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Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

Miriam

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9.722
Ich hoffe, dass dieser geistreiche Artikel des Kabarettisten Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln so verstanden wird wie er auch gemeint ist: mit einem typischen kölschen Augenzwickern wird da ein ernstes Thema angesprochen und ihm dadurch, neben manch kritischem Akzent, eine sehr menschliche Dimenssion und auch Nähe verliehen.
Es ist auch der Blick eines Kölners der sich immer wieder in seinem Kabarett mit dem befasst was er liebevoll aber auch ironisch der rheinische Katholizismus nennt.

Der Artikel ist in der heutigen Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers erschienen.


Jürgen Becker: Köln wird evangelisch
VON JÜRGEN BECKER, 04.06.07, 20:33h

Ein evangelischer Kirchentag im katholischen Köln ist fast wie ein Pantomimenabend im Radio. Der altehrwürdige Marcel Marceau würde sicher auch das zu einem Erlebnis machen, aber das Problem wird klar: die fehlenden Bilder. Das fängt schon beim mageren Personenkult der Protestanten an: keine Heiligen an den Wänden, keinen weihrauchqualmenden Bischof im Pontifikalamt, keinen Papst, der winkend durch die Straßen fährt. Der Kölner aber liebt die farbenfrohen Umzüge und Feste, egal, ob den Rosenmontagszug, den Christopher Street Day, an dem die Lesben und Schwulen durch die Stadt ziehen, oder die Fronleichnams-Prozession, Hauptsache, d'r Zoch kütt!

Genau da schwächelt der Evangele und schaut sogar neidisch auf den Papst. Der kommt gut an mit seinem Papamobil. Karneval heißt Carrus Navalus. Der Karren der Narren, der Wagen der Bekloppten. Heute sind das Geländewagen. Das Papamobil ist ein Mercedes-Geländewagen mit Terrarium obendrauf. In Bayern hatte der Papst 500 000 Zuschauer, mehr als die Rolling Stones! Gut, der Papst ist ja auch jünger. Und in Bayern fühlte er sich auch wohler als in Köln, weil dort in den Kühlhäusern die Auferstehung des Fleisches wörtlich genommen wird.

Jetzt stellen Sie sich vor, beim Evangelischen Kirchentag in Köln würde die Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, oben auf dem Auto sitzend winkend über die Nord-Süd-Fahrt fahren. Da würde jeder rufen: „Die ist nicht angeschnallt!“

Dabei machen die deutschen Chefprotestanten Wolfgang Huber und Margot Käßmann durchaus etwas her. Das sind gebildete, schlagfertige, charismatische und sogar gut aussehende Menschen, denen man gerne zuschaut. Kardinal Meisner wirkt dagegen wie aus der Geisterbahn der Inquisition. Bei der Diskussion um neue Krippenplätze hatte man den Eindruck, Mixa und Meisner wollen die Frauen am Herd festketten - wobei die Kette bis in den Garten reichen darf. Einer muss ja das Unkraut wegmachen.

Hier können die Evangelen ohne Mühe punkten. Karrierefrau Käßmann ist mit ihren vier Töchtern da schon fast eine Ursula von der Leyen der Lutheraner. Allein es fehlen die öffentlichkeitswirksamen Bilder. Fast hat man den Eindruck, ihre Scheidung ist eine Verzweiflungstat. Wie sonst kommt man als evangelische Bischöfin auf die Titelseite einer Boulevardzeitung? Meisner schafft das, in dem er hanebüchenen Unsinn redet, Dutzende Male im Kirchenjahr.

Käßmann hat da allerdings sehr schlechte Karten, denn alles, was sie sagt, ist vernünftig. Das will von einer Bischöfin aber niemand hören oder lesen. Und auch wenn Papst Ratzinger als Intellektueller dauernd versucht zu beweisen, dass Vernunft göttlich und Gott vernünftig ist, seiner Popularität dient das nicht.

