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Unumgehbar individuell

mwirthgen

New Member
Registriert
20. Dezember 2002
Beiträge
969
Das Interesse vieler an einer philosophischen Sichtweise, die Menschen heute für ihr eigenes Denken und Tun anregen kann, hat mich an konstruktivistische Ideen denken lassen.

Einer der Grundgedanken dieser Philosophie ist, dass jeder Mensch ausschließlich die Dinge, Sachverhalte und seine Mitmenschen so sieht wie er sie sieht. Unter Konstruktivisten steht fest: Es gibt keine Möglichkeit, Objektivität zu erkennen bzw. ein Wissen zu erwerben, dass 'wahr' wäre. Die eigenen Sichtweisen entstehen aus Erlebnissen, an denen der Einzelne gelernt hat, wie die Dinge beschaffen sind und wie die Beziehungen der Dinge untereinander sind. Dazu gehört auch das, was Wissenschaften darüber sagen. Philosophiert wird über Erkennen, Wissen und wie es zu stande kommt und das vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse.

Ich hätte Lust mit anderen einige Thesen des Konstruktivismus näher zu betrachten.

Unter http://beat.doebe.li/bibliothek/w00101.html kann sich jeder einen ersten Eindruck verschaffen.

Ich würde mich freuen, wenn jemand einen für ihn interessanten Gedanken von dieser Seite hier einstellte. Falls sich nichts tut, werde ich noch einmal einen Anstoß für den Disput geben.

Übrigens: Konstruktivistisches Philosophieren ist ein friedfertiges Tun. Da es keine Wahrheit git, sondern nur Aspekte einer Sache oder eines Dinges, die mehr für die eine oder andere ... Sichtweise sprechen, gibt es auch kein rechthaben. Überzeugungen werden darauf hin überprüft, in wie fern sie sich einigermaßen nachvollziehbar aus gemeinsam zu Beboachtendem schlussfolgern lassen können. Überzeugungen, die keinen konkreten Bezugsrahmen haben, sind undiskutierbar und werden daher keinem streitig gemacht. Glauben darf jeder, was er will.

Vielleicht sind ja auch schon diese Rahmenbedingungen ein Anstoß für Beiträge anderer.

manni
 
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AW: Unumgehbar individuell

Ich rege an, dieses Buch zu lesen:

"Einführung in den Konstruktivismus",
Beiträge von Heinz von Foerster et alii, Piper München-Zürich, 8. Auflage Januar 2005

Sehr Interessantes u.a. zur "erfundenen Wirklichkeit".
 
AW: Unumgehbar individuell

eine konstruierte Diskussion?

na gut ...

Es gibt keine Möglichkeit, Objektivität zu erkennen

daraus zu schließen, daß alles subjektiv ist,
ist jedoch falsch

Philosophiert wird über Erkennen, Wissen und wie es zu stande kommt und das vor dem Hintergrund naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse.

wobei das Philosophieren über die 'naturwissenschaftliche' Erkenntnisweise zu kurz kommt,
was zur Folge hat,
daß Maschinenbauer glauben, sie seien Naturwissenschaftler

Überzeugungen, die keinen konkreten Bezugsrahmen haben, sind undiskutierbar und werden daher keinem streitig gemacht.

der Bezugrahmen ist natürlich der der Maschinenbauer

'konkret' meint nicht die Umwelt sondern die technische Gegennatur
siehe

Christiane Floyd
Der Konstruktivismus lehrt, dass unsere Erkenntnis durch Konstruktion zustandekommt, er macht damit keine Aussage über das Seiende.

ich denke wie RIEDL

RIEDL
Zu erwarten, dass [...] unser Weltbild mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben könne, wie die Konstruktivisten meinen (z.B. von Förster, Glasersfeld, Maturana; [...]), kann auch nicht richtig sein.

unsere Organe haben sich an die wahre Umwelt angepasst
es besteht die Möglichkeit,
daß das Weltbild (je nach entwickeltem Sinnesorgan) unterschiedlich ausfällt (Fledermaus, Schlange, Adler, Spinne),
aber es hat zweifellos was mit der wahren Umwelt zu tun,
sonst wären bereits die Vorfahren ausgestorben

siehe RIEDL
Radikaler Konstruktivismus wird vom Leben widerlegt.
 
AW: Unumgehbar individuell

Unter Konstruktivisten steht fest: Es gibt keine Möglichkeit, Objektivität zu erkennen bzw. ein Wissen zu erwerben, dass 'wahr' wäre.

