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Ethometer

FritzR

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6. Oktober 2008
Beiträge
2.809
Hallo,
dies Wort have ich bei Thomas Bernhard gefunden. In "Verstörung" sagt der Fürst Saurau:
"Die Freude am Erfinden von komplizierten,einwandfreien Sätzen; das Wort Ethometer begriffen."

Nun findet sich bei einer Netzsuche fast nur eine Stelle, wo das Wort auftaucht, nämlich bei Novalis in


II. Glauben und Liebe oder Der König und die Königin

Die Königin hat zwar keinen politischen, aber einen häuslichen Wirkungskreis im Großen. Vorzüglich kommt ihr die Erziehung ihres Geschlechts, die Aufsicht über die Kinder des ersten Alters, über die Sitten im Hause, die Verpflegung der Hausarmen und Kranken, besonders der von ihrem Geschlechte, die geschmackvolle Verzierung des Hauses, die Anordnung der Familienfeste, und die Einrichtung des Hoflebens von rechtswegen zu. Sie sollte ihre eigne Kanzlei haben, und ihr Mann wäre ihr erster Minister, mit dem sie alles überlegte. Zur Erziehung ihres Geschlechts würde Abschaffung der ausdrücklichen Anstalten seiner Korruption gehören. Sollte der Königin nicht beim Eintritt in eine Stadt schaudern, wo die tiefste Herabwürdigung ihres Geschlechts ein öffentliches Gewerbe ist? Die härtesten Strafen würden für diese echten Seelenverkäufer nicht zu hart sein. Ein Mord ist weit schuldloser. Die gepriesene Sicherheit, die dadurch beabsichtigt wird, ist eine sonderbare Begünstigung der Brutalität. So wenig sich die Regierung in Privatangelegenheiten mischen dürfte, so sollte sie doch jede Beschwerde, jedes öffentliche Skandal, jede Anzeige, oder Klage eines entehrten Gegenstandes auf das strengste untersuchen. Wem steht das Schutzrecht des beleidigten Geschlechts mehr zu, als der Königin? Sie muß für den Aufenthalt in einer Stadt erröten, die Asyle und Bildungsinstitute der Verworfenheit in sich befaßt.
Ihr Beispiel wird übrigens unendlich viel wirken. Die glücklichen Ehen werden immer häufiger und die Häuslichkeit mehr, als Mode werden. Sie wird zugleich echtes Muster des weiblichen Anzugs sein. Der Anzug ist gewiß ein sehr richtiger Ethometer. Er hat leider in Berlin immer auf einem sehr niedrigen Punkte gestanden, oft unter Null. Was könnte nicht die Gesellschaft der Königin auf die jungen Weiber und Mädchen in Berlin würken? Es wäre an sich schon eine ehrenvolle Distinktion und würde die öffentliche Meinung notwendig wieder sittlich stimmen; und am Ende ist doch die öffentliche Meinung das kräftigste Restaurations- und Bildungsmittel der Sitten.


Kann mir jemand den Begriff, den ich als "Maß für Verhalten" interpretiere, näher erläurten.

Gruß Fritz
 
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AW: Ethometer

Hallo,
dies Wort have ich bei Thomas Bernhard gefunden. In "Verstörung" sagt der Fürst Saurau:
"Die Freude am Erfinden von komplizierten,einwandfreien Sätzen; das Wort Ethometer begriffen."

Nun findet sich bei einer Netzsuche fast nur eine Stelle, wo das Wort auftaucht, nämlich bei Novalis in


