vorab-Würde, so weigere ich mich selbst, dem Menschengeschlecht zugehörig zu sein. Apriorisch haben wir dem Nächsten Würde anzurechnen, nicht erst, nachdem wir ihn bewertet und geprüft haben...

Freilich, soviel muß zugestanden werden: Es fällt zuweilen schwer, jedem Narren mit Respekt und Vernunft entgegenzutreten. Man stelle sich jene vor, die wir in diesen Zeiten oft als wertlos erachten. Jene, die an Produktivität mangeln und denen wir Ballastexistenz nachsagen. Greifen wir uns einen misanthropischen Alkoholiker heraus, der seine Mitmenschen kujoniert, sich selbst weniger Leiden kann, als die Schmeißfliegen in seiner verwahrlosten Küche. Einer Gestalt also, bei der man den Weltgeist anfleht, er möge ihm nie Fortpflanzung gewähren, einen Sohn, der mit seinem Irrsinn infiziert zu sein droht. Wie schwer fällt es dem Menschen da, sich mit diesem Schattenwesen der Menschheit zu vergleichen?

“Homo sum, humani nihil a me alienum puto.” – Daran kann keine Ethik vorbeigehen. Es ist Teil der conditio humana, einen solchen Mitmenschen zu verachten. Hier hat der Würdebegriff verloren, reichert man ihn nicht um den Gestaltungsauftrag an. Zwar verleihen wir jedem menschlichen Wesen vorab Würde - selbst wenn sein Auftreten dem eines Schweines gleicht -, doch der wahre ethische Mensch verbindet damit einen Auftrag, welcher ihm auch solche Subjekte zu respektieren erlaubt. Eine Maßregelung des Gefühls, damit Hinwendung zur Vernunft.

Man respektiere den alkoholisierten Menschenverächter, ja, man ignoriere ihn. Doch eines nie: Man spreche ihm die Menschenwürde ab, selbst wenn er in menschlicher Gesellschaft zu grunzen beginnt. Mit den Worten Hegels: „Selbst der verbrecherische Gedanke eines Bösewichts ist großartiger und erhabener als die Wunder des Himmels.“ – Die Wunderbarkeit menschlichen Lebens geht auch am misanthropischen Säufer nicht verloren. Und erhaben jene, die sich solch verlorener Menschenwesen annehmen. Es mag durchaus etwas Kynisches in solchem wohltätigen Handeln liegen; der Wohltäter mag sich denken: „Du verachtest mich, Säufer, Du belächelst mich, nennst mich einen bornierten Moralisten, doch ich zeige es Dir: Ich begegne Dir mit Achtung und Respekt.“

Die Würde des Menschen ist mit diesen wenigen Zeilen nicht abgehandelt, vielmehr die Würde, die man dem welken Geist in Menschengestalt entgegenzubringen hat. Dem Paria also, der so gerne wäre und nicht ist, der aber Anrecht auf sein Dasein besitzt. Der zwischen Leben und Tod wandelt und sein Ableben noch nicht bemerkt hat. Leicht ist es, seinem Mitmenschen Respekt zu zollen, wenn er in Art und Weise dem eigenen Leben gleicht. Interessant wird der Würdebegriff erst, wenn er am lebenden Mißstand erprobt werden soll; interessant wird es also, wenn man im Alltag mit Jenem konfroniert wird.

Die Würde des Menschen ist antastbar. Wäre sie es nicht, bedürfe es keiner Gesetzgebung diesbezüglich.
 
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AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Guten Tag Roberto,

Ich möchte Ihren Beitrag nicht grundlegend in Frage stellen - er scheint ohnehin eher fragenlos und selbstgenügend im den Raum gestellt - dennoch eine kurze Anmerkung meinerseits:

"Eine eindeutige Definition des Würdebegriffes erscheint selbst heute, in Zeiten verbürgter - aber nicht immer eingehaltener – Menschenrechte, nicht machbar." (Roberto)

Die Würde ist Begrifflich recht gut beschrieben, nämlich als Ausdruck des inneren Wertes eines Menschen. Interessanter wäre meiner Ansicht nach die weiterführende Frage, was Werte sein können, wie jene sich heranbilden und vor allem, wie normative Wertegefüge entstehen.

