Kann der Sozialstaat Schicksal verhindern?
Schicksale kann niemand verhindern. Allein diese Fragestellung ... nun, geschenkt.
Der Sozialstaat soll aber Schicksale zumindest abmildern, denn das ist seine Aufgabe.
Nach meiner eigenen Erfahrung ist es schwer, sich aus einem sozialen Loch, in das man einst geraten, wieder zu befreien - selbst wenn man Gas gibt und das will. Man hat mit verschiedenen Organisationen und Behörden zu tun, die sich genau das auf die Fahnen geschrieben haben, aber sie kochen alle auch ihr eigenes Süppchen.
Sie werden Dir helfen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, darüber hinaus halten sie Dich in Abhängigkeiten. Denn Deine völlige Befreiung liegt nicht in ihrem Interesse, denn auch ihr System, ihre Sozpäds, ihre Berater wollen bezahlt werden. In gewisser Weise geht es nicht um Dein Wohlergehen, sondern um ihr Wohlergehen.
Die sozialen Organisationen sind eine große Geldmaschine, die am Laufen gehalten werden will. Es geht nicht um Dich oder andere Betroffene, sondern um sie. Sie verdienen Geld und stellen Arbeitsplätze für gutbezahlte Mitarbeiter - und Du bist der Klient, der das, indirekt, finanziert.
Ich selbst habe eine Art soziale Arbeit gemacht und als Koch für Bedürftige gearbeitet. Wir haben die Menschen am untersten Ende versorgt ... an ihrer Not ändert es aber nichts. Vielmehr stabilisierten wir ihren Status Quo: Die Menschen sind Obdachlose, meist aus anderen, osteuropäischen Ländern, sie leben unter der Brücke und kommen jeden Tag zum Essen ... Tag für Tag ... jeden Tag ... Woche für Woche ... Monat für Monat.
Und irgendwann Jahr für Jahr ...
Oder anders: Wir stabilisieren ihren Zustand, ändern an diesem aber nichts.
Man könnte auch sagen: Wir zementieren die Verhältnisse, wie sie sind. Es mag besser sein, als es noch schlechter werden zu lassen, mir persönlich ist das aber zu wenig.
Mir ist das zu wenig und ich halte das für kontraproduktiv. Wir sollen nicht den armseligen Zustand herunter gekommener Menschen stabilisieren, sondern wir sollen sie zurück bringen in ein Leben, das sie verdienen: Mit einer menschenwürdigen Arbeit und einem menschenwürdigen Leben.
Ich habe Menschen gesehen, die waren derartig herunter gekommen ... man fragt sich, wie man sie überhaupt wieder in ein sauberes Leben bringen kann. Man müsste ihnen eine Art Zwangsprogramm aufbürden, Anfangs zumindest, mit einer Situation an Auflagen ... um dann, wenn man darüber nachdenkt, bei einer Art System von "KZ" zu landen: Du kommst hier erst nach einer Dusche herein, Deine Sachen werden vernichtet, Du bekommst neue, saubere Anstaltskleidung, hier kein Alkohol ... wo bist Du also dann? In einer Art Anstalt, oder?
Ich war selbst schon ziemlich weit unten, wenn auch nie so eine Art Penner.
Ich habe Jahre gebraucht, mich daraus befreien zu wollen und arbeite noch daran - trotz bezahlter Arbeit. Ich gebe seit Jahren Vollgas, und dennoch kann es, Sozialstaat hin- oder her, Einbrüche für mich geben (und sie werden kommen).
Derzeit habe ich einen ordentlichen Job. Ich habe mir ein Zwischenzeugnis ausstellen lassen, und es ist das beste Zeugnis, was ich je hatte. Man bestätigt mir eine "stets sehr große Einsatzfreude und Eigeninitiative", "äußerste Zuverlässigkeit", "hervorragendes Organisationstalent", "Anerkennung und Schätzung durch Vorgesetzte und KollegInnnen" sowie "sehr Beliebtheit bei unseren gehandicapten Mitarbeiten durch Hilfsbereitschaft und freundliches Wesen" sowie "vorbildhaftes Verhalten".
Besser geht's nicht, möchte ich meinen.
Dennoch krebse ich herum, und werde mir in diese Stadt auf dauer nicht einmal die kleinste und bescheidenste Wohnung leisten können. Was denn nun? Was will man denn noch von mir?