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Richtlinien für die Erstellung literarischer Ergüsse.

Neugier

Well-Known Member
Registriert
29. März 2004
Beiträge
3.687


Auf dem Trödlermarkt wurde die Kopie eines Initiativ-Antrages zur Beschlussfassung
von "Richtlinien für die Erstellung literarischer Ergüsse" feilgeboten.

Bedauerlicherweise enthält diese Kopie keinerlei Hinweis auf Antragsteller, Autor,
und das weitere Schicksal dieses Gesetzesentwurfes.

Mit Gewissheit kann ich jedoch feststellen:
Ich war weder der Autor noch der Antragsteller.
Auch wenn ich durchaus bereit wäre, die Autorenschande auf meine Kappe zu nehmen, so muss ich
mich doch mit der Rolle als Überbringer eines fremden Textes aus unbekannter Quelle begnügen.



Zur Orientierung vorweg hier nur das Inhaltsverzeichnis,
die einzelnen Abschnitte folgen dann in weiteren Beiträgen.

1. ALLGEMEINES
1.1 Gegenstand
1.2 Geltungsbereich
1.3 Grundbegriffe

2. ZÄHMUNG DES PEGASUS
2.1 Zähmung in Versen
2.2 Pferdeäpfel oder Prosa

3. VERS- UND ANDERE KLUMPFÜßE
3.1 Versfüße
3.2 Klumpfüße
3.3 Andere Füße

4. DES INHALTS ZWECK UND NUTZEN
4.1 Definition des Inhalts
4.2 Zweck des Inhalts
4.3 Des Inhalts Nutzen

5. DAS SPIEL MIT DEM WORT
5.1 Das Spiel mit dem Wort an sich
5.2 Das Spiel mit der Grammatik
5.3 Der Mundart eigene Gesetze
. 5.3.1 Hochdeutsch, oder wie es der kleine Mann nicht versteht
. 5.3.2 Dem Volk aufs Maul geschaut

6. SCHLUSSBESTIMMUNGEN

7. ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN

 
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Richtlinien ... : 1. ALLGEMEINES



1.1 Gegenstand

Dies Büchlein diene dem Behuf,
falls, mangels anderem Beruf
sich Jederfrau und Jedermann
dem Worte fühlet zugetan,
er oder sie zum hohen Preise
der Kunst als Dichter sich erweise.


1.2 Geltungsbereich

(1) Es gelte, was hier drin zu lesen,
für jedes göttergleiche Wesen,
das, durch den Musenkuss erschauert
ein Werk erschafft, das überdauert.

(2) Aufdass das Werk verbreitet sei,
beachte man der Dinge drei:

1. Des ersten scheu nicht Müh' und Plag'
dass man es auch verstehen mag,
was aus deinem Kopf geschloffen,
als dich der Muse Kuss getroffen.

2. Des zweiten achte emsig stets,
dass jedes Wort deines Gereds,
selbst wenn's bedeutungslos gewesen,
auch klar und deutlich sei zu lesen.

3. Des dritten sei dein Redefluss
dem Anderen ein Hochgenuss,
aufdass es ihm sein Ohr ergetze
und ihn nicht etwa gar entsetze.


1.3 Grundbegriffe

(1) Der Grundbegriffe gibt es viele.
Man kömmt gar mannigfach zum Ziele,
gilt's das an Mann und Frau zu bringen,
was inn'rem Drange tat entspringen.

(2) Zur Niederschrift - das weiß wohl jeder -
dient Griffel, Bleistift oder Feder.
Auch malt man Farben, Tinten, Tuschen
mit Pinsel oder auch Kartuschen,
versenkt in jenes Instrument,
das man gemeinhin Filzstift nennt.

(3) Mit den in Absatz 2 genannten,
dem Musenjünger wohlbekannten,
Utensilien schreibe man,
soferne dieses man auch kann,
auf Pergament, Papier, Karton,
auch Stoff und Leder war es schon,
Buchstaben, Wörter und auch Silben,
die in den Büchern dann vergilben.

(4) In Baumesrinde eingeschnitten
muss ich die Verse mir verbitten.
Beschwerlich ist's vor allen Dingen,
solch Manuskript nach Haus zu bringen.

 
Richtlinien ... : 2. ZÄHMUNG DES PEGASUS



2.1 Zähmung in Versen

Aufdass das Werk sich wirklich reime,
ersticke man den Drang im Keime.
sich auszudrücken ohne Faxen,
so, wie der Schnabel einst gewachsen.
Man drechsle, wende, forme, drehe,
betracht' von Ferne, aus der Nähe,
von oben, unten, allen Seiten
das, was in Versform zu bereiten
es gilt, zum Schmaus von Aug' und Ohren
derer, die es auserkoren.
Auch wenn es später jeder hasst,
weil du in Versform es gefasst.