So thront das Kleid der Würde zwar nett umgarnt, mit allerlei Zierrat bestickt, wobei vom frech-kessen Blick unter den selbigen abgesehen wird.

Beste Grüße,

Philipp
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Roberto,
Deine Beiträge gehören in ein Universitäts-Seminar - hochlobend gemeint.
Wunderbar zu lesen - schwer zu beantworten.
Diese "Beiträge" sind eher "Artikel": sie beantworten sich selbst.
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Eine eindeutige Definition des Würdebegriffes erscheint selbst heute, in Zeiten verbürgter - aber nicht immer eingehaltener – Menschenrechte, nicht machbar.

die Würde ist der Wert eines Menschen bei Selbstaufopferung

die Würde ist deshalb nicht anzutasten,
weil dieser Wert unendlich hoch ist

Selbstmord-Attentäter kämen in den Himmel,
wenn sie nicht die Würde anderer antasten würden

Die Würde des Menschen ist antastbar. Wäre sie es nicht, bedürfe es keiner Gesetzgebung diesbezüglich.

wer die Würde antastet,
macht sich strafbar
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Hi Roberto,
es sind eben solche Beiträge von Dir, die einem dazu bewegen, in sich hineinzuhorchen und nachzusehen, wie weit der Wahrheitsgehalt Deiner Aussage zutrifft. Und wenn ich tief genug nachgesehen habe, dann muß ich bestätigen, die Würde des Menschen ist antastbar, und wenn noch so viele Regeln deswegen erstellt werden.

Und jeder, der nur ehrlich genug sich selbst gegenüber ist, wird dies bestätigen müssen.


Gruß
Andreas
 
AW an Andreas

Ja, Andreas, Du hast recht.
In einem Forum, in dem zu einem sehr hohen Prozentsatz hauptsächlich gespielt wird, sind Beiträge - wie die von Roberto - etwas besonders Wertvolles. Manchmal braucht man einfach Anstöße wie die seinen zur eigenen Lebens-Reflexion.
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Hm.. Mir schwirrt etwas im Kopf herum und, auch auf die Gefahr als Mystizist abgestempelt zu werden, möchte ich meiner Auffassung von Würde, die ich nicht anders ausdrücken kann, freien Lauf lassen:

Das Leben ist ein unglaubliches Wunder, das erscheint auch jedem Evolutionsbiologen, vielleicht sogar grade dem, so. Meiner Meinung nach liegt das Geheimnis der Würde des Menschen im Pantheismus, oder auch in Teilen indianischer und asiatischer Religion. Die Natur ist ein großes Bewusstsein, ein großer Organismus, und wir sind Teile dieses Organismus'. In einem großen Ganzen kann es einem Teil des Organismus' nicht egal sein, wenn ein anderer Teil zu Schaden kommt, denn es ist selbst für den einen Teil kontraproduktiv. Es hat die gleichen Konsequenzen, wie der kategorische Imperativ (der ja auch dem GG Art.1 als ideologische Grundlage dient), geht aber von einer anderen Basis aus. Nach meinen Ausführungen wäre also die menschliche Würde der Gehalt, den ein Individuum hat, der dem Gesamtsystem gehört... Und das ist er Ganz. Also würde alles, was kooperativ dem großen Ganzen dient, die Menschenwürde ausmachen und alles, was im letzten Endeffekt dem großen Geist schadet ist ein Angriff auf die Menschenwürde.... Nun also.. Alles sehr mystizistisch gesprochen und wem das nicht gefällt, der soll bitte nur auf den Verweis auf den kategorischen Imperativ nach Kant achten.

mfG Ginsi
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Die Natur ist ein großes Bewusstsein, ein großer Organismus, und wir sind Teile dieses Organismus'. In einem großen Ganzen kann es einem Teil des Organismus' nicht egal sein, wenn ein anderer Teil zu Schaden kommt, denn es ist selbst für den einen Teil kontraproduktiv.

