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Süchte

Zeilinger

Well-Known Member
Registriert
22. Mai 2004
Beiträge
16.501
Hallo, alle Psychologen und psychologisch Interessierten !

Ich bin mir wohl bewusst, dass über dieses Thema im Forum schon viel geschrieben wurde.
Aber weil
ich neulich in den Medien hörte, dass 80 % aller Menschen von irgendeiner Sucht befallen sind,
wir im Fasching (Karneval) natürlich verstärkt gegen Übertreibungen anfällig sind und
es für alle Süchte überblicksmäßig noch keinen eigenen thread gibt​
will ich dieses Thema noch einmal anreißen.

Wann ist man süchtig ?
Süchtig ist man dann, wenn man von irgendetwas abhängig ist und (zumindest teilweise) Verstand, Vernunft und/oder Moralvorstellungen bei der Jagd nach diesem Objekt der Begierde außer Kraft gesetzt sind. Grundbedürfnisse wie z.B. eine nötige Anzahl von Kalorien, Flüssigkeit und Körpertemperatur sind hier natürlich ausgenommen.

Ich halte Süchte für negativ, weil sie meinen freien Willen beschneiden oder außer Kraft setzen. Jetzt könnte man noch sagen: Negativ sind Sünden und Krankheiten. Obwohl die Bibel sie - zumindest auch - (Todsünde der Unmäßigkeit bzw. Völlerei) für eine Sünde hält, plädiere ich dafür, dass Süchte als Krankheiten ausgelegt werden, die dadurch entstehen, dass es woanders fehlt. Weil die Süchte aber im Negativbereich des Menschseins angesiedelt sind, brauchen wir eine Hierarchie.

Hier mein Vorschlag, soweit ich sie kenne bzw. sie mir vorstellen kann (mit der ärgsten Sucht beginnend):

Herrschsucht
Rachsucht
Streitsucht
Habsucht
Eifersucht
Rauschgiftsucht
Trunksucht
Nikotinsucht
Sexsucht
Fresssucht
Kaufsucht
Bildschirmsucht und seit neuestem hört man auch von der
Harmoniesucht.​

Ein bißchen Sucht - wie wir es bei der Eifersucht oft gerne hätten - gibt es nicht; man genießt und verbraucht mit Maß und Ziel oder man ist eben süchtig.

Ich leide an Fress- und Bildschirmsucht.

An Gegenrezepten weiß ich nur
1.) beherrschen
2.) beherrschen
3.) beherrschen.​

Wie seht Ihr die Thematik ? Seid Ihr mit meiner Hierarchie einverstanden oder bevorzugt Ihr eine andere ?

Viele Grüße

Zeili
 
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Hi Zeili,

zuerst muss ich einmal etwas in der Art wie ein Kompliment loswerden (bin ich harmoniesüchtig?):

Das Denkforum wäre ohne deine Beiträge und Kommentare wirklich um einiges
ärmer! Du sorgst immer wieder für eine gewisse Belebung. Es gibt aber auch noch einige andere, deren Geschriebenes ich gerne lese und verfolge. Soweit, so gut!

Ich glaube, ich habe den Bericht über die Süchte (war´s auf Ö 1?) auch gehört. Ich weiß nicht, ob man hier eine Reihung vornehmen kann/soll, zumindest würde ich mir keine zutrauen (mir ist noch Spielsucht, Schnüffelsucht und Magersucht eingefallen).

Natürlich ist jede Sucht, die von einer Personen ausgeübt wird, um eine andere Person damit zu schädigen, am verwerflichsten (z.B. Herrschsucht...).

Das Beängstigende dabei wäre für mich, der Kontrollverlust über mich selbst, mich sozusagen von meiner Sucht (ja sie sucht und findet ihre Opfer..)kontrollieren zu lassen. Jede Sucht stellt eine gewisse Einengung dar. Und wenn es dann schon einmal so weit ist, dass ich meine Alltagsaktivitäten und mein Leben nach der Sucht ausrichte, dann sind wir bei Sucht=Krankheit angelangt. Eine Sucht ist, je nach Ausprägungs- und Schädigungsgrad, Krankheit und als solche behandlungswürdig.

Ich bin übrigens musik- und lesesüchtig,
Heumond
 
Ich denke Sucht ist ein ( nicht zielführender! )Versuch des Menschen/ der Psyche/ des Körpers ein Problem zu lösen oder zu mildern.
Zum Beispiel: Jemand fühlt sich überfordert und ängstlich. In Folge dessen greift er zum Alkohol und besänftigt so vorübergehend seine missliche Lage. Das das ein Weg in den Abgrund ist, wird erst nach und nach klar.