2.2 Pferdeäpfel oder Prosa

Bist du im Reimen kein Genie,
dann zügle deine Phantasie,
doch lass' es dir nicht ganz verleiden
in Worte die Idee zu kleiden,
die du bei andern schlicht entlehnt,
wobei sich jeder Autor wähnt.
Und ohne jeglich Drehn und Wenden
wirst du dein Meisterwerk vollenden.
Doch dies ist nie und nimmer die
Kehrseite der Poesie.

 
Richtlinien ... : 3. VERS- UND ANDERE KLUMPFÜßE



3.1 Versfüße

(1) Bei literarischen Ergüssen
sind Verse meistens zu begrüssen.
Daraus ergibt sich flugs der Schluss,
die Sache habe Hand und Fuß.
Woraus der Fachmann gleich erkennt,
warum man dieses Versfuß nennt.

(2) Hast du den rechten Fuß gefunden
und deiner Verse flugs entbunden,
dann gilt's den linken nachzuziehn
und also ist der Klumpfuß drin.


3.2 Klumpfüße

(1) So manches Machwerk reimt sich eckig.
Daraufhin geht's dem Dichter dreckig.
Man sagt ihm zwar nicht nach, er stinke,
doch jeder seiner Verse hinke.

(2) Schleifst du die Verse wieder rund,
dann reimt sich's wieder nicht mehr und
du stehst aufs Neu vor dem Problem,
dass Musenküsse unbequem.

(3) So kommst du letztens zu dem Schluss,
dass sich nicht alles reimen muss,
und wirfst, dass sich ein Stein erbarme,
dich flugs der Prosa in die Arme.


3.3 Andere Füße

Andere Füße, das sind diese,
welche mangels einer Wiese
in Blätterwäldern sich ergehn.
Und dort sind sie nicht zu verstehn.
Ein Buch mit diesen Füßen heißt,
im F a c h jargon F a c h buch zumeist.

 
Richtlinien ... : 4. DES INHALTS ZWECK UND NUTZEN



4.1 Definition des Inhalts

(1) Der Inhalt eines Werkes sei
dem Dichter völlig einerlei.
Der Dreck, den du mit Fleiß erfunden,
wird flugs in Bücher eingebunden
und zu dem edlen Zweck verkauft,
dass sich der Autor fest besauft
mit Kritikern und der Journaille
als die Facette der Medaille,
die die vernünftigste von allen.
So bringt dein Werk doch Wohlgefallen.

(2) Löst sich dein Geld in Alkohol,
tut's Leib und Börse gar nicht wohl.
Jedoch zu beider neuer Stärke
mach flugs dich auf ans neue Werke,
welches du zum Weitersaufen
dem Volk getrost auch magst verkaufen.

(3) Zunächst kasteie dich und pflege
des Körpers notgewollte Träge,
aufdass der Alkohol enteile
und deinem Kopfe Zeil' um Zeile
zu deinem Frommen blitzesschnelle,
dem Musenkuss getreu, entquelle.


4.2 Zweck des Inhalts

(1) Zwar meinen gar abstruse Wesen,
der Zweck des Inhalts sei das Lesen,
doch lass' dich nicht dazu verleiten,
dies als den wahren Sinn zu deuten.

(2) Der wahre Sinn des Buches ist,
doch nie und nimmer, dass man's liest.
Hingegen diene dein Geschmiere,
dass Büchersammlungen es ziere,
sobald sich ein Verlag gefunden
der dein Werk als Buch gebunden.


4.3 Des Inhalts Nutzen

(1) Des Inhalts Nutzen ist wohl klar.
Bedenke, wie es früher war,
wo mühsam noch in Fels gemeißelt
der Steinzeitmensch sich selbst gegeißelt.
Auch in den weichen Ton gedrückt
war manches Meisterwerk geglückt.
Der Mensch jedoch hat bald erfasst:
Gewaltig ist des Wortes Last.

(2) Um diese Last sich abzunehmen,
sich leicht'rer Muse zu bequemen,
erfand der Mensch für sein Geschmier
nach langem Denken das Papier.
In Folianten, kleinen Quarten,
in dünnen Heften, dicken Schwarten,
vermehrt in mancherlei Gestalt
seither Papier des Worts Gewalt.
Zuletzt traf ihn der Muse Fluch:
Der Mensch erfand das Taschenbuch.