II. Glauben und Liebe oder Der König und die Königin

Die Königin hat zwar keinen politischen, aber einen häuslichen Wirkungskreis im Großen. Vorzüglich kommt ihr die Erziehung ihres Geschlechts, die Aufsicht über die Kinder des ersten Alters, über die Sitten im Hause, die Verpflegung der Hausarmen und Kranken, besonders der von ihrem Geschlechte, die geschmackvolle Verzierung des Hauses, die Anordnung der Familienfeste, und die Einrichtung des Hoflebens von rechtswegen zu. Sie sollte ihre eigne Kanzlei haben, und ihr Mann wäre ihr erster Minister, mit dem sie alles überlegte. Zur Erziehung ihres Geschlechts würde Abschaffung der ausdrücklichen Anstalten seiner Korruption gehören. Sollte der Königin nicht beim Eintritt in eine Stadt schaudern, wo die tiefste Herabwürdigung ihres Geschlechts ein öffentliches Gewerbe ist? Die härtesten Strafen würden für diese echten Seelenverkäufer nicht zu hart sein. Ein Mord ist weit schuldloser. Die gepriesene Sicherheit, die dadurch beabsichtigt wird, ist eine sonderbare Begünstigung der Brutalität. So wenig sich die Regierung in Privatangelegenheiten mischen dürfte, so sollte sie doch jede Beschwerde, jedes öffentliche Skandal, jede Anzeige, oder Klage eines entehrten Gegenstandes auf das strengste untersuchen. Wem steht das Schutzrecht des beleidigten Geschlechts mehr zu, als der Königin? Sie muß für den Aufenthalt in einer Stadt erröten, die Asyle und Bildungsinstitute der Verworfenheit in sich befaßt.
Ihr Beispiel wird übrigens unendlich viel wirken. Die glücklichen Ehen werden immer häufiger und die Häuslichkeit mehr, als Mode werden. Sie wird zugleich echtes Muster des weiblichen Anzugs sein. Der Anzug ist gewiß ein sehr richtiger Ethometer. Er hat leider in Berlin immer auf einem sehr niedrigen Punkte gestanden, oft unter Null. Was könnte nicht die Gesellschaft der Königin auf die jungen Weiber und Mädchen in Berlin würken? Es wäre an sich schon eine ehrenvolle Distinktion und würde die öffentliche Meinung notwendig wieder sittlich stimmen; und am Ende ist doch die öffentliche Meinung das kräftigste Restaurations- und Bildungsmittel der Sitten.


Kann mir jemand den Begriff, den ich als "Maß für Verhalten" interpretiere, näher erläurten.

Gruß Fritz

Hallo Fritz!

Wirklich ein interessantes Wort (und "Gerät"). Habe schnell
mal geschaut und fand es zunächst auch nur bei Novalis.

(Hier wieder in bisschen Eigenwerbung):

In (meinem Nachschlagewerk) "Das treffende Fremdwort"
habe ich es nicht gefunden - wahrscheinlich, weil es auch
in umfangreichen Fremdwortlexika nicht steht.

Die Definition "gesellschaftlich bedingte sittliche
Gesamthaltung (als Grundlage des Denkens und
Handelns) des Begriffs ETHOS ist allerdings so
reizvoll, dass es sich lohnt, über ein(en?)Ethometer
länger nachzudenken.

Gruß
von
Reinhard70
(Autor von Wörterbüchern u.a.)
 
AW: Ethometer

lm Novalis Text geht es um unzüchtige Damenbekleidung
und daß diese in einer glücklichen Ehe nicht notwendig ist

die anständige Frau erkennt man laut NOVALIS an ihren Kleidern
in Berlin laufen aber die jungen Weiber und Mädchen schamlos durch die Gegend
die Königin soll daher als Restaurations-Modell mit gutem Beispiel voran gehen

Ethometer = Sittlichkeitsmesser
 
AW: Ethometer

lm Novalis Text geht es um unzüchtige Damenbekleidung und daß diese in einer glücklichen Ehe nicht notwendig ist
die anständige Frau erkennt man laut NOVALIS an ihren Kleidern
in Berlin laufen aber die jungen Weiber und Mädchen schamlos durch die Gegend
die Königin soll daher als Restaurations-Modell mit gutem Beispiel voran gehen
Ethometer = Sittlichkeitsmesser

Danke, Scilla,
du bestätigst, was ich bisher herausgefunden habe bei meiner eigenen Suche. In meinem Glossar zu Novalis fand ich just die Eindeutschung von "Ethometer" als "Sittlichkeitsmesser". *
Mich wundert einmal wieder, dass Suchmaschinen solche Stellen übersehen.