Die Schönheit des Gedankens ist faßbar, klar begreiflich. Hier zeigt sich natürliche Religiosität, welche dort zuhause ist, wo der Mensch direktes Kettenglied seiner Umwelt ist. Durchaus, so ist zuzustimmen, erkennt man Gedankenzüge, welchen die indianischen Völker folgten. Und doch erscheint der Gedankengang nicht bis zum Ende durchdacht.

Der Mensch als Glied im Ganzen, welches wir Schöpfung oder Leben nennen wollen. Alleine daraus läßt sich aber die menschliche Würde nicht rekrutieren. Denn ist nicht auch der Wurm Teil des Ganzen? Oder ein Baum? Und sicher müßten wir jeden Grashalm in diese Aufzählung mit aufnehmen. Freilich, das Leben zu ehren, ganz im Sinne Albert Schweitzers - „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ -, zeugt von edlem Geist, von Liebe zu jenem, was uns alltäglich begegnen kann, wenn wir nur wollten. Und dem Vorredner ist auch zuzustimmen, daß es wahrlich eine Form der Mystik darstellt, so durch das Leben zu wandeln. Mit Bedacht und Muse dem Alltag zu begegnen, das Leben rundherum nicht als Selbstverständlichkeit zu akzeptieren – dazu ist ein Hang zur Mystik notwendig.

Aber zurück zur Kritik. Bei aller Sympathie der Idee also, bleibt die Frage im Raume stehen, ob es ausreichend sein kann, im Ganzen die menschliche Würde zu erblicken. Eher, so meine ich feststellen zu dürfen, sprechen wir hier von der Würde des Lebens, also von der Allgemeinheit allen Lebens auf Erden. Doch menschliche Würde definiert sich durch das Menschsein. So ist die Würde des Menschen nicht der Gesamtheit der Schöpfung immanent, sondern liegt einzig und alleine im Menschen begründet.

Die Würde des Menschen muß anthropologisch gefestigt werden. „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Die Gleichheit der Menschen, d.h. ihre Zugehörigkeit zur Spezies Mensch, verleiht ihnen Würde. Der Mensch adelt sich selbst durch seine Gleichheit zum Mitmenschen, durch die Gabe des Vernunftgebrauchs, durch die Nacktheit, die sein Leben bedroht, durch die natürliche Künstlichkeit, die in allen Menschen schlummert. Mit den Worten Feuerbachs: „Das Bewußtsein meiner im Bewußtsein des Anderen, und umgekehrt, ist das Bewußtsein der Gattung. Der Andere macht mir erst mein eigenes Wesen gegenständlich. Er ist mir daher kein gleichgültig Anderer, er ist mein Du, wie umgekehrt ich sein Du bin. Er hat die bestimmte Bedeutung meines Alter Ego.“

Um nochmals meine Anfangsgedanken – der erste Beitrag in diesem Themenkomplex – Geltung zu verleihen: Nicht Taten oder gesellschaftliche Stellungen, nicht Reichtum oder Wissen, nicht Hautfarbe oder Können entscheiden darüber, ob dem Menschen Würde zuzusprechen ist. Die menschliche Würde ist ein Vorschuß. Sobald der Mensch Mensch ist, erhält er, vorab jeglicher Leistung, den Status der Menschenwürde verliehen. Die Menschenwürde ist kein Geschäft verödeter Krämerseelen, wenngleich in dieser Frage ein eklatanter Mißstand auf Erden herrscht. Dies – die Vorab-Würde - ist die Konsequenz, die wir aus den Worten Feuerbachs oder Bubers erhalten.

