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Fernweh und Nervenkitzel

querulant

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6. Januar 2009
Beiträge
123
Anlässlich des aktuellen U-Boot/Titanic Dramas stellt sich wieder mal die Frage, was Menschen dazu bewegt, derartige "Abenteuer" einzugehen.

Es fängt doch schon beim "normalen" Tourismus an.
In einer Zeit, in der unzählige Dokumentar-Filme und -Fotos jegliche "Kultur-Städte" und "-Stätten" dieser Welt bis ins letzte Detail zeigen, verstehe ich das Bedürfnis vieler Leute nicht, sich das noch mal teuer persönlich dort anzuschauen.
Um sich vorstellen zu können wie es dort aussieht, reichen doch die Bild- und Filmdokumente aus. Fehlt dazu die (räumliche) Vorstellungskraft oder wird ein Urlaubsziel nur deshalb attraktiver weil es durch unzählige Publikationen in aller Munde ist?
Natürlich können die Bilder nicht das Abenteuer und die bleibende Erinnerung ersetzen, etwa in Paris, London, New York oder Honolulu in einen Hundehaufen getreten zu sein, oder die Autoabgase dort inhaliert zu haben.

Wenn dann Leute von ihrem Urlaub berichten, den sie dann auch noch als eine Art intellektuell angehauchte Studienreise darzustellen versuchen (vorgeblich um fremde Kulturen kennenlernen wollen.. ), wie sauber es doch im Hotel war und dabei immer betonen, wie "gastfreundlich" diese Menschen dort sind und dann auch noch glauben, sie hätten nun die dortigen Mentalitäten verstanden, halte ich dem entgegen, dass auch die Kassenbedienung im immer sauberen Supermarkt bei mir um die Ecke freundlich ist, einfach deshalb, damit die Kunden auch wiederkommen.

Hier käme aber doch niemand auf die Idee, aus der Freundlichkeit von Kassen- oder Restaurant-Bedienungen auf die Mentalität aller Deutschen schließen zu wollen.

Dieses weit verbreitete kulturelle Fernweh mutet schon seltsam an, wenn das Interesse an der eigenen reichhaltigen Kultur gegen null geht, und diese Leute dann das kleine Heimatmuseum oder die Kirche ihres Heimatortes noch nie von innen gesehen haben, aber irgendeinen tausende Jahre alten Tempel im tausende km entfernten Ausland in- und auswendig kennen.
Das hat was infantiles an sich, denn Kindern schmeckt der Kuchen bei den Nachbarn meist besser als der zuhause.

Wenn ich dann von Urlaubern höre, das Leitungswasser in der Fremde wäre sogar trinkbar gewesen, oder eben nicht, aber es war immerhin genügend Mineralwasser zu bekommen, kommt auch wieder diese wohl den Deutschen speziell anhaftende Neigung, den Rest der Welt von oben herab nach den eigenen Perfektions-, Moral- und Hygiene- Maßstäben zu bewerten.
Wenn also bei manchen Menschen die Hauptmotivation für Auslandurlaub ist, sich als eine Art Welt-Kontrollierer oder -"TÜV" aufzuspielen, stellt das ja eine Art Risiko-Urlaub dar, mit noch ungewissem Ablauf und Testergebnis.

Dies ist dann fast schon vergleichbar mit einer natürlich ungleich teuereren und risikoreichern U-Bootfahrt.
Der Nervenkitzel scheint also in beiden Fällen im ungewissen Ausgang zu liegen, quasi eine Investition ins Ungewisse.

Vor vielen Jahren sprach mich gegen Ende der Schulferien eine Nachbarin im Aufzug an, wie es denn im Urlaub war. Auf meine Erwiderung, dass wir für Urlaub kein Geld haben, erntete ich betretenes Schweigen.
Urlaub als Staussymbol, worunter dann Schulkinder leiden müssen, wenn denkbefreites Lehrpersonal am ersten Schultag nach den Ferien routinemäßig die Kinder ausfragt, wo und wie sie denn ihre Ferien verbracht hätten.
Dann fühlen sich nicht wenige Kinder unter Druck gesetzt weil sie mangels nötigem Geld oder Interesse gar nicht in Urlaub fahren konnten/wollten.
Wenn ein Kind dann von Honolulu erzählt, wie müssen sich dann andere Kinder fühlen, wenn sie nur von "Balkonien" berichten können.

