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Recht oder Gerechtigkeit?

Claus

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Registriert
5. August 2005
Beiträge
3.673
Also Leute,

wenn ich hier Auswüchse unseres (demokratischen?) Rechtssystems anprangere
(threads „eine Frage des Gewissens“
„was ist eine gerechte Strafe“......)

dann gibt es immer einige die meinen, sie könnten mich (durch postings oder PNs) in die Nazi-Ecke stellen.
Ich möchte nochmals und nachdrücklich betonen, daß ich insbesondere für Täter mit nationalistischen Motiven wesentlich härtere Strafen anwenden würde.
Angefangen vom „Aufklatschen“ von Türken bis zum „Abfackeln“ der Imbißbuden von Vietnamesen.

Wenn ich lese, mit welchen lächerlichen Strafen diese meist jugendlichen Nazis davonkommen, dann kriege ich das große Kotz.en

Soweit dieses Statement.
Claus
 
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Mir scheint, ein thread
über mit dem normalen Rechtsempfinden des Durschnittsbürgers nicht zu vereinbarende Enscheidungen unserer Gerichte (kommt von „gerecht“ !!!)
sollte regen Zuspruch finden.

In Hamburg (und sicher nicht nur dort) werden regelmäßig riesige Mengen von fälschlich als Markenware etikettierten Textilien und Schuhen beschlagnahmt und vernichtet.

Ganze Containerladungen mit Jogginganzügen, Turnschuhen, Tshirts, Skifahrerbekleidung usw usf.
werden geschreddert.
gleichzeitig sieht man die Bilder von frierenden und zerlumpten Erdbebenopfern und wird zum Spenden aufgerufen.

Ein Gericht hat entschieden (auf Antrag der „Marken“hersteller), diese beschlagnahmten Textilien und Schuhe nicht in Katastrophengebiete zu schicken, weil es schon vorgekommen sei, daß sie von dort wieder auf den europäischen Markt gebracht worden sind.

Diese Richter sollte man für einen winter ins pakistanische Katastophengebiet schicken, in denen tausende Überlebende der Naturkatastrophe nichts mehr anzuziehen hatten und vor Kälte gestorben sind!
wie würden sie betteln um Kleidung (auch wenn man das Label herausgerissen und einen roten farblecks angebracht hat)! Das wäre gerechtigkeit!

meint Claus

ps
wer kennt weiter fälle dieser Sorte von perversen Gerichtsurteilen?
 
Hi, Claus,
Deine Frage "Recht oder Gerechtigkeit kann ich so nicht stehen lassen.

Unter Recht verstehen wir im Allgemeinen das Satzungsrecht eines Staates, wie z.B Verfassungsrecht, Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht usw.

Diese Anwendungsbereiche des Rechts sind so formuliert, dass sie möglichst vielen Ansprüchen der Rechtssuchenden entsprechen.

Alle müssen aber dem allgemeinen Bedürfnis des Menschen nach Gerechtigkeit entsprechen.
Die Vorsilbe ge... drückt im Deutschen immer eine Mengenangabe aus. Das heißt im vorliegenden Falle Gerechtigkeit ist die Summe der Rechtsempfindungen aller Bewohner eines Staates.

Und hier merkt man schon, dass wir nicht Recht oder Gerechtigkeit sagen können, sondern Recht und Gerechtigkeit sagen müssen.


Je komplizierter staatliche Gefüge sind, desto zahlreichere Gruppeninteressen werden legistisch verankert - und, wie wir alle wissen, empfinden die einen etwas als Recht , ihr Recht, was die anderen als ihr Unrecht empfinden.

An den Grundrechten ( in Österreich ist das ein Teil des Verfassungsrechtes) kann kein Gesetzgeber eines demokratischen Staates vorbei. Dieses Grundrecht ist das Regulans für die Füllung des Konstrukts Gerechtigkeit. ( Nebenbei, diese Rechte können beim Verfassungsgerichtshof eingeklagt werden.)

