AW: Postmodern und danach...
Hallo liebe Forianer,
in vielen sozialwissenschaftlichen Bereichen herrscht heute eine Kritik der modernen Kritik vor - die postmoderne Dekonstruktion. Wie kann man eine Kritik der Gesellschaft und der Institutionen überhaupt gewinnen, wenn die Organisationen als solches in Frage gestellt werden? Ich bitte um eure Meinung zur weiteren Möglichkeit von sozialkritischen Ansätzen in der Gegenwartsbeschreibung unter dieser vorherrschenden philosophischen Strömung!
Kritik an der Kritik ist nach der Systemtheorie Luhmanns ein "Re-Entry", ein Wiedereintritt der Form in die Form. Ähnlich kann man das Moralisieren moralisch verurteilen, man kann fragen, ob Recht gerecht ist usw.
Kritik an der Gesellschaft zu gewinnen ist schwierig, denn man muss immer Fragen: Wer kritisiert?
Es hat den Anschein, dass die klassische kritische Sozialtheorie eben auch ein Interesse verfolgte und dabei in Klischees erstarrte: Schuld waren immer die Mächtigen, die Reichen oder gar das "System" und andere Pauschalisierungen. Die Kritik gerade in einem reichen Land hat immer den Ruch des Wohlfeilen, denn es handelt sich um elitäre Kritik einer Art akademischen Elite, die gerne das soziale Gewissen einer Gesellschaft repräsentieren würde, während sie gleichzeitig in hohem Maß davon profitiert.
Klassische, pauschale Sozialkritik neigt dazu, Dinge zu vereinfachen oder gar, sich in naiven Appellen zu ergehen: "Wir brauchen eine Kultur des..." (Nach Belieben einsetzen) ist eine beliebte Formulierung pauschalisierter Kritik mit naivem Appell.
Klassische Sozialkritik verwendet auch Wörter in erstarrter oder klischeehafter Weise: "Freiheit", "Toleranz", "Verantwortung" stehen oft immer noch als absolute Begriffe da und nicht als Zwei-Seiten-Formen, die sie eigentlich sind: Jede Freiheitsforderung impliziert Unfreiheitsfolgen andererseits; jede Toleranzforderung enthält eine intolerante Haltung; Jede Forderung der Verantwortung enthält eigennützige Aspekte.
Man Kritik natürlich von moralischer Kritik auf "funktionelle" Kritik umstellen. Man thematisiert nicht mehr, ob etwas gut oder schlecht ist, sondern ob gewollte Abläufe störungsfrei ablaufen. So kann eine funktionierende soziale Marktwirtschaft angestrebt werden, ohne das naive Ziel zu haben, man könne dadurch alle Menschen glücklich und/oder wohlhabend machen. Ein gut funktionierendes Rechtssystem kann nicht Fehlurteile gänzlich ausschließen, kein Sozialsystem kann alle Außenseiter auffangen und retten.
Die "Theorie sozialer Systeme" nach Luhmann versucht generell von Gesellschaftskritik auf Gesellschaftsbeschreibung umzustellen; sie kann dabei aber nicht verhindern, dadurch Kritik an der Kritik zu üben - was auch wieder eine Art der Gesellschaftskritik darstellt...