EarlGrey
Well-Known Member
- Registriert
- 5. September 2007
- Beiträge
- 3.475
Menschliches Bedürfnis zur Wahrheitsfindung jenseits sozialer Verpflichtungen
mal eines der ganz wenigen büchern von nietzsche welches einmal nicht im typischen, widersprüchlichen nietzsche poesie stil geschrieben wurde.....
vielleicht gefällt es jemanden trotzdem...
aus:
Friedrich Nietzsche
Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn
http://www.zeno.org/Philosophie/M/N...er+Wahrheit+und+Lüge+im+außermoralischen+Sinn
mal eines der ganz wenigen büchern von nietzsche welches einmal nicht im typischen, widersprüchlichen nietzsche poesie stil geschrieben wurde.....
vielleicht gefällt es jemanden trotzdem...
aus:
Friedrich Nietzsche
Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn
http://www.zeno.org/Philosophie/M/N...er+Wahrheit+und+Lüge+im+außermoralischen+Sinn
Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.
Wir wissen immer noch nicht, woher der Trieb zur Wahrheit stammt: denn bis jetzt haben wir nur von der Verpflichtung gehört, die die Gesellschaft, um zu existieren, stellt: wahrhaft zu sein, das heißt die usuellen Metaphern zu brauchen, also moralisch ausgedrückt: von der Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen. Nun vergißt freilich der Mensch, daß es so mit ihm steht; er lügt also in der bezeichneten Weise unbewußt und nach hundertjährigen Gewöhnungen – und kommt eben durch diese Unbewußtheit, eben durch dies Vergessen zum Gefühl der Wahrheit. An dem Gefühl, verpflichtet zu sein, ein Ding als »rot«, ein anderes als »kalt«, ein drittes als »stumm« zu bezeichnen, erwacht eine moralische, auf Wahrheit sich beziehende Regung: aus dem Gegensatz des Lügners, dem niemand traut, den alle ausschließen, demonstriert sich der Mensch das Ehrwürdige, Zutrauliche und Nützliche der Wahrheit. Er stellt jetzt sein Handeln als »vernünftiges« Wesen unter die Herrschaft der Abstraktionen; er leidet es nicht mehr, durch die plötzlichen Eindrücke, durch die Anschauungen fortgerissen zu werden, er verallgemeinert alle diese Eindrücke erst zu entfärbteren, kühleren Begriffen, um an sie das Fahrzeug seines Lebens und Handelns anzuknüpfen. Alles, was den Menschen gegen das Tier abhebt, hängt von dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen. Im Bereich jener Schemata nämlich ist etwas möglich, [315] was niemals unter den anschaulichen ersten Eindrücken gelingen möchte: eine pyramidale Ordnung nach Kasten und Graden aufzubauen, eine neue Welt von Gesetzen,