Hallo Kaspar,
ich kopiere mal einen Beitrag aus "leben und tod" hier ein, der auf manches deiner Anregungen Bezug nimmt. Auf die anderen Aspekte werde ich dann noch mal im Einzelnen eingehen. Vieles scheint sich mit deinen Ansätzen zu decken, manches wird sich unterscheiden...
Vielleicht ist das, was Kontur meint, die Differenz von Denken und Erkennen im Sinne von Kant: Wenn man gedacht und verstanden habe, was ein Ding sei, so habe man es noch längst nicht erkannt.
Dahinter steckt das Unbehagen, dass wir auf Wahrnehmung (eine Eigenleistung unseres Bewusstseins) und auf Konstruktion der Wirklichkeit angewiesen sind. Begriffe wie "lyrisch" oder "poetisch" müssen aber dennoch hintenan gestellt werden. Das sind Spezialfälle des menschlichen Ausdrucks.
Erstmal kommt Semantik oder Symbolik ins Spiel.
Aber selbst wenn wir das Wort "Tod" nicht aussprechen oder denken können, ohne das ihm symbolische Bedeutung sofort erwächst, heißt das nicht, dass wir ihm nicht dennoch eine hinreichend genaue Bedeutung geben können.
Man kann den Tod nur in zwei Richtungen denken: Als einen Übergang in einen anderen Zustand oder als die Verneinung des Lebens.
Bei ersterem Fall ist der Tod dann paradoxerweise ein anderes Leben. Da hier bis jetzt keine ausgesprochen religiösen Statements auftauchten, können wir diesen Fall vernachlässigen.
Im zweiteren Fall haben wir es mit einer Differenz zu tun, die wir, wie immer, selbstreferentiell oder fremdreferentiell auflösen können.
Fremdreferentiell gesehen, beobachten wir belebte und unbelebte Materie - was wir größtenteil biologisch definieren müssen, es sei denn, wir erweitern die Differenz auf Dinge oder Prozesse, die "ein Eigenleben" entwickeln können, soziale Prozesse, physikalische Eskalationen etwa. Ein Mensch der stirbt geht also von belebter in unbelebte Materie über. Die Leiche unterscheidet sich im Sinne der Differenz in nichts mehr von dem Boden, auf dem sie liegt. Die Leiche ist aber nach wie vor ein in die Vergangenheit deutendes Symbol für einen Menschen, der mal gelebt hat (und umso aufgeladener ist das Symbol, desdo besser wir den Menschen kannten). Eventuell - aber das hängt vom Beobachter ab - wird die Leiche auch zum Symbol der eigenen Sterblichkeit oder der damit verbunden Angst. Aber an der semantischen Klarheit des Todes - der Nicht-Belebtheit - rüttelt das nicht-
Selbstreferentiell ist Leben das eigene Bewusstsein - unsere Wahrnehmung, unsere Gedanken, unsere Gefühle sind alles "was wir haben". Wenn wir einen Sonnenstrahl wahrnehmen, gehört nicht der Sonnenstrahl zu unserem Leben - sondern die Wahrnehmung des Sonnenstrahls gehört zu unserem Leben. Die Gefühle, die er auslöst, gehören zu unserem Leben. Und so weiter. Der Sonnenstrahl muss wohl "sein", damit wir leben. Er eghört aber nicht dazu. Aus dieser Sicht sind dann sowohl die Leiche als auch der Sanitäter gleich belebt/unbelebt. Als Wahrnehmungen gehören sie zum Leben - Als Dinge sind sie beide gleich tot, in dem Sinne von Etwas, dass wir wohl denken aber nicht begreifen können. Einheit der Differenz.
Die Quintessenz eines solchen Lebens ist m.E. die Irritation, die Überraschung. Davon sind wir abhängig. Komplexität ist unser Lebenselixier - ständig beschossen werden von unseren Eindrücken, von Kommunikation und von unseren eigenen Gedanken hält das Bewusstseins am Laufen.
Diese Komplexität erzeugt aber auch Gegenwehr. Das drückt sich dann im romantisierenden oder esoterischen Lob der Einfachheit, der Unendlichkeit aus. Die Perfektion im Tod zu suchen,ist eine Manie, eine im Endeffekt unreflektierte Sehnsucht, die dann poetisch verklärt wird.
Aber wie seltsam stünde es einem Atheisten, zwar an ein Leben nach dem Tod nicht zu glauben - und dann dass Nichtbelebtsein dennoch zu verklären.
Ist doch sein Belebtsein die Voraussetzung für alle Verklärung...