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Spaziergang...

AW: Spaziergang...

Langsam…sehr langsam gehe ich weiter. Meine Gedanken entfernen sich immer weiter von der Gegenwart, die Vergangenheit wird wieder real. Ein kleines Mädchen sitzt auf ihrem Bett und weint ganz leise, so dass es niemand hört…ausser der blaue Teddy, den sie im Arm hält. Der Anblick schmerzt.

Ganz sachte beginnt es zu regnen. Meine Tränen vermischen sich mit dem Regen. Ich bemerke es kaum. Noch immer habe ich dieses kleine Mädchen vor Augen. Sie scheint verletzt. Nicht nur physisch…
Ich kann diese Bilder nur schwer ertragen.

Ich setze weiter einen Fuss vor den anderen, werde aber das Gefühl nicht los, auf der Stelle zu treten. Jemand sagte mal zu mir, es muss doch auch fröhliche Zeiten gegeben haben. Niemals ist alles schlecht. Gab es sie wirklich, solche Momente? Ich kann mich nicht daran erinnern. Angestrengt versuche ich, die schmerzhaften Bilder zu verdrängen, um Platz zu machen für die angenehmen Dinge. Es gelingt mir mal wieder nicht. Das kleine Mädchen beansprucht meine volle Aufmerksamkeit. Dabei kann ich doch gar nichts tun. Es ist zu spät…fast 30 Jahre zu spät. Ich weiss, dass dieses Kind alles überleben wird, aber was wird das für ein Leben sein?

Lass die Vergangenheit ruhen, sage ich mir immer wieder, aber ich kann es nicht. Diese unerträgliche Rastlosigkeit treibt mich immer wieder zurück in die alten Zeiten. Vieles muss ich erneut erleben…immer und immer wieder. Es ändert nichts. Es tut nur immer wieder weh. Neue Bilder drängen sich auf…Bilder von Menschen, die mir einst nahe standen…dachte ich jedenfalls. Ich fühle nichts. Sie bedeuten mir nichts mehr. Alte „Freunde“, Familie…nein, ich betrauere keinen einzigen Verlust. Nichts davon ist heute noch wichtig. Ich gehe den Weg allein…seit langem. So wollte ich es immer, so habe ich es bekommen. Aber so wird es nicht bleiben…

Mein Lieblingsspruch aus Jugendzeiten: „Ich brauche niemanden!“ Und es stimmte. Oberflächlichkeiten waren und sind mir verhasst. Davon hatte ich genug. Nie wieder will ich jemandem vertrauen und die Nähe zulassen. Deswegen laufe ich auch heute allein und schweigend durch die Nacht. Ich erinnere mich wieder an Zeiten, in denen Vertrauen mir nur Schmerz gebracht hat. Zeiten, in denen ich dafür teuer bezahlt habe…und auch heute noch bezahle. Ja, es gab sogar Momente, da habe ich Geborgenheit gesucht. Leider bei den falschen Menschen. Ich lernte, dass es unmöglich ist, Nähe zuzulassen, ohne dass es ausschliesslich aus Verletzungen besteht. Das hat er mir beigebracht…auf seine ganz eigene Weise. Auf eine Weise, die ich niemals hätte zulassen dürfen. Und doch…ich habe es getan.

Meine Schritte hallen leise auf der verlassenen Strasse. Sie wecken in mir ein Gefühl des déjà vu. Ein unbestimmtes, dumpfes und unangenehmes Gefühl. Ich versuche, mich daran zu erinnern, warum das so ist. Es erscheint mir unendlich lange her. Aber was war passiert? Warum fühle ich mich so unwohl und verängstigt?
Ein Bild erscheint vor meinem inneren Auge. Nur schemenhaft und nicht fassbar. Es passt zu dem beklemmenden Gefühl in mir. Ich höre ihre Schritte. Sie steht in der Tür, hält irgendwas hinter dem Rücken versteckt. Ich ahne Schlimmes. Und es kommt, was kommen muss. Ich habe mal wieder etwas falsch gemacht. Ich versuche, mich innerlich dagegen zu wappnen, mich mit den Händen zu schützen. Es hilft nichts. Ich kann nicht entkommen. Und wieder ertrage ich es schweigend. ‚Niemals werde ich sie anflehen, aufzuhören…NIEMALS!’, denke ich. Oh doch…genau das tue ich.

