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Frau Hermine Tulpenstiel

collie

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Registriert
28. Oktober 2004
Beiträge
16
Frau Hermine Tulpenstiel

Frau Hermine Tulpenstiel
Hat nicht wenig und nicht viel.
Gerade, dass es reicht zum Leben
Und den Enkeln was zu geben.
Zum Geburtstag gibt es Scheine,
Nein, Geschenke kauft sie keine.
Denn mit neunundachtzig Jahren
Muss man seine Kräfte sparen.

Wo ich grad vom Sparen dichte,
Hier sind wir bei der Geschichte,
Wie Hermine sie erfuhr,
Nachmittags um fünfzehn Uhr.
Jeden Tag um diese Zeit
Macht Hermine sich bereit,
Um in einen Park zu gehen
Und den Schwänen zuzusehn,
Sie nimmt Mantel, Stock und Hut.
Ja, der steht ihr wirklich gut.
Wirkt wie eine Frau von Welt,
Mit viel Würde und viel Geld.

Doch heut warten alle Schwäne.
Hermine, die hat andre Pläne.
Heut wird sie zum ersten Mal,
Zittrig, unter Herzensqual,
Mutig eine Bank betreten
Und die lang gesparten Kröten
In die Obhut Fremder geben.
Oh, wie hart ist doch das Leben!
Doch sie tut’s auf das Verlangen
Der Kinder, die ums Erbe bangen.
Bisher lag all das Gesparte
In ’ner hübschen Aufklappkarte
Zwischen ihren ganz famosen,
Rosaroten Unterhosen.

Mit der Tasche voller Zaster
Tritt sie auf das Straßenpflaster.
An der Ampel bleibt sie stehn,
Denn bei Rot darf man nicht gehn.
Weil Hermine konzentriert
Auf das Ampelmännchen stiert,
Merkt sie nicht, dass jemand naht
Und auf ihre Tasche starrt.

Dieser Jemand denkt sich gleich:
‚Diese Dame, die ist reich.
Da ist sicher was zu holen.’
Und er schleicht auf Diebessohlen
Ganz nah an Hermine ran,
Bis er die Tasche greifen kann.
Ruck zuck, das ist seine Masche,
Schnappt er sich Hermines Tasche.
Mit dem ledernen Gehänge
Stürzt er durch die Menschenmenge.

Doch das ist noch nicht das Ende,
Denn Hermine, ganz behände,
Schmeißt den Stock zwischen die Beine.
Nein, nicht ihre, sondern seine.
Darauf folgt natürlich prompt,
Dass der Dieb ins Stolpern kommt.
Er ruft noch: „Du alte Tante…“
Da küsst er die Bordsteinkante.

Die Passanten applaudiern,
Woll’n Hermine gratuliern.
Doch ihr ist das einerlei,
Denn grad kommt die Polizei?
Stolz erzählt Frau Tulpenstiel,
Wie der Dieb hernieder fiel.
Oh, wie sie der Schutzmann lobt,
Beifall klatscht, vor Freude tobt.
Denn: Wen sie schlug mit Tapferkeit,
Sucht man schon seit langer Zeit.

Außer Lob kriegt sie noch mehr:
Ein paar Scheine im Kuvert
Als Belohnung für den Mut.
Ach, das tut der Seele gut.
Dass ihr sowas noch passiert,
Wo sie doch schon neunzig wird!
Nun gilt es zu überlegen,
Wohin wird das Geld gegeben?
Nein, es kommt nicht auf die Bank,
Sondern in den Wäscheschrank.

Und was lernen wir daraus?
Leute, lasst das Geld zu Haus.
Denn – da gibt es nichts zu grinsen –
Unterhosen bringen Zinsen.
 
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Hallo Collie,

Köstlich!
Das gefällt mir überaus gut.
Schön geschrieben, unterhaltsam, und nachdenken kann man auch noch darüber.

Gruß
jüjü1
 
Hallo Collie,

Der Stil erinnert mich sofort an den großen Meister Wilhelm... Ich lese alles zügig durch; der Reim paßt wunderbar und hört sich nirgends zwingend herbeigeholt an. Die Worte fließen weich ineinander über. Ich kann mir das Geschehen, Personen und die Umgebung - dank gut gewählter Worte - sofort klar und bildhaft vorstellen. Mein Schmunzeln steigert sich von Absatz zu Absatz, sodaß ich es fast schon schade finde, daß die Geschichte jäh zu Ende ist.

Gibt´s noch mehr davon?? :winken1:

Grüßel, lacu
 
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:danke: eure begeisterung begeistert mich!

ja, es gibt noch mehr...

liebe grüße, collie (die gerade gaaaanz doll rot ist)
 
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