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Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

In seinem Buch "Veronika beschließt zu sterben" beschreibt Paulo Coelho das Leben einer Frau die nach einem glücklosen (?) Selbstmordversuch in einer Irrenanstalt erkennt das Ver-rückte die eigentlichen Freien unserer Gesellschaft sind.
Damit hat er, finde ich recht. Man könnte sicher wieder einiges ausdefinieren über das "verrückt sein", aber da hab ich keine Lust zu.


In unserer Gesellchaft, so schildert es Coelho, zwängen sich viele Menschen durch ihre Ängste, durch Scham und Feigheit, vor allem aber durch die übersteigerte Wertschätzung (ich habe kein besseres Wort gefunden) der Meinung anderer Bürger selbst ein.
Natürlich, wie oft handeln wir nur aufgrund der Erwartungen, die andere an uns stellen? Selbst wenn man versucht sich dem zu entziehen und sich dagegen zu stellen, gelingt es einem nie konsequent. Dafür gibt es einfach zu viele soziale und gesellschaftliche Zwänge und "Normen"
Wie viele Familienbande werden nur durch Pflichtbesuche gepflegt "weil es sich so gehört"? Da fängt es doch schon an. Man bekommt viel Ablehnung zu spüren, wenn man sich widersetzt, und die muss man aushalten können.
Man -also der Mensch- kann das aber lernen, aber will er immer? Gehen wir nicht oft lieber den bequemeren Weg, anstatt des steinigen Weges, der uns aber unsere eigene Zufriedenheit bringen würde?


Es gibt viele Situationen in denen diese Menschen denken: "Eigentlich hab ich doch das gerade tun wollen. Aber was würden die Anderen denken? Die würden mich doch für Verrückt erklären!".
Das stimmt, aber es gibt auch die vielen Situationen, wo man denkt "Ich würde jetzt gern das machen wollen!", es einem aber einfach nicht möglich ist diese Dinge zu tun. Es gibt halt Regeln, an die wir uns halten müssen, und die nicht zwingend was damit zu tun haben, ob dann andere was "denken" könnten.
Ich z.B. hatte Anfang der Woche eine innere Sehnsucht, meine Familie zu packen und für ein paar Tage zu verreisen. Aber es ist mir nicht möglich, wer würde den Opa versorgen, die Schulpflicht der Großen, und der Chef der meinem Mann nicht schon wieder freigibt.
Diese Regeln engen mich persönlich mehr ein, als das was andere eventuell über mich und meine Handlungen zu reden haben.

Und was wäre dabei, verrückt zu sein?
Wenn mir einer im Supermarkt mit nackten Füßen und Stringtanga begegnet, dann sage ich auch "Der ist wohl verrückt"
Aber ist das schlimm?
Wer verrücktes tut, fällt auf, aber egal ob er es tut, weil er auffallen will oder weil es ihn wirklich glücklich macht, es ist seine Entscheidung gewesen, und da muss man Reaktionen anderer rechnen. Aber man muss lernen, dass diese einem egal sein sollten.

"Schade, dass ich in dieser Situation nicht wirklich das getan habe was ich gewollt hätte."
Das habe ich mir auch schon ganz oft gedacht, aber eben aus der Traurigkeit heraus, dass es mir oft schlichtweg aus anderen Gründen nicht möglich ist.


Was erwartet diese Gesellschaft von uns Jugendlichen? Schnelles Studium nach der Schule, Karriere, Heirat, Kinder?
Die Masse erwartet das wohl...aber ist das sooo verkehrt?
Man kann seine Freiheitsträume auch später noch erfüllen...

Habt ihre diese Aussteigerpläne auch einmal gehabt?
Ja, habe ich, immer noch sogar!

Wenn ich es ehrlich betrachte, weil mich die familiären Bindungen hier stören, nicht die zu meinem Mann und meinen Kindern, die restliche Familie meine ich. Ich würde also "flüchten" wollen. Das ist wohl meine Hauptmotivation, aber natürlich auch, die Neugierde auf andere Lebensweisen und Orte.