Wir haben alles mehr oder weniger große Probleme. Wenn mir nur mehr EINEN Weg zur Verfügung steht meine Probleme zu ertragen, dann spricht man im klinischen Sinn von einer Sucht ( egal welche das jetzt konkret ist ).
Im Übrigen hat die Magersucht die schlechteste aller Prognosen und mehr prozentuelle Todesfälle als harte Drogen.

Ich denke dass Beherrschen und Disziplin alleine nur bedingt helfen und meist das eh schon belastete Gesamtsystem zusätzlich auslaugen. Meiner Erfahrung nach ist der beste Weg aus der Sucht jener, das dahinterliegende Problem zu lösen ( in einem ersten Schritt es erträglich zu machen ) und andere Wege/ Möglichkeiten/ Fähigkeiten, als die der Sucht zu entwickeln, um mit belastenden Situationen umzugehen.

Ich denke es gibt keine Hierarchie, weil es letzten Endes egal ist ob ich an Magersucht oder Alkoholsucht krepiere.
Es ist auch nicht eine schlimmer oder besser, gefährlicher oder ungefährlicher, als die andere. Wie "schlecht oder gefährlich" eine Sucht ist hängt meiner Meinung nach von der Schwere des auslösendes Problems und dem Änderungswillen der betreffenden Person ab.

Ich gehe davin aus dass die Sucht eine Funktion hat. Erst wenn diese Funktion/ Aufgabe überflüssig geworden ist, ist die Sucht gelöst.

lg
spiritsoul
 
>heumond: Danke für das Kompliment, das motiviert. Ich glaube nicht, dass man Dich deshalb harmoniesüchtig nennen wird; Harmoniesucht ist vielleicht, wenn ein Partner in einer Beziehung zu sehr klammert und dem anderen keinen Freiraum lässt, ihn nicht atmen lässt.

Genau aus dem gleichen Grund, wie Du ihn beschrieben hast, habe ich die Hierarchie gemacht: nämlich, dass es Süchte gibt, unter denen immer auch andere leiden (Herrschsucht, Rachsucht und Streitsucht), während es bei anderen Süchten zumindest möglich ist, dass nur der Süchtige selbst leidet. So könnte ich mir einen Trunksüchtigen vorstellen, der keine Angehörigen und Freunde mehr hat; er ist zwar auch eine traurige Gestalt, doch leidet zumindest niemand zweiter darunter.
Die Spielsucht, die Magersucht und die Schnüffelsucht habe ich echt vergessen; die Magersucht sicher deshalb, weil ich (zu) gerne esse.
------------------
>spiritsoul:
Ich gehe davin aus dass die Sucht eine Funktion hat. Erst wenn diese Funktion/ Aufgabe überflüssig geworden ist, ist die Sucht gelöst.
Ist ein interessanter Gedanke. Ich glaube, dass alle Triebe in uns und auch die Sehnsucht nach Liebe ihre Tribute von uns fordern; mangelt es an der Befriedigung eines Triebes oder der Sehnsucht nach Liebe, so neigen wir dazu, auf einem anderen Gebiet zu übertreiben ( = Ersatzbefriedigung). So gibt es schon seit langem den Begriff des Kummeressers.

Viele Grüße

Zeili
 
Guten Morgen Spiritsoul,

meine Conclusio aus dem von dir Geschriebenen (und ich stimme überein) ist:
Wenn man bemerkt hat, dass die Sucht nicht zielführend sein kann und hauptsächlich einen schädigenden Charakter hat, wenn man dann noch den Willen hat, dies ändern zu wollen/können, so hat man vielleicht eine Chance. Aber leicht ist es sicher nie!

Die Sucht hat wahrscheinlich eine Funktion. Das Problem ist nur, was ist, wenn diese Funktion/Aufgabe zwar überflüssig geworden ist, es mich aber dann nicht mehr gibt ...?

Sonnigen Morgen (aus der einstigen Heimat) Zeili,

vielleicht liegt jeder Sucht eine Nichtbefriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses zugrunde? Z.B. ist Essen an und für sich etwas sehr Schönes, aber egal, ob ich aus Kummer oder Freude (zu viel) esse, das Problem des Pfundeloswerdens ist das gleiche.

Vielleicht passen hier auch die Sprichwörter "Alles mit Maß und Ziel" (naja, ab und zu muss man schon ein bisschen unmäßig sein, wenn´s niemandem schadet, oder?) und "Man sollte nichts übertreiben" her?