(3) Was an den Büchern meistens stört ?
Der Inhalt, der dorthin gehört,
wo Steinzeitmensch und seine Buben
bereits die Hoffnungen begruben.
Es wäre beispielsweise netter
ein Buch, welches nur weiße Blätter
enthält. Dann wär der Nutzen
Buchrückenreihen aufzuputzen,
die meterweis' verkauft verwesen,
weil sie noch niemand je gelesen.

 
Richtlinien ... : 5. DAS SPIEL MIT DEM WORT



5.1 Das Spiel mit dem Wort an sich

Das Wort ist ein gar seltsam Ding.
Manchmal ein bunter Schmetterling
entwickelt es sich rasch zum Degen,
kommt es verfehlt und ungelegen.
Man kann es drehen, kann es wenden,
man kann's mitunter furchtbar schänden.
Und steht es falsch am rechten Ort,
wird es zum Unding oft, das Wort.
Es kann gelöst sein in Gedichten,
vertrocknet amtlich in Berichten,
gelahrt in dicken, alten Schwarten,
frivol in Heften aller Arten,
klug und dumm zu gleicher Zeit,
wenn es dem falschen Zweck geweiht.


5.2 Das Spiel mit der Grammatik

Damit zu spielen ist gefährlich.
Doch es geschieht alltäglich, - jährlich,
dass jemand, ohne es zu wollen,
meist wenn die Rede sehr geschwollen,
in Bandwurmsätzen sich ergeht
und damit jeden Sinn verdreht;
er weiß nicht mehr, wie er begann,
der Redner räuspert sich sodann
und unterbricht den Wortschwall jäh
mit einem hoffnungsvollen: Äh !
Drum merk' dir zur Grammatik bloß:
Beherrschst du sie nicht virtuos,
dann lass die Finger rasch von ihr,
sonst wird aus klugem Wort Geschmier.


5.3 Der Mundart eigene Gesetze

Wer je dem Volke etwas lieh,
sein Ohr zum Beispiel, der weiß wie
das Volk zumeist mit derbem Mund
tut seiner Seele Lasten kund.

5.3.1 Hochdeutsch, oder Wie es der kleine Mann nicht versteht

(1) Sprichst du den Mann vom Volke an,
zum Beispiel in der Straßenbahn,
ganz deiner Muttersprache mächtig
und einer simplen Frage trächtig,
dann ist die Antwort meistens die:
Schauns, liawa hea, wos waas denn ii !

(2) Ob solcher Ignoranz beklommen
ist nie dir in den Sinn gekommen,
dass deines Hochdeutschs Wortgewalt
in jenem echolos verhallt,
weil er mit deinem Redefleiß
sich nichts anzufangen weiß.

5.3.2 Dem Volk aufs Maul geschaut

(1) Wenn's dir darob auch noch so graut,
sei doch dem Volk aufs Maul geschaut.
Der Mühe Lohn ist dir gewiss.
Indem das hohe Hindernis,
das zwischen dir und ihm bestand,
im breiten Dialekt verschwand,
brauchst du ihm nichts mehr kundzutun,
denn - siehe! - es versteht dich nun.

(2) Versuche, Dialekt zu schreiben,
müssen wohl stets Versuche bleiben,
denn Reden ist die eine Sache,
damit man sich verständlich mache.
Doch Dialekt in Schrift gegossen
hat den Leser meist verdrossen,
weil, was er dir mit Müh' entriss,
jetzt wird zum neuen Hindernis.

 
Richtlinien ... : SCHLUSS- UND ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN



6. SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Wenn du den Rat befolgst, den hier
ich niederschrieb auf dies Papier
vermittels einer Schreibmaschine,
dann mache keine böse Miene.
Sei wieder munter froh und kregel,
die Ausnahme bestimmt die Regel.
Schreib du dein Werk ganz unbesehn,
der Leser soll zum Teufel gehn.
Denn: Hast du erst dein Werk verkauft,
ist's jener, der die Haare rauft.



7. ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN

Hast du die Regeln durchgelesen,
dann tu, als sei gar nichts gewesen.
Vergiss, was mühsam du behalten.
Schreib weiter deinen Stil, den alten,
den du bisher forsch angewendet.
Ist erst dein Meisterwerk vollendet,
dann hast du endlich es geschafft.

Dann tritt der Abschnitt 4 in Kraft.

 
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Trost

Nur keine Hektik, ich weiß schon, was ihr die ganze Zeit vermisst habt !

Hier kommts:

Das musste auch einmal mit aller Klarheit gesagt werden.
 
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