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Konsensmusik

AW: Konsensmusik

Hilflos klammert er sich an den Willen des Einzelnen. Wenn Adornos Wort gilt, daß der Schein der Platzhalter der Wahrheit sei, die Lüge, kraft derer die Welt fortbestehe - dann ist Luhmanns sympathischer Glaube an die Möglichkeit eigenen Entscheidens Platzhalter der Lüge.

;) Thorsten

Die Textstelle musst du mir mal zeigen, wo Luhmann vom "freien Willen " redet. Bitte!
Im Übrigen ist natürlich alles, was geredet wird, Kommunikation und damit nicht Ausdruck freien Willens, sondern Teil des Kommunikationssystems. Alles was Luhmann sagt, ist: In einem Bewusstseinssystem (Individuum) passieren andere Dinge als im Kommunikationssystem. Und natürlich sind die Systeme strukturell aufeinander abgestimmt; das Bewusstseinssystem ist durch die Dauerirriatation der Kommunikation konditioniert.
Der Unterschied: Luhmann kommt ohne das normative Konstrukt des "Schein" aus. Denn, was soll das Gegenstück von Schein sein? Authentizität? Wahrheit?
Selbst wenn Adortno einen angeblich gesunden Pessimismus an den Tag legt, so ost doch seine Begrifflichkeit von einem transzendeten Wunschdenken beseelt: Der Begriff des Scheins, der Deformation usw. setzt den Gegenbegriff des Wahren, Guten, Schönen voraus.

Weiterhin im Übrigen setzen Entscheidungen (oder, bei Luhmann häufiger: Unterscheidungen) natürlich keinen freien Willen voraus. Sie passieren einfach. Man kann natürlich beobachten, dass Entscheidungen Abweichungen, Variationen bieten. Diesen werden aber schnell von der Gesellschaft absorbiert oder evolutionär weiter entwickelt.

Luhmann prägte über sein "eigenes" Schreiben eine Formulierung, um seinen eigenen Willen unbd Beitrag abzuschwächen: Er sagte, die vielen Bücher "hätten sich von selbst geschrieben". Und zwar anhand seines Zettelkastens.
Die Formulierung des Iindividuums, was auf einem Ozean treibt stammt von mir. Ich halte es nicht für frei (manchmal erschreckend unfrei). Aber es gibt Freiheitsgrade, wie immer die entstehen: Zufall, Unwissenheit, Intelligenz, einem Gemenge von allem.
 
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Es gibt einfach nichts anderes - als den Schein des freien Willens

Robin schrieb:
Die Textstelle musst du mir mal zeigen, wo Luhmann vom "freien Willen " redet. Bitte!
Der "freie Wille" (oder Unwille) wird hinterrücks eingeführt durch die Möglichkeit, persönliche Beziehungen zu intensivieren (oder es bleiben zu lassen).
"Liebe als Passion", S. 13:
Auch diese Möglichkeit ist, wenn man bedenkt, daß sie für jeden eine Möglichkeit ist und von vielen ergriffen und realisiert wird, massenhaft gegeben; und es gehört mit zu den Merkmalen der modernen Gesellschaft, daß sie frei zugänglich ist und mit wenig Rücksichten auf andere Beziehungen belastet ist.
Wenn das stimmen sollte, gehörte die Möglichkeit des freien Willens zur freien Entscheidung zu den Grundvoraussetzungen der "modernen Gesellschaft". Man kann solcher angeblichen Freiheit zur Möglichkeit jedoch auch skeptisch gegenüber stehen, ohne gleich aus angeblich gesundem Pessimismus zu reden.
Robin schrieb:
Im Übrigen ist natürlich alles, was geredet wird, Kommunikation und damit nicht Ausdruck freien Willens, sondern Teil des Kommunikationssystems.
Sagen wir, das "Kommunikationssystem" ist eine nachträgliche analytische Konzeption (wie der Begriff von Sprache selber) und kein apriorisch Gegebenes.
Robin schrieb:
Alles was Luhmann sagt, ist: In einem Bewusstseinssystem (Individuum) passieren andere Dinge als im Kommunikationssystem.
Zunächst einmal ist das "Individuum" jedoch ein Unbewußtheitssystem, begriffslos wie Kommunikation selber und aus sich allein heraus unfähig, sich zu bestimmen. Daher rühren ja die Kantischen Aporien der reinen Vernunft, daß Bestimmung immer nur negativ erfolgen kann, durch das, was nicht ist.

