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Wie weit geht die Toleranz?

Claus

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5. August 2005
Beiträge
3.673
Um meine Auffassung von Toleranz, die in einem anderen thread angesprochen wurde, mal zu päzisieren:

Ich unterscheide zwischen Toleranz gegenüber einer Meinung und die gegenüber einer Person.

1. Fall

es gibt unterschiedliche Auffassungen zur Existenz von ETI und dem Erfordernis danach zu suchen.
Wenn dies jemand negiert (wie Camajan und die von ihm zitierten autoren), dann toleriere ich die andere Meinung, weil sie mit einer fundierten Erklärung begründet wurde, die ich jedoch nicht teile.

2.

Wenn mit mir jemand über Astrologie diskutieren will, lehne ich das ab. Ich toleriere die astrologiegläubige Person, weil mich an ihr außer ihrer Weltanschauung ja nichts stört, und dieses Thema kann man ja unter den Teppich kehren.
Die Astrologiegläubigkeit toleriere ich nicht und diskutiere darüber nicht, mit der Überlegenheit des besser Wissenden.

Ich wäre in der gleichen Situation wie ein Gynäkologe, mit dem man darüber diskutieren will (oder der es tolerieren soll), daß in fernen, fremden Ländern vielleicht doch der Klapperstorch die Kinder bringt

oder ein Chemiker, dem man zumutet darüber zu debattieren, ob man mit dem richtigen Katalysator vielleicht doch aus Katzenscheiße Gold machen kann.

soweit geht die Toleranz nicht.

Wenn jemand in der Schule (ich hoffe doch, daß man das heute nicht schon „abwählen“ kann) die Grundbegriffe der Himmelsmechanik gelernt hat, auch die Historie, wie die Sternbilder zustandegekommen sind, und ganz grob über den Bau des Universums bescheid wissen sollte,
dann doch noch zum Astrologen geht,

oder jemand daran glaubt, daß über den Wolken die Englein schweben und bei Vollmond der siebengeschwänzte Teufel umgeht,

dann lehne ich in diesen Fällen ein Gespräch darüber ab. Soviel Intoleranz bin ich mir schuldig.
meint Claus
 
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Eine sehr gute Frage, die es verdient, allgemeiner gestellt zu werden.

Die vielen Worte über Weltanschauung, Klapperstorch, Katzenscheisse und siebengeschwänzte Teufel vergessen wir jetzt mal, ich denke an den Wortsinn des deutschen Fremdwortes "Toleranz":

lateinisch: tolerare -

deutsch: tragen, ertragen, ausharren, erdulden;
durchbringen, notdürftig erhalten

Also: Was muß passieren, bis ihr sagt: "Schluß jetzt! das ertrage ich nicht mehr!" oder "Das kann ich nicht dulden!" oder auch "Das bin ich nicht bereit, ohne Not zu erhalten!" ?
 
Gaius schrieb:
Also: Was muß passieren, bis ihr sagt: "Schluß jetzt! das ertrage ich nicht mehr!" oder "Das kann ich nicht dulden!" oder auch "Das bin ich nicht bereit, ohne Not zu erhalten!" ?

Ja, zum Beispiel, wenn meine Frau plötzlich regelmäßig zum Astrologen geht und mich mit dem dort erhaltenen "Wissen" traktiert. :)
(steht aber nicht zu befürchten)
 
Hallo !

Ich erachte die Toleranz neben der Liebe und der Achtung als das drittbeste Gefühl. Während man aber kaum jemand - in einem anspruchsvollen Sinn - zu viel lieben kann, nur die Schmeichler und Schleimer unbegründet achten und bewundern, gibt es sehr wohl bei der Toleranz eine Grenze. Toleranzgrenze (auch Scherzgrenze) ist auch ein - zumindest in Österreich - durchaus gebräuchliches Wort.

Ich finde, man muss auch unterscheiden zwischen der

persönlichen Toleranzgrenze und der
Toleranzgrenze von Gruppen (von Sportvereinen, Schulen, Gemeinden, Ländern, Staaten bis zu Staatenbünden).

Wenn zum Beispiel hier der adminsan walter dieses Forum betreibt und auch persönlich die ökonomische und auch z.T. moralische Verantwortung für dieses Forum übernimmt, so ist natürlich er berechtigt, die Toleranzgrenzen festzusetzen. Wie jede Einzelperson (oder Familie) innerhalb ihrer 4 Wände bestimmen dürfen, wie weit Gäste gehen dürfen. Das gleiche gilt für Einzelunternehmer innerhalb ihres Betriebes.