Mangelnde Lebensfreude in Europa?
Nicht unbedingt, ich würde auch innereuropäisch aussteigen wollen.

Was braucht der Mensch um glücklich zu sein?
Seine Ruhe. Eine Heimat (welche man sich aussuchen kann und die überall sein kann)
Die Möglichkeit sich entfalten zu können.

Warum seid ihr glücklich in Europa zu wohnen, oder warum seid ihr es nicht?
Auch Europa hat viele schöne Länder und Gegenden zu bieten, auch hier unterscheiden sich Mentalitäten. Ich muss kein "Exot" sein, behaupte von mir überall da glücklich sein zu können, wo hin mich meine Familie begleitet und wo es mir landschaftlich gefällt.
Ein pro oder contra Europa gibt es nicht, für mich wäre wohl alles schöner als das Dorf in dem ich jetzt lebe.

Liebe Grüße
Sal
 
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AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Hi Bernd,

es kommt ja nicht von irgendwoher das einige Länder dieses Aussteigerimage haben und andere nicht. Der eine möchte lieber hier bleiben und der andere dort. Und viele entdecken dass es ihnen eben an (mitlerweile) bekannten Aussteiger-Orten gut gehen kann. Und da wird dann halt drüber gesprochen. Ganz bestimmt haben auch andere Flecken dieser Erde ihren Reiz. Aber da wird nicht drüber gsprochen. Es herrscht stillschweigen. Eine Absprache quasi. Das ja nicht zu viele nachkommen. Das habe ich auch vielerorts in Südamerika so kennengelernt. Da hieß es: "Und wenn du zurück nach Deutschland kommst weißt du ja was du zu tun hast. Sag nicht dass es dir super ging und wunderbar war. Sonst rennen die uns hier bald die Bude ein!".

Zitat von Bernd:
Vielleicht muss der eine mit dem Ballon über die Anden fliegen, ein anderer zum Wandermönch werden oder eine große Firma aufbauen und wieder ein anderer 4 Söhne an den krieg verlieren...um sich zu spüren...

...und vielleicht erlebt ein anderer mehr als all die anderen zusammen, wenn er frühmorgens barfuß über eine kühle Löwenzahnwiese zum Bäcker läuft...

So sehe ich das auch. Es geht darum sich und das Leben zu spüren. Lebendig zu sein und lebendig habe ich mich während meines Reisens ganz gewiß gefühlt. Vielleicht war das eine Art Trick den viele so während des Reisens kennenlernen. Man ist irgendwie befreiter von der Last des kontrrollierten Lebens aus Europa. Alles geht leichter von der Hand. Es kennt einen ja auch niemand. Nicht das man sich vorher verstellt hätte oder ads jetzt tun würde. Und trotzdem ist man anders. Ich hab mich mehr als mich selbst wahrgenommen als vorher. Kann das jemand nachvollziehen?
Die Gewißheit nach einiger Zeit wieder nach Europa zurückzukehren erleichter sicherlich vieles. Aber das macht die ganze Sache ja nicht schlechter.

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Zitat von Salem:
Man kann seine Freiheitsträume auch später noch erfüllen...

Hallöchen Salem. Zuersteinmal möchte ich Dir sagen dass dein Beitrag wunderschön ist und ich viele deiner Gedanken nachvollziehen kann. Der oben zitierte Satz hat mich aber doch stutzig gemacht. So viele Menschen (ver)trösten sich mit dem was noch kommen könnte von dem Leid von Heute anstatt endlich mutig loszuziehen und nicht mehr halt zu machen bevor man eine Veränderung spürt. Die kann natürlich auch eine negative sein. Das man sich selbst getäuscht hat und einem das "alte" Leben doch ganz gut bekommen hat. Aber besser diese Erkenntnis als ein Selbstbetrug der einen von ungenutzer Chance zu ungenutzer Chance noch mehr verbittert. Wer Träume hat (und das kommt selten genug vor) sollte diese versuchen auszuleben. Sonst kann es vorkommen das man eines morgens seine Augen öffnet und die letzten Stunden im Reich der Träume nichts als ein bewusstloser Zustand phantasieloser Existenz gewesen sind...!