Und wieder sitzt das kleine Mädchen auf dem Bett und weint leise…


Off...
31.07.2007
 
Zuletzt bearbeitet:
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AW: Spaziergang...

Tolle Fortsetzung.....
Traurig......
Der Teil hat mir fast am besten gefallen
Ich ahne, was dem kleinen Mädchen und später vermutlich der jungen Frau passiert ist und diese Vergangenheit holt sie heute noch ein....
Gute Wortwahl
Bin auf die Fortsetzung gespannt(falls es eine gibt?) hoffe schon...
Grüße C.
 
AW: Spaziergang...

Ich danke dir... :)

Ja, es wird eine Fortsetzung geben. Ob deine Ahnung allerdings zur Gewissheit wird, bezweifle ich noch. Ich hatte bisher nicht die Absicht, konkret zu werden. Vermutlich wird es bei Anspielungen und einzelnen Gedanken bleiben. Ich bin noch nicht sicher. ;)
 
AW: Spaziergang...

Bitte gerne doch :)
Ich denke nicht, dass es eine Rolle spielt, ob ich eine Ahnung habe oder nicht und ob sie sich bestätigt....
Du hast es so beschrieben, dass wir darüber nachdenken, was passiert sein könnte und auf eine Fortsetzung warten und das ist der springende Punkt....:)
Warte auf Fortsetzung *grins*
:kuss1:
C.
 
AW: Spaziergang...

Endlich versiegen die Tränen des kleinen Mädchens. Es schluchzt nur noch leise vor sich hin.
Ein weiteres Mal fühlt es sich ungerecht behandelt. Was macht es nur immer falsch?
Ich schiebe diese Gedanken mühevoll beiseite. Dafür kommen andere, spätere Erinnerungen. Ich will sie nicht…nicht schon wieder. Und doch kann ich es nicht verhindern. Ich bleibe stehen, schliesse die Augen und halte die Luft an. Ich weiss, dass der Schmerz wieder kommen wird…und ich erwarte ihn. Er gehört inzwischen zu mir, wie ein guter Freund.

Ich erinnere mich an meine Teenagerzeit. War ich wenigstens damals unbeschwert und fröhlich? Nein, ich war aufsässig, vorlaut und hatte als Hobby permanenten Widerspruch gewählt. Einige Jahre kam ich gut damit durch, weil mir niemand zu nahe kam. Bis zu diesem einen verdammten Tag, der alles verändern sollte. Warum habe ich das zugelassen?

Vorsichtig öffne ich die Augen und gehe weiter. Mir bricht der Schweiss aus. Er läuft mir von der Stirn in die Augen. Es brennt. Ich schaue auf meine Hände…sie zittern. Meine Beine fühlen sich an, als wären sie aus Gummi. Und trotzdem zwinge ich mich zum Weiterlaufen. Bloss nicht stehen bleiben. Stehen bleiben bedeutet Gefahr. Um mich zu beruhigen, zünde ich mir eine Zigarette an. Wollte ich nicht schon längst damit aufgehört haben? Es erscheint mir nicht mehr wichtig. Nichts in der Gegenwart ist derzeit wichtig. Mich beherrscht die Vergangenheit.
Direkt vor mir liegt ein Stein auf meinem Weg. ‚Nicht schon wieder’, denke ich. Habe ich nicht schon genug Steine weggeräumt? Auch dieser wird wohl nicht der letzte sein. Es kostet mich unglaublich viel Kraft, ihn zu bewegen, obwohl er nicht besonders gross ist.