Viele Grüße,
heumond(-süchtig)
 
Zitat:
Zeilinger
Grundbedürfnisse wie z.B. eine nötige Anzahl von Kalorien, Flüssigkeit und Körpertemperatur sind hier natürlich ausgenommen.

Aber doch selbst Grundbedürfnisse wie z.B. Kalorien sind bei Süchten nicht mehr wirklich funktionsfähig.
Schließlich geht es bei einer Magersucht doch darum so wenige Kalorien wie möglich zu sich zu nehmen bzw. zu verlieren....
Ich würde Sucht auch als eine Art Suche nach einem anderen Ich/Leben definieren, wobei das in keins
ter Weise positiv gemeint ist
 
1) die Suche nach einem anderen Ich,
welches für mich ein Ideal darstellt
als Ursache für die Sucht

2) die Sucht als Nebenwirkung einer Ausgleichsmaßnahme,
welche nur die Symptome lindert
und nichts an der Ursache ändert

3) Maßhalten als Faustregel

Ihr habt bereits alles gesagt.
ich kann nur wiederholen
und einen Punkt ergänzen

4) Philosophieren,
mit sich selber sprechen, mit anderen sprechen,
die Lösung zur Behebung der Ursache suchen
und dementsprechend handeln.
dazu ist Muse notwendig,
aber die kommt von selbst,
wenn man sich nur Zeit lässt

4a) buddhistischer Ansatz
den Willen sein lassen,
bis man Nichts mehr im Kopf hat,
dann trifft man klare Gedanken

4b) europäischer Ansatz
sich bilden und sich körperlich betätigen,
um das Bewusstsein für den eigenen Körper zu schärfen
(mens sana in corpore sano)
 
Sucht ist ein dynamischer Prozeß

Hallo Zeilinger und Ihr anderen,

bzgl. Sucht verweise ich immer wieder gerne auf Anne Wilson-Schaef, besonders auf das Buch "Im Zeitalter der Sucht" ISBN 3-523-35022-9.

Deine Einordnung der Süchte verstehe ich nicht, bzw kann den Sinn dahinter nicht erkennen. Ich bin der Meinung, daß jeder sich die Sucht sucht, die für ihn/sie am besten passt und diese ggf auch wechslen kann. Wer in Suchtstrukturen lebt sucht sich zwangläufig eine andere sobal er/sie eine aufgegeben hat.

Ich denke das im Grunde die Lebensangst Ursache von süchtigem Verhalten ist. Wer dieser nicht begegnen kann wird seine Sucht nur austauschen. Suchtverhalten hat einen Nutzen für den Süchtigen, nämlich weil er/sie sich eben dadurch abgehalten wird, sich mit den grundlegenden existenziellen Ängsten seines Lebens auseinanderzusetzen.

Religion oder Spiritualität können gute Hilfsmittel sein das Wissen zu ertragen allein auf der Welt zu sein bzw. sich nicht so zu fühlen. Nur wenigesten können zu den Sternen hoch sehen ohne sich vor der Kälte des Alls zu fürchten.
Das lässt sich nicht beherrschen, jedenfalls nicht von einem kleinen Menschen. Solange ich mich mit Süchten auseinandersetze habe ich jedenfalls keinen erlebt. Es sich hilft sich annzunehmen und zu versöhnen "Beginnen wir unser Leben , unsere Vergangeheit und unser Selbst zurückzufordern" A W-S

GF
 
Gute Frage schrieb:
Hallo, Gute Frage !

Deine Einordnung der Süchte verstehe ich nicht, bzw kann den Sinn dahinter nicht erkennen.
Grundsätzlich ist jede Sucht schlecht, weil sie den Menschen unfrei und manipulierbar macht. Unterschieden habe ich deswegen noch zusätzlich, weil es ja Süchte gibt, an denen nicht nur der Süchtige leidet (bzw. empfindet er es oft gar nicht als Leid; Beispiele Herrschsucht, Rachsucht, Streitsucht, Eifersucht), während an den anderen Süchten wie z.B. die Nikotinsucht, Rauschgiftsucht, Trunksucht nicht unbedingt ein zweiter mitleiden muss.

Ich bin der Meinung, daß jeder sich die Sucht sucht, die für ihn/sie am besten passt und diese ggf auch wechslen kann. Wer in Suchtstrukturen lebt sucht sich zwangläufig eine andere sobal er/sie eine aufgegeben hat.
Das eine schließt das andere (in diesem Fall das obige) nicht aus.