Ich würde also eher annehmen, daß das "Bewußtseinssystem" und das "Kommunikationssystem" unmittelbar dasselbe sind. Zu ähnlichen Schlüssen kam Claude Levi-Strauss in seinen Untersuchungen zum mythisch codierten Denken. Warum Luhmann nun dahinter zurückfällt und - nicht unähnlich Habermas - zu einfach positiven Beschreibungen kommen will, ist mir das ungelöste Rätsel. Lautet die Antwort etwa "Das Leben ist doch schön" oder, mit Rilke, "Noch ist uns das Dasein verzaubert"?

Robin schrieb:
Und natürlich sind die Systeme strukturell aufeinander abgestimmt; das Bewusstseinssystem ist durch die Dauerirriatation der Kommunikation konditioniert.
Und nochmals: Nein. Kommunikation ist nicht Irritation, sondern Konstitutionsmittel dessen, was die Inhalte des Bewußtseins sind und zugleich der einzige Weg, sich zu begreifen (sich bewußt zu werden). Daher ist solche Trennung bzw. "Abstimmung" bloß willkürlich vorgenommen, scheinhaft.

Robin schrieb:
Der Unterschied: Luhmann kommt ohne das normative Konstrukt des "Schein" aus. Denn, was soll das Gegenstück von Schein sein? Authentizität? Wahrheit?
Selbst wenn Adortno einen angeblich gesunden Pessimismus an den Tag legt, so ost doch seine Begrifflichkeit von einem transzendeten Wunschdenken beseelt: Der Begriff des Scheins, der Deformation usw. setzt den Gegenbegriff des Wahren, Guten, Schönen voraus.
Der Unterschied: Adorno vollzieht die bestimmte Negation der klassischen ontologischen Metaphysik, die aufs unmittelbar Wahre, Gute, Schöne aus war. "Schein" ist kein normatives Konstrukt, sondern das, was bei dieser Negation schließlich herauskommt: auch der Scheincharakter (also eigentlich die Unmöglichkeit) von Erkenntnis. Transzendent wäre nur noch die negative Utopie, die mit "Wunschdenken" - vulgär gesagt, dem Traum von einer besseren Gesellschaft - nicht verwechselt werden sollte.

Habermas und Luhmann glauben dagegen, einerseits die Last solcher philosophischen Tradition abwerfen zu können, indem sie einfach etwas anderes behaupten, nämlich das positivistische "Wahr ist, was der Fall ist" (bei Luhmann immerhin ohne die schlecht utopistischen Idealzurichtungen der Kommunikationsvoraussetzungen, wie Habermas sie vornimmt, der ja noch nicht einmal seinen Positivismus konsequent durchhalten kann); andererseits tritt die alte Metaphysik, der man sich einfach entledigen zu können glaubte,
mit großem Getöse wieder ein: das System ist neuerdings das Sein (selbst, wenn man es als "normatives Konstrukt" begreift), nicht, wie bei Adorno, der wußte, daß Sprache und Leben immerhin doch sehr verschiedenen Begriffs sind ("Leben" selbst ist nämlich begriffslos ;) ), der Schein.

Robin schrieb:
Weiterhin im Übrigen setzen Entscheidungen (oder, bei Luhmann häufiger: Unterscheidungen) natürlich keinen freien Willen voraus. Sie passieren einfach.
Robin, das ist doch Unsinn! Ent- und Unterscheidungen werden vorgenommen, es sind, wenigstens beim Menschen, aktive Handlungen, in sprachlichen Kategorien, Codes meinetwegen, vollziehbar und beschreibbar. Nur daß man den Begriff und das in ihm Befaßte nicht in eins setzen kann (deswegen der Scheincharakter von Erkenntnis.) Und, ja: ohne die Möglichkeit eines "freien Willens" zur Sprache, zur Unterscheidung, läuft hier gar nichts, wenn auch nur zum Schein! Aber: Sollen wir im Gegenteil etwa annehmen, daß jeder Satz, den wir wechseln, Teil eines großen intelligent design ist, der notwendigen Selbstbewußtwerdung der Welt? Oder ist uns unsere kontingente, ephemere Willkür am Ende nicht doch lieber?

