• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

Die aktuelle Lage im Irak

diethelm schrieb:
Nun ist aber unser aller Demokratieverständnis auf unserer jeweiligen, zum Teil unterschiedlichen, christlichen Tradition, auf unserem christlichen Menschenbild gewachsen.
Die Christen, die seinerzeit die Könige und Kaiser "von Gottes Gnaden" eingesetzt postuliert hatten, um die Schäflein zusätzlich zu disziplinieren, haben die Demokratien nicht geschaffen. Wie kommst du darauf? Eine Religion, die von Hölle und Teufel gegen die Nichtgläubigen redet, hat nicht die Toleranzsubstanz, um einer Demokratie das Wort zu reden! Die Demokratie ist das Kind der Aufklärung. Und die war meines Wissens sehr atheistisch...

Gysi
 
Werbung:
Wenn man aus: ' ... die eigene "Grundlage" als hinterfragbar zur Verfügung zu stellt um somit auf ihren "gottgegebenen Machtanspruch" zu verzichten' ein:
mavaho schrieb:
Die eigenen Grundlagen immer wieder in Frage zu stellen, ist eine Stärke unseres Systems und hat zu permanenter sozialer Evolution geführt.
um daraus zu folgern
mavaho schrieb:
Diese Stärke wird zur Schwäche, wenn wir trotz aller Mängel unser demokratisches System als ein beliebiges Gesellschaftsmodell sehen, das in seinen Werten anderen gleich und austausbar ist.
dann ist das wohl eine Folge von Unaufmerksamkeit, oder aber ideologisch - polemisch gemeint, rationaler Grund hiezu sollte sich in meiner Aussage nicht finden lassen; zumindest war dieses nicht meine Absicht. Aus der genialen Unkenntnis anderer Religionen und deren sozialen Strukturen ein ebenso geniales Urteil ableiten zu können entbehrt nicht einer fundamentalistischen Sichtweise
mavaho schrieb:
Wir definieren seit Jahren unser System nur mehr an seinem wirtschaftlichen Erfolg und vergessen ganz, dass es darüber hinaus eine Menge zu bieten hat.
Hat für mich einen ganz besonderen Reiz, auch in diesem Zusammenhang, vor allem, wenn man das terminale "hat" durch ein "hätte" ersetzt, was uns aber dem urchristlichen Menschenbild wohl wieder etwas zu nahe brächte, oder?

Ich halte es eher für präpotent, wenn eine kleine Gruppe von Menschen sich das Recht herausnimmt, die Grundbedürfnisse ALLER Menschen EIN FÜR ALLEMAL definieren zu dürfen. "Grundbedürfnisse", wenn man sie nicht gerade auf das Wenige beschränkt, was gerade zum physischen Überleben notwendig ist, sind nicht stabil, sondern wechseln wie die Moden, auf hinreichend lange Zeiträume betrachtet. Das "Demokratische System" hängt ab vom jeweiligen "Menschenbild" dieses aber wieder in einem übergroßen Ausmaß von der in diesem Raum vorherrschenden Religion. Wenn wir die Regionen des Islams und des Hinduismus einmal beiseite lassen, so ist denn doch unser abendländisches Menschenbild z.B. vom japanischen oder gar dem chinesischen Menschenbild verschieden, die "diktatorischen Demokratien" Lateinamerikas sind uns aber doch wieder unwahrscheinlich nahe.

So die französischen Revolutionäre, inbesondere die Jakobiner sich bewusst gewesen wäre, inwieweit sie den zentralistischen, dogmatischen, den "die reine Lehre verkündenden" Katholizismus säkularisierten, hätten sie vielleicht auf ihren übermäßigen Gerauch der Guillotine verzichten können. Aber dieses Denkschema war bei ihnen zu sehr internalisiert, als dass sie dieses als "gut katholisch" zurückgehend bis auf Augustinus überhaupt hätten erkennen können. Nun, die Liste dieser Fakten lässt sich beliebig und nicht nur um die Inquisition verlängern. Auch die Kommunisten sind extrem verärgert, wenn in ihren Handlungen die Parallelen zum Christentum nachweist.

Die Wurzeln der Vorurteile sind für einen Betroffenen bei sich selbst prinzipiell nicht einsehbar. Dafür fällt es ihm bei einem anderen aber um so leichter. Das Christentum hätte dafür auch eine wunderschöne Metapher: "Den Splitter im Auge deines Bruders sieht du, den Balken in deinem Auge aber (spürst du) nicht". Wenn wir aber schon bei den "Grundwerten der vernünftigen Verhaltensnormen" sind, jene wesentliche Norm , die die Ethik der abrahamitischen Religionen mit den östlichen verbinden könnte: "Du sollst nicht begehren ...", ist durch das Rivalitätsgebot der neoliberalen Marktwirtschaft bereits in ihr Gegenteil verkehrt worden. (Hier schließt wohl "Begehren" Vernunft eben weitgehend aus.)