Für Gruppen (wie gesagt bis zum Staatenbund) ist es natürlich schon schwieriger; da bedarf es moralischer Führung oder - was viel sicherer ist - demokratischer Abstimmung.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein persönliches Erlebnis schildern. Wir hatten in Wien bis vor wenigen Jahren einen Mann namens Waluliso. Das war eine Art Künstlername und war nichts anderes als die Abkürzung für: Wald - Luft - Licht - Sonne. Er ging nach seiner Penisonierung mit einem weißen Kittel, einem langen Stab und Äpfeln auf die öffentlichen Plätze, predigte im wesentlichen wie gesagt Wald, Luft, Licht, Sonne und verteilte Äpfel.
Ich konnte ihn weder richtig lieben noch konnte ich ihn ganz ernst nehmen. Er wurde aber von den Behörden und auch von den meisten Menschen - inklusive mir - toleriert.

Toleranz ist quasi ein Netz vor der Verachtung und der Gleichgültigkeit und sicher die positivste Ausprägung des Liberalismus und - Hand auf's Herz - waren wir denn nicht selber, bevor wir Achtung und/oder Sympathien erringen konnten, oft froh, wenigstens einmal toleriert zu werden ?!

Einige liebe und viele tolerante Grüße

Zeili
 
Zuletzt bearbeitet:
Zeilinger, so sehr ich deine Worte schätze und im Wesentlichen auch mit dir übereinstimme, so sehr muß ich dir widersprechen bei deiner Unterscheidung zwischen Liebe und Toleranz. Ich denke, daß dies die Kinder der gleichen Mutter sind.

"Einen Menschen zu lieben heißt ihm in all seinen Veränderungen zu folgen". Sollte die Liebe auf Gegenseitigkeit beruhen, dann haben wir eine interessante Entwicklung vor uns.

Toleranzgrenzen werden zu oft herangezogen, um andere Meinungen, Lebensweisen oder Handlungen zu bekämpfen und sich das Recht zu nehmen gegen diese vorzugehen. Wir sehen weltweit eine Entwicklung, daß es die Guten und die Bösen gibt. Nicht zuletzt natürlich die absolut herzlose und grauenvolle Einrichtung: die herrschende Meinung.

Ich wage nicht einmal daran zu denken, daß ich ein besonders toleranter Mensch bin und doch versuche ich immer wieder mir die andere Seite anzuhören, mich damit auseinander zu setzen und im Zweifel die andere Seite in Frage zu stellen und vielleicht zu überzeugen.

Die Herausforderung ist natürlich besonders hart in einer engen Beziehung. Und wenn die Frau zum Astrologen geht, dann will sie natürlich auch darüber reden. Mit wem soll sie das dann tun? Zuhören geht da eigentlich immer. Und zudem könnte sich daraus ja auch was interessantes ergeben, etwas was einen den eigenen Horizont noch erweitern kann.

Ist die Toleranzgrenze vielleicht eher die Grenze zur Ignoranz? Ist Toleranz oft so schwer, weil wir unser Weltbild ach so sicher glauben, die Wahrheit auf unserer Seite sehen und uns mit diesem "Mist" garnicht auseinandersetzen wollen?

Ich lebe nun schon viele Jahre in Asien und ich kann beruhigt sagen, daß hier fast nichts so läuft wie in meiner Heimat. Meine Toleranzgrenze, wenn ich dieses Wort einmal so gebrauche, ist sehr hoch und kaum noch zu überbieten. Ich befürchte jedoch, daß ich vieles ganz einfach auch nicht mehr wahrnehme, nicht mehr ernst nehme oder einfach ignoriere. darüber bin ich mir durchaus bewußt, sehe dies aber als notwendig an, um meine innere Identität nicht gänzlich zu verlieren.

In diesem Sinne hat Toleranz sicher seine Grenzen. Diese Grenzen ergeben sich sicher auch dann, wenn grob und vorsätzlich gegen "universelle Werte" verstoßen wird. Doch nicht alles was gegen unsere Meinung oder Kultur verstößt darf die Grenzen der Toleranz in Anspruch nehmen.

Es ist wohl die schwierigste Form der Liebe mit Menschen umzugehen, deren Ansichten man nicht teilen kann. Und doch ist dies unsere Aufgabe. auch und besonders dann, wenn die Frau beim Astrologen war und nun über Dinge redet, die man so überhaupt nicht mehr verdauen kann oder will.

Frohe Weihnachten!
 
lateinisch: tolerare -
deutsch: tragen, ertragen, ausharren, erdulden;
durchbringen, notdürftig erhalten

die deutsche Übersetzung ist hier wohl viel genauer.
Er toleriert....,
das assoziiert doch: er ist großmütig, weltoffen, zugänglich, hochherzig

Aber
er erduldet, (daß seine Frau ständig fremd geht)
sie erträgt es (daß ihr Mann ständig besoffen ist und sie schlägt)
usw.
das assoziert: das Maß ist eigentlich schon lange voll, es kann doch so nicht weitergehen....

meint Claus
 
>louiz30: Wer liebt, toleriert natürlich auch im höchsten Maße. Wenn ich wen toleriere, heißt das aber noch lange nicht, dass ich ihn liebe.