Robin schrieb:
Man kann natürlich beobachten, dass Entscheidungen Abweichungen, Variationen bieten. Diesen werden aber schnell von der Gesellschaft absorbiert oder evolutionär weiter entwickelt.
Auch das ist unklar. Abweichung, Variation, Absorption, Evolution in genanntem Sinne formieren Gesellschaft, sind ihr nicht entgegensetzbar - zumindest, sobald man Alles als kommunikativen Prozess radikalisiert.

Robin schrieb:
Luhmann prägte über sein "eigenes" Schreiben eine Formulierung, um seinen eigenen Willen unbd Beitrag abzuschwächen: Er sagte, die vielen Bücher "hätten sich von selbst geschrieben". Und zwar anhand seines Zettelkastens.
Mancher Komponist hat auch geglaubt, daß ihm der liebe Gott die Feder führt. Alles, was aus dieser Formulierung Luhmanns offensichtlich wird, ist, daß er großen Spass am Arbeiten hatte und darin "ganz aufging", wie man so schön sagt.

Robin schrieb:
Die Formulierung des Iindividuums, was auf einem Ozean treibt stammt von mir. Ich halte es nicht für frei (manchmal erschreckend unfrei).
Eben! Aber ich kann dir Adornos böse Witze über genau diese Unfreiheit leider noch nicht recht schmackhaft machen, wie es scheint...

Robin schrieb:
Aber es gibt Freiheitsgrade, wie immer die entstehen: Zufall, Unwissenheit, Intelligenz, einem Gemenge von allem.
In diesen Akkord stimme ich gerne ein.

Liebe Grüße, Thorsten
 
AW: Es gibt einfach nichts anderes - als den Schein des freien Willens

Der "freie Wille" (oder Unwille) wird hinterrücks eingeführt durch die Möglichkeit, persönliche Beziehungen zu intensivieren (oder es bleiben zu lassen).
"Liebe als Passion", S. 13:
Wenn das stimmen sollte, gehörte die Möglichkeit des freien Willens zur freien Entscheidung zu den Grundvoraussetzungen der "modernen Gesellschaft". Man kann solcher angeblichen Freiheit zur Möglichkeit jedoch auch skeptisch gegenüber stehen, ohne gleich aus angeblich gesundem Pessimismus zu reden.
In Liebe als Passion geht es um die historische Untersuchung von Liebessemantiken. Es geht um die banale Tatsache, dass Ehen nicht mehr arrangiert werden oder innerhalb von Schichten bleiben müssen. Daraus Luhmanns Philosphie zum freien Willen ableiten zu wollen - das ist hinterrücks, jawohlja! Es geht um Freiheitsgrade und um die Tatsache, dass Liebeswahl als frei beobachtet werden kann...da wird keine Willensfreiheit postuliert, nein.



Sagen wir, das "Kommunikationssystem" ist eine nachträgliche analytische Konzeption (wie der Begriff von Sprache selber) und kein apriorisch Gegebenes.
Auf jeden Fall.


Zunächst einmal ist das "Individuum" jedoch ein Unbewußtheitssystem, begriffslos wie Kommunikation selber und aus sich allein heraus unfähig, sich zu bestimmen. Daher rühren ja die Kantischen Aporien der reinen Vernunft, daß Bestimmung immer nur negativ erfolgen kann, durch das, was nicht ist.
Aber immer.
Ich würde also eher annehmen, daß das "Bewußtseinssystem" und das "Kommunikationssystem" unmittelbar dasselbe sind.

Aber auf keinen Fall! Wäre ich nur klug genug, formulieren zu können, wo das Missverständnis liegt. Ist es denn nicht offensichtlich? Wir reden nicht, was wir denken und denken nicht, was wir reden. Wie kann das ein und dasselbe System sein? Ein gespaltenes System? Deine Ansicht würde ja ein völlig veraltetes Kommunikationsmodell voraussetzen, nämlich dass Information in deinem Gesamtkommunikationssystem direkt "übertragen" wird. Luhmann differenziert hier zwischen Operation und Irritation. Dieses Modell beschreibt die Schließung eines Systems durch seine Elemente (Operationen) und durch seine Beziehungen zur Umwelt (Irritationen). Ich finde diese Differnzierung sehr nützlich.
Vielleicht willst du auch bei der Behauptung bleiben, es gäbe keine Missverständnisse, weil dir dann die Schuldfrage entgleitet, an der du doch eigentlich sehr hängst, auch wenn du sie ständig ironisierst...