Das Spannende im Rechtsleben eines Staates ist die Interdependenz von Satzungsrecht und dem sich wandelnden Gerechtigkeitsgefühl der Staatsbürger.

Man könnte so sagen: das Recht hinkt sehr oft dem Gerechtigkeitsgefühl der Bürger nach. Wenn die Kluft zu groß wird, wird ein neues Gesetz geschaffen oder ( häufiger) das alte, das eben nicht mehr dem Gerechtigkeitsgefühl des größeren Teiles der Staatsbürger entspricht, novelliert.

frdlg
Marianne
 
Ich kann mich da im wesentlichen der Marianne anschließen und will dennoch nochmals darauf hinweisen, dass man hier in der Tat zwischen dem Rechtsempfinden, der Rechtsphilosophie und dem geltenden Recht eines Staates zu unterscheiden hat. So macht es auch nicht sehr viel Sinn, den Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten den Fehdehandschuh hinzuwerfen und sich über die Gerichte zu echauffieren.

In der Tat erfolgen solche und andere Urteile nach geltendem Recht. Dieses geltende Recht ist die Sammlung von Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen, die sich zum Beispiel das deutsche Volk selbst gegeben hat. Sollte also ein solches Gesetz zu unakzeptablen oder irrwitzigen Urteilen führen, dann sollte sich jeder mündige Bürger des betroffenen Staates an der eigenen Nase fassen und sich zu der Erkenntnis durchringen, dass er/sie als Bürger des Staates auch politisch gefragt ist.

Gesetze können geändert werden und Claus, das Fragezeichen hinter dem Wort „demokratischen“ solltest du dir nochmals überlegen, denn du lebst in einem der besten demokratischen Staaten dieser Welt.

Die Rechtssprechung ist absolut an geltendes Recht gebunden und kann selbst dann nicht dagegen entscheiden, wenn das eigene Rechtsgefühl der Richter ernsthafte Zweifel hervorruft. Würde sich jeder Richter diese Freiheit nehmen, dann wären wir ohne Rechtssicherheit und absolut im Bereich der Willkür.

Ist das dann besser?

Es liegt also an den Bürgern und auch an dir Claus, hierfür einzutreten, sich den demokratischen Mitteln zu bedienen und sich die Rechtsordnung zu schaffen, die man letztlich für gerecht hält.

Dies jedoch beinhaltet die Möglichkeit, dass die Mehrheit der Bürger eben nicht der gleichen Meinung sind und somit Gesetze in Kraft bleiben oder nie in Kraft treten, die zu solchen Bedenken führen.

Aufstehen, Ärmel hoch, Geschichte machen.

PS: Claus, die Liste ist ja noch viel länger. Nahrungsmittel, die in Europa vernichtet werden, um die Marktpreise zu halten oder auch hunderte von Milliarden Dollar, die in einen unrechtmäßigen Krieg gestopft werden anstatt den Hunger der Welt zu bekämpfen.
 
Zitat von Marianne:
Deine Frage "Recht oder Gerechtigkeit kann ich so nicht stehen lassen.
....................
Man könnte so sagen: das Recht hinkt sehr oft dem Gerechtigkeitsgefühl der Bürger nach. Wenn die Kluft zu groß wird, wird ein neues Gesetz geschaffen oder ( häufiger) das alte, das eben nicht mehr dem Gerechtigkeitsgefühl des größeren Teiles der Staatsbürger entspricht, novelliert.

Na schön, Marianne.
Ich habe die Kurzform gewählt
anstelle einer langen Formulierung, wie du sie für besser hältst,
und ich korrigiere meine Frage wie folgt:

Wer kann Beispiele anführen, in denen das angewandte Recht dem Gerechtigkeitsgefühl der Bürger nachhinkt
(oder dem widerspricht)?


Oft ist es ja auch der Ermessens-spielraum, den die Richter extrem nach unten dehnen.
Mir ist sehr deutlich folgender Fall in Erinnerung:

jugendliche Nazis haben hier vor einem Jahr einem Vietnamesen seine Imbißbude abgefackelt,
sie kamen mit leichten Jugendstrafen auf Bewährung davon, waren in ihrer Clique die Helden,
die Existenz des Vietnamesen war ruiniert, die Bank hat ihm seinen Kredit nicht gestundet,
die täter waren mittellos und konnten keine entschädigung zahlen.