Ich denke das im Grunde die Lebensangst Ursache von süchtigem Verhalten ist. Wer dieser nicht begegnen kann wird seine Sucht nur austauschen. Suchtverhalten hat einen Nutzen für den Süchtigen, nämlich weil er/sie sich eben dadurch abgehalten wird, sich mit den grundlegenden existenziellen Ängsten seines Lebens auseinanderzusetzen.
Stimme ich überein.

Religion oder Spiritualität können gute Hilfsmittel sein das Wissen zu ertragen allein auf der Welt zu sein bzw. sich nicht so zu fühlen. Nur wenigesten können zu den Sternen hoch sehen ohne sich vor der Kälte des Alls zu fürchten.
Habe ich auch nichts dagegen.

Das lässt sich nicht beherrschen, jedenfalls nicht von einem kleinen Menschen. Solange ich mich mit Süchten auseinandersetze habe ich jedenfalls keinen erlebt.
Da muss ich Dir widersprechen; wenn man will, kann man sich eine Sucht abgewöhnen; es hat aber keinen Sinn, sich das Nikotin abzugewöhnen, wenn man dadurch herrschsüchtig wird. Ich habe 30 Jahre lang geraucht (20 bis 30 Zigaretten pro Tag); wie ein Irrer suchte ich oft um 23 Uhr noch nach einem Stummel - wenn ich keinen fand, zog ich mich noch einmal an, um mir beim 20 Minuten entfernten Automaten noch Zigaretten zu holen. Heute bin ich mit Hilfe eines kleinen Büchleins weg davon (wenn wer Näheres darüber wissen will, kann ich es ihm/ihr gerne mitteilen - auch über PN, sodass er/sie sich nicht outen muss).

Es sich hilft sich annzunehmen und zu versöhnen "Beginnen wir unser Leben , unsere Vergangeheit und unser Selbst zurückzufordern"
Ist ein guter Ansatz - gefällt mir gut.

Liebe Grüße

Zeili
 
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Da ich beruflich sehr viel mit Suchtkranken zu tun habe, sind mir auch die Gründe, aus welchen Menschen sich in die Sucht flüchten, nicht fremd.
Natürlich sind Süchte, wenn sie der Gesundheit von Leib und Seele schaden, grundsätzlich als negativ einzustufen.
Aber nicht nur das Entfliehenwollen vor der Realität kann in die Sucht führen, oft sind es auch Gründe, die von außen aufoktroyiert werden, wie die Sucht nach Erfolg, Anerkennung und die, dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen.
Aber es gibt auch Süchte, die uns erstmal positiv erscheinen, wie z.B. die Harmoniesucht.
Harmoniesüchtige aber, sind nicht weniger gefährdet. Oft verfolgen sie ihr Ziel, Harmonie zu finden, bis hin zur völligen Selbstaufgabe der eigenen Identität und des Charakters. Sie tun um des "lieben Friedens willen" alles, um den Anderen die "heile Welt" vorzugaukeln bzw. sich in dieser imaginären Welt zu verlieren.
Ich kenne Fälle, in denen Jugendliche und auch Erwachsene, die mit dem Gedanken und Erkennen der Realität, die ihnen zeigt, dass Harmonie nicht unbedingt als "von Gott gegeben" einzustufen ist, nicht fertig werden und die sich deshalb in "Welten" flüchten, in denen sie ich den Aufenthalt sehr teuer (wiederum durch Drogen und andere Narkotika ) bezahlen müssen.

Ihr nennt als Sucht z.b. die Fresssucht. Fresssucht ist für mich nichts anderes als ein "Zuckergeben" der vermeintlich misshandelten Seele.
Ich könnte es u.U. noch verstehen, wenn sich der Mensch durch Drogen in eine "andere, ihm passende Welt" versetzen würde; aber was gibt es mir zu Fressen, wenn ich weiß, dass ich zu dick bin, mein gesundheitliches Risiko um ein Vielfaches erhöhe, jedem Schönheitsideal widerspreche und trotzdem weiterhin alles in mich hinein stopfe???
Nehme ich Drogen, so gaukelt man mir zumindest während deren Wirkzeit die "heile Welt" vor. Fresse ich, so hab ich nichts außer der Gewissheit, dass mein Körper, zunehmend mit meinem Gewicht, an Attraktivität verliert und ich - so sehr ich aus Frust auch weiterfresse - nichts daran ändren kann.

Versteht mich nicht falsch, ich singe hier nicht das Hohe Lied der Drogen, aber ihr habt keine Ahnung davon, was einen Menschen abhängig machen kann und was die dafür Gründe sind, die ihn in diese Abhängigkeit geführt haben.

Aber es ist ein Denkforum, darum denkt ihr nur, bar jedem Realitätsbewusstseins, weiter.
 
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