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Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Walter

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3. Oktober 2002
Beiträge
5.142
Hier findet ihr ein Interview mit Peter Sloterdijk mit dem Titel "Unruhe im Kristallpalast" zur Finanzmarktkrise:

Folglich müssen wir versuchen, entweder den Reichtum zu teilen, oder, wenn er schon ungleich verteilt sein soll, ihn diskret zu machen und wenn möglich durch Mehrleistung zu rechtfertigen.

Heute hingegen hat sich ein Fortuna-Kult durchgesetzt, mit dem die Göttin des Zufalls gefeiert wird. Was aber ist ungerechter als der Zufall? Im Grunde genommen leben wir seit dem 19. Jahrhundert in einer neofatalistischen Religion, in der man eine launenhafte Göttin, die Freundin der Sieger, anbetet.

Das vollständige Interview: http://www.cicero.de/97.php?ress_id=6&item=3334

Was haltet ihr davon?
 
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AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Hier findet ihr ein Interview mit Peter Sloterdijk mit dem Titel "Unruhe im Kristallpalast" zur Finanzmarktkrise:




Das vollständige Interview: http://www.cicero.de/97.php?ress_id=6&item=3334

Was haltet ihr davon?


Hallo Walter,

danke sehr für diesen Hinweis. Für mich hochinteressant -
wie (fast) alles, was Peter Sloterdijk gesagt und geschrieben
hat. - Das Magazin CICERO kannte ich (leider) noch nicht.

Samstagsgruß
von
Reinhard70
 
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer. Diese vorgeblich heftigste Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte: sie ist die spießigste und muffigste Angelegenheit, die sich seit Menschengedenken zugetragen hat.
- Peter Sloterdijk (im oben genannten Gespräch)

___________________________________________

Provokante Formulierungen dieser Art regen (mich)
sehr an, ein großes (langes) Gespräch weiterzuverfolgen.
Selbstverständlich kann man lange darüber streiten.
Nicht wahr?
 
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer. Diese vorgeblich heftigste Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte: sie ist die spießigste und muffigste Angelegenheit, die sich seit Menschengedenken zugetragen hat.
- Peter Sloterdijk (im oben genannten Gespräch)

___________________________________________

Provokante Formulierungen dieser Art regen (mich)
sehr an, ein großes (langes) Gespräch weiterzuverfolgen.
Selbstverständlich kann man lange darüber streiten.
Nicht wahr?

Noch so ein Satz des großen Philosophen:

... die Auslagerung der Moral in die Selbstregulierung des Marktsystems
war ein Versuch der modernen Menschheit, sich von der religiösen Ethik zu emanzipieren.
 
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Hier findet ihr ein Interview mit Peter Sloterdijk mit dem Titel "Unruhe im Kristallpalast" zur Finanzmarktkrise:

Das vollständige Interview: http://www.cicero.de/97.php?ress_id=6&item=3334

Was haltet ihr davon?

Ohje...


"Wir leben Zeitalter der unmenschlichen Geschwindigkeiten Als im 15. Jahrhundert die Hochseeschifffahrt aufkam, reiste man in einem Tempo, das noch nicht unmenschlich war, selbst im Sturm wurden die Schiffe nicht übermäßig schnell".

Ach Pustekuchen! Die Seegler haben die viel menschlicheren Galeeren brutal nieder konkurriert. Dort (!) war es noch wahrhaft menschlich voran gegangen. Und die Moral war auch noch in Ordnung. (Man musste sich halt am Riemen reißen.)

Durch die überschnellen Medien entstand die Synchronisierung des Weltsystems, und auf ein Leben in Gleichzeitigkeit mit allem Übrigen sind wir logisch und biologisch nicht vorbereitet."​

Nunja, Mathe- und Biologielehrer haben zuweilen etwas eigenartige Maßstäbe. Ich entschuldige mich (und stelle mich freiwillig in die Technikfanatiker-Ecke), dass ich diesen Kommentar nicht mit dem Laufboten auf den Weg geschickt habe. Aber was bleibt einem übrig? Die technischen Fortschritte bestimmen nun einmal die Geschwindigkeit möglicher Wortschritte.