Lautet die Antwort etwa "Das Leben ist doch schön" oder, mit Rilke, "Noch ist uns das Dasein verzaubert"?
Für jeden Wissenschaftler, der sich auf dem richtigen Weg glaubt, mag die Welt verzaubert erscheinen - doch Luhmanns Welt ist nicht optimistisch, im harmlosesten Fall wird im Fatalismus vorgeworfen. Die Kernerkenntnis ist doch, dass es keine wirkliche Steuerbarkeit der Gesellschaft gibt - und auch nicht des eigenen Lebens. Oder auch: Man kann nicht verdienen, was man verdient...

Und nochmals: Nein. Kommunikation ist nicht Irritation, sondern Konstitutionsmittel dessen, was die Inhalte des Bewußtseins sind und zugleich der einzige Weg, sich zu begreifen (sich bewußt zu werden).
Kommunikation benutzt Bewusstseinsinhalte, thematisiert sie. Bewusstsein benutzt die struktuerellem Möglichkeiten der Kommunikation, um INhalte, die von anderen Bewusstseinssystemen in die Kommunikation "eingespeist" werden, intern zu verarbeiten - manchmal gar zur Selbst-bewusst-werdung ;)
EIn Individuum kann irgendetwas ins Haifischbecken der Kommunikation werfen - und dann sehen, was passiert. Und sehen, was es mit ihm macht. Es durchschaut die Strukturen der Kommunikation und kann daher mit fast allen Ergebnissen irgendwie umgehen - und sich gar manchmal einbilden, es beherrsche die Sache...


Daher ist solche Trennung bzw. "Abstimmung" bloß willkürlich vorgenommen, scheinhaft.
Gerade alles Scheinhafte wird durch dieses Theoriekonstrukt bestens erklärt.
Transzendent wäre nur noch die negative Utopie, die mit "Wunschdenken" - vulgär gesagt, dem Traum von einer besseren Gesellschaft - nicht verwechselt werden sollte.
Ist es also so, dass Adorno die Utopie nur noch als Negativform benutzt, um den Scheincharakter der Wirklichkeit zu entlarven (zu bestimmen)?
Wenn ich das richtig verstanden habe, bleibt mein Eindruck dennoch, dass sein Spielen mit dieser Form etwas recht Lustvolles hat.
INteressant wäre: Wie begründet er, was negativ ist und was positiv? Sind die Formen nicht einfach austauschbar, wie Luhmann es vorschlägt? "Zustände", "Utopien" "Deformationen" einer Gesellschaft sind ja immer etwas sehr großes, eigentlich ungreifbares. Sie sind so groß und ungreifbar, dass sie sich immer negieren lassen. Ja, manche betreiben das professionell. Jede Idee kann man korrumpieren, indem man sie "zu schön" macht. Und das macht sie ganz schnell hässlich. Aber das ist doch ein banales geschäft oder? Man nennt es "Zivilisationskritik".


andererseits tritt die alte Metaphysik, der man sich einfach entledigen zu können glaubte,
mit großem Getöse wieder ein: das System ist neuerdings das Sein (selbst, wenn man es als "normatives Konstrukt" begreift), nicht, wie bei Adorno, der wußte, daß Sprache und Leben immerhin doch sehr verschiedenen Begriffs sind ("Leben" selbst ist nämlich begriffslos ;) ), der Schein.
Nana. Ich weiß nicht, wo es bei Habermas tönt - bei Luhmann gibt es keine Wahrheit, nur der Wunsch nach Konsistenz von Modellen. Sei nicht unfair, Luhmann hat seine Theorie als etwas gesehen, dass ständig in Bewegung ist. Und Theorie ist nicht Leben, das ist ihm klar.
Deswegen wollte er vielleicht nicht Philosoph sein. Er wollte sich nicht mit dem leben beschäftigen - denn das kann einen ganz schön hemmen, nicht wahr? ;)




Robin, das ist doch Unsinn! Ent- und Unterscheidungen werden vorgenommen, es sind, wenigstens beim Menschen, aktive Handlungen, in sprachlichen Kategorien, Codes meinetwegen, vollziehbar und beschreibbar.
Ja .- im Nachhinein, wie neuerdings auch die Neurobio - trau mich gar nicht, fertig zu schreiben...


