Ein interessantes, gewissermaßen ein kompliziertes Thema...
Mit den Jahren bin ich komplizierter geworden, scheint mir so.
Was heißt eigentlich kompliziert? Für unsere Umgebung ist kompliziert, was sich nicht sofort einordnen und klassifizieren läßt. Unsere Vorstellung von uns selbst mag dabei eine ganz andere sein.
Die Leute sind zu faul, ihre andere Meinung zu veröffentlichen. Sie halten lieber den Mund für ihre Bequemlichkeit. Man müsste sie ständig provozieren. Aber das ist auch kraftaufwendig. Manche trauen sich einfach nicht, zu reden.
Heißt das, sie stehen nicht zu ihren Gefühlen, zu ihrer Meinung, zu dem, was sie ausmacht?
Früher habe ich es oft vorgezogen meine Meinung einfach nicht zu äußern, auch oft deshalb, weil ich mich einfach nicht stark genug fühlte, das voraussehbare „Anecken“ auszuhalten. Ich glaube nicht, dass man das generell als Faulheit abtun sollte. Die starke Mehrheit kann ganz schön grausam sein, wenn ein einzelner (und sei’s nur durch die Äußerung seiner differenten Meinung) opponiert. Wenn man so etwas bewußt tut, muss man auch aushalten können, was danach – möglicherweise - passiert. Ich weiß wovon ich spreche.
Übrigens: Mich jemandem für ein Streitgespräch „zur Verfügung zu stellen“ sehe ich gewissermaßen als einen Beweis von Achtung und Hochschätzung einer Person. Es heißt nämlich: 1. ein Streitgespräch mit dieser Person ist keine vergeudete Zeit 2. ich nehme von dieser Person an, dass sie „zivilisiert“ zu streiten versteht 3. ich interessierte mich für den Standpunkt der anderen Person, auch wenn ich ganz unterschiedlicher Meinung bin 4. ich erwarte mir ein Ergebnis vom Gespräch mit dieser Person, vielleicht eine Annäherung der Standpunkte (natürlich kann ich mich auch vom anderen überzeugen lassen, wenn seine Argumente gut sind, erwarte mir aber auch, dass das umgekehrt möglich ist). So, jetzt bin ich etwas vom Thema abgekommen.
Jedenfalls glaube ich, dass es eine ziemlich bewußte Entscheidung ist „Anecken“ da und dort zuzulassen oder sogar – durch seine Meinung, sein Verhalten - zu provozieren. Ich gebe zu, dass es mir mittlerweile auch ziemlichen Spass macht zuzusehen, wie die Umgebung vergebens versucht einen in irgendeiner Weise zu kategorisieren. Und wenn sie meinen sie hätten’s geschafft liefert man ihnen flugs einen neues, kleines und völlig unpassendes Detail, das ihr ganzes schönes Kategoriengebäude gleich wieder zum Einsturz bringt... (Wie war das Lachen des Mephisto?)
Je weniger man bereit ist sich fremde Einstellungen, Verhaltensweisen usw. "aufs Aug drucken" zu lassen, umso „komplizierter“ und weniger umgänglich wird man, allerdings gewinnt man dabei an Authentizität und Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber. Der Preis ist der Verzicht auf so manche (oberflächliche) Freundschaft, was aber m.E. nicht gleichbedeutend mit Einsamkeit ist, der Verzicht auf Zustimmung und auch auf Karriere (die allererste Bedingung für Karriere – egal wo - ist Berechenbarkeit und Klassifizierbarkeit). Der Preis ist übrigens auch, dass man sich bisweilen als Objekt des Neides wiederfindet - ohne zu wissen wieso. Nun, vielleicht ist das ja auch schmeichelhaft. Uneitle Eitelkeit, sozusagen. Wobei man nicht vergessen darf, wie sehr es auch Privileg ist sich solche Extravaganzen und Freiheiten nehmen und – im wahrsten Sinne des Wortes - leisten zu können.
Ob man mit den Jahren toleranter oder halsstarriger wird? Es gibt ein Gebiet, auf dem mir die Toleranz immer weiter abhanden kommt: Es ist die Dummheit, dort wo Menschen unreflektiert nachplappern, was ihnen im Fernsehen, in der Zeitung vorsagt wird, dort wo Leute noch immer nicht verstanden haben, dass der Kopf auch zum Denken verwendet werden kann...
Ansonsten sind mir jene Alten ein Vorbild, denen es nichts ausmacht ihre Prizipien auch einmal über Bord zu werfen, wenn dafür ein Mehr an Menschlichkeit zu gewinnen ist.
Vielleicht ist das unter anderem auch etwas, was wir unseren Kindern beibringen können.