Der Wahnsinn ist offenbar aus den Personen ausgelagert worden, als hätte man ein Verfahren gefunden, Verrücktheit zu externalisieren.

Das Verrückte hier ist allerdings die Vorstellung, dass hierbei bewusstes Handeln am Werke ist.

Es ist aber wohl eher so, wie schon Marx es bemerkte: die privateigentümliche Form des Aneignens bzw. Produzierens eines bestimmten sozialen Nutzens sorgt ganz unwillkürlich (!) dafür, dass den Menschen die Produkte (bzw. der Nutzen) ihrer eigenen Arbeit als fremde Mächte erscheinen, die sie nicht beherrschen sondern von denen sie sich im Gegenteil beherrscht fühlen.

Und das diese "Entfremdung" nur mittels anderer (kooperativerer) Formen der Arbeitsteilung aufgehoben werden kann, dies aber nur unter der Bedingung voll ausgebildeter Weltmärkte und gegenseitiger Abhängigkeit aller Länder, Völker Menschen voneinander möglich ist. Und dass dies ferner erst infolge einer kapitalistisch voran gepeitschten - durch die "warensinnige" Produktivkraftentwicklung erst möglichen - Persönlichkeitsentwicklung überhaupt denkbar ist.

Die Vorstellung eines externalisierten Wahnsinns ist demnach nur ein Ausdruck dieser "Entfremdung". Teil des Problems statt Teil dessen Lösung! Die aktuell zu beantwortete Fragen sind eher: Sind wir des Warensinns? Und wie kommen wir da heraus?

Für eine Auseinandersetzung mit den zahlreichen anderen Eigenartigkeiten des Beitrags (z.B. den zynischen Unbemerkungen zur "fehlenden Dramatik" der Kapitalmarktkrise) fehlt es es mir jetzt leider an Muße.

Vielleicht ein anders Mal.

Gruß Adebari
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

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Für eine Auseinandersetzung mit den zahlreichen anderen Eigenartigkeiten des Beitrags (z.B. den zynischen Unbemerkungen zur "fehlenden Dramatik" der Kapitalmarktkrise) fehlt es es mir jetzt leider an Muße.
Vielleicht ein anders Mal.

Mir leider auch, Adebari!

Aber möglicherweise wäre die Diskussion doch irgendwie wertvoll -
im Zusammenhang mit allen möglichen Krisentheorien?
 
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

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"Der Wahnsinn ist offenbar aus den Personen ausgelagert worden, als hätte man ein Verfahren gefunden, Verrücktheit zu externalisieren."​

Das Verrückte hier ist allerdings die Vorstellung, dass hierbei bewusstes Handeln am Werke ist.
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Wahrscheinlich hast Du Recht, Adebari!

Vorstellbar ist m.E. aber auch, dass wir den "Wahnsinn"
(irgenwann) einmal bewusst "auslagern".

Ist nur als ein Denkanstoß gedacht
von
Reinhard70

P.S.: Aus meiner Sicht macht die Hirnforschung
zur Zeit riesige Fortschritte - die (selbstverständlich)
auch sehr risikoreich sind.
 
AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Das Bild mit dem erhobenen Zeigefinger spricht, denke ich, Bände...

Als im 15. Jahrhundert die Hochseeschifffahrt aufkam, reiste man in einem Tempo, das noch nicht unmenschlich war, selbst im Sturm wurden die Schiffe nicht übermäßig schnell. Kurzum, die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte war eine Ära der geringen und mittleren Geschwindigkeiten.

Ehrlich gesagt kann ich an Flugzeugen nichts Unmenschliches erkennen, wiewohl die Holzklasse unbequem ist. Angenehmer als Zugfahren mit der ÖBB oder gar der italienischen FS allemal. Selbst wenn ich diesen Kommentar in Tontafeln einritzte, ich wüßte nicht wo ich den Boten hinschicken sollte...