Das mag unter Konstruktivisten so sein.

Naturwissenschaftler gehen grundsätzlich von der Erkennbarkeit der Welt aus. Wie sollte man denn sonst Naturwissenschaft betreiben?

Ob ein Wissen wahr ist, bestätigt sich in der Praxis und nicht im Hirn irgendwelcher Konstruktivisten!

Gruss
Hartmut
 
AW: Unumgehbar individuell

biologische Widerlegung des Konstruktivismus subjektiver Prägung

Arten die nicht miteinander verwandt sind,
entwickeln ähnliche Überlebensstrategien,
wenn sie in einer ähnlichen Umwelt leben
(= ökologische Konvergenz)

anders ausgedrückt:
es gibt nicht so viel Möglichkeiten,
etwas zu konstruieren,
was nachhaltig funktioniert


philosophische Widerlegung des Konstruktivismus subjektiver Prägung

dualistisch ausgedrückt:
das Relative (= Subjektive) bei den Konstruktionen ist zwar gegeben,
kann aber durch Reflexion objektiviert werden

nichtdualistisch ausgedrückt:
die Konstruktion führt zur Wahrheit,
da sie Aussagen über das System der Umwelt trifft

was passiert, wenn ...?

actio - keine Reaktion
actio - reactio
actio - Katastrophe

der radikale Konstruktivismus macht nur dann Sinn,
wenn auf eine
actio - ein Durcheinander
folgt,
man also froh sein kann,
daß man überhaupt eine halbwegs stabile Konstruktion geschaffen hat,
mit der man irgendwie weiterkommt
 
AW: Unumgehbar individuell

Also, ich habe die Ideen des Konstruktivismus zusätzlich zum Gesagten auch immer so verstanden, dass Wirksamkeit ein wesentliches Kriterium darstellt, anhand dessen die Güte von Gedanken und Ideen bewertet werden sollte.

Insofern sind die individuellen Konstruktionen des einzelnen irgendwann auch einfach nur lächerlich, wenn sie nicht eine gewisse Art von treffsicherer Vorhersage inkludieren.

Demnach kann ich mir natürlich eine "Wahrheit" konstruieren, z.B. die Prognose, dass die Welt in einer Minute untergehen wird. Aber wenn du das jetzt liest, dann hat sich bereits herausgestellt, dass das keine Konstruktion mit irgendeiner Nähe zur Wirklichkeit (also zum Wirksamen) war.

Ist es wirksam? Das ist nach meinem Empfinden eine der besten Fragen, die wir dem Konstruktivismus zu verdanken haben...

lg Frankie
 
AW: Unumgehbar individuell

Wenn Objektivität nicht per se zu haben ist, worauf ja auch die unvollständige Datenübermittlung und selektive Auswertung dieser Daten des neurobiologischen Systems jedes Lebewesen hinweist, dann ist die Aussage "unsere Organe haben sich an die wahre Umwelt angepasst" m.E. nicht mehr als eine unüberprüfbare Schlussfolgerung, weil die "wahre Umgebung" nach wie vor unerkennbar bleibt. Wirksamkeit scheint mir deshalb auch kein "Wahrheitskriterium" zu sein, zumal wirksam verschiedenes ist. Allein die unterschiedliche biologische Ausstattung von Lebewesen und Pflanzen mit ihren unterschiedlich wirkenden Weisen, sich überlebend zu behaupten, könnte m.E. dafür als Indiz gelten.

Der entscheidende Punkt scheint mir, dass mit dem Fakt der Unzugänglichkeit dessen, was sich hinter unseren sensorischen und neurophysiologischen Daten verbirgt, das bisher gültige Denken und Handeln in dichotomischen Kategorien seinen Sinn verloren hat. Und das macht konstruktivistisches Denken letztlich so schwierig. Einem Menschen, der es gewohnt ist, die Welt nach 'wahr' und 'falsch' zu betrachten, wird die 'Unumgehbarkeit des Individuellen' (finde ich passender als subjektiv) nur schwer akzeptieren können.