Diese Stellung, diese Inthronierung des Menschen zu seinen Gunsten, darf freilich nicht fehlinterpretiert werden. Der fehlerhaften Annahme des Mittelalters, wonach der Mensch Zentrum allen Seins sei, er deshalb Anrecht auf Anpassung allen Lebens zu seinem Vorteile hat, ist unzweifelhaft Irrlehre. Die Auswüchse kapitalistischer Gleichgültigkeit gegenüber der Umwelt, haben diese antiquiert-religiöse Weltsicht aufgesaugt und erheben den Vorteil der eigenen Spezies zur Maxime - ebenso wie den Krieg gegen jedes Lebewesen, welches sich nicht Mensch nennen kann. Die Stellung des Menschen, der sich Würde aufgrund seines Menschseins verleiht, darf nur die, des primus inter pares sein.

Verbannen wir aber den Tatbestand des Menschseins aus der Definition des Würdebegriffes, folgen stattdessen des Ausführungen, wonach der Mensch als Teil des Ganzen zu betrachten sei, so stellt sich eine praktische Frage: Wenn in einem brennenden Haus ein Mensch um sein Leben schreit, zudem dessen Hund aus selbigen Motiv jault, die Zeit aber nurmehr ausreicht, eines dieser beiden Lebenwesen zu retten, wer hat Vorrecht? – Können wir noch von Menschenwürde sprechen, wenn wir uns bewußt gegen den Menschen, dafür aber für den Hund entscheiden? – Hier zeichnet sich ab, weshalb das dogmatische Christentum jahrhundertelang Angst vor dem Pantheismus hegte. Denn wird der Mensch Naturwesen ohne Primatsanspruch, so wird es schwierig, die Gottesebenbildlichkeit zu begründen. Und in unserem Falle würde es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, von Menschenwürde zu sprechen.
 
AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Du hast anfangs meine Gedanken nochmal wiederholt Roberto und grade, weil ich diesen zustimme, kann ich deine Kritik nicht akzeptieren ;). Respekt vor dem Leben als Ganzes zu haben, deine sogenannte "Würde des Lebens" verbunden mit meinen Gedanken verbietet gradezu nun nocheinmal eine menschliche Würde zu definieren, weil wir Teil des Ganzen sind. Das Problem liegt ja eigentlich darin, dass der Mensch sich als Individuum sieht, das, was Mönche asiatischer Religionen durch Meditation versuchen abzulegen. Denn würde sich der Mensch auf einer Ebene mit allem anderen Leben begreifen, wäre so etwas wie Menschenwürde, was eigentlich das gleiche wie die "Würde des Lebens" ist (wie du, bzw. Feuerbach, ausführst), nur dass sie alle anderen Lebewesen außer dem Menschen ausklammert, nicht weiter nötig. Deine Ausführungen beschränken die Wiedererkenntnis von sich selber in anderem Leben auf den Menschen, meine weiten diese auf die Natur an sich aus.

mfG Ginsi
 
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AW: Gedanken zur menschlichen Würde

Hallo Roberto,

zwar darf ich erfahrungsgemäß weder Antwort noch Stellungnahme auf meine Kritik erwarten, doch die Nacht ist lang und das Schlafbedürfnis gering, so dass es mir die Kurzweil allemal wert war.

Vorneweg sei gesagt, dass mich die Rhetorik des Textes anspricht, gleichwohl die Leidenschaft, die durch die Worte wirkt. Wie ich aber weiter oben schon anmerkte, kritisiere ich vor allem inhaltliche Aspekte. Einiges wirkt zusammengewürfelt und wenig schlüssig, außerdem lebt der Text von Postulaten und geht - für meinen Geschmack - zu wenig in die Tiefe.


Grob läßt sich in verschiedene Auffassungen einteilen. Einerseits wird Würde als Gestaltungsauftrag gesehen, andererseits als Wesensmerkmal. Der ersteren Ansicht reicht das Menschsein alleine nicht aus, während Zweiteres genau dies zum Maßstab erhebt. Dennoch fließen beide Auffassungen in vielen Einzelfällen ineinander, so daß das Wesensmerkmal einen Gestaltungsauftrag zur Folge hat. Jener also, der sich Mensch nennen darf, hat sich in ebendieser Form – menschlich, human also – in der Welt zu bewegen..