Nur daß man den Begriff und das in ihm Befaßte nicht in eins setzen kann
Zeichen und Bezeichnetes, alter Hut. Erkenntnis ist nicht ontologisch fest, sondern muss aktualisiert werden. Konsistenz kann nur über Zeitschemata entwickelt werden: Ich wiederhole etwas, in neuem Zusammenhang, prüfe erneut, korrigiere, entwickle Begriffe, verwerfe sie wieder, etc....
Wahrheit: nur ein Code; wahr/falsch. Die (unerreichbare) Einheit liegt in der Differnez...


Sollen wir im Gegenteil etwa annehmen, daß jeder Satz, den wir wechseln, Teil eines großen intelligent design ist, der notwendigen Selbstbewußtwerdung der Welt? Oder ist uns unsere kontingente, ephemere Willkür am Ende nicht doch lieber?
Spontan würde ich sagen: Es existiert beides nebeneinander...

Auch das ist unklar. Abweichung, Variation, Absorption, Evolution in genanntem Sinne formieren Gesellschaft, sind ihr nicht entgegensetzbar - zumindest, sobald man Alles als kommunikativen Prozess radikalisiert.
Der Knackpunkt beim Systemdenken ist die Zeit. Alles was ist, ist im Prinzip schon vorbei. Eine Irritation ist keine mehr, wenn sie als solche erkannt wird. Wir können die gesellschaft (die Gesellschaft kann sich selbst) nur über Spuren in der Vergangenheit beobachten. Das, was etwas ist, ist immer unsichtbar - für das System selbst, weil es dessen blinder Fleck ist. Und für ein anderes System, weil es an den Operationen nicht teilhaben kann. Also ist jedes Sein eine Modellvorstellung durch Rekonstruktion von Vergangenem. Auch das Ich des Individuums ist solch eine Rekonstruktion. Ich zu sein, heißt zu verstehen, dass man ICh ist. Aber man kann es nie beobachten. Nur aus der Vergangenheit (und sei es die unmittelbar vergangene) rekonstruieren. Könnte man auch "Schein-Ich" nennen...


Eben! Aber ich kann dir Adornos böse Witze über genau diese Unfreiheit leider noch nicht recht schmackhaft machen, wie es scheint...

Ich mache auch schon mal böse Witze - aber was ich denke, ist nicht das, was ich sage :lachen:
 
AW: Konsensmusik

Robin schrieb:
Wäre ich nur klug genug, formulieren zu können, wo das Missverständnis liegt.
Bevor wir uns allzu einig werden, lieber Robin, will ich versuchen, dieses Thema auf der Ebene der Zeichentheorie grundsätzlicher zu behandeln.

Robin schrieb:
Vielleicht willst du auch bei der Behauptung bleiben, es gäbe keine Missverständnisse, weil dir dann die Schuldfrage entgleitet, an der du doch eigentlich sehr hängst, auch wenn du sie ständig ironisierst...
Sorry, da bin ich zu doof zu. Bei aller Lust der Negation der Negation der Negation, das mußt Du mir genauer erklären...
 
Die Frage ist...

...worauf wollen wir eigentlich hinaus :D

Wir wollen doch die Welt interpretieren. Oder wollen wir sie interpretierbar machen? Das wäre sozusagen der Unterschied zwischen Praxis und Theorie. Aber der verschwimmt hier notgedrungen manchmal...

