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Reiz der Wörter?

M

majanna

Guest
„ Reiz der Wörter “- wir sind nüchtern geworden und argwöhnisch gegenüber dem schönen, dem raunenden, dem unverbindlich- großen Wort. Wir haben gelernt, dass Wörter die Wirklichkeit verstellen können, und belehrt wurden wir von der Geschichte, dass nicht die Wörter unwahr sind, wohl aber Menschen, die sie wirkungsbewusst gebrauchen, um Mitmenschen zu missbrauchen. Mit „Reizwörtern“ beginnen die großen Verführungen, an Sprachgittern enden die bewussten Verstrickungen.“
Werner Keller ( Literaturwissenschaftler) in „Der Reiz der Wörter“ Eine Anthologie zum 150jährigen Bestehen des Reclam-Verlags


Diese Erkenntnis haben sich sicher viele von uns schon angeeignet.
Aber müssen wir nicht auch wachsam sein bei nicht „reizenden“ Wörtern?

All die Beschönigungen, Umhüllungen, Scheinverbeugungen, die ein Sprecher/ Schreiber anwendet, um zu erreichen, dass seine Botschaft nicht oder erst spät ankommt.


Alltagsbeispiele mögen erklären, was ich meine: Weil wir Angst vor dem Tode haben, sprechen wir vom Ableben. Man will ja schließlich auch Pietät vor dem Unausweichlichen verbal „rüberbringen“. Weil wir nicht sagen wollen, etwas sei so oder so, sagen wir, dass etwas „eigentlich“ oder „auch“ so oder so zu sehen sei. Man will ja schließlich nicht als Klugscheißer dastehen. Und hier in Österreich macht man alles nur ein „bisserl“. Ich gehe jetzt mal ein bisserl Fernsehen. Und dann glotze ich stundenlang. Man weiß ja schließlich, dass ungehemmter TV- Konsum nicht gerade von selbstverwirklichtem Leben spricht.


Ich sage mal so: „eigentlich“ versuche ich immer eigentlich, zur Sache – zum Menschen zu sprechen.
Aber oft entdecke ich mich beim „Verstellen“.

Könnte es sein, dass wir auch im Alltag dem Reiz der Wörter erliegen? Oder reizt es uns nur,sie als Werkzeug unserer Befindlichkeiten "auszureizen"?


Marianne :dontknow:
 
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Ich habe heute Robin contra Jaques gelesen.
Wie töricht kommen mir meine einfachen Worte vor - und wie viele der Wortkaskaden der beiden zitierten User ebenfalls.
Robin, ich bin bei Dir, wenn Du meinst, dass das System Sprache sich selbst erzeugt.Allerdings nicht als "Sprache an sich", da Sprache und Sprecher einander bedingen. Daher erübrigt sich die Frage nach dem unausweichlichen Spielcharakter der Sprache. Der Mensch spielt nicht nur mit Sprache, sodern auch -übrigens in dieses Facherl würde ich sogar diesen meinen Thread stecken - , er benutzt sie mehr oder weniger bewusst meistens als Werkzeug.

Nun gut - ich kann nicht so viele Worte machen. Ich bin froh, ansatzweise zu begreifen, worüber ihr disputiert.

Marianne
 
Hi Marianne,
ich habe "Spiele und Perversion" nicht genau gelesen, ich möchte mich aber trotzdem zu deinem ersten Beitrag äußern.

Ich denke das Problem der Täuschungsmöglichkeiten durch Sprache, sollte man nicht zu hoch einschätzen. Dafür habe ich zwei Argumente:

Erstens ist der Mensch imstande sich gegen besseres Wissen für eine Meinung zu entscheiden. Das bedeutet egal wie er belogen wird, er bleibt in der Bildung seiner Meinung frei. (Obwohl er natürlich nicht immer die Freiheit hat, die Wahrheit zu erfahren - was aber etwas vollkommen anderes ist.)

Zweitens ist (eigentlich jeder) Mensch dazu imstande sich Phantasiewörter auszudenken. Damit ist er auch (zumindest latent) in der Lage, die Bedeutung eines Wortes zu verändern und auch einer Bedeutung ein ganz neues Wort zuzuordnen.
Insofern ist unser Denken von der Sprache unabhängiger, als es zunächst erscheinen mag.