Und:
Was hältst du von dem Gerichtsurteil zur Vernichtung von Kleidungsstücken, während woanders die Menschen erfrieren?
Nach dem Fernsehkommentar erst ein halbes Jahr alt.

fragt Claus
 
ja, ich kann mich marianne und louiz30 nur anschließen
ein richter kann und darf nicht rein "aus dem bauch" heraus entscheiden
wäre es so, wäre jede partei vor dem gericht dessen willkür ausgesetzt
jener richter war sich sicherlich bewusst, dass die kleidung jemandem nützen oder sogar dessen überleben erleichtern oder gewährleisten könnte
in seinem amt hat er aber nicht die aufgabe, das überleben in der dritten welt zu sichern, sondern recht zu sprechen
ob das urteil im speziellen fall gut oder schlecht für die welt ist, steht ihm nicht zu zu entscheiden bzw er hat nicht die verantwortung dafür zu tragen

ob ein staat den menschen in einem anderen hilft ist, wie schon beschrieben, eine politische, und keine juristische entscheidung

ein rechtsgefüge einer komplexen gesellschaft ist so komplex, und dessen auswirkungen so unübersichtlich, sodass als beispiel vielleicht etwas einfacheres, eine sportart besser dient
der schiedsrichter ist der richter, die spielregeln sind das gesetz
auch die spielregeln liefern nicht in jedem fall ein urteil, das aus dem bauch heraus als "gerecht" angesehen werden kann
sie dienen dazu, dass das spiel in geordneten bahnen abläuft, und dazu beiträgt, dass der bessere gewinnen möge
und doch ist, um zu gewinnen, auch eine portion glück nötig
und es gewinnt nicht immer der, der "eigentlich" der beste oder bessere gewesen wäre (siehe deutsche fußballnationalmannschaft, die oft als die glücklichere, und nicht als die bessere gewonnen hat)

die regeln gelten aber für jeden, und für jeden gleich
daher sind es nicht die regeln, die ungerecht sind
es ist vielmehr das leben selbst, das ungerecht ist, und die regeln schaffen lediglichlich keinen perfekten ausgleich
es wäre theoretisch möglich, die regeln so komplex auszulegen, dass jede eventualität abgedeckt wäre und die überwachung so umfangreich, dass kein schlupfloch bliebe

ein schritt in diese richtung war schon beim fußball im gespräch:
etwaige abseitsstellungen via videoüberwachung (praktisch unfehlbar), und nicht via schiedsrichter/linienrichter festzustellen
aber selbst die sportler lehnten das mehrheitlich ab
warum ? weil dann jede entscheidung zur folge hätte, dass die benachteiligte partei die videoanalyse sehen will, um eventuell doch recht zu bekommen
das kostet dem spiel aber den fluss und wird für spieler wie für zuschauer uninteressanter
in summe würde also der sport, ob der gestiegenen gerechtigkeit, verlieren
der schiedsrichter hat auch nicht das recht, die spielregeln so auszulegen, wie sie im speziellen fall seiner meinung nach gerechter wären
er hat sich an das vorher festgesetzte regelwerk zu halten, auch wenn es ihm persönlich gegen den strich gehen mag

setzt er sich in solchen situationen über das regelwerk hinweg und würde willkür walten lassen, würde der sport in summe mehr verlieren als gewinnen
niemand würde mehr wissen, wie der schiri reagieren würde und man hätte mehr chaos als ordnung verursacht
deswegen gibt es in einem rechtsstaat den zustand der rechtssicherheit


lg,
Muzmuz
 
Es liegt also an den Bürgern und auch an dir Claus, hierfür einzutreten, sich den demokratischen Mitteln zu bedienen und sich die Rechtsordnung zu schaffen, die man letztlich für gerecht hält.
ei ja, Louiz !