LG Pablo :)

Ach, es ist herrlich, das Leben!!!
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Ich finde, hier sind viele spannende Fragen aufgeworfen worden und ich würde auch gerne noch ein paar eigene Gedanken dazu beisteuern.
Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass jeder Mensch die Freiheit hat, dort zu leben, wo er meint sein Glück finden zu können. Das sollte für "Aussteiger" gelten, aber auch genauso für "Einsteiger", die aus anderen Ländern oder Kontinenten einwandern wollen.
Um zu sagen, was ver-rückt ist, müsste man erst mal die Norm definieren und die ist in jedem Teil der Gesellschaft anders.
Manchmal lebt man ganz einfach am "falschen" Ort, oder im "falschen " Umfeld, mit dessen Normen man sich nicht identifizieren kann oder will. Und dann ist man schon ver-rückt, im Sinne von innerlich weggerückt.
Das äussere Weggehen/Auswandern wäre dann einfach die logische Konsequenz.
Jeder Mensch passt irgendwo hin. Ist irgendwo genau am richtigen Ort. Manche haben das Glück, zufällig gerade an diesem Ort geboren worden zu sein, andere müssen sich aufmachen um ihn zu suchen. Nochmal andere vergessen ihre Träume und werden "normal". Für die einen ist Reisen Lebensthema, für die anderen nicht.
Die Erwartungshaltung der Gesellschaft spielt in meinen Augen bei uns nicht eine so dominante Rolle, dass man sich nicht einigermassen leicht diesen Erwartungen entziehen könnte. Wir haben so viele Möglichkeiten und die Gesellschaft ist wirklich äusserst vielfältig und bunt geworden.
Was ich hingegen schwieriger finde sind die Bindungen, die wir zu Familie und Freunden eingehen. Was mache ich, wenn ich mich bei meinen Freunden beheimatet fühle, das Land in dem ich lebe aber nicht das Land ist, wo ich leben möchte?
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Hi Ela,

diesem Problem (das vielleicht in deinem Fall nur ein theorethisches ist) sehe ich mich auch gegenüber. Was also tun? Dem Wunsch (dem Verlangen; dem Bauch) nachgeben und etwas riskieren oder den sicheren Weg wählen und dieses vielleicht am Ende (oder bis zum Ende) seines Lebens bereuen? So schlimm ist es in meinem Fall Gott sei Dank nicht sonst wäre ich schon längst nicht mehr hier. Existieren tut dieses Problem aber doch. Vielleicht habe ich das mit VEr-rücktheit gemeint: ETWAS RISKIEREN!!!

Weisheit besteht wohl darin GEFÜHL und VERSTAND gleichermaßen harmonisch miteinander in Verbindung zu setzen (ähnliches gibt es auch in einem anderen Thread zu lesen)!

MFG Patrice :)
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Hi Ela,

diesem Problem (das vielleicht in deinem Fall nur ein theorethisches ist) sehe ich mich auch gegenüber. Was also tun? Dem Wunsch (dem Verlangen; dem Bauch) nachgeben und etwas riskieren oder den sicheren Weg wählen und dieses vielleicht am Ende (oder bis zum Ende) seines Lebens bereuen? So schlimm ist es in meinem Fall Gott sei Dank nicht sonst wäre ich schon längst nicht mehr hier. Existieren tut dieses Problem aber doch. Vielleicht habe ich das mit VEr-rücktheit gemeint: ETWAS RISKIEREN!!!

