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was haltet Ihr davon?

Guido

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Registriert
24. Oktober 2004
Beiträge
100
Seit ein paar Tagen geht mir ein Lied nicht aus dem Kopf, von dem ich nicht einmal mehr weiß, wer es damals gesungen hat.

Der Text regt mich immer wieder zum Nachdenken an und es würde mich interessieren, wie Ihr ihn versteht und interpretiert.
Ich schreib ihn einfach auf:

Es ist schon viele Jahre her,
dass wir zusammen kamen.
Wir nahmen voneinander viel,
doch haben wir uns nie verbraucht.
Und jede Ungerechtigkeit und jede Kränkung zahltest du noch mit gleicher Münze heim
und das war gut so, denn du weißt,
in deiner Schuld zu sein, würd´ich mir nie verzeihn.

Wenn wir uns einmal wiedersehn,
wenn du nach vielen Jahren
auch ein Gesicht bekommen hast,
ich meins noch nicht verloren hab,
dann haben wir vielleicht gelernt, wie man sich weniger bekämpft und sich dafür mehr Hilfe gibt,
denn wie ich dich vernichten kann,
das weiß ich viel zu lange schon, doch hab ich nichts davon.

Wir haben oft daran gedacht,
zusammen alt zu werden;
denn man wird alt oder auch nicht,
zu schade, dass ich es nicht weiß;
aber dafür bestimme ich den Tag an dem ich sterben will und wenn ich frage: "kommst du mit?",
dann glaub ich nicht, dass du erschrickst;
im Grunde geht dies Leben dich so wenig an wie mich.
 
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Meine Interpretation eines Lied-Textes

Guido schrieb:
Es ist schon viele Jahre her,
dass wir zusammen kamen.
Wir nahmen voneinander viel,
doch haben wir uns nie verbraucht.
Und jede Ungerechtigkeit und jede Kränkung zahltest du noch mit gleicher Münze heim
und das war gut so, denn du weißt,
in deiner Schuld zu sein, würd´ich mir nie verzeihn.
Hier sehe ich einmal eine Art Zwischenbilanz einer Zweier-Beziehung. Es gab Streit, aber man hat sich immer wieder verziehen.

Wenn wir uns einmal wiedersehn,
wenn du nach vielen Jahren
auch ein Gesicht bekommen hast,
ich meins noch nicht verloren hab,
dann haben wir vielleicht gelernt, wie man sich weniger bekämpft und sich dafür mehr Hilfe gibt,
denn wie ich dich vernichten kann,
das weiß ich viel zu lange schon, doch hab ich nichts davon.
Die Beziehung ist äußerlich getrennt; einer (nicht der Autor) war eindeutig unterlegen - der(die) Autor(in) glaubt aber, dass er quasi aufholt; der(die) Autor(in) hofft, dass die Trennung nur vorübergehend ist und beide etwas daraus lernen.

Wir haben oft daran gedacht,
zusammen alt zu werden;
denn man wird alt oder auch nicht,
zu schade, dass ich es nicht weiß;
aber dafür bestimme ich den Tag an dem ich sterben will und wenn ich frage: "kommst du mit?",
dann glaub ich nicht, dass du erschrickst;
im Grunde geht dies Leben dich so wenig an wie mich.
Die Hoffnung (auf eine Wiedervereinigung) steigt, man glaubt, dass es wieder funktioniert, wenn man sich sich gegenseitig nicht zu sehr vereinnahmt.
----------------------------------------------
Nur der (die) Autor(in) selbst kann definitiv sagen, ob der Text "richtig" interpretiert bzw. nachvollzogen wurde.
----------------------------------------------
Liebe Grüße

Zeili
 
Ja, von Hannes Wader. Ein wunderbares Liebeslied. Ein Lied einer tiefen Liebe. Einer Liebe zweier Menschen, die nicht in der Mainstream leben, und von dem Leben eigentlich sehr enttäuscht sind. Eine Geschichte zweier Menschen, die aber sich hatten.