Die Ansicht
mavaho schrieb:
Zivilisiertes Verhalten, also der Versuch, Konflikte durch einen Kompromiss zu lösen, ...
ist eine Verkennung der Realität. Kompromisse lösen keine Konflikte, sie stellen diese nur ruhig! Zugegeben, manchmal auch ein Gewinn. Konflikte können nur auf konsensualer Basis gelöst, das heißt auf längere Zeit bereinigt werden. Als Kompromisse sind sie nur die Widerspiegelungen von Machtverhältnissen, sobald diese sich ändern, brechen diese Konflikte unweigerlich wieder auf! Da aber unser Demokratieverständnis von der Konsensdemokratie weg und immer mehr zu einer Konflikt-Kompromissdemokratie sich hin entwickelt, werden immer mehr Konflikte darauf warten, dass sie von ihrer "Stillegung" befreit werden, beziehungsweise wird die Fehleinschätzung der "wirklichen Machtverhältnisse" durch die Mächtigen den möglichen Kompromiss weitgehend nicht zulassen, den Konsens aber schon gar nicht suchen, nicht nur intra- sondern vor allem auch international.

Bedauert diethelm
 
was hält zusammen?

1. Absatz ok., wenn dann noch im 2. Absatz stünde: "Die Demokratie ist "einstweilen" die höchste Form der sozialen Evolution ... könnte ich mich "einstweilen" dafür erwärmen, ansonsten wäre die Aussage eher religiöser Natur und somit nicht nach meinem Geschmack.

Der 3. Absatz widerspricht meiner historischen Erfahrung absolut! Die Grenzziehung der Kolonien erfolgte rein willkürlich, einzig den Bedürfnissen der jeweiligen Kolonialherren folgend und ohne jedwede Rücksicht auf die ethnischen, kulturellen, religiösen Bedürfnisse der dort ansässigen Bevölkerungen und den gewachsenen Strukturen. Dass nun so ein Gebilde, dass einzig durch den Kampf um die Befreiung von dem Unterdrücker "geeinigt" wurde, nach dem Wegfall des äußeren Feindes der zusammenhaltenden Klammer beraubt, nur noch zentrifugalen Kräften folgt, zeigt wohl die Geschichte jeder derartigen Gemeinschaft, auch im Kleinen. (Der Bestand der Sovietunion hatte auch den Bestand der jugoslawischen Republik garantiert! Und ganz boshaft gefragt, wie viele Ehepaare bleiben nur deshalb noch beisammen, weil sie immer wieder einen gemeinsamen Feind auftreiben können). Dass so ein zentrifugales Gebilde nur mit diktatorischer Gewalt zusammen gehalten werden kann, ist das verwunderlich? Außerdem waren weder Saddam aber schon gar nicht Tito "selbstproduzierte Diktatoren", sondern "gut brauchbare Bauern" im Spiel der Großmächte und ihrer Interessen.

Und nun zur "Frage"! Die Österreichischen Bundesländer hält genau das zusammen, was die Ungarn, die Tschechen, die Slowaken, Slowenen, Kroaten, Lombardei und Venetiien eben nach dem 1. WK nicht bei Österreich gehalten hat. Auf den doch sehr ernsthaften Versuch des "Ländles" in die Schweiz auszuwandern, will ich mal großzügig vergessen.

Aber genau diese Situation ist nun im Irak, allerdings eben so schon seit dem Ende des 1. WK, nur dass dort dank der Hilfe der Engländer dieser Staatenbildungsprozess nicht einsetzen konnte, und es nun, von Mal zu Mal, nach jeder verlorenen Chance schwieriger wird. Auch die USA ist nicht gewillt, dem Irak diesen Prozess zu gewähren.

fg diethelm
 
Gisbert Zalich schrieb:
Die Christen, die seinerzeit die Könige und Kaiser "von Gottes Gnaden" eingesetzt postuliert hatten, um die Schäflein zusätzlich zu disziplinieren, haben die Demokratien nicht geschaffen. Wie kommst du darauf? Eine Religion, die von Hölle und Teufel gegen die Nichtgläubigen redet, hat nicht die Toleranzsubstanz, um einer Demokratie das Wort zu reden! Die Demokratie ist das Kind der Aufklärung. Und die war meines Wissens sehr atheistisch.Gysi
ist für einen Österreicher nicht unbedingt ein Argument, denn wir hatten einst einen Josef II und hatten und haben Kanzler "von Gottes Gnaden". Wenn du nun fragtest: "Wo ist Demokratie in Österreich?" muss ich zugeben, dass ich in einen ernsten Erklärungsnotstand geriete, aber ich vertraue auf deine Nachsicht. Dennoch, die moderne Demokratie hat die Aufklärung wieder weitgehend beiseite gelegt. Sich heute auf sie zu berufen ist riskant