Ich glaube, glaube ich, dass das Funktionieren der Gesellschaft auf Missverstehen beruht. Und das Nicht-Funktionieren auch. Und das Missverstehen ruft andere Funktionen auf den Plan. Die der Kritik zum Beispiel.
Aber wie soll Kritik an Personen funktionieren, wenn man kaum weiß, was der Person zuzurechnen ist? Welches Niveau an Verstehen ihr unterstellt werden kann? Welche Informationszugang man bei ihr vermutet? Also nicht weiß, was die Person wissen kann und was nicht und welche "Lüge" der Person bewusst erfolgt oder nur so passiert.
Die Kritik an Personen dient kaum der Wahrheitsfindung. Auch nicht der VErbesserung der Kommunikation. Die Kritik an Personen hat einen "Eigenwert", der von Kabarettisten leidlich ausgebeutet wird. Diese Kritik und deren Ausbeutung würde aber unterhöhlt, wenn sich Kabarettist und Kritiker selbst kritisch hinterfragen würden. "Weiß ich wirklich was?", kann sich der Kritiker fragen, "oder reproduziere ich nur eine Haltung, eine Witzerwartung, eine Kritikerwartung, vollführe ich ein Pensum der Triebabfuhr und Anerkennung?"
Kritik an Personen wird sich also mit oben genannten Triebmitteln gerne selbstgefällig in sich schließen. Kritik schließt an Kritik an, und da man immer jemanden findet, der derselben Meinung ist, kann man sich den unkritischen Menschen gegenüber im Vorteil sehen.
Ich finde die Wahl, kritisch zu sein oder nicht, eine quälende. Ich sehe wenig Sinn darin, Menschen zu kritisieren, die ich kaum kenne. Vielleicht habe ich aber auch Angst, mich in der eigenen Kritik zu verheddern, wie es viele Kritiker tun. Man könnte das dann psychologisch auf ein Selbstbewusstseinsproblem reduzieren.
FÜr mich ist es aber eher ein Erfolgsproblem. ENtgegen landläufiger Meinung ist man nämlich als kritischer Mensch m.E. erfolgreicher. Also jemand, der Kritik unkritisch reproduziert ;)
Verzeihung, dass ich nicht weniger unsinnig reden kann. :reden:
 
AW: Die Frage ist...

Robin schrieb:
...worauf wollen wir eigentlich hinaus :D
Auf einen harmonischen zweistimmigen Gesang mit gekonnter Dissonanzbehandlung :) ?

Robin schrieb:
Wir wollen doch die Welt interpretieren. Oder wollen wir sie interpretierbar machen?
Oder zeigen, daß und warum "Welt" immer nur Interpretation sein kann, solange wir uns im Kommunikationsmedium "Sprache" befinden. Von mir aus wäre es dann ein enormer Scherz, Welt in allen ihren Formen von Erscheinung unter sprachlichen Aspekten - Codes - zu betrachten. Das wäre ebenso wahr wie lustig: Theorie ist witzig, vor allem, wenn sie ihren Gegenstand mit ihren Erkenntnissen gleichsetzt bzw. verwechselt.

Robin schrieb:
Ich glaube, glaube ich, dass das Funktionieren der Gesellschaft auf Missverstehen beruht. Und das Nicht-Funktionieren auch. Und das Missverstehen ruft andere Funktionen auf den Plan. Die der Kritik zum Beispiel.
Ersteres würde ich kaum bestreiten; ich zitiere ja Peirce unter anderem deswegen, weil ich zeigen will, daß die Möglichkeit von "Mißverstehen" dankenswerterweise schon in seinem Zeichenbegriff selbst angelegt ist. Ansonsten ergibt es wenig Sinn, sich über das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren von "Gesellschaft" aufzuhalten, wenn man weiß, daß ihr System ein Reproduktionsprozeß ihrer selbst ist. Die Menschen, wie sie sind, gehen ihr nicht mal am Arsch vorbei: sie sind das, was Gesellschaft am hinteren Ende ausscheidet. (Und ich schreib Dir gerne nochmal was aus Luhmann ab, um meine Behauptung zu stützen, daß Luhmann insbesondere betreffs der Freiheit/des freien Willens des Einzelnen optimistischer war als Adorno.)

Ich hatte bisher übrigens nicht den Eindruck, Robin, daß wir uns vorwiegend mit "Kritik an Personen" beschäftigen würden. Sicher, ich würde lieber mit Teddie zur "Gräfin Mariza" gehen als mit Luhmann... was trinkt der eigentlich?

Mein Hauptpunkt ist derzeit, ob nicht bei Luhmann das "System" als An-Sich-Seiendes eingeführt wird statt als das, was es ist: ein Begriff.

Robin schrieb:
Ich finde die Wahl, kritisch zu sein oder nicht, eine quälende. Ich sehe wenig Sinn darin, Menschen zu kritisieren, die ich kaum kenne. Vielleicht habe ich aber auch Angst, mich in der eigenen Kritik zu verheddern, wie es viele Kritiker tun. Man könnte das dann psychologisch auf ein Selbstbewusstseinsproblem reduzieren.

