AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"
Das Bild mit dem erhobenen Zeigefinger spricht, denke ich, Bände...
Als im 15. Jahrhundert die Hochseeschifffahrt aufkam, reiste man in einem Tempo, das noch nicht unmenschlich war, selbst im Sturm wurden die Schiffe nicht übermäßig schnell. Kurzum, die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte war eine Ära der geringen und mittleren Geschwindigkeiten.
Ehrlich gesagt kann ich an Flugzeugen nichts Unmenschliches erkennen, wiewohl die Holzklasse unbequem ist. Angenehmer als Zugfahren mit der ÖBB oder gar der italienischen FS allemal. Selbst wenn ich diesen Kommentar in Tontafeln einritzte, ich wüßte nicht wo ich den Boten hinschicken sollte...
Das mag einer der Gründe sein, warum ich vom Verlauf der Krise so enttäuscht bin. Man fühlt sich inmitten der planetarischen Turbulenz um das wirkliche Drama betrogen. Da ist nicht eine einzige Figur aufgetreten, die die Krise personifiziert, kein farbiger Schurke, kein Shylock, neben Alan Greenspan ist Onkel Dagobert ein Charaktertitan. Noch nie habe ich eine solche Horde von bleichen Unpersonen beisammen gesehen. Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer.
Na da simma aber traurig, daß den Herren der Verlauf der Krise enttäuscht hat. Wie hätte er es denn gerne gehabt? Darüber spricht er nichts. Das rasante Ansteigen der Arbeitslosenzahlen, Kurzarbeit, Auftragseinbußen, an und für sich gut aufgestellte Unternhemen, die ins Strudeln geraten, ohne auch nur ein Eizerl zur Krise beigetragen zu haben, sind einigen Herrschaften offenbar nicht genug, um sich daran aufzugeilen.
Der "Spießer" (zu dieser Sorte ich mich im übrigen auch zähle) ist wieder einmal schuld an allem, pfui.
Alle hochkulturelle Moral hängt letztlich an der Tiefe der Verinnerlichung des Tötungsverbots. Es muss mit allen Mitteln einverleibt werden – christlich gesprochen mit Furcht und Zittern, polynesisch gesprochen durch das Tabu. Wer sich über dieses Verbot hinwegsetzt, behält ein Unrechtsbewusstsein – und wo dieses fehlt, ist die Kultur zerfallen.
Daß der Tötungsakt im Unrechtsbewußtsein tief verankert ist, ist zumindest im heutigen rechtsstaatlichen System der Fall, bezüglich früherer Epochen hege ich diesbezüglich Zweifel (Folter, grausame Hinrichtungen, ganz abgsehen von Morden, um an die Macht zu kommen...)
Folglich müssen wir versuchen, entweder den Reichtum zu teilen, oder, wenn er schon ungleich verteilt sein soll, ihn diskret zu machen und wenn möglich durch Mehrleistung zu rechtfertigen.
Reichtum war stets ungleichmäßig verteilt. In der westlichen Welt war er noch nie so gleich verteilt wie heute. Im alten Rom wären wir alle vermutlich Sklaven gewesen oder hungernde Plebejer. Heute sind wir Mittelschicht mit eingenem Einkommen, geheizten Wohnungen, stets mit Nahrung versorgt und des Lesens und Schreibens kundig (war früher keine Selbstverständlichkeit).
Darum sollst du, wenn möglich, die Ehe brechen, das lockert die Stimmung und stimuliert den Konsum. Seit dem späten 19.Jahrhundert ist die Erotisierung unserer Kultur mit der wirtschaftlichen Liberalisierung verknüpft. Die eine Lizenz zieht die andere nach sich.
Daß Ehebruch besonders angesehen sein soll, ist mir auch neu, vor allem, daß selbiger den Konsum anreizt. Kurtisanen, Gespielinnen, beziehungsweise Liebhaber, Lustknaben usf. denk ich, gab's seit die Menschen Geschichte schrieben...
Die Krise, so mein kleiner Verstand, entstand aus Mangel an Regelwerken, die auch eine freie Marktwirtschaft benötigt. "Laissez faire" funktioniert nicht, es braucht einen allgemein gültigen Regelrahmen, an den sich alle Beteiligten zu halten haben (mit Strafandrohung bei Zuwiderhandeln).
Tauschwirtschaft, Rückkehr in die Wälder und Höhlen oder Ameisenkollektive als Alternative? Ohne mich...