Vielmehr bestimmt das Denken die Sprache. Das lässt sich daran erkennen, dass wir ein Wort in der Bedeutung benutzen, die wir für richtig halten (und nicht in der Bedeutung, die dem Wort eigentlich zugeschrieben wurde). So verschieben sich nach und nach die Bedeutungen der Wörter, wie es dem Menschen passt. Das Wort "gemein" wird heute z.B. nicht mehr im Sinne von "allgemein" verwendet.

Gruß tiLL
 
_tiLL schrieb:
Hi Marianne,

Ich denke das Problem der Täuschungsmöglichkeiten durch Sprache, sollte man nicht zu hoch einschätzen. Dafür habe ich zwei Argumente:

Erstens ist der Mensch imstande sich gegen besseres Wissen für eine Meinung zu entscheiden. Das bedeutet egal wie er belogen wird, er bleibt in der Bildung seiner Meinung frei. (Obwohl er natürlich nicht immer die Freiheit hat, die Wahrheit zu erfahren - was aber etwas vollkommen anderes ist.)
-------------------------------------------------------------------------------- (tiLL)

Ich gebe Dir zu obigem völlig Recht.Mir geht es aber um etwas ganz anderes.So in der Richtung Sprachpsychologie - also etwas eher Unbewusstes, das uns bewegt, zu "verhüllen". Nenne es Takt, nenne es Feigheit, nenne es reine Höflichkeit usw. Du richtest diese Strategie vielleicht etwas sehr auf Lüge aus.Erinnere Dich an Deine Schulzeit. Wenn Dir der Lehrer eine Leistung von Dir mit - Ganz gut - kommentiert, ist das keine Lüge und Du weißt trotzdem, dass sie eben nicht ganz gut war.
Ich spreche auch nicht vom Stilmittel Ironie. Das ist eine durchaus gewollte Sprechsituation. Kann übrigens am obigen Beispiel auch demonstriert werden. Nur müsste der Lehrer dann in etwa so sagen: D a s ist gut?

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Zweitens ist (eigentlich jeder) Mensch dazu imstande sich Phantasiewörter auszudenken. Damit ist er auch (zumindest latent) in der Lage, die Bedeutung eines Wortes zu verändern und auch einer Bedeutung ein ganz neues Wort zuzuordnen.
Insofern ist unser Denken von der Sprache unabhängiger, als es zunächst erscheinen mag.

Vielmehr bestimmt das Denken die Sprache. Das lässt sich daran erkennen, dass wir ein Wort in der Bedeutung benutzen, die wir für richtig halten (und nicht in der Bedeutung, die dem Wort eigentlich zugeschrieben wurde). So verschieben sich nach und nach die Bedeutungen der Wörter, wie es dem Menschen passt. Das Wort "gemein" wird heute z.B. nicht mehr im Sinne von "allgemein" verwendet.
------------------------------------------------------------------------------------------------Gruß tiLL

Der Einzelsprecher wird sich hüten, sich eine Privatsprache zuzulegen. Er schlösse sich dann aus der Sprechergemeinschaft, der er angehört, aus. Dass wir uns in den so genannten Gruppensprachen " Einzelwörter" "ausdenken", ist Fakt.Den Bruch von 10 wird ein im Krankenhaus Tätiger anders auffassen als ein Mathematiker. (Gibt es einen Zehnerbruch in dieser erlauchten Wissenschaft?)

Ich mag mich bei der wahrhaft teuflischen Frage, was ist eher, das Denken oder die Sprache eigentlich nicht festlegen. Schon Kant hat ja gelehrt, dass die Kategorie des Denkens dem Menschen immanent sei und von ihm nur ausgeübt werden muss. Aber spätestens, wenn er seine Nachdenkergebnisse andern mitteilen möchte, greift er im Regelfall auf das Werkzeug Sprache zurück.


Dein letztes Beispiel zeigt nur auf, dass die Sprache, die Sprechsituationen und die Sprecher einem ständigen Wechsel unterliegen. Bedeutungswandel ist etwas ganz Alltägliches.
Wehe, Du sagtest zu mir Weib, obwohl das bis in die frühe Neuzeit der ganz normale Ausdruck für eine Frau nicht von Stande war :)


Danke jedenfalls für Dein Post.
Ich habe gemerkt, dass ich mein Anliegen sprachlich nicht so formulieren konnte, denn alles, was Du schreibst, ist natürlich richtig.

Wahrscheinlich kommt als Ende wieder die Frage raus: Warum sprechen wir so, wie wir sprechen? Und dann gehörte dieses Thema in Psychologie.

