Rhetorische Philosophie
Inhalt und Form sind zweifelsohne gewaltige Begriffe. Sie reichen hinab bis auf die Basis des sprachlichen Zeichens. Denn die Zeichenform findet sich dem Zeicheninhalt gegenübergestellt. Wenn nun der Inhalt erst in der Form ihren Ausdruck finden kann, muss bereits hier einem die Logik eins auswischen. Erst Form ermöglicht Inhalt. Doch Form, wie sie hier bezeichnet wurde, ist Form in raumzeitlicher Differenz. Inhalt kann nur formell bestimmt werden, so dass die Form zum Inhalt wird, der wiederum formell nur bestimmt werden kann usw. Der Abschluss dieser Kette ist nun die Bestimmung der Form, und nicht die Begrenzung des Inhalts. Der Inhalt wird durch die Abschliessung der Form ent-grenzt. Das will folgendes heissen: die vollkommene Form zur Begrenzung des Inhalts fehlt. Die raumzeitliche Differenz ist die Ökonomie der Form, die als Begrenzendes durch den formellen Inhalt ent-grenzt wird, so dass nichts übrig bleibt, als auf der Form zu beharren. Diese Ausführungen sind insofern von Relevanz, als sie darauf hinauslaufen, auf die Problematik der Dynamik der Sprache zu verweisen.
Wenn also davon gesprochen wird, dass etwas so und so ausgedrückt zu werden hat, geschieht folgendes: Von begrenzten Formen, die scheinbar zur freien Verfügung stehen, wird Gebrauch gemacht, um andere zu
überreden, einen imaginären Inhalt zu bezeichnen und abzuschliessen, der selbst nur als Ent-grenztes dem bzw. der Sprechenden (von ihm bzw. ihr allein ist hier die Rede) begegnet. Das ist nichts als Rhetorik. Überredung.
Der Inhalt (das Signifikat) fungiert dabei in einer teleologischen Argumentation als
Ursprung und Ziel einer Forderung nach „gutem Stil“. Dass diese Qualität („gut“) somit vorab keiner einwandfreien Kontrolle unterliegen kann, ergibt sich aus diesem Umstand.
Interessant ist auch das Argument „Einsteins“, das Gisbert anführt. Es muss somit zutreffen, dass der Herrscher über die Monade (ich betone ‚Monade’, da ich weiter oben von der raumzeitlichen
Differenz gesprochen habe, die jedem Verständnis zugrundeliegt), über das reine Signifikat, „Spitze“ ist. Es ist die
ex negativo formulierte und aus Unwissenheit angenommene Spitze der Spitzen überhaupt: Gott.
Deswegen erhalten die Ausführungen über die Verständlichkeit (die seit der antiken Rhetorik vorherrschen) auch einen völlig normativen und moralischen Charakter. Doch nur scheinbar: Denn die Rhetorik versucht uns von einem unreinen Standpunkt, von einem „reinen“ zu überzeugen. Diese persuasive Kraft, die der Rhetorik scheinbar eignet, verliert sich in der Ironie – ironischerweise auch nur ein Tropus (zu dem ich weitere Ausführungen unterlasse, da ich keine rhetorische Abhandlung schreiben möchte). Das ist ziemlich folgenreich:
Die Philosophie, die der Rhetorik häufig gegenübergestellt wird (siehe Gisberts Opposition Überzeugung – Erkenntnis), muss selbst in der Ironie ihrer persuasiven Mittel gefangen bleiben. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Text, den sie uns darbietet, poetisch (soll heissen: im Prozess des Hervorbringens, transitiv und intransitiv) zu hinterfragen, was bedeutet, dass die Aufgabe des Übersetzens wahrzunehmen ist (auf die schöne Polysemie des Wortes ‚Aufgabe’ sei hier auch verwiesen). ‚Stil’ ist dabei die Metapher für den
Stilus, den Wachstafel-Griffel, mit dem Rhetorik-Schüler ihre Täfelchen beschrieben haben: die Spuren dieser Griffel (mit spitzem und stumpfem Ende) sollten dem Studierenden dienen, die Organisation des Textes zu memorieren. Stil ist die Möglichkeit, Hinzufügungen, Tilgungen, Umstellungen im Text zu erinnern, und d.h. Text überhaupt erst als Text wahrzunehmen und zu produzieren.
Es scheint klar, dass genau solche mittelbaren Verhältnisse (es geht um Technik) das Urteil herausfordern, da es darum geht, die Form zu beherrschen. Wo Herrschaft west, ist die Qualität und also das Urteil stets auch präsent: die traditionelle Einteilung der Stilqualitäten sieht demnach auch folgendermassen aus:
Puritas, die „Reinheit“,
Perspicuitas, die „Klarheit“,
Ornatus, der „Schmuck“ und
Aptum, die „Angemessenheit“ (manchmal kommt noch die
Brevitas, die „Kürze“, hinzu). All diese Kategorien setzen eines voraus, nämlich dass jede
Res – jede ‚Sache’ (für Nicht-Lateiner) – eine eigenes nur für sie bestimmtes
Verbum hätte. Hier stossen wir wieder auf unsere Opposition von Inhalt und Form und auf eine 'Ethik' (jedes hat einen seiner Singularität entsprechenden gerechten Ausdruck zu erhalten).
Es ist nachvollziehbar, dass jemand vom Stil auf den Inhalt schliesst, wieso auch nicht, jedoch ist es ein wenig heikel, danach tatsächlich permanent an einer Qualität festhalten zu wollen. Für mich gilt, was Benjamin einmal in seinem Aufsatz über das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit gesagt hat:
„Innerhalb grosser geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung.“ – was auch immer „grosse“ geschichtliche Zeiträume sein mögen, die raumzeitliche Differenz ist jedenfalls Bedingung bereits kürzester (persuasiver) Geschichten. Mir erscheint deswegen der grobe Schrei nach Verständlichkeit häufiger als eine Ironie. Eine Ironie, die den Unverstandenen begleitet, der anderen – die er nicht verstanden zu haben scheint – Verständnis (für ihn) mit dem Richterhammer einprügeln möchte. Amen.