Gysi
 
Zeilinger schrieb:
----------------------------------------------
Nur der (die) Autor(in) selbst kann definitiv sagen, ob der Text "richtig" interpretiert bzw. nachvollzogen wurde.
----------------------------------------------
Liebe Grüße

Zeili

Lieber Guido !

Ganz aus dem Bauch heraus - mir gefällt dieser Text. ich werde über ihn nachdenken und dieses Gefallen begründen.


Lieber Zeili! es gibt einerseits keine richtige oder falsche Interpretation und andrerseits ist eine Interpretation falsch, wenn sie weder mit dem Text oder der Textaussage etwas zu tun hat. Du hast das gesagt, was Dir inhaltlich aus dem Text rüberkam. Daher ist das von Dir Gesagte richtig - für Dich eben stimmig!

Was anderes ist es, ob wir die Absicht des Autors immer verstehen. Aber da es kaum je Anleitungen zum Verständnis eines Textes - vor allem eines lyrischen Textes - gibt, kann man nicht viel falsch machen, wenn man seine Meinung aus dem Text heraus begründet.

Irgendwie wird man ja nicht den " Friedensclown" von Biermann als einen Aufruf zum Krieg verstehen. Ich meine damit, dass auch in jeder Lyrik die gerade geltenden Konventionen zum Tragen kommen.

Also: Guido - etwas Geduld - mich reizt es, das Gedicht.

Marianne
 
Gisbert Zalich schrieb:
Ja, von Hannes Wader. Ein wunderbares Liebeslied. Ein Lied einer tiefen Liebe. Einer Liebe zweier Menschen, die nicht in der Mainstream leben, und von dem Leben eigentlich sehr enttäuscht sind. Eine Geschichte zweier Menschen, die aber sich hatten.

Gysi

Und hier ist der Link, wo man das Lied von Hannes Wader
im mp3-Format runterladen kann. Und noch mehr über Hannes Wader nachlesen kann.

http://www.golyr.de/hannes-wader/songtext/30339_es-ist-schon-viele-jahre-her.htm
 
Danke, Gysi!!
Stimmt, jetzt als ich es las, fiel es mir wieder ein. Es ist von Hannes Wader, muss aber eines seiner älteren Lieder sein.
Allerdings verstehe ich den Text etwas anders.
Ich seh in eher als die Geschichte zweier Menschen (ob Mann und Frau, oder zwei Freunde), die durch eine Art Hassliebe miteinander verbunden sind. Die sich gegenseitig so gut kennen, dass es beiden möglich ist, den anderen derart zu verletzen, sodass es ihn sogar "vernichten" könnte.
Anscheinend haben sie es auch gemacht, denn die Textpassage " wenn du nach vielen Jahren auch ein Gesicht bekommen hast" deutet darauf hin, dass der eine, in den Augen Waders, vorher "kein Gesicht" hatte und somit auch keine eigene Persönlichkeit.
Trotzdem ist sich Wader sicher, dass sie gemeinsam den Tag ihres Todes vorherbestimmen und dass es keine Zweifel gibt, dass sie zusammen und aus freiem Willen "gehen" wollen.
Nur die Stelle "im Grunde geht dies Leben dich so wenig an wie mich" irritiert mich etwas, weil sie mit der vorherigen Aussage nichts zu tun hat.

Ich bin auch gespannt, wie du, Marianne, ihn verstehst.

Nun weiß ich wenigstens, wessen Lied mir nicht aus dem Sinn geht :danke:
 
Hallo, Guido!

Hier ist das Ergebnis meiner Auseinandersetzung mit dem Wadertext.


I.Strophe

Ganz wichtig ist die Gleichwertigkeit in einer Beziehung. Dies äußert sich auch im so genannten Negativverhalten.
Jedes Verzeihen gibt dem, der verzeiht, Oberhand – und das verstößt gegen die Gleichwertigkeit der Liebe zweier Partner.