Um konkreter zu werden, wo - im Augenblick - meine Toleranzgrenze liegt. ich bin nicht vermessen genug, zu behaupten, dass sie sich nicht nach oben oder unten verschieben kann. Ich hoffe, dass ich nicht der einzige bleibe, der sich konkret äußert.

Also ich möchte nicht in Freiheit sehen (zumindest so lange nicht, bis sie ihre Untat voll bereuen und einsehen):

Mörder (auch keine Affektmörder)
sonstige Gewalttäter und Notwehrüberschreiter
Erpresser und Entführer
Betrüger und Luxusräuber (die ohne Existenzgefährdung rauben)
Sonstige Diebe außer Mundräuber
Mundräuber nach Verwarnung (bedingter Strafe).

Haben die Straffälligen ihre Untaten eingesehen (sollten mMn mindestens 5 Psychologen unabhängig voneinander feststellen), will ich sie wieder tolerieren, später vielleicht sogar achten.

louiz und alle anderen - die möglicherweise vor Weihnachten nicht mehr mit mir kommunizieren:

Frohe Weihnachten !

Zeili
 
@ zeilinger

Deshalb habe ich geschrieben: " ... wenn grob und vorsätzlich gegen "universelle Werte" verstoßen wird." Wir sehen das also gleich.

Nur da ist eben genau das Problem zu sehen. Welche Werte sind es denn, was ist der Maßstab? Die herrschende Meinung?

Das ist eben das Problem, denn die herschende Meinung hat letztlich auch schon viele Menschenleben gekostet, nicht nur in Deutschland!

Auch dir alles Gute zu Weihnachten!!
 
Ach so, du wollest noch was Konkretes für die Feiertage. Da gibt es aber zu viel zu schreiben und so suche ich mir ein Thema aus dem Fundus aus:

Es übersteigt selbst meine Toleranzgrenze, wenn man unter Vortäuschung falscher Tatsachen ein Land überfällt, 30.000 Einwohner dieses Landes und tausende der eigenen Leute in den Tod führt und dann mit weiteren Lügen behauptet, daß man die Welt verbesser hätte, obwohl man seit dieser fatalen Entscheidung mehr Terroranschläge verursacht hat als je zuvor.

Es übersteigt dann auch meine Toleranzgrenze, wenn andere eine andere Meinung haben und man dann sagt: "you are with us or against us" und dies obwohl die eigene Unabhängigkeit vor vielen Jahren genau von diesem Lande sicher gestellt wurde.

Es übersteigt meine Toleranzgrenze, wenn dann begründet wird, daß man Demokratie will, Menschenrechte und vor allem keine Folter und im gleichen Augenblick entzieht man genau diese Rechte den Menschen in Guantanamo, besticht Zeitungen, um vorteilhafte Artikel zu haben und foltert Menschen in geheimen Gefängnissen.

Und es übersteigt meine Toleranz, wenn dann jede Ansprache mit dem Satz endet: "may god continue to bless this great nation".

Das übersteigt so langsam auch meine Geduld.

Ich hoffe, das war konkret genug.

Besinnliche Weihnachten.
 
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Schon lange trage ich mich mit dem Gedanken einen Thread zu eröffnen zum Thema Toleranz. Es kamen mir aber manche Ereignisse in die Quere - und ich musste darauf verzichten.
Aber jetzt wird hier darüber diskutiert - und so werde ich auch manches dazu schreiben, auch wenn etwas kürzer als ich es vorhatte.

Auch wenn meine Meinung zum Begriff Toleranz eher kritisch ist, werde ich doch mit Voltaires berühmten Zitat anfangen:

"Ihre Meinung ist mir zwar widerlich, aber ich werde mich dafür totschlagen lassen, daß sie sie sagen dürfen."

Natürlich hatte er recht. Aber dies spielt sich in einer anderen Zeit ab, in der der Toleranzgedanke keine Selbstverständlichkeit war, in der diese Haltung - anders als heute - kritisch betrachtet wurde, da man ja noch wenig liberal war.

Und heute? Ich teile die Meinung einiger, die aus einem anderen Blickwinkel als zur Zeit Voltaires, den Begriff kritisch betrachten und ihn gerne mit anderen Begriffen, mit anderen Werten, ersetzen möchten. Zum Beispiel mit Anerkennung. Denn in der Annerkennung steckt auch Gleichwertigkeit und Wechselseitigkeit. Anerkennen ist so zu sagen ein interaktiver Prozess. Die Toleranz aber ist dies nicht. Es ist ein Begriff der auch ein Gefälle in sich birgt, Toleranz bedeutet auch ein Erdulden. Und ausserdem spricht aus diesem Begriff eine Art von Indifferenz.

Später mehr dazu, ich freue mich auf eine kontroverse Diskussion, werde andere Meinungen sicherlich nicht nur tolerieren, sondern anerkennen ...
 
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