Was für Ergebnisse würde in der Hinsicht bei den heutigen weiblichen Wesen , besonders den jungen, so ein Sittlichkeitsmesser vorweisen?

Nochmals Dank und beste Grüße
Fritz

* Suchmaschinen erhöhen unsere geistige Faulheit und Eindimensionalität. Wozu selber forschen? Ws gibt doch Wiki!
 
AW: Ethometer

lm Novalis Text geht es um unzüchtige Damenbekleidung
und daß diese in einer glücklichen Ehe nicht notwendig ist

die anständige Frau erkennt man laut NOVALIS an ihren Kleidern
in Berlin laufen aber die jungen Weiber und Mädchen schamlos durch die Gegend
die Königin soll daher als Restaurations-Modell mit gutem Beispiel voran gehen

Ethometer = Sittlichkeitsmesser

Hallo Scilla!

Den Sittlichkeitsmesser muss ich mir nun doch
irgendwo notieren. Wenn ich genug Geld hätte, würde
ich ihn sogar konstruieren (lassen) und produzieren.
Hätte einen riesigen Einsatzbereich. ODER?

:blume1:
 
AW: Ethometer



Haloo,
jetzt ist mir noch die Frage aufgekommen:

Woher hat Novalis den Begriff?
Selbstgebildet?
Gibt es da eine Tradition?

Es gab ja früher ständische Kleiderordnungen. Die Stoffe z. B. und der Schnitt der Kleider. Und wenn man dagegen verstieß, wurde das gesellschaftlich sanktioniert.


Sittlichkeitsempfinden
Der Aspekt des Sittlichkeitsempfindens ist eng verbunden mit dem des Konservatismus. Die gesetzgebende Obrigkeit sah sich verpflichtet, ihre Untertanen vor Unsittlichkeit zu schützen.

Es gab Kleidungsstücke, denen ein generelles Verbot zuteil wurde. Wenn sie als unehrbar, unkeusch oder gar sittengefährdend angesehen wurden, wenn Kleidungsstücke das Gefühl für Schicklichkeit verletzten, sah es die Obrigkeit als ihre Pflicht an, durch Verbote zu verhindern, daß ihre Untertanen in Versuchung geführt würden. Ein weiterer zentraler Begriff hierbei war die "Hoffart", gemeint als bürgerliche Hoffart. Dieser Neigung der Bürger, sich "über ihre Verhältnisse" zu kleiden um ihrem Selbstbewußtsein gegenüber höheren Ständen Ausdruck zu verleihen, galt es durch genaueste Regelung und Kontrolle Einhalt zu gebieten.


aus: http://userpage.fu-berlin.de/~history1/bs/knipping/kstand.htm

Zu Novalis' Zeit scheint dies Sittlichkeitsempfinden nicht mehr vorhanden gewesen zu sein.

Na, und heute schon gar nicht.

Zu Reinhard:

Mir fallen da zunächst als zu messende Größen ein:

Die Länge der Röcke und Kleider, die Enge der Hosen und Pullis.
Wie weit geht ein Top runter. Ist das Nabelpiercing sichtbar?
Wie weit geht die Hose nach oben?
Ist das Arschgeweih, der Tanga sichtbar? Im Stehen? Bein Sitzen? Beim Bücken? Beim Niederkauern?
Wie stoffarm ist der Tanga?

Es scheint solcher Sittlichkeitsmesser eher für vor allem jüngere, weibliche Wesen nötig zu sein.

Bei männlichen:

Wie tief hängt das Gesäß zwischen den Knien?
Wie sehr beult das Gemächt aus?
Wie weit hängt der Bauch über den Gürtel oder den Hosenbund?
Wieviel Brusthaare sind zu sehen?
Wie viele Kettchen baumeln um Hals und Fesseln und am Hosenbund und aus der Hosentasche?

Was wäre noch zu messen?

Der oder das Ethomenter wäre also eher ein Fragekatalog als ein Gerät.

Soweit meine Überlegungen bisher.

Gruß Fritz
 
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