In mir keimt der Verdacht, dass wir den Begriff des „Gestaltungsauftrages“ verschieden begreifen. So sehe ich darin den Auftrag an den Staat, die Menschenwürde zu gewährleisten. Wäre es möglich, dass hier eine Deutung des Gestaltungsauftrages als Verhaltensanweisung gemeint ist?

Wollen wir uns denen zuwenden, die das Wesensmerkmal als Imperativ leugnen. Derlei Zeitgenossen finden sich nicht alleine unter den extremistisch Gesinnten, sondern quer durch alle Gesellschaftsschichten. Es sei eben nicht ausreichend Mensch zu sein, urteilen sie und spalten damit direkt die Gesamtheit aller Menschen und kategorisieren diese. Die mangelnde Vorab-Würde ist Wurzel der Ressentiments, mit denen Menschen sich begegnen.

Möglicherweise ist die Evidenz der Verschiedenartigkeit menschlichen Verhaltens ein Anzeichen dafür, dass die Würde mehr durch zwischenmenschliche Interaktion als durch einen festen, unveränderlichen Tatbestand zu sehen ist.

„Das Bewußtsein meiner im Bewußtsein des Anderen, und umgekehrt, ist das Bewußtsein der Gattung. Der Andere macht mir erst mein eigenes Wesen gegenständlich. Er ist mir daher kein gleichgültig Anderer, er ist mein Du, wie umgekehrt ich sein Du bin." – Die Gleichheit von Mensch zu Mensch, das Ichwerden am Du, ist es, was uns in diesem Feuerbach-Zitat entgegenschlägt. Verweigere ich dem Menschen an meiner Seite die Vorab-Würde, so weigere ich mich selbst, dem Menschengeschlecht zugehörig zu sein. Apriorisch haben wir dem Nächsten Würde anzurechnen, nicht erst, nachdem wir ihn bewertet und geprüft haben...

Ich halte es für problematisch, dass hier die „Vorab-Würde“ postuliert wird. Die „Gleichheit von Mensch zu Mensch“ lässt eine völlige Identität der Individuen vermuten, wobei Feuerbachs Aussage wohl in erster Linie die Gattung des Menschen und nicht die Individualität des Menschen meinen dürfte.

Freilich, soviel muß zugestanden werden: Es fällt zuweilen schwer, jedem Narren mit Respekt und Vernunft entgegenzutreten. Man stelle sich jene vor, die wir in diesen Zeiten oft als wertlos erachten. Jene, die an Produktivität mangeln und denen wir Ballastexistenz nachsagen. Greifen wir uns einen misanthropischen Alkoholiker heraus, der seine Mitmenschen kujoniert, sich selbst weniger Leiden kann, als die Schmeißfliegen in seiner verwahrlosten Küche. Einer Gestalt also, bei der man den Weltgeist anfleht, er möge ihm nie Fortpflanzung gewähren, einen Sohn, der mit seinem Irrsinn infiziert zu sein droht. Wie schwer fällt es dem Menschen da, sich mit diesem Schattenwesen der Menschheit zu vergleichen?

Siehe oben, ein Vergleich als identisches Individuum könnte durch die Gattungsgleichheit ersetzt werden, wodurch eine Identifikation mit dem genannten Paradebeispiel des antisozialen Menschentypus (Alkoholiker) nicht stattfinden muss.

“Homo sum, humani nihil a me alienum puto.” – Daran kann keine Ethik vorbeigehen. Es ist Teil der conditio humana, einen solchen Mitmenschen zu verachten. Hier hat der Würdebegriff verloren, reichert man ihn nicht um den Gestaltungsauftrag an. Zwar verleihen wir jedem menschlichen Wesen vorab Würde - selbst wenn sein Auftreten dem eines Schweines gleicht -, doch der wahre ethische Mensch verbindet damit einen Auftrag, welcher ihm auch solche Subjekte zu respektieren erlaubt. Eine Maßregelung des Gefühls, damit Hinwendung zur Vernunft.