Die Demokratie selbst hat weitaus ältere Wurzeln, allein schon, wie das Wort bezeugt, das ja kein neuzeitliches Kunstwort ist! Demokratische Verhältnisse gab es schon im alten Israel, zur Zeit der Richter und, was vielfach übersehen wird, das "Römische Reich Deutscher Nation" hatte zumindest in der oberen Hirarchieebene ebenfalls eine demokratische Struktur, die sehr viel Konsens abverlangte. Dass es aber immer Menschen gibt (Sklaven, Frauen, "Ausländer" ...), die aus irgend einem Grund in vollem Einverständnis der jeweils herrschenden Meinug von diesen demokratischen Rechten ausgeschlossen sind, muss auch zugestanden werden.

Unser Atheismus ist christlichen Ursprungs! Und kommt aus keiner anderen Religion, was aber am christlichen Menschenbild verneint er alles? Das müsstest Du mir schon erklären. Aber abgesehen davon, war die Aufklärung wirklich so atheistisch? In bezug auf die deutsche Aufklärung ist die Aussage sehr fragwürdig, in bezug auf die frazösische stimmt sie auch nur zur Hälfte. Antikirchlich ist aber nicht atheistisch, "agnostisch" eigentlich auch nicht. Aber das ist vielleicht ein semantisches Problem. Worum wir aber nicht herum kommen, ist, dass dieser Atheismus das christliche Menschenbild in seiner "Schöpfungseinmaligkeit" übernimmt, einschließlich der daraus folgenden Moralvorstellungen. Es gibt auch einen indischen Atheismus, der aber beweitem nicht zu dem selben Menschenbild wie der christliche Atheismus kommt. Die Negation des Übernatürlichen macht es nicht aus und es übernehmen die "christlichen" Atheisten den selben überheblichen missionarischen Eifer, wie einst die christlichen Missionare.

fg diethelm
 
diethelm schrieb:
Die Demokratie selbst hat weitaus ältere Wurzeln,
Ja, das stimmt natürlich. Aber es war die Aufklärung, die die Demokratie in unseren Breitengraden weiter brachte. Das Christentum hatte die demokratischen Bewegungen nicht unterstützt. Sie fühlte sich in einer autoritärer geführten Gesellschaft wohler. Die passt auch zu einem christlich bestimmten Gesellschaftskonzept, mit Verlaub!

, was aber am christlichen Menschenbild verneint er alles? Das müsstest Du mir schon erklären.
Die Erbsünde ist ein zentraler Pfeiler des Alten und des Neuen Testaments. Das Christentum hatte das egozentrische Menschenbild gefördert und mit Zähnen und Klauen verteidigt. Es war ein Kampf der Wissenschaft gegen die herrschende Religion, dieses Weltbild gerade zu rücken.

Gysi
 
noch Irak?

Gisbert Zalich schrieb:
Ja, das stimmt natürlich. Aber es war die Aufklärung, die die Demokratie in unseren Breitengraden weiter brachte. Das Christentum hatte die demokratischen Bewegungen nicht unterstützt. Sie fühlte sich in einer autoritärer geführten Gesellschaft wohler. Die passt auch zu einem christlich bestimmten Gesellschaftskonzept, mit Verlaub!

Die Erbsünde ist ein zentraler Pfeiler des Alten und des Neuen Testaments. Das Christentum hatte das egozentrische Menschenbild gefördert und mit Zähnen und Klauen verteidigt. Es war ein Kampf der Wissenschaft gegen die herrschende Religion, dieses Weltbild gerade zu rücken. Gysi
Nun, dass die Diskussion ein wenig abgedriftet ist, ist meine Schuld, bitte um Entschuldigung! Andererseits glaube ich, dass es wichtig wäre, über die "Grundlagen" unserer Demokratie, die wir unter anderem ja auch dem Irak ja aufs Aug' drücken wollen, etwas mehr beleuchten sollen. Ich würde dort gerne darüber weiter diskutieren. Unerfahren (ungeschickt) wie ich im Forum noch bin, weiß ich nicht, wo das am vernünftigsten wäre und wäre dankbar, würde mir wer, der auch daran interessiert ist, dabei helfen.