Das mag einer der Gründe sein, warum ich vom Verlauf der Krise so enttäuscht bin. Man fühlt sich inmitten der planetarischen Turbulenz um das wirkliche Drama betrogen. Da ist nicht eine einzige Figur aufgetreten, die die Krise personifiziert, kein farbiger Schurke, kein Shylock, neben Alan Greenspan ist Onkel Dagobert ein Charaktertitan. Noch nie habe ich eine solche Horde von bleichen Unpersonen beisammen gesehen. Was heute Krise heißt, ist die Weltverschwörung der Spießer.

Na da simma aber traurig, daß den Herren der Verlauf der Krise enttäuscht hat. Wie hätte er es denn gerne gehabt? Darüber spricht er nichts. Das rasante Ansteigen der Arbeitslosenzahlen, Kurzarbeit, Auftragseinbußen, an und für sich gut aufgestellte Unternhemen, die ins Strudeln geraten, ohne auch nur ein Eizerl zur Krise beigetragen zu haben, sind einigen Herrschaften offenbar nicht genug, um sich daran aufzugeilen.

Der "Spießer" (zu dieser Sorte ich mich im übrigen auch zähle) ist wieder einmal schuld an allem, pfui.

Alle hochkulturelle Moral hängt letztlich an der Tiefe der Verinnerlichung des Tötungsverbots. Es muss mit allen Mitteln einverleibt werden – christlich gesprochen mit Furcht und Zittern, polynesisch gesprochen durch das Tabu. Wer sich über dieses Verbot hinwegsetzt, behält ein Unrechtsbewusstsein – und wo dieses fehlt, ist die Kultur zerfallen.

Daß der Tötungsakt im Unrechtsbewußtsein tief verankert ist, ist zumindest im heutigen rechtsstaatlichen System der Fall, bezüglich früherer Epochen hege ich diesbezüglich Zweifel (Folter, grausame Hinrichtungen, ganz abgsehen von Morden, um an die Macht zu kommen...)

Folglich müssen wir versuchen, entweder den Reichtum zu teilen, oder, wenn er schon ungleich verteilt sein soll, ihn diskret zu machen und wenn möglich durch Mehrleistung zu rechtfertigen.

Reichtum war stets ungleichmäßig verteilt. In der westlichen Welt war er noch nie so gleich verteilt wie heute. Im alten Rom wären wir alle vermutlich Sklaven gewesen oder hungernde Plebejer. Heute sind wir Mittelschicht mit eingenem Einkommen, geheizten Wohnungen, stets mit Nahrung versorgt und des Lesens und Schreibens kundig (war früher keine Selbstverständlichkeit).

Darum sollst du, wenn möglich, die Ehe brechen, das lockert die Stimmung und stimuliert den Konsum. Seit dem späten 19.Jahrhundert ist die Erotisierung unserer Kultur mit der wirtschaftlichen Liberalisierung verknüpft. Die eine Lizenz zieht die andere nach sich.

Daß Ehebruch besonders angesehen sein soll, ist mir auch neu, vor allem, daß selbiger den Konsum anreizt. Kurtisanen, Gespielinnen, beziehungsweise Liebhaber, Lustknaben usf. denk ich, gab's seit die Menschen Geschichte schrieben...

Die Krise, so mein kleiner Verstand, entstand aus Mangel an Regelwerken, die auch eine freie Marktwirtschaft benötigt. "Laissez faire" funktioniert nicht, es braucht einen allgemein gültigen Regelrahmen, an den sich alle Beteiligten zu halten haben (mit Strafandrohung bei Zuwiderhandeln).

Tauschwirtschaft, Rückkehr in die Wälder und Höhlen oder Ameisenkollektive als Alternative? Ohne mich...
 
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AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

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Aber möglicherweise wäre die Diskussion doch irgendwie wertvoll -
im Zusammenhang mit allen möglichen Krisentheorien?

