AW: Tut Glück dem Mensch gut?
Hallo Phelim Brady.
Glück ist für mich verschiedenes. Ein Moment der Zufriedenheit, ein aufregendes neues Erlebnis, ein Moment in dem mich mein Kopf mal nicht in die Zukunft zieht, ein Moment, wo ich merke, jemandem nah zu sein oder vorhin gerade saß ich drüben in der Werkstatt und war ganz zufrieden mit dem was ich kann, manchmal gibt’s so was ja auch. Es sind bei mir ausschließlich Momente oder kurze Lebensabschnitte. Ich kenne kein dauerhaftes Glück.
Ich bin ganz froh, dass ich recht viele verschiedene Momente kenne. Das Glück hilft mir wahrscheinlich, einen Hauch mehr Zuversicht zu haben, als jemand, der kaum Glück kennt. Wahrscheinlich fragt sich das Denken, wenn es nie Gutes erlebte, welche Vision es in die Zukunft projizieren soll. Dann bleibt einem nur der Glaube, die Identifikation mit äußerlichem Glück. Wenn deine Mutter nie zurück kommt, wirst du deiner Welt wahrscheinlich weniger vertrauen. Je weiter sie sich deiner Hoffnung entfernt, umso größere Anstrengungen wird dein Denken unternehmen, sie sich zurückzuholen, schließlich wirst du wahrscheinlich deine Bettdecke oder die Lampe über deinem Kinderbettchen zur Mutter erklären. Tat das Ramakrishna mit seiner Mutter Kali so?, ich weiß es nicht. Ich sage auch nicht, dass die Lampe oder Decke die Mutter nicht ersetzen kann. Wahrscheinlich muss man es offen lassen, wenn man weiter leben will. Man könnte die Antwort in alledem was neu hinzu kommt erwarten, anstatt sie als „Täuschung“ abzulehnen.
Allerdings muss ich sagen, bewirkt Glück in mir eher mal etwas Mut. Mut, etwas neues, unsicheres zu wagen. Glück würde ich hier als „Vertrauen in die Welt“ beschreiben. Zeiten der Traurigkeit verändern mich scheinbar stärker als Glück, es ist mehr Druck, Leidensdruck da, etwas zu erkennen oder zu verändern. Glück scheint sich nicht wiederholen zu können. Es flacht ab, wie bei jeder Wiederholung mehr. Aber wohin soll man sich verändern, wenn man kein Glück kennt. Dann scheint man sich Glück erdenken zu müssen. Vielleicht hat mich meine erhaltene Dosis Glück also davor bewahrt, keine Wahrheit zu suchen? Keine Ahnung.
Ich vermute, ohne Glück haben wir nurnoch Menschen, die es erdenken wollen. In Religionen und Kulten, Psychologen, Philosophen, Werbestrategen und Menschen die irgendwelche Erleuchtung anstreben. Jetzt kann man sich fragen, ob man sich eher in deren Gegenwart wohl fühlt, als mit ehrgeizlosen Menschen.
Glück wird die Entwicklung der Menschen vielleicht etwas „bremsen“, Unglück wird sie antreiben. Aber wenn Glück nur ein Moment sein soll, was ist dann sinnvoller, wie Goethe „zu verweilen“ oder wie Dr. Faust „zu wachsen“. Ich teile nicht die Meinung, dass Unglück notwendig sei, zu wachsen, aber ich kann es auch nicht widerlegen. Weil ich "wachsen" nicht einfach einem Lehrer nachplappern kann, ich will es selbst erleben.
Viele Grüße zur Nacht
Bernd