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Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

F

Fidelitas

Guest
Das Wort "Pietät" kommt bekanntlich aus dem Lateinischen und bedeutet "Respekt und Ehrfurcht."
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird es vornehmlich im Zusammenhang mit Toten verwendet.


Im Internet gibt es eine freundliche, eher als 'privat' zu bezeichnende Bildergalerie, bei der sich jeder anmelden kann, der (eigene) Bilder und Fotos veröffentlichen möchte.

Zur Zeit endet gerade ein Fotowettbewerb.
In diesen hinein hat jemand ein Foto seiner soeben verstorbenen Mutter gesetzt und wenig später noch ein Foto von deren Asche.
So etwa mit der Begründung: solche Fotos seien notwendig, um die allgemeine Angst vor dem Unabänderlichen zu nehmen.

Ich muß gestehen: ich war entsetzt!
Für mich ist so etwas pietätlos.

Oder bin ich da altmodisch?
 
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AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Hallo Fidelitas,

persönlich finde ich den von dir geschilderten Vorgang geschmacklos, dumm und wahrscheinlich trifft hier der Begriff zu: pietätlos.

Es gibt eine Art so mit Ängsten umzugehen, ich würde es eher als Ängste zu umgehen bezeichnen, in der man eine so genannte Selbsverständlichkeit an den Tag legt, wahrscheinlich um sich selber zu überzeugen, dass man einen natürlichen Umgang dazu pflegen kann.
Dies betrifft hauptsächlich das Kapitel Sterben und Tod - wo ich schon die abstrusesten Äusserungen gehört habe oder auch eine Schnodrigkeit die ich nur als gekünstelt ansehen kann.

Ja, eigentlich kann man das am besten als pietätlos bezeichen.

Gruß

Miriam
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

ich würde es eher als Ängste zu umgehen bezeichnen

Das hast Du hervorragend ausgedrückt, Miriam!
Von dieser Seite habe ich die Angelegenheit in meinem Entsetzen noch gar nicht ventiliert.

Aber da kann man die betreffende Person, die posthum 'so' mit ihrer Mutter umgeht, ja doch nur bedauern.
Oder spielen da vielleicht noch andere tiefenpsychologische Prozesse mit?
Die möchte ich gar nicht in Worte fassen :-(
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Das Wort "Pietät" kommt bekanntlich aus dem Lateinischen und bedeutet "Respekt und Ehrfurcht."
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird es vornehmlich im Zusammenhang mit Toten verwendet.

Im Internet gibt es eine freundliche, eher als 'privat' zu bezeichnende Bildergalerie, bei der sich jeder anmelden kann, der (eigene) Bilder und Fotos veröffentlichen möchte.

Zur Zeit endet gerade ein Fotowettbewerb.
In diesen hinein hat jemand ein Foto seiner soeben verstorbenen Mutter gesetzt und wenig später noch ein Foto von deren Asche.
So etwa mit der Begründung: solche Fotos seien notwendig, um die allgemeine Angst vor dem Unabänderlichen zu nehmen.

Ich muß gestehen: ich war entsetzt!
Für mich ist so etwas pietätlos.

Oder bin ich da altmodisch?

Hallo Fidelitas,

ich mußte selbst erst im Verlauf der letzten zehn Jahre lernen, daß es da merkwürdige Spielarten gibt. Teilweise gibt es erhebliche "kulturelle" Unterschiede, damit umzugehen. So ist es bei vielen Gruppen z.B. üblich, die Toten auf dem Totenbett zu fotographieren, ich habe es sogar, wovon ich reichlich befremdet war, im allerengsten Familienkreis erlebt. Ich persönlich konnte mit dieser Fotosession am offenen Sarg überhaupt nichts anfangen. Ich muß aber einräumen, daß ich nicht alles verstehe und ich weiß auch nicht, ob dieses Verhalten in dieses Thema richtig passt.

Ähnlich verhält es sich mit der Film und Fotomanie bei anderen wichtigen Momenten des Lebens. Ich habe mir bei unserer Hochzeit verbeten, daß jemand mit Video-Camera um uns herumschlawenzelt. Gegen die Blitzlichter hinter dem Altar, nicht dagegen von vorn und von der Seite, hatte ich nichts einzuwenden und so haben wir uns kurz umgedreht.
Viele Männer, nehmen Cameras mit zur Geburt und filmen, fotographieren in allen Einzelheiten (Bitte lächel doch mal für einen Augenblick, mein Schatz!), um dann stolz die entsprechenden Bilder allen Verwandten und Bekannten am Notebook vorzuführen (die Frau ist in der Zeit eh mit Windelwechsel beschäftigt).