Z.B.
"Solange ihr aber fortfahrt, auf die jetzige unbewußte, gedankenlose, der Herrschaft des Zufalls überlassene Art zu produzieren, solange bleiben die Handelskrisen; und jede folgende muß universeller, also schlimmer werden als die vorhergehende,..."

Engels: Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, MEW Bd. 1, S. 515

Der Finanzmarkt ist eben nicht eine von der "rationalen" Realwirtschaft abgekoppelte Sphäre des Zufalls. Hier versucht im Gegenteil realer Kapitalismus den Zufall zu überlisten, suchen akkumulierte Zugriffsrechte nach lohnenden Anlagen, also letztlich nach Dingen die in Zukunft real gebraucht, und deshalb verkauft werden könnten. Ohne solche Investitutionsmittel könnte kapitalistisches Realwirtschaften nicht fortschreiten.

Dass sich dabei Blasen bilden, gehört zum System, weil eine mit Geldware vermittelte Produktion unwillkürlich einen Geldhunger erzeugt, der seiner Natur nach unstillbar ist, während die vermittelnde Umwandlung von Natur und menschlichen Produkten zu einem bestimmten Nutzen halt nicht unbegrenzt überdehnbar ist.

Sloterdijks zur Schau gestellte Langeweile über die "spießige Finanzmarktkrise" offenbart sein Desinteresse an durch wachsende Massenarbeitslosigkeit zusammenbrechende Lebensplanungen und sein Unvermögen, die ins Haus stehende Ausmaße der Krise zu begreifen. Und in so fern ist das ganz normaler Ausdruck bornierter, bewusstloser Unbekümmertheit privilegierter Behauptungsbedingungen. Aber das ist nicht so, weil er seinen Wahnsinn externalisiert, sondern den Warensinn kapitalistischer Behauptungsverhältnisse internalisiert.

Für “Bewusstseinsarbeiter” ist es offenbar besonders schwer, sich ein Gefühl dafür zu erarbeiten, was es für das eigene Erkenntnisvermögen bedeutet, wenn die Notwendigkeit fehlt, sich die Einzelheiten der - sich unter kapitalistischen Behauptungsbedingungen unwillkürlich hinter den Rücken der Akteure herstellenden - Vergesellschaftung durch den Kopf gehen zu lassen.

Dagegen hilft nur soziale Bewegung, die die "Entfremdung" zwischen Produktion und Konsum, Kopf- und Handarbeit, "Geist" und "Materie", "Individualismus" und "Gemeinwohl" ein Stück aufheben. Und natürlich überhaupt, mehr (Öko-)Sozialismus zu wagen :-)

Die erwachende Einsicht, daß die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, daß Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, daß in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Verändeungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt.
Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW Bd. 19, S. 210
 
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AW: Peter Sloterdijk: "Kollapsverzögerung in gierdynamischen Systemen"

Zitiert von Adebari (eben oben):

"Die erwachende Einsicht, daß die bestehenden gesellschaftlichen Einrichtungen unvernünftig und ungerecht sind, daß Vernunft Unsinn, Wohltat Plage geworden, ist nur ein Anzeichen davon, daß in den Produktionsmethoden und Austauschformen in aller Stille Verändeungen vor sich gegangen sind, zu denen die auf frühere ökonomische Bedingungen zugeschnittne gesellschaftliche Ordnung nicht mehr stimmt."

Mir ist nicht ganz klar, wer der Autor des Zitats war (oder ist).
- Auch Engels?

* erwachende Einsicht - Hoffentlich!
* Veränderungen in aller Stille - Wäre ja auch nicht schlecht.

Im Moment nur weitere Denkanstöße und Fragen

mit Grüßen
von
Reinhard70

Habe eben noch etwas nachgelesen:
"Sloterdijks zu Schau gestellte Langeweile ..."
Ja, so kann man es (ihn) auch sehen! - Vielleicht,
weil er innerlich immer sehr angespannt ist!?
 
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