Ich bezweifle an dieser Stelle die postulierte „conditio humana“, vielmehr wird es auf den jeweiligen Menschen und dessen Wertgefüge ankommen, wie er dem Alkoholiker begegnet. Ein Allgemeinverhalten zu behaupten, halte ich für wenig sinnig. Der Gestaltungsauftrag beschreibt, so meine Begriffsdeutung, die staatliche Aufgabe, dem Ideal der Menschenwürde, manifestiert durch die Menschenrechte, im gesellschaftlichen Miteinander Gestalt durch Wirkung zu verleihen. Postuliert wird also, dass das Individuum der Einsicht in das, was Würde ist, nicht genügen kann, also spätestens in der Konfrontation mit einem abnormen Menschen (Alkoholiker) eine zweite Instanz benötigt – in diesem Fall die staatliche Gewalt – um zwischenmenschlich auf bestimmte Weise verhaltensfähig zu bleiben.

Das hier beschriebene Verständnis des Gestaltungsauftrages basiert – vermutlich – auf der Vorstellung, dass es einen „wahren ethischen Menschen“ gebe, der, kraft seiner gestalterischen Befähigungen, den Würdebegriff – der ja beinahe verloren gegangen wäre - vor dem zwischenmenschlichen Konflikt (Alkoholiker vs. Normalmensch) errettet. Dieser gestalterische Eingriff werde des weiteren gefühlsmäßig bestimmt, was wiederum in der Vernunft münde. Diesem Gedankengang vermag ich so nicht zu folgen, er scheint unschlüssig.

Man respektiere den alkoholisierten Menschenverächter, ja, man ignoriere ihn. Doch eines nie: Man spreche ihm die Menschenwürde ab, selbst wenn er in menschlicher Gesellschaft zu grunzen beginnt. Mit den Worten Hegels: „Selbst der verbrecherische Gedanke eines Bösewichts ist großartiger und erhabener als die Wunder des Himmels.“ – Die Wunderbarkeit menschlichen Lebens geht auch am misanthropischen Säufer nicht verloren. Und erhaben jene, die sich solch verlorener Menschenwesen annehmen. Es mag durchaus etwas Kynisches in solchem wohltätigen Handeln liegen; der Wohltäter mag sich denken: „Du verachtest mich, Säufer, Du belächelst mich, nennst mich einen bornierten Moralisten, doch ich zeige es Dir: Ich begegne Dir mit Achtung und Respekt.“

Meiner Ansicht nach manifestiert sich das, was wir ungefähr als Würde empfinden, gerade erst durch menschliche Interaktion. Gleichwohl wird die Nichtwürde, also beispielsweise das Verweigern der Grundrechte, dabei ersichtlich. Folglich kann die Menschenwürde nicht als solches abgesprochen werden, sondern nur durch eben das Verhalten, was die Würde als Würdeempfinden fühlbar und letztlich auch sichtbar macht.

Die Würde des Menschen ist mit diesen wenigen Zeilen nicht abgehandelt, vielmehr die Würde, die man dem welken Geist in Menschengestalt entgegenzubringen hat. Dem Paria also, der so gerne wäre und nicht ist, der aber Anrecht auf sein Dasein besitzt. Der zwischen Leben und Tod wandelt und sein Ableben noch nicht bemerkt hat. Leicht ist es, seinem Mitmenschen Respekt zu zollen, wenn er in Art und Weise dem eigenen Leben gleicht. Interessant wird der Würdebegriff erst, wenn er am lebenden Mißstand erprobt werden soll; interessant wird es also, wenn man im Alltag mit Jenem konfroniert wird.

Die Würde des Menschen ist antastbar. Wäre sie es nicht, bedürfe es keiner Gesetzgebung diesbezüglich.

Hier kann ich schon eher beipflichten, dieses moralische Appell für eine solidarische und tolerante Gesellschaft ist in der Tat begrüßenswert.

Beste Grüße,

Philipp
 
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