Und die gleichen Pädagogen, die solche dämliche Befragung durchführen, die ein Trigger für Sozial-Mobbing sein kann, sülzen dann über Schuluniformen zwecks Verhinderung von Diskriminierung weniger begüterter Familien.

Eine Lehrerin lud mich mal zum Gespräch, nicht wegen der 5 Einsen im Zeugnis meiner Tochter, sondern wegen deren aus Sicht der Lehrerin "tristen grau in grau" -Erscheinung.
Darauf erwiderte ich, ob sich meine Tochter die Gunst der Mitschüler mittels Schminke und "Markenklamotten" erkaufen solle. Ich würde vorzugsweise mit über Schlabberjeans hängendem karierten Hemden rumlaufen, ob sie auch was dagegen einzuwenden hätte.
Dann beendete ich das Gespräch und verließ den Raum.
Ich schätzte diese Lehrerin vom Alter und ihrem sonstigen Auftreten als 68erin ein. Das heutige Verhalten mancher "Alt-68er" ist für mich als damaliger Zeitzeuge ein Beleg, dass sich damals unter den "68ern" nicht wenige Dummköpfe, Heuchler und Opportunisten herumtrieben.

Wie das Titanic-Wrack aussieht, ist ja nun schon länger bekannt, obwohl sich die Erde auch ohne diese Erkenntnis unbeeindruckt weiter dreht.
Nur jemand der nicht in der Lage ist, sich eine hier äußerst schwer zugängliche Örtlichkeit aufgrund von Fotos vorzustellen, mag das Bedürfnis haben mal dort persönlich zu gucken. Das Bedürfnis wird wohl um so größer werden, je mehr "Abenteuer" zuvor schon erlebt wurden und die Schwelle und der Aufwand einen neuen "Kick" zu erleben, immer höher geschraubt werden muss.

Und wenn man Luxus und räumliche Großzügigkeit zur Genüge kennt und sich bald Langeweile breit macht, zwängt man sich auch schon mal gerne freiwillig, wie eine Ölsardine unfreiwillig in die Dose, in ein U-Boot und nimmt u.a. eine Mini-Toilette in Form einer Plastiktüte in Kauf.
Am Ziel angelangt steht, sitzt oder liegt man dann Schlange um mal kurz durch ein Mini-Bullauge ein Schiffs-Wrack sehen zu dürfen, wobei sich dieser Anblick in Nichts von bereits bekannten Fotos unterscheidet.

Dekadenz in Vollendung nicht in Form immer höherer ins Absurde abdriftendem Luxus, das hat dann schon den Reiz verloren.
Der neue Reiz ist dann, willentlich kurzzeitig von allem Komfort befreit in technischer Unzulänglichkeit und damit höheren Lebensrisiken zu verbringen.
Dieser neue "Luxus", kurzzeitig auf jeglichen Luxus verzichten zu wollen/können, hat den Beigeschmack, Menschen, für die geringer Komfort und höhere Lebensrisiken der Normalzustand ist, verhöhnen zu wollen.
 
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Der Mensch hat die Neigung "an die Grenzen" zu gehen. Einer mehr, der andere weniger. Und wie es nun einmal mit Grenzen so ist, der Tanz darauf ist gefährlich. Auch die Biene verlässt ihren sicheren Stock, um die Gegend zwecks Nahrungssuche zu erkunden. Obwohl sie dort Feinden ausgesetzt ist. Man kann sich nun fragen, welche Nahrung man denn in 3800 Metern Meerestiefe suchen würde. Aber wer sich dazu hinreißen lässt, will entweder nur ulken oder hat einfach den Punkt nicht verstanden. :)
 
Das mit der Titanic ist so absurdum, das will ich nicht besprechen. Ich schäme mich, das das Gesellschaftsthema ist. Hässlich.
 
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