Dichotomisches Denken hat meist nur zwei Möglichkeiten. Während konstruktivistisches Denken von eine Vielzahl von Möglichkeiten - bekannten und noch zu eruierenden - ausgeht, da keine Möglichkeit per se 'wahr' oder 'falsch' ist. Hier liegt eine große Chance für Menschen miteinander und mit sich selbst Möglichkeiten eigener Wirksamkeiten zu entdecken, auszuprobieren, zu verwerfen, neues zu entdecken ....Eine große Chance für das Zusammenwirken in der Gemeinschaft. In der durch kein 'Wahr-und-Falsch-Denken' beieinträchtigtes Hinsehen auf die Dinge liegt auch der wissenschaftliche Reichtum dieses Ansatzes.

Dass übrigens Naturwissenschaftler grundsätzlich von der Erkennbarkeit der Welt ausgehen, scheint mir durch die Naturwissenschaften selber widerlegt. Noch Hume (glaube ich) ging davon aus, dass das Kausalitätsprinzip eine an sich erkennbare Relation zwischen den Dingen der Welt sei, also ein klarer Beweis dafür, dass die Welt so ist, wie sie die Naturwissenschaften erkennen. Schon Kant hat dies aus philosophischen Gründen bezweifelt und später ergaben dann naturwissenschaftliche Forschungen, dass das Kausalitätsprinzip eben nicht immer Gültigkeit haben muss.

Den Schluss, den manche Konstruktivisten auf Grund der 'Unumgehrbarkeit des Individuellen' ziehen - wobei ich bei Glasersfeld bisher noch nicht dergleichen gelesen habe - , dass unsere individuellen Sichtweisen nichts mit der Wirklichkeit möchte ich nicht ziehen. Aber mehr als Annahmen scheinen mir nicht möglich zu sein.

manni
 
AW: Unumgehbar individuell

mwirthgen
den Schluss ... dass unsere individuellen Sichtweisen nichts mit der Wirklichkeit möchte ich nicht ziehen. Aber mehr als Annahmen scheinen mir nicht möglich zu sein.

hypothetischer Realismus

wikipedia
Der Hypothetische Realismus ist eine kritische Variante der erkenntnistheoretischen Position des Realismus. Die von dieser Position erfassten Intuitionen werden gegenwärtig von vielen empirisch arbeitenden Wissenschaftlern geteilt. Hypothetisch kennzeichnet dabei, dass sich der Empiriker bewusst ist, dass seine Annahme von der Existenz einer Realität nur eine Hypothese ist, die sich als falsch herausstellen kann.

...

1. Es gibt mindestens eine vom Menschen unabhängige Realität.
2. Diese Realität hat eine Struktur, so dass zeitliche Wechselwirkungen und Kausalitäten existieren.
3. Diese realen Strukturen sind für den Menschen teilweise erkennbar.

...

Zu unterscheiden ist der hypothetische Realismus insbesondere vom (klassischen) naiven Realismus („Es gibt eine reale Welt; sie ist so beschaffen, wie wir sie wahrnehmen.“), vom Kritischen Realismus („Es gibt eine reale Welt; sie ist aber nicht in allen Zügen so beschaffen, wie sie uns erscheint.“) und schließlich auch vom wissenschaftlichen Realismus („Die Begriffe einer Theorie beziehen sich auf reale, existierende Obkjekte und die Geschichte der Wissenschaften ist als eine Annäherung an die Wahrheit zu verstehen.“)
 
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AW: Unumgehbar individuell

Widerlegung des hypothetischen Realismus

schwierig,
mir fällt zunächst der Unterschied zwischen einer losen Idee,
die man verfolgt
und einer Setzung ein

eine Setzung würde ich nicht mehr als Hypothese bezeichnen

eine Setzung ermöglicht eine Diagnose
die lose Idee hingegen nur die Prognose eines Trends

......

eine Setzung ist für mich auch ein Ameisenhaufen mit seinem 'durchdachten' Innenleben

zur Hypothese werden Ameisen erst werden,
wenn sie vom Aussterben bedroht sind
(das wird der Mensch nicht erleben)

Ameisen verdrängen seit hundert Millionen Jahren die Termiten
Termiten gibt es aber immer noch
(Termitenbauten haben halt auch ein 'durchdachtes' Innenleben)

(Laubbäume verdrängen seit ... die Nadelbäume,
Nadelbäume gibt es immer noch)

....

ein drittes Beispiel für eine Setzung kommt aus der Leichtathletik

die Hochspringer ändern ihre Technik, um höher zu springen

(Purzelbaum vor/seitwärts, Schere, rück/seitwärts ...)

mit jeder dieser Techniken komme ich höher als Otto Normal

ergo
selbst hoffnungslos veraltete Techniken lassen sich nicht falsifizieren
 
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