lassen wir mal den „unrechtmäßigen Krieg .... anstatt den Hunger der Welt zu bekämpfen“
und fangen bei den kleinen Dingen an.

was kann denn der kleine Mann dagegen tun?
angefangen von der Wut über vernichtete Kleidungsstücke, während er zu spenden aufgerufen wird?

bis hin zur angst vor entlaufenen Schwerstverbrechern, die man statt aufzuhängen jährlich mit 100.000 euro pro Nase beköstigt und logiert?

wo bleibt denn die demokratische Legitimation zur Abschaffung der Todesstrafe?
Ich wette mein gesamtes bescheidenes vermögen,
daß nach einer (deutschen oder europäischen)Volksabstimmung über die Wiedereinführung der todesstrafe
für solche Monster wie Zurwehme
einige Leute hingerichtet würden.

http://www.leichenberg.de/moerder/zurwehme_dieter.htm
http://www.wdr.de/themen/panorama/kriminalitaet01/zurwehme_klage/prozess_bielefeld.jhtml

„im Namen des Volkes“ ticken diese zeitbomben aber hübsch weiter.
Sie können sich freuen, daß sich praktisch niemand „demokratischer Mittel bedienen kann“
um sie über den Orkus zu schicken.

meint Claus

btw
Zum Verhindern von Baustellen sind unsere demokratischen Mittel sehr geeignet.
Es braucht nur jemand zu erklären, er habe einen seltenen Schmetterling dort gesehen, und schon wird ein Bauvorhaben um Jahre verzögert.
 
in seinem amt hat er aber nicht die aufgabe, das überleben in der dritten welt zu sichern, sondern recht zu sprechen
ob das urteil im speziellen fall gut oder schlecht für die welt ist, steht ihm nicht zu zu entscheiden bzw er hat nicht die verantwortung dafür zu tragen

Genau das meine ich mit meiner titelfrage, Muzmuz.

Ob die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt, das ist zweitrangig.
Das geschriebene „Recht“ ist heilig, auch wenn es offensichtliches Unrecht hervorbringt.
mit diesem Zusatand kann ich mich nicht abfinden.
aber ich muß es hilflos hinnehmen, wie millionen andere auch.

meint Claus
 
nein, das geschriebene recht ist nicht heilig, denn es lässt sich ja im gegensatz zur bibel umschreiben
nur das gericht hat sich an die jeweils gültige rechtsnorm zu halten
das nennt sich gewaltentrennung
sprächen die gerichte nicht nur recht, sondern würden auch noch selbst gesetze verfassen und beschließen, wäre zu viel gewalt an einem ort konzentriert
ist aber zu viel macht an einem ort platziert, ist die gefahr der auswirkungen von missbrauch enorm

das rechtsgefüge wird nach bestem wissen und gewissen verfasst und hat die aufgabe, das leben in der jeweiligen gesellschaft in geordnete bahnen zu lenken
es hat nicht die aufgabe, dinge außerhalb seines bereiches zu "verbessern"
so wie das regelwerk des fußballsportes nicht die aufgabe hat, das leben auf der straße zu verschönern, sondern nur das spiel in geordneten bahnen laufen zu lassen

gegen den hunger in der dritten welt aufzutreten ist also nicht die aufgabe eines nationalen gesetzes oder der judikatur sondern wie gesagt, dafür ist die politik zuständig

lg,
Muzmuz
 
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mir fällt dazu ein passender film ein:
"der butterfly effect"
er hat zwar wenig direkt mit gesellschaftlichen aspekten noch mit judikatur zu tun, aber mit einem menschen der die macht hat, dinge zu verändern, die seiner meinung nach falsch laufen bzw gelaufen sind

die hauptaussage des filmes ist, dass unüberlegte eingriffe in ein unperfektes, komplexes system nicht die erwarteten resultate liefern und die situation eher verschlimmbessern
ist mMn ein guter film; tiefgründig und dramaturgisch gut aufgebaut
sehenswert !

lg,
Muzmuz
 
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