Marianne
 
hallo marianne

dann versuch ich es mal :D

also ich hab dich so verstanden, dass wir bestimmte dinge anders formulieren bzw. umschreiben, als es direkt beim namen zu nennen.
um bei deinem beispiel tod zu bleiben, ein freundin von mir würde nicht ableben oder der ist gestoreben oder von uns gegangen sagen sonder ganz brutal:"na hat der endlich den ars.... zugemacht"
nun ich kenn sie umnd kann darüber lachen - sofern der verstorbene nicht ein enger freund war - aber andere würden es pietätlos finden oder ordinär.
ja und darum geht es doch, du siehst jemanden, schätzt ihn ein und redest erstmal sehr vorsichtig und taktvoll, bis du ihn kennst und weisst wie weit du mit deiner sprache gehen kannst.
hinzu kommt noch deine eigene weltanschauung, glaube und religion.

was ich sagen will ist, dass jeder mensch reiz wörter hat aber ganz woanders als du!
so findet eine baurin evtl. nix dabei wenn es weib genannt wird, während wir es - unverständlicherweise - herabwürdigend finden.

oder "muttertier" mein persönliches lieblingswort für mutterglucken.
eine freundin von mir lacht darüber wenn ich sie so nenne - ich sag das auch zu meiner mutter - eine andere ist fast beleidigt und jagt mich durchs dorf!?
dabei mein ich es gar nicht bös, für mich kling es liebevoller und netter wie mutterglucke, dass finde ich beleidigend.
aber wie gesagt es bleibt immer im auge des betrachters wie er was auffassen tut und du wirst weiterhin dich vorsichtig äussern, bevor du jemanden ungewollt verletzen tust.

lg binchen
 
Hallo, Binchen,

ich bin sehr froh, dass Du mich verstanden hast, bezw. mein Anliegen in diesem Thread.

Der Reiz der Worte liegt auch für mich in der von Dir erwähnten Tatsache, dass aus der Fülle von Bezeichnungsmöglichkeiten ( Dein lustiges Bsp. Muttertier) aus nur uns bekannten - ich wage sogar zu behaupten mitunter sogar unbekannten - Gründen so zu sprechen, wie wir es tun.

Das ist für mich auch das Spielerische im Alltagssprachgebrauch.

Es scheint neben den von uns schon erwähnten Gründen auch dem Versteckspiel des Kleinkindes zu entsprechen, sehr oft nicht direkt zu sprechen.

Auch der im Alltag so häufig beobachtbare Gebrauch von Bildern ( Metaphern) entspricht neben der Vereindringlichung des Gemeinten einem gewissen Spieltrieb, dem Reiz der Wörter zu erliegen.

"Du bist dumm wie Stulle" ( Brotstück) "Der kuckt wie ein Ochse" Du bist wie eine Sachertorte, nur nicht so nahrhaft." usw

Je krasser, je doller und zumindest den Sprecher belustigender.


Und wie wir nun " spielen", dem Reiz der Wörter erliegen, hängt meiner ganz festen Überzeugung nach vom Persönlichkeitsbild des Sprechers ab. Das sagst Du auch.

Danke für Deine Zeilen.

Marianne
 
scilla schrieb:
Hallo, Scilla!

zunächst: am hier angegebenen Link fand ich keine neun Tabellen.

Das zunächst.

Dann:

Deine Sucht, alles in Tabellen zu fassen, - ich kenne ja einige, wie Du weißt -, kann ich eben auch themenmäßig als Deine Art, dem Reiz der Wörter zu erliegen,einordnen.


Marianne
 
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Der Reiz...

...der Wörter liegt für mich nur in ihrem Nutzen Landkarten der
Wirklichkeit zu zeichnen. Ich möchte nie dem Fehler erliegen
die Wörter selber als Wirklichkeit zu erachten, denen zum
Beispiel die Wähler am Wahltag erliegen.

Worte können mir nur sagen: Geh voraus dann kommst du
an einer Kreuzung. Frag dort wo es zur Wahrheit geht den
Nächsten. Aber die sich entwickelnde Weisheit schafft es
sich die Teile unseres Weges einzuprägen und somit eine
Übersicht der gegangenen Wege ständig präsent zu halten.

Aus diesem Strassennetz ergibt immer mehr ein Überblick
über das ganze Ausmass des Strassen, ihrer Beziehungen
und sogar Abkürzungen....
 
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