Naja, wenn das so ist... Unsicherheiten sind ja wohl erlaubt, uns, die wir keine Philosophie-Profis sind, auch die gewisse Unsportlichkeit, die im offenen Zugeben von schwankendem Mut so liegt. Mach Dich - einfach, kann ich nicht sagen - aber mach dich frei vom Zwang der Anschlußfähigkeit, und mit einmal fährst Du im Cabriolet durch die Welt, ohne den Deckel, den noch die geräumigste Limousine Dir aufstülpt, Schutz mit Angst vor Erfahrung verwechselnd. Denn das ist auch Luhmann, leider: der Imperativ der Anpassung.

Liebe Grüße, Thorsten
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Die Frage ist...

Ich hatte bisher übrigens nicht den Eindruck, Robin, daß wir uns vorwiegend mit "Kritik an Personen" beschäftigen würden. Sicher, ich würde lieber mit Teddie zur "Gräfin Mariza" gehen als mit Luhmann... was trinkt der eigentlich?
Hmm...Weißwein?
Ja nun, das war etwas off topic mit der Kritik an Personen. Aber es stimmt doch schon, man reidentifiziert Texte ja immer mit Personen, schon um der besseren Verständigung willen. Aber interessanter sind doch Threads (oder "Threats" wie heutzutage gerne geschrieben wird ;) ) wie: Lieblingpolitiker etc. Es geht um die Frage, ob man bei Systemkritik, falls die überhaupt Sinn macht, bei der kritik an Personen ansetzen soll, oder ob man zumindest in einem theoretischen Diskurs ohne Personen auskommen kann. Oder auch bei der Beschreibung von Welt: Kann man die Welt über Personen beschreiben, macht das Sinn? Klar ist, dass die meisten ohne dies nicht auskommen, aber zu was führt es?

Mein Hauptpunkt ist derzeit, ob nicht bei Luhmann das "System" als An-Sich-Seiendes eingeführt wird statt als das, was es ist: ein Begriff.
Aha, wir kommen der Sache schon näher, bzw ich rücke von meiner langen Leitung ab.
Meinst du nicht, das Thema des An-sich-seienden ist eines aus der onthologischen Welt? Luhmann würde wahrscheinlich sagen: "Verzeihung, ich bin der onthologischen Weltsicht sowieso schon lange entrückt. Ich rede sowieso nur von konstruierten Bedeutungen, von Bedeutungsebenen, von Semantik. Meine Definition eines Systems ist die einer (unmittelbar unbeobachtbaren) Autopoiesis, also einer momenthaften Schließung, eines Prozesses. Das "Sein" dieses Systems ist nicht beobachtbar, sein Kern der Moment, der sowieso "nichts" ist, da er keine zeitliche Ausdehnung hat. Und daher, lieber Throsten, dachte ich gar nicht daran, dass ich das jetzt dazusagen muss. Außrdem, soweit ich mich erinnere, thematisiere ich genau das, Signé und Signée (so heißt das doch) und das andere Zeug nämlich in "Die Gesellschaft der Gesellschaft" Band 1, Seite sowieso. Es gibt für mich kein An-sich-Seiendes, nun glaub mir doch endlich..."

aber mach dich frei vom Zwang der Anschlußfähigkeit, und mit einmal fährst Du im Cabriolet durch die Welt, ohne den Deckel, den noch die geräumigste Limousine Dir aufstülpt, Schutz mit Angst vor Erfahrung verwechselnd. Denn das ist auch Luhmann, leider: der Imperativ der Anpassung.
Ja, da weht er noch, der letzte Hauch der Idee der Freiheit. Ich greife jedoch der Zeit vor, weil ich weiß, dass ich bald ins Alter komme, wo Männer in Cabriolets bemüht jugendlich aussehen...;)
 
AW: Konsensmusik

Thorsten, das entspricht ja nicht den neuesten Sicherheitsstandards! Und wo soll da der Kindersitz hin?

:engel2:
 
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AW: Konsensmusik

Robin schrieb:
Und wo soll da der Kindersitz hin?
Daß man das erklären muß. Das Kind, sobald es ein Junge von vier Jahren oder vergleichbares ist, wird den Vorgang, wie Papi in den Horch steigt, mit seiner Kamera dokumentieren, sebstverständlich wird es sich nie - vor keiner Kamera der Welt - solche Blößen geben wie Papi, der nicht wußte, wie man in einen Horch einsteigt.

Kluges Kind, ne? Alles wissen, aber nie im Horch gesessen!
 
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