Ehrlich gesagt, schon das hysterische Fotographieren in den Zeiten der Digitalisierung hat für mich etwas pietätsloses. Nicht ohne Grund gibt es das uneingeschränkte Recht am eigenen Bild, sofern man nicht zu den VIP. gehört, aber wen kümmert das. Ich kann da ziemlich giftig werden.

Ausgerechnet ich wurde zum Paten eines katholischen Mädchens bestimmt. Da ich mich geehrt fühlte, nahm ich an. Bei der Zeremonie sollte ich dann zusammen mit den anderen Paten plötzlich dem Teufel abschwören. Ich hab nur reflexartig gegrinst und lachend den Kopf geschüttelt, nichtsahnend, daß mehr als drei Camcorder auf mich gerichtet waren....Ihr könnt Euch vorstellen, was los war.

Ich hoffe ich bin damit nicht zu sehr vom Thema abgekommen, aber das gehört für mich zusammen. Die eigene Erfahrung reicht vielen Menschen nicht mehr, obgleich darin ein großer Zauber steckt und die Intimität macht vielen Menschen Angst.

Aber ich muß zugeben, daß ich ja selbst ein paar Anekdoten zum besten gegeben habe. Eine dabei zu unterscheidende Frage ist es nämlich, ob man anderen Menschen ein paar Einblicke gestattet, um sie z.B. etwas zum Lachen oder Nachdenken zu bringen, ob man wichtige Erfahrungen mitteilt oder ob man Intimitäten, insbesondere anderer Personen mitteilt. Und die Asche der Mutter und auch ihr Foto gehört nicht ins Netz, es sei denn sie hat es vorher so bestimmt.

Viele Grüße
Zwetsche
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Wir leben im Zeitalter der Geschmacklosigkeiten, der Trivialitäten und der hemmungslosen Selbstentblößung.
Ich kann damit auch nichts anfangen und halte mich grundsätzlich lieber bedeckt, als dass ich alles ans Licht zerre, um Aufmerksamkeit um jeden Preis zu bekommen.
Der absolute Gipfel waren für mich diese Fernsehsendungen, in denen Prominente dummdoofe bis ekelerregende Tests im Dschungel, in einer Box oder sonstwo vor laufender Kamera bestehen mussten - mussten sie nicht sogar öffentlich aufs Klo?
Damit mir hier niemand Heuchelei unterstellt nach dem Motto "erst guckt se sich dat gierig an und dann wird se moralisch :reden:" : ich habe davon lediglich gehört, und ich wollte es nicht glauben!
Ebenso wie die wohl sehr beliebten Nachmittagstalkshows mit Primitivstthemen.
Ich frage mich wirklich, ob das überhaupt noch zu toppen ist!
Dagegen ist die Asche der Mutter noch harmlos!
Als Angstabbau vor dem Tod ist das IMO ungeeignet, da kann doch höchstens die Botschaft rüberkommen: DAS ist alles, was von dir übrig bleibt, du armer kleiner Mensch ...

Fortuna
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Wir leben im Zeitalter der Geschmacklosigkeiten, der Trivialitäten und der hemmungslosen Selbstentblößung.
Ich kann damit auch nichts anfangen und halte mich grundsätzlich lieber bedeckt, als dass ich alles ans Licht zerre, um Aufmerksamkeit um jeden Preis zu bekommen.
Der absolute Gipfel waren für mich diese Fernsehsendungen, in denen Prominente dummdoofe bis ekelerregende Tests im Dschungel, in einer Box oder sonstwo vor laufender Kamera bestehen mussten - mussten sie nicht sogar öffentlich aufs Klo?
Damit mir hier niemand Heuchelei unterstellt nach dem Motto "erst guckt se sich dat gierig an und dann wird se moralisch :reden:" : ich habe davon lediglich gehört, und ich wollte es nicht glauben!
Ebenso wie die wohl sehr beliebten Nachmittagstalkshows mit Primitivstthemen.
Ich frage mich wirklich, ob das überhaupt noch zu toppen ist!
Dagegen ist die Asche der Mutter noch harmlos!
Als Angstabbau vor dem Tod ist das IMO ungeeignet, da kann doch höchstens die Botschaft rüberkommen: DAS ist alles, was von dir übrig bleibt, du armer kleiner Mensch ...

Fortuna

Liebe Fortuna,

ob das noch zu toppen ist? Ist die Frage ernst gemeint (ironisch gefragt)
Ich bin überzeugt, das Djungelcamp ist zu toppen und wird auch noch getoppt werden. Ich trau mich gar nicht auszusprechen, was für Geschmacklosigkeiten da denkbar wären, denn das geht über in eine Art von Ironie (Zynismus), die nicht jedermann verträgt und von daher Gefahr läuft, falsch verstanden zu werden. Nur soviel: Wir sind doch erst am Anfang der reality-shows.

Stimme Dir natürlich zu!