Ich kann weiter gehen. Mehr noch…ich MUSS. Getrieben von der Rastlosigkeit, die mich seit einem Jahr begleitet. Und wieder wandern meine Gedanken zurück. Ich fühle mich wie damals…erstarrt vor Angst und Entsetzen. Unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Zitternd…
Ja, ich war auf der Suche. Wonach genau? Ich weiss es nicht mehr. Gefunden habe ich Ignoranz, Oberflächlichkeit und Gewalt. So war es immer…und so wird es auch immer sein.
Damals habe ich mir noch gewünscht, es würde jemand bemerken, ohne dass ich etwas sagen muss. Später nicht mehr. Lieber wird es tief in mir vergraben und darüber geschwiegen. Vielleicht ist das der einzige Weg, es zu vergessen. Ich lag falsch…

Noch immer sind die Strassen menschenleer…oder doch nicht? Ich erschrecke fast zu Tode, als ich aus dem Augenwinkel einen Schatten wahrnehme. Ich bleibe stehen und versuche, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Der Schatten macht einen Schritt auf mich zu. Ich weiche zurück. Schemenhaft kann ich sehen, dass es sich um eine mir fremde Person handelt, was für mich nicht weniger bedrohlich ist. ‚Nein’, denke ich, ‚du wirst nicht jedes Mal wegrennen.’ Ich stehe wie angewurzelt da, als die Person wieder einen Schritt näher kommt.
Sie ist schon weit über meinen persönlichen Toleranzbereich hinaus. Sie streckt mir ihre Hand entgegen. Ich bin misstrauisch, weiss es nicht zu werten…und zweifle an der Ernsthaftigkeit dieser Geste.

Langsam und zögernd lege ich meine Hand in die der jungen Frau…


Off...
01.08.2007
 
AW: Spaziergang...

Ich habe Angst…Angst vor erneuter Enttäuschung, vor Verrat und Oberflächlichkeit. Und doch spüre ich, dass es diesmal anders sein könnte. Anders als alles, was ich in vielen Jahren gelernt habe.
Der Mond ist inzwischen im Nebel verschwunden. Sein sanftes Licht schafft es nicht mehr bis zu uns. Ich sehe zum Himmel hinauf. Dunkel. Kein einziger Stern. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht mich. Ich glaube, ich kann nicht mehr weitergehen. Meine Gedanken schweifen wieder in die Vergangenheit, als es am Himmel noch Sterne gab...

Ich liege im Bett. Es ist nicht mein Bett. Ein Geräusch hat mich geweckt. Ich versuche, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Nichts. Wieder das Geräusch. Knarrende Holzdielen. Ein schmaler Lichtstreifen dringt durch den Spalt der Tür. Jemand kommt ins Zimmer. Er bleibt an der Tür stehen, zwei Meter von mir entfernt. Ich halte den Atem an und verkrieche mich tief im Bett. Ich zittere leicht…fühle mich bedroht und ausgeliefert. NEIN! Diesmal nicht. Diesmal geht er wieder. Die Tür schliesst sich. Es wird wieder stockdunkel. In dieser Nacht werde ich nicht wieder einschlafen.

Ein fester Händedruck bringt mich in die Realität zurück. Erst jetzt bemerke ich, dass die junge Frau noch immer neben mir steht und meine Hand hält. Ich spüre, wie meine Beine nachgeben. Ich möchte nur noch loslassen und für immer dort liegen bleiben. Sie lässt es nicht zu. Sie hält mich fest und zwingt mich, meine letzte Kraft zusammenzunehmen und weiterzugehen. Es fällt mir unglaublich schwer, aber irgendwie schaffe ich es, wieder einen Fuss vor den anderen zu setzen. Jetzt gehen wir gemeinsam weiter. Langsam und vorsichtig…schweigend…

Erneut kann ich mit den Gedanken nicht in der Gegenwart bleiben. Ich will die Vergangenheit doch einfach nur vergessen. Warum kann ich das nicht? So viele Jahre lang ging es gut, aber jetzt…jetzt kommt sie mit aller Macht zurück und will mich besitzen. Ich kann das nicht zulassen, aber gleichzeitig fühle ich mich dem ausgeliefert und machtlos.
Wie gern würde ich mich einfach nur mal fallen lassen und ausruhen. Wenn ich das jetzt tue, werde ich wohl nie wieder aufstehen.

Also weitergehen…weiter zurück? Oder vorwärts? Ich weiss es nicht. Ich verlasse mich ganz auf mein Gefühl. Es zieht mich zurück. Es wird immer schwerer auszuhalten, alte Bilder zu sehen. Es schnürt mir die Kehle zu…nimmt mir die Luft zum Atmen. Wie lange kann ich noch so weitermachen? Wie lange noch den Schmerz ertragen?