Die Kirche ist unabhängig von der Konfession eine Firma, die seit 2000 Jahren dasselbe Problem hat: Sie muss etwas verkaufen, was noch nie jemand gesehen hat. Da kommen sie mit Vernunft nicht weit. Da brauchen sie Fantasie. Und die wird beflügelt durch Bilder. Heilige, Schiffsprozessionen und Reliquien im Goldsarkophag. Eben da, wo die Worte fehlen.

Ob im Kölner Dom tatsächlich die Knochen der Heiligen Drei Könige liegen? Ob es den heiligen Christophorus am Armaturenbrett wirklich „in echt“ gegeben hat? Beides höchstwahrscheinlich nicht! Aber die Heiligen Drei Könige im goldenen Schrein waren für Jahrhunderte der Publikumsmagnet der Kölner und der magnetische Christophorus zwischen Licht und Scheibenwischerknopf unseres VW-Käfers der unangefochtene Airbag der sechziger Jahre. In unserer Fantasie haben alle wunderbar funktioniert.

Der Rheinländer ist ein Augenmensch. Zuhören fällt ihm schwer. Wenn, dann redet er lieber selber. Das Programm des evangelischen Kirchentages riecht schwer nach Zuhören. Der Erfolg aber hängt letztlich davon ab, welche Bilder er hinterlässt. Vielleicht schwingt sich Margot ja doch noch oben auf ein Automobil. Ich würde ihr zuwinken. Nein, zuprosten. Mit einer Flöns in der Hand. Und die Fantasie bildet sofort die heilige Dreifaltigkeit: Blootwosch, Kölsch un e lecker Mädche!



http://www.ksta.de/jks/artikel.jsp?id=1179819733008
 
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AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

Das Programm des evangelischen Kirchentages riecht schwer nach Zuhören. Der Erfolg aber hängt letztlich davon ab, welche Bilder er hinterlässt.

das Klischee besagt,
daß die Katholen erst fünf Minuten vor ihrem Tod zu Christen werden

die Evangelen hingegen leben ihren Glauben,
verlieren dabei aber ihre Lebensfreude

ps
Bilder im Kopf sind auch nicht schlecht
 
AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

hallo, forianer!

als halbprotestant möchte ich zum "vorwurf" von becker etwas sagen, dass den protestanten die medienwirksamen bilder fehlen würde. dass ist aber gerade ein hauptkritikpunkt der lutherischen lehre am katholizismus. der protestant braucht keine heiligen keine PR-maschinen als vorbild, er braucht inhalte. natürlich ist deshalb das medieninteresse nicht so groß, aber das machen die protestantischen organisationen durch stete, harte überzeugungs- und jugendarbeit wett. außerdem nehmen sie in vielen themen (schwangerschaft, verhütung, rolle der frau, ökumene,...) eine viel realistischere haltung ein. niemals hätte ein katholischer jugendtag in hannover oder magdeburg stattgefunden, und da hätte auch kein bischof huber sprechen dürfen. bei den prot. hingegen, die in köln feiern, hat zur eröffnung der reaktionärste, ultrakonservative herr meisner gesprochen!

den zunehmenden erfolge der protestantenbewegung sieht man an der einflussgewinnung in lateinamerika und afrika!
 
Megachurch GmbH

psbvbn1 schrieb:
den zunehmenden erfolge der protestantenbewegung sieht man an der einflussgewinnung in lateinamerika und afrika!
Das sind vor allem Ableger von nordamerikanischen Evangelikalen, Pfingstlern, Charismatikern und ihren megachurches, die man gemeinhin ja zu den Protestanten zählt.
Bischof Huber zufolge kein Grund des Jubels:
In Afrika und Lateinamerika wachsen charismatische und evangelikale Gemeinschaften in erstaunlichem Tempo. Ein religiöser Fundamentalismus greift um sich, der angesichts der Entwicklungsdynamik unserer Welt auf einfache Antworten setzt, der im raschen Wandel des Wissens das Beharren auf bestimmten "fundamentals" zur Verpflichtung erklärt, und der zu einer klaren Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß, in Licht und Finsternis neigt.
 
AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

Nochmals Jürgen Becker mit seinem fast schon legendären Lied: Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin". Er singt in seinem Outfit als Heimathirsch, so wie er immer am Ende der Mitternachtsspitzen erscheint.

http://www.youtube.com/watch?v=dc9Oklle6nQ

Man sollte dazu auch wissen, dass er keinen so konsequent in seinen Mitternachts- Spitzen erwähnt, wie den in Köln so unbeliebten Kardinal Meissner.
 
AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

hallo, miriam!

was, meisner ist in köln unbeliebt? hätt ich nicht gedacht...

@thorsten
da hat huber sicherlich recht, dass dort eine rigide einteilung der welt in gut und böse abläuft, aber wen wundert es? die prediger versprechen mit dem evangelium und einer modifizierten protestantischen lehre (die das dringend benötigt!) und tat die probleme der menschen dort schnell zu beheben. das ist natürlich sehr verlockend und von vorneherein auch nur zu begrüßen. allerdings werden da auch manchmal persönliche machtgelüste ausgelebt, wo die gläubigen nur als mittel zum zweck dienen!

aber du musst zugeben, dass aktionen wie "brot für die welt" doch schon ganz populär sind und nach meinen informationen schon einigen menschen geholfen haben. wenn du jetzt einwendest, dass die kath. kirche dies auch tue, dann kontere ich mit dem hinweis auf die verneinung einer geburtenkontrolle, selbst in sich rasant vermehrenden gesellschaften!
 
AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

psbvbn1 schrieb:
die prediger versprechen mit dem evangelium und einer modifizierten protestantischen lehre (die das dringend benötigt!) und tat die probleme der menschen dort schnell zu beheben.
Alles leere Versprechungen.
...und es werden kommen viel falsche Propheten...

Mit einer modifizierten protestantischen Lehre - bereichert durch Kreationismus und Intelligent Design - gegen die Übel der Welt:
psbvbn1 schrieb:
das ist natürlich sehr verlockend und von vorneherein auch nur zu begrüßen.
Da begrüße ich doch eher, daß (mindestens) drei Viertel der lateinamerikanischen und afrikanischen Christen ihr Seelenheil immer noch bei der katholischen Kirche suchen ;)

psbvbn1 schrieb:
allerdings werden da auch manchmal persönliche machtgelüste ausgelebt, wo die gläubigen nur als mittel zum zweck dienen!
Genau! Dem Zwecke, noch den Ärmsten der Armen per Kollekte das letzte Geld aus der leeren Tasche zu ziehen.

psbvbn1 schrieb:
[...] dann kontere ich mit dem hinweis auf die verneinung einer geburtenkontrolle, selbst in sich rasant vermehrenden gesellschaften!
- wobei evangelikale Christen im Kampf gegen Geburtenkontrolle / Empfängnisverhütung die kath. Kirche an Vehemenz eher überbieten, nicht?
 
AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

hallo, thorsten!

zu deiner letzten aussage muss ich dir sagen, dass du dich irrst. der großteil der evangelikalen strömungen (lutheraner, baptisten, z.t. methodisten) treten für verhütung, sexuelle aufklärung ein. die pille wird den gläubigen nicht verboten. deshalb gibt es auch auf dem ev. kirchentag in köln vorträge über erotik und kirche sowie ein zentrale beratungsstelle!
 
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AW: Jürgen Becker zum Evangelischen Kirchentag in Köln

Ist mir neu, psv. Kannst ja mal ne "evangelikale" Website verlinken, die für "sexuelle Aufklärung", wie Du es nennst, eintritt. Eine Website, die in Afrika Menschen erreicht...
 
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