Hier möchte ich allerdings die irakische Kurve wieder kratzen. Da der Irak, wie ich schon einmal bemerkte ein wahrhaft "historisches Problem" ist, möchte ich auf http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Irak verweisen. Nachdem dieser Raum von den Muslimen im 7. Jhdt. aus persischer Bevormundung befreit wurde, erlebte er eine kulturelle Hochblüte ("Harun al-Raschid") sondergleichen, die erst durch die Mongolen, allerdings sehr radikal, zerstört wurde. Die Einverleibung in das osmanische Reich war zwar die erste "Befreiung", durch eine fremde Macht, aber die letzte Zeit des Friedens, die mit der Befreiung aus dem "osmanischen Joch" durch die Briten endete. Den Wikipedia – Texten ist in ihrer Trockenheit nichts mehr hinzu zu fügen. Vor kurzem gab es im österr. Rundfunk auf Ö1 im Radiokolleg eine ausgezeichnete Reihe (meine Ansicht) über den Irak.

Ich halte es für eine sehr fundamentalistische Sichtweise, die Geschichte auszublenden und den Irak auf "Saddam Hussein" zu beschränken.

Fg diethelm
 
Wir sind abgedriftet, Diethelm...

... da haste recht. Du hattest mein Lieblingsthema berührt, und darauf bin ich natürlich angesprungen - ist von daher auch meine Schuld. :D

Ich glaube, wir treffen uns in der Ansicht, dass eine Staats- und Gesellschaftsform von außen aufgepropft - bar der Kenntnis von den innergesellschaftlichen Konfliktpotenzialen - nicht funktioniert. Die Sache muss schon von innen gewachsen sein und gehalten werden.
Aber es scheint die Demokratie per se zu sein, die dir nicht so schmeckt.
Was schwebt dir denn für den Irak vor? Und was für uns?

Gysi
 
Jede Art von Grenzziehung im Iraqu wäre willkürlich gewesen, da es dort nie geschlossene Siedlungsgebiete von ethnischen Gruppen gegeben hat, die Kurden ausgenommen. Die Engländer als Kolonialmachte haben damit wenig zu tun, mehr das Osmanische Reich, das die Region über hunderte von Jahren beherschte.
Dem Land die Staatsbildung zu überlassen, ist eine nette Umschreibung von Bürgerkrieg, siehe Balkan. Die Vorstellung, die Leute würden sich an einen Tisch sitzen und gemeinsam eine neue Landkarte zeichnen, widerspricht der Realität, wie die Wirklichkeit zeigt. Dazu fehlt noch ein dickes Stück Zivilisation.
Trotzdem wäre ich dafür, es denen selbst zu überlassen. Es gibt Konflikte, die nur enden können, wenn sie ausgetragen werden. Am Ende wird wenigstens ein friedliches Nebeneinander stehen, wenn ein Miteinander schon nicht möglich ist. Leben hat in dieser Region ohnehin keinen grossen Stellenwert. Lassen wir ihnen auch in diesem Punkt ihre eigenen Wertvorstellungen.
 
mavaho schrieb:
Leben hat in dieser Region ohnehin keinen grossen Stellenwert. Lassen wir ihnen auch in diesem Punkt ihre eigenen Wertvorstellungen.
Für die Großmogule, Mullahs und Wesire und wie die alle heißen, hat das Leben ihrer Arbeiter und Zuarbeiter vielleicht keinen großen Wert. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es einer Menge Suggestionsarbeit bedarf, die, die zuerst verheizt werden sollen, dazu zu bringen, ebenso zu denken und zu fühlen. Gesund ist so eine Haltung nicht...

Sollen wir uns einmischen, sollen wir nicht? Und WIE? Weiß nicht.
Aber die Haltung: "Lasst sie doch sich die Köppe einschlagen, wenn sie zu doof sind für die Zivilisation.", behagt mir ebenso nicht...

Gysi
 
Werbung:
Wenn zwei Volksgruppen aufeinander einschlagen, gibt es nur zwei Möglichkeiten, eben zuzusehen, bis beide Seiten erschöpft sind(der 30jährige Krieg war dafür ein Beispiel), oder mit militärischen Mitteln eingreifen. Ohne Tote wird beides nicht abgehen. Gutes Zureden hat bei Menschen keinen Sinn, die derart fanatisiert sind, dass ihnen selbst ihr eigenes Leben ohne Bedeutung ist, entsprechend fremdes Leben umso weniger. Zu dieser Erkenntis sind selbst die Grünen am Ende im Kosovokonflikt gekommen.

Ich lehne es ab, das Leben unserer Kinder als Soldaten zu gefährden, um diese Hitzköpfe zu trennen, solange davon keine Gefährdung für unser Land ausgeht. Wenn sie ihr Leben für den Heiligen Krieg opfern wollen, will ich dem nicht im Wege stehen, im Paradies ist noch eine Menge Platz für derartige Dummköpfe.
 
Zurück
Oben