Viele Grüße
Zwetsche
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Fidelitas, ich finde das höchst makaber und ebenfalls, so, wie wir üblicherweise das Wort "pietätlos" verwenden und "fühlen", ist es pietätlos.

Das Wort "Pietät" kommt bekanntlich aus dem Lateinischen und bedeutet "Respekt und Ehrfurcht."
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird es vornehmlich im Zusammenhang mit Toten verwendet.

Das brachte mich auf die Idee, nachzudenken, wie es in anderen Sprachen ist:
Französisch verbindet piété mit Frömmigkeit, ebenfalls die spanische piedad, die noch das Erbarmen kennt, die italienische pietà ist dann eher Mitleid und Barmherzigkeit, die englische reverence wieder Ehrfurcht, aber auch Verehrung.

Wenn man dabei noch einen Ausflug in die Kunst macht, und sich die Pietà, vorstellt, die in jeder katholischen Kirche hängt oder steht, also diese "Beweinungsszenen" (das ist keinesfalls abwertend, sie heissen tatsächlich so, die wohl berühmteste ist von Michelangelo), auf denen Maria (manchmal auch ein Engel) den toten Jesus auf dem Schoss hält, könnte es vielleicht sein, dass der Photograph ein Gläubige ist, der denkt, seiner Mutter so die Ehre zu erweisen. (???)

Ich möchte es damit nicht verteidigen, ich verurteile es, weil es kaum dem Willen der Toten entspricht, versuche es nur irgendwie zu erklären, um nicht Abscheu zu empfinden.

Die TV-Sendungen würde ich damit aber nicht in Verbindung bringen wollen, weil sie dem ursprünglichen Sinn des Wortes Pietät in Verbindung mit religiösen Gefühlen (und das ist es eindeutig) nicht entsprechen. Ausserdem werden die Leute kaum genötigt, im Fernsehen aufzutreten, bei der toten Frau setze ich aber den eigenen Willen nicht voraus.

Die Sendungen könnte man damit höchstens in Verbindung bringen, weil sie kein Erbarmen kennen *loool*. Aber ich habe nicht viel davon gesehen, wir haben seit vier Jahren keinen Fernseher, ich erinnere mich nur gut an einen grausam verregneten Tag in Zell am See, an dem wir im Hotel Karten spielten und daneben den Fernseher laufen liessen. Den ganzen Nachmittag eine Talkshow nach der anderen, dort lerne ich auch Herrn Fliege "kennen" *looool*, war soooo schöööön: "Ich verstehe Sie" und "Ich fühle mit Ihnen" nach jedem zweiten Satz :brav: . Ich fand mich dabei, ehrlich gesagt, ganz schön pervers, weil mich das irgendwie faszinierte, Abscheu empfand und dennoch den Off with you-Knopf nicht bediente.

:spei1:
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Fortuna schrieb:
Wir leben im Zeitalter der Geschmacklosigkeiten, der Trivialitäten und der hemmungslosen Selbstentblößung.

dem kann ich nur zustimmen und daher wundert mich auch nichts mehr.
ich mein mich erinnern zu können, dass es eine zeit lang verboten war tote im fernseher oder in der zeitung zu zeigen, doch irgendwann muss dieses verbot aufgehoben worden sein.
angefangen hat es mit dem zeigen der toten juden in den KZ´s, dann aktuelle tote aus diversen kriegen und zu guter letzt life ersaufende menschen in dem tsunami.

und da regst du dich wegen einem bild im internet auf?

das was du beschreibst ist doch eher "künstlerische freiheit" :ironie:

nun wie stehst du dann zu den körperwelten von günther von hagens?

wo fängt pietätlosigkeit denn an?

lg binchen
 
AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

nun wie stehst du dann zu den körperwelten von günther von hagens?

Da hast Du eine kritische Frage gestellt, Binchen,
denen stehe ich persönlich nämlich positiv gegenüber
aus bestimmten Gründen, zu denen ich mich später noch äußern möchte.

Hast Du eine seiner Ausstellungen besucht?

***

Apropos: gab es das Thema 'Gunther von Hagens' hier im Forum schon einmal?
Ich denke, er könnte einen eigenen Thread füllen -, würde mich aber nicht wiederholen wollen.
 
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AW: Ist Pietät nicht mehr zeitgemäß?

Er, als abendfüllendes Programm gab's hier noch nicht, Fidelitas, aber (ich glaube, in "Was ist Kunst?" war's) gesprochen haben wir auch schon über ihn. Lang, lang, ist es her. Mach nur ruhig... Lilith war, wenn ich mich richtig erinnere schon mal "bei ihm"...

PS: Vielleicht war's aber in "Wann ist Kunst pervers"? Weiss es auch nicht mehr sooo genau.
 
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