II.Strophe

Trotzdem ist diese Beziehung irgendwann einmal auseinander gegangen. Das lyrische Ich – ich weiß nicht, es scheint ein Mann zu sein ( er kann sich Schwäche nicht verzeihen -I/6/7- )setzt voraus, dass er bereits bei der Trennung ein Gesicht hatte ( II/4) und hofft, dass bei einen künftigen Treffen mit der Geliebten diese auch zu ihrem gefunden hat.( II/5) und er seines nicht verloren hat. Was ist mit Gesicht gemeint? Diese Frage bleibt mir offen, denn gleich fährt der Mann fort, zu bekennen, dass er zwar weiß, wie er dieses geliebte Gesicht vernichten kann, dass er dieses aber nicht mehr will. Seine Erkenntnis scheint zu sein, dass nicht Gleichheit im Streitverhalten, sondern gegenseitiges Verständnis mehr Hilfe gibt. Vielleicht beim Gesicht- wahren ?


III. Strophe

Hier merkt man deutlich, dass die Liebenden noch immer getrennt sind. (II/1 „haben gedacht ). Interessant ist nun aber der Wechsel in die grammatische Form Gegenwart.
Das lyrische Ich, der erzählende Mann, weiß nicht, ob er alt wird oder nicht. Er weiß aber, dass er frei ist, den Zeitpunkt seines Todes zu bestimmen. Und nun ist es erstaunlich: er ist sich sicher, dass seine ferne Geliebte bei seiner Frage, ob sie mit ihm in den gewählten Freitod ginge, ohne Erschrecken ja sagen würde. Die Begründung liegt in der Behauptung:
„im Grunde geht dies Leben dich so wenig an wie mich.( III/7)


Deutung:


Ein Mann denkt über sein Leben mit einer Gefährtin nach, die ihm in der Fähigkeit der Selbstbehauptung absolut gleichwertig war. Er erkennt – nach langen Jahren der Trennung -, dass es wohl nicht so wichtig war, sein Gesicht zu bewahren , sich zu behaupten, dass gegenseitige Hilfeleistung – auch , wenn man sein Gesicht dabei verliert,- das hätte er sich dann eben verzeihen müssen - dass also gegenseitige Hilfeleistung dazu beigetragen hätte, beieinander zu bleiben.

Allzu spät erkennt der Mann, dass nur diese Frau mit ihm bis zum Letzten gegangen wäre, denn „im Grunde geht dies Leben dich so wenig an wie mich.“ III/7.


Steckt in dieser absoluten Verneinung des Lebenssinnes doch die Sehnsucht, in dieser Verneinung wenigstens nicht allein zu sein – also doch der Hilfe bedürftig zu sein?



Also – wie gesagt – mir gefällt dieser Liedtext, Obwohl das Lied mich traurig macht, kann ich mich Wader anschließen, wenn er die Sinnlosigkeit eines Lebens mit „ gewahrtem“ Gesicht anklagt.Der Eindruck verstärkt sich mir, weil Wader es in der Ich-Form gestaltet, das verleiht mehr Autenizität.
Ich lese den Text auch als Aufruf, Schwäche zu zeigen. Dann erhält man/frau vielleicht die Hilfe, die jeder Mensch braucht, um überleben zu wollen.



Marianne

Ps: eben lese ich noch Deine Interpretation. Ich finde es beeindruckend, dass wir beide die Stelle mit dem Gesicht / sverlust zum Angelpunkt unserer Deutung gemacht haben.

baba
Marianne
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Marianne, schön, dass wir diesmal irgendwie einer Meinung sind.
Lass uns Texte sammeln, die harmonisierend auf uns wirken und nicht zum konträren Denken auffordern.
Ich lass das Schild " :ironie: bewusst weg.
Hoffe, du verstehst, wie ich es meine.
 
Und was, wenn Hader in der Freundin "nur" die Wahrheit oder die Aufrichtigkeit sähe?

Ich kenne weder das Lied noch Hader, aber es könnte doch sein...rein theoretisch, oder? Sehr schön ist es auf jeden Fall, :danke:
 
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