Ich kann fühlen, wie ich wieder etwas mehr Kraft habe. Die Hand in meiner gibt mir viel…


Off...
03.08.2007
 
AW: Spaziergang...

Meine Süße...

heute habe ich mal deinen ganzen Spaziergang gelesen.
Du weißt, warum ich das vorher nicht gemacht habe...

Ich möchte es nicht kommentieren (du schreibst es wunderschön...aber es drückt...logischerweise), aber ich möchte nur etwas aus einer anderen Perspektive dazu schreiben:




Die Hand ist warm und trocken...und sie hält fest. Sie hält durch alle Zeiten fest. Für immer. Die Gewissheit darf die Spaziergängerin getrost haben, auch wenn sie das Dunkel oft meilenweit davon entfernt...losgelassen wird sie NIE.
 
AW: Spaziergang...

Liebes...das ist sehr rührend.
Du hast das super schön geschrieben.
Ich bin froh, dich an meiner Seite zu wissen, auch wenn es mir immer noch oft schwer fällt, das anzunehmen.

Ich danke dir... *dich fest umarm*
 
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AW: Spaziergang...

Gemeinsam gehen wir jetzt weiter. Manchmal eile ich ein wenig voraus, manchmal bleibe ich ein paar Schritte zurück, aber immer in Sichtweite. Es ist ein neues Gefühl, den Weg nicht mehr allein zu gehen…ungewohnt und irgendwie noch beängstigend. Ich warte förmlich darauf, den Sichtkontakt zu verlieren. Trotzdem fühlt es sich richtig an, in der Nähe meiner Begleitung zu bleiben. Unsicher, was uns noch alles begegnen wird, setzen wir den Weg fort.

In dieser Gegend ist der Himmel klarer. Ich kann zwei oder drei Sterne sehen. Das kleine Mädchen fällt mir wieder ein. Es war immer fasziniert vom Sternenhimmel, auch wenn es nicht oft Gelegenheit hatte, ihn zu sehen. Manchmal stand es mit tränenverschleierten Augen am Fenster, sah hinauf und wünschte sich dorthin…dahin, wo es friedlich schien, wo keine Gewalt existierte, kein Gebrüll und kein Schmerz. Das Mädchen wollte endlich Ruhe und Einsamkeit. Niemand, der ihm je wieder wehtun könnte. Die Sehnsucht danach war oft sehr gross, fast überwältigend.

Während wir weitergehen kehren meine Gedanken in eine andere Vergangenheit zurück. In Gedanken erzähle ich der jungen Frau neben mir von diesen Zeiten. Ich muss nichts sagen…sie versteht. Das kleine Mädchen war inzwischen ein Teenager, berüchtigt für ihre Aggressivität und ihren ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Wie sie es gelernt hatte, setzte sie sich anderen gegenüber mit Gewalt durch, was ihr einen gewissen Respekt verschaffte…und einige Freunde, die keine waren. Einige Jahre ging das gut…bis zu diesem verhängnisvollen Tag, an dem alles anders werden sollte…

Er wollte nicht sehen, wie sehr dieses Mädchen litt…nicht sehen, wie sie vor Schmerz erstarrte. Sie zitterte und leise rollten Tränen über ihr Gesicht…Tränen der Verzweiflung. 'NEIN, ich werde nicht weinen, verdammt...' So wie auch heute noch des Öfteren. Es war ihm egal. Er nahm sich, was er wollte und grinste dabei auch noch. Es kam ihr vor wie Stunden, jegliches Zeitgefühl ging verloren. Sie schloss die Augen und blendete alles aus, was sie nicht ertragen konnte. Er bemerkte es nicht, war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Irgendwann war es vorbei. Sie ging, ohne noch einen Blick zurück zu werfen. Sie wollte nicht mehr daran denken, nie mehr…wollte es vergessen. Es gelang ihr für viele Jahre…

Ich bin unschlüssig, ob ich schon bereit bin, den Weg weiterzugehen. Ich weiss nicht, was mich noch alles erwartet. Vieles davon will ich nicht wissen, muss es mir aber anschauen, wenn ich jemals Frieden finden will.

Ich nehme die Hand meiner Begleiterin fester in meine und gehe weiter…


Off...
22.08.2007
 
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