Weisheit besteht wohl darin GEFÜHL und VERSTAND gleichermaßen harmonisch miteinander in Verbindung zu setzen (ähnliches gibt es auch in einem anderen Thread zu lesen)!

MFG Patrice :)

Hallo Patrice,
das Problem Weggehen oder Dableiben stellt sich für mich in dieser Form tatsächlich nur theoretisch, da ich in der glücklichen Lage bin, dort leben zu dürfen wo ich (so empfinde ich zumindest) hinpasse. Bei meinem Bruder aber war das ganz anders und so brach er die Zelte ab und ist ausgewandert und hat dort seine wahre "Heimat" auch tatsächlich gefunden.
Dennoch muss ich mich auch immer wieder auf Wagnisse und Risiken einlassen, immer im Bewusstsein, damit auch scheitern zu können.
Nicht alles ist gelungen und zu scheitern, ja scheitern zu dürfen ist zu einem wichtigen Teil meiner Biographie geworden, den ich auf keinen Fall missen möchte, auch wenn dieses Scheitern sehr schmerzhaft sein kann.
Ein Kind, das nicht hinfallen darf wird nie lernen, sich auf eigenen Füssen fortzubewegen.
In diesem Sinne bin ich sehr dafür, Risiken einzugehen, was nicht heisst, dass man sich blindlings und ohne Verstand hineinstürzen muss. Mir hat immer geholfen zu überlegen, was denn im schlimmsten Fall passieren könnte. Könnte ich damit leben, mich wieder hochrappeln, von vorne beginnen?
Diese Fragen kannst nur du dir beantworten.
Alles, was man tut kann gelingen oder scheitern. Aber zu bereuen hat man meist nur das, was man nicht versucht hat.

In diesem Sinne: nur Mut und herzliche Grüsse
Ela
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Ver-rücktsein erfordert eine Menge. Abgesehen von ökonomischen Fragen, ist es primär die Fähigkeit Alleinsein und Ablehnung zu ertragen. Ausgeschlossen werden können. Ein sehr starkes Durchhaltevermögen. Und eine enorme Kraft zur Selbstreflexion, denn die meisten gesellschaftlichen Zwänge stellen sich nicht plötzlich vor einen hin, sondern formen uns langsam über Medien, Menschen, etc...

Ob man das kann, und ob es das einem wert ist, sind die Fragen...

LG
 
AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

Also ich sehe das so: wenn du andere über dich und dein Tun urteilen lässt, dann bist du extrem verrückt.

Wenn du aber umgekehrt glaubst, dass dich deine Wirkung auf andere nichts angeht, dann bist du ebenso verrückt.

lg Frankie
 
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AW: Ver-rücktheit oder die Erwartungshaltung unserer Gesellschaft

lieber patrice, wie sehr ich dich verstehen kann. nun ja, ich denke, wir leben in einer kapitalistischen gesellschaft, in der wir zwar immer dran sind (arbeiten, ausgehen u.s.w.) aber dies doch nur passiv, wir sollten funktionieren. es ist eine illusion, dass wir sehr aktive personen seien und wenn wir von der arbeit heimkommen, hätten wir es verdient zu "entspannen". dieses entspannen ist oft nicht mehr, als einfach die zeit totzuschlagen, bis wir am nächsten tag wieder arbeiten gehen. ich hatte eine zeit lang grosse probleme mit diesen erwartungen, und musste anfangen, zu revolutionieren, wenn es mir zum teil auch nur in mir selbst gelingt. dann fing ich damit an, herumzureisen, pläne zu schmieden und träume zu haben. immer noch habe ich vor, diese zu verwirklichen. und doch habe ich gemerkt, dass ich jetzt noch hier bin, und dass ich ganz bestimmt auch hier glücklich sein kann. für das, denke ich, müssen wir bloss mit mehr konzentration rangehen, intensiv erleben und uns nicht passiv leben lassen. ich hoffe, du verstehst, was ich meine